Matthäus 23
Vers 1
Dann redete Jesus zu den Volksmengen und zu seinen Jüngern Mt 23,1
Der Herr Jesus war in intensive Diskussionen mit allen Gruppierungen der religiösen Führerschaft der Juden verwickelt worden. Sie hatten Ihm viele Fragen gestellt, die Er allesamt auf eine Weise beantwortet hatte, wie sie es nie erwartet hätten. Er selbst hatte ihnen abschliessend eine Frage gestellt, die sie nicht hatten beantworten können. So hatte Er mit den Hirten Israels gerechtet. Der Prophet Sacharja hatte diese Auseinandersetzungen schon mehrere hundert Jahre davor angekündigt: «Und ich tilgte die drei Hirten in einem Monat aus. Und meine Seele wurde ungeduldig über sie, und auch ihre Seele wurde meiner überdrüssig» (Sach 11,8). Sacharja sprach in diesem Zusammenhang davon, dass die Beziehung zwischen Gott und Seinem Volk Israel zerbrochen werden, dass Seine Freundlichkeit ein Ende finden würde. Die schlechten Hirten mussten blossgestellt werden, aber auch der Rest des Volkes sollte sich selbst überlassen werden. Und doch wandte sich der Herr Jesus in Gnade noch einmal an die Volksmengen, um sie vor ihren schlechtne Hirten zu warnen. Die Gnade Gottes wartet bis zum Ende!
Vers 2
und sprach: Auf Moses Lehrstuhl haben sich die Schriftgelehrten und die Pharisäer gesetzt. Mt 23,2
Mose galt unter den Juden als der grosse Lehrer. Durch ihn hatte Gott dem Volk Israel die fünf Bücher Mose gegeben, die die Juden die Torah nannten, was mit «Gesetz» oder auch mit «Belehrung» übersetzt werden kann. Mose war so gesehen also nicht irgendein Lehrer, sondern derjenige, durch den Gott Sein Volk Israel verbindlich angewiesen hat, wie es leben soll. Im Lauf der Jahrhunderte hatte sich eine Tradition in Israel gebildet: Schriftgelehrte und Pharisäer erklärten dem Volk nicht nur, wie die Torah zu verstehen ist, sondern sie fügten neue Gebote und Verbote hinzu, um das Gesetz zu verfeinern. Dadurch hatten sich die Schriftgelehrten und die Pharisäer auf den Lehrstuhl Moses gesetzt. Sie hatten für sich in Anspruch genommen, dem Volk Israel ebenso verbindliche Vorgaben für die Lebensführung zu machen wie einst Mose. Auch wenn sie mit Worten immer wieder klarstellten, dass ihre Ausführungen nicht dieselbe Autorität hatten wie das Wort Gottes, verhielten sie sich doch so, als wären ihre Aussprüche Aussprüche Gottes. Eine brandgefährliche Sache!
Auch unter Christen gibt es Führer mit besonderen Begabungen. Es liegt uns im Allgemeinen nahe, solchen Führern mehr oder weniger bedingungslos nachzufolgen, was teilweise fast schon in eine gewisse Verehrung münden kann. Das ist für beide Seiten (Führer und Geführte) gefährlich. Wir tun gut daran, uns immer und immer wieder vor Augen zu führen, dass allein der Herr Jesus unser HERR ist und dass allein Sein Wort die uneingeschränkte Wahrheit ist. In Bezug auf die Bibel gilt: «Die Summe deines Wortes ist Wahrheit» (Ps 119,160); in Bezug auf alles andere gilt: «Prüft aber alles, das Gute haltet fest!» (1.Thess 5,21), wobei die Prüfung anhand des Wortes Gottes erfolgen soll: «Sie nahmen mit aller Bereitwilligkeit das Wort auf und untersuchten täglich die Schriften, ob dies sich so verhielt» (Apg 17,11).
Vers 3
Alles nun, was sie euch sagen, tut und haltet; aber handelt nicht nach ihren Werken! Denn sie sagen es und tun es nicht. Mt 23,3
Die Schriftgelehrten und die Pharisäer hatten sich eine Autorität angemasst, die ihnen nicht zustand, aber inhaltlich lagen sie mit ihren Ausführungen gar nicht so verkehrt. Der Herr Jesus hielt die Volksmengen an, auf das, was die Schriftgelehrten und die Pharisäer sagten, zu hören und danach zu handeln. Fast unglaublich! Doch wie tragisch: Das Verhalten der Schriftgelehrten und der Pharisäer sollte nicht nachgeahmt werden. «Denn sie sagen es und tun es nicht». Wir sehen, dass jemand, der bezüglich seines Verhaltens und Lebensweges völlig falsch liegt (in wenigen Versen folgen ernste Weherufe gegen die Schriftgelehrten und die Pharisäer), dennoch das Richtige sagen kann. Das ist sehr ernst. Gerade in den grossen Staatskirchen gibt es viele Priester, Pastoren etc., die gar keine echte Glaubensbeziehung zum Herrn Jesus haben, aber dennoch das Richtige predigen. Auch in Freikirchen gibt es Menschen, die zwar das Richtige sagen, aber selbst nicht danach leben. Ja, es gibt sogar Menschen, die andere zum Glauben geführt haben, ohne dass sie selbst diesen Glauben gehabt hätten! Wie kann das sein?
Uns muss bewusst sein, dass der HERR Sich jeden Mittels bedienen kann, wie es Ihm gefällt. So hat Er beispielsweise den gottesfürchtigen König Josia durch den gottlosen Pharao vor einem falschen Weg gewarnt (2.Chr 35,21). Oder Er brachte den gottlosen König Nebukadnezar von Babel durch Lose, durch Pfeileschütteln, durch Teraphim und durch Leberbeschau (alles heidnisch-götzendienerische Praktiken) dazu, gegen Jerusalem zu ziehen (Hes 21,26). Wenn Er durch einen Esel sprechen kann (4.Mose 22,28), dann kann Er auch gottlose Menschen benutzen, um Sein Wort weiter zu geben. Wir können das Phänomen, das Menschen, die selbst nicht von Neuem geboren sind, andere zum lebendigen Glauben führen, mit einem Beispiel veranschaulichen: Jemand rät einem durstigen Menschen, Wasser zu trinken, um den Durst zu stillen. Der durstige Mensch trinkt; sein Durst wird gestillt und er lebt. Doch der Ratgeber trinkt selbst nicht vom Wasser, obwohl er weiss und sogar «predigt», dass Wasser den Durst stillt! Er fühlt selbst nämlich keinen Durst und deshalb trinkt er nicht.
Zwei Dinge sind für uns wichtig: Erstens sollten wir uns immer wieder fragen, ob wir das, was wir sagen, auch tun, also ob unsere Worte und unsere Taten übereinstimmen. Sonst sind wir Heuchler! Zweitens sollen wir uns vor der Gefahr hüten, Menschen, die einmal etwas Wichtiges und Richtiges gesagt haben, einen «Freipass» zu geben, d.h. diesen Menschen alles Mögliche zu glauben und ihr Verhalten zum Massstab zu machen. Selbst echte Gläubige können sich daneben verhalten und auch einmal etwas Falsches sagen. Es gilt: «Prüft aber alles, das Gute haltet fest!» (1.Thess 5,21), wobei die Prüfung anhand des Wortes Gottes erfolgen soll: «Sie nahmen mit aller Bereitwilligkeit das Wort auf und untersuchten täglich die Schriften, ob dies sich so verhielt» (Apg 17,11).
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