Bibelkommentare

Erklärungen zur Bibel

 

Matthäus 10

Vers 1

Und als er seine zwölf Jünger herangerufen hatte, gab er ihnen Vollmacht über unreine Geister, sie auszutreiben und jede Krankheit und jedes Gebrechen zu heilen. Mt 10,1

Die Jünger des Herrn Jesus sollten also zuerst die Not – die verlorenen Schafe und die fehlenden Arbeiter für die Ernte – sehen und zu ihrer eigenen Not, zu ihrem eigenen Herzensanliegen machen. Dann sollten sie den Herrn der Ernte um weitere Arbeiter bitten. Nachdem sie diese beiden ersten Schritte getan und sich damit am Dienst beteiligt hatten, waren sie bereit für den nächsten Schritt: Nun wurden sie selbst als Arbeiter ausgesandt.

Wir haben hier eine logische und natürliche Abfolge von «Entwicklungsschritten» vor uns, die leider durch die Kapitel-Einteilung etwas verschleiert wird. Zunächst einmal muss man verstehen, worum es geht. Dann folgt der wichtigste Schritt, nämlich dass man die Sache zu einer eigenen Herzensangelegenheit macht. Der effektive Dienst beginnt (und endet) immer im Gebet. Wer betet, arbeitet bereits – vollwertig! – mit. Aber es kann natürlich nicht bei allen nur beim Gebet bleiben. Einige müssen dann effektiv los gehen und die Arbeit effektiv anpacken.

Die Jünger waren nun bereit. Wir werden in den folgenden Versen sehen, dass sie mit einem besonderen Evangelium betraut wurden. Ihre Aussendung hat für uns Vorbildcharakter, aber das Vorgehen ist nicht identisch. Hier fällt zunächst einmal auf, dass die Jünger in erster Linie (das wird als erstes erwähnt) Vollmacht über unreine Geister und über jede Krankheit sowie über jedes Gebrechen erhielten. Wir erhalten dagegen in erster Linie die Vollmacht, als Botschafter an Christi Statt zur Umkehr und zum Glauben aufzurufen. Die Jünger predigten das Evangelium des Königreichs der Himmel, was so typisch für die erste Hälfte des Evangeliums nach Matthäus ist. Die Botschaft lautete: Der König-Messias ist hier, kehrt um und unterwerft euch Ihm! Als Zeichen bzw. «Unterpfand» floss etwas vom typischen Segen des messianischen Friedensreiches durch die Hände der Jünger zu den israelitischen Zuhörern. Wir predigen dagegen das Evangelium der Gnade vom verworfenen Messias, der nun zur Rechten der Macht sitzt und bald wiederkommen wird, um die Seinen in das himmlische Vaterhaus einzuführen.

Vers 2

Die Namen der zwölf Apostel aber sind diese: der erste Simon, der Petrus genannt wird, und Andreas, sein Bruder, und Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und Johannes, sein Bruder, Mt 10,2

Der Herr Jesus hatte weit mehr als zwölf Jünger. Einmal sandte Er 70 Jünger aus (Lk 10,1); zudem scharten sich viele Frauen um Ihn, die Ihm mit ihrer Habe dienten (Lk 8,1–3). Nachdem Er in den Himmel aufgefahren war, trafen sich etwa 120 Seiner Nachfolger regelmässig zum gemeinsamen Gebet (Apg 1,15). Aber unter all diesen Jüngern nahmen zwölf eine besondere Stellung ein. Diese zwölf Jünger werden hier in Mt 10,1 erstmals «Apostel» genannt, was «Gesandter» bedeutet. Sie waren gewissermassen die Herolde, die die Ankunft des Messias-Königs in Israel ankündigen sollten – zwölf Apostel für die zwölf Stämme Israels (Mt 19,28; Lk 22,30).

Die ersten vier Apostel, deren Namen uns hier in Mt 10,1 mitgeteilt werden, sind zwei Brüderpaare gewesen: Simon mit dem Beinamen Petrus (gr. petros = Stein) und Andreas sowie Johannes und Jakobus, die Söhne des Zebedäus. Drei dieser vier Jünger – Petrus, Jakobus und Johannes – nahmen eine Sonderstellung unter den zwölf Aposteln ein: Sie durften (exklusiv) Zeugen von ganz besonderen Momenten wie etwa der Verwandlung auf dem sogenannten Berg der Verklärung werden. Wieso nur drei Jünger? Drei ist die Zahl eines vollkommenen Zeugnisses: Zwei Zeugen sind genug, drei Zeugen sind optimal (vgl. 5.Mose 19,15; 2.Kor 13,1). Wieso genau diese drei? Das weiss der HERR.

Vers 3

Philippus und Bartholomäus, Thomas und Matthäus, der Zöllner, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Thaddäus, Mt 10,3

In dieser Aufzählung wie auch in ähnlichen Aufzählungen (Mk 3,18; Lk 6,14; Apg 1,13) finden wir Philippus in Beziehung gesetzt zu Bartholomäus. Im Evangelium nach Johannes, das als einziges keine solche Aufzählung enthält, wird Bartholomäus nicht erwähnt; dort scheint Philippus in einer besonderen Beziehung zu einem Nathanael zu stehen. Es kann gut sein, dass Nathanael der Sohn des Tolmai oder des Ptolemäus gewesen ist, denn «Bar-» ist eine aramäische Vorsilbe, die «Sohn des» bedeutet. Dieser bekannte blinde Bettler hiess bspw. gar nicht wirklich Bartimäus; er war der Sohn des Timäus, eben der Bar-Timäus, wie uns Mk 10,46 ausdrücklich erklärt.

Jakobus, der Sohn des Alphäus, wurde einige Zeit lang mit jenem Jakobus identifiziert, der (nach der Ermordung von Jakobus, dem Bruder des Johannes; vgl. Apg 12), mit apostolischer Autorität auf dem ersten Konzil der Apostel gesprochen (vgl. Apg 15) und den Jakobus-Brief verfasst hat. Diese Ansicht ist aber überholt, denn höchstwahrscheinlich handelt es sich beim Redner in Apg 15 und beim Schreiber des Jakobus-Briefes um einen leiblichen (Halb-) Bruder des Herrn Jesus.

Interessant ist, dass Matthäus, der Verfasser dieses Evangeliums, Jakobus «den Sohn des Alphäus» und sich selbst «den Zöllner» nennt, denn gemäss Mk 2,14 hiess auch der Vater von Matthäus Alphäus, wobei das allerdings wohl nicht derselbe Alphäus wie der Vater des Johannes gewesen ist.

In der Revidierten Elberfelder Übersetzung (einer Überarbeitung der ursprünglichen Elberfelder Übersetzung, die mehr verschlimmert als verbessert hat) fehlt ein gut bezeugter Textteil. Statt: «und Thaddäus» sollte es heissen: «und Lebbäus, mit dem Beinamen Thaddäus». Die Bedeutung der beiden Namen (Lebbäus und Thaddäus) ist identisch: «der Herzhafte, Liebling». Ein schöner Name! Dieser Lebbäus ist vielleicht jener Jünger gewesen, der in Lk 6,16 und Apg 1,13 Judas, der Bruder des Jakobus, genannt wird.

Vers 4

Simon, der Kananäer, und Judas, der Iskariot, der ihn auch überlieferte. Mt 10,4

Der Beiname Simons – «Kananäer» – bezeichnet nicht einen geographischen Ursprung. Es handelt sich dabei vielmehr um eine Übertragung eines hebräischen Wortes ins Griechische, das «eifern» bedeutet («qana»). In Lk 6,15 wird Simon nämlich als ein «Zelot» bezeichnet, was «Eiferer» bedeutet. Die Zeloten waren in einem gewissen Sinn das Gegenteil von den Zöllnern: Während die Zöllner mit der römischen Besatzungsmacht zusammen arbeiteten, um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen, setzten die Zeloten alles daran, das Joch der Römer zu brechen. Dabei schreckten sich auch vor Gewalt nicht zurück. Der gerade Weg des Glaubens entspricht weder dem einen noch dem andern Extrem: Christen lassen sich nicht vom Staat für dessen Zwecke einspannen, sind aber auch keine Rebellen. Sie folgen dem Herrn Jesus nach, wo auch immer Er sie hinführt. Die gemeinsame Nachfolge lässt die früheren Unterschiede verschwinden: Simon der Zelot und Matthäus der Zöllner konnten problemlos Seite an Seite dem Herrn Jesus nachfolgen. Das zu sehen, ist sehr schön.

Als Letzter wird Judas genannt, der den Beinamen Iskariot trug, was «aus Kariot» bedeutet. Judas war wahrscheinlich der einzige Jünger, der aus dem Gebiet von Judäa und nicht aus Galiläa stammte. Nach der Ansicht der führenden Juden waren die Judääer besser als die Galiläer: «Diese Volksmenge aber, die das Gesetz nicht kennt, sie ist verflucht!» (Joh 7,49; bezieht sich auf Galiläer). Judas hätte also besser als alle anderen Jünger sein müssen, aber er war es, der den Herrn Jesus später überliefern sollte! Eine gute Abstammung und eine gute Erziehung sind viel wert, aber keine Garantie für einen guten Lebenswandel. Jeder Mensch ist letztlich selbst für sich verantwortlich. Judas ist dafür ein eindrückliches und trauriges Beispiel, denn er fällte viele falsche Entscheidungen und schaufelte sich damit gewissermassen sein eigenes Grab.

Vers 5

Diese zwölf sandte Jesus aus und befahl ihnen und sprach: Geht nicht auf einen Weg der Nationen, und geht nicht in eine Stadt der Samaritaner; Mt 10,5

Diese erste Aussendung der Jünger noch zu Lebzeiten des Herrn Jesus war etwas Besonderes, was bereits der vor uns liegende Vers und der Folgevers klar machen: Die Jünger waren nur zu den Israeliten gesandt. Sie sollten nicht auf einen Weg der Nationen gehen und nicht einmal eine Stadt der Samariter betreten. Die Samariter waren ein Mischvolk, das eigentlich keine israelitischen Wurzeln hatte, aber meinte, israelitischer als die wahren Israeliten zu sein.

Wenn heute jemand das Evangelium verkündigt, dann orientiert er sich völlig zu Recht nicht an diesem Missionsbefehl in Mt 10, sondern wendet sich vielmehr an alle möglichen Menschen. Niemand von uns würde auf die Idee kommen, nur zu Israeliten zu predigen, keinen Weg der Nationen zu betreten und die Samariter (oder eine andere Volksgruppe) zu meiden. Wir predigen auch eine andere Botschaft als jene, die die Jünger hier predigen sollten, wie wir noch sehen werden. Schliesslich ist auch die Art unserer Verkündigung anders als jene der Jünger damals, was mit dem Unterschied bezüglich des Zielpublikums und des Inhaltes der Botschaft übereinstimmt.

Natürlich gibt es auch verschiedene Überschneidungen und Gemeinsamkeiten. Trotzdem ist es gut, Unterschiede zu bemerken und bei der Auslegung zu berücksichtigen. Gerade Gegensätze helfen beim Verständnis der Bibel enorm. Je heller die Sonne scheint, umso deutlicher sind die Umrisse der Schatten zu erkennen.

Vers 6

geht aber vielmehr zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel! Mt 10,6

Die Jünger sollten das Evangelium ausschliesslich in Israel, zu Israeliten predigen. Sie sollten nur zu Angehörigen des Hauses Israel gehen, keinen Weg der Nationen betreten und nicht in eine Stadt der Samariter gehen. Wieso war ihr Auftrag so beschränkt? Wollte der HERR nur Israel retten?

Die Beschränkung ergibt sich aus dem Inhalt, denn dieses Evangelium, das die Jünger damals predigen sollten, richtete sich nur an Israel, wie wir im Folgevers sehen werden. Viele Menschen stossen sich daran, dass Gott Sich das Volk Israel in einer besonderen Weise erwählt hat. Sie denken, die Erwählung Israels bedeute zugleich die Verwerfung der übrigen Nationen, aber das stimmt nicht! Das Volk Israel nimmt lediglich eine Sonderstellung ein, damit der HERR an diesem Volk zeigen kann, was es bedeutet, zu Ihm zu gehören, von Ihm gesegnet zu sein. Israel ist also ein Beispiel für die übrigen Nationen – zum Guten und zum Schlechten. Wir kennen das vielleicht aus der Schule: Der Lehrer lobt einmal eine besonders gute Arbeit, damit die Schüler wissen, was seine Erwartungen sind, welches Ziel es anzustreben gilt; ein anderes Mal kritisiert er eine besonders schlechte Arbeit – nicht, um den Schüler blosszustellen, sondern vielmehr, um den übrigen Schülern ein warnendes Beispiel zu geben, wie man es nicht machen sollte. Israel war und wird wieder besonders gesegnet sein, aber dieser Segen soll weiter zu den übrigen Nationen fliessen.

Als der Herr Jesus Seine Jünger aussandte, war das Haus Israel wie eine Schafherde ohne Hirten. Die Israeliten waren verlorene Schafe. Ohne einen Hirten finden die Schafe nicht den richtigen Weg. Zwar gab es eingesetzte Hirten in Israel, aber diese Hirten waren so schlecht, dass Israel ohne sie nicht schlechter dran gewesen wäre (vgl. Hes 34). Nun war der gute Hirte gekommen, nun sollte die Herde wieder gesammelt und zu grünen Auen und stillen Wassern geführt werden. Das war im Grunde der Inhalt des Evangeliums, das die Jünger nun in Israel predigen sollten.

Vers 7

Wenn ihr aber hingeht, predigt und sprecht: Das Reich der Himmel ist nahe gekommen. Mt 10,7

Die Jünger sollten dieselbe Botschaft in Israel verkündigen, die bereits Johannes der Täufer und auch der Herr Jesus selbst verkündigt hatten, nämlich dass das von den Juden schon lang ersehnte Königreich unter der Regierung des Messias nahe gekommen war. Der Messias war da und Er war bereit, Seine Regierung anzutreten. Die Zeichen des kommenden Segens begleiteten Seine Anwesenheit. Die Jünger bzw. Apostel erhielten die Vollmacht, in Seinem Namen dieselben Zeichen zu tun, um weiter zu beweisen, dass das Königreich nun nahe gekommen war. Die Juden mussten quasi nur noch zugreifen.

Uns allen ist hoffentlich klar, dass wir heute nicht das Evangelium des Reiches predigen. Für die Juden gibt es im Moment kein solches Reich zu erwarten, weil sie ihren Messias verworfen haben und zunächst in einen Zustand geführt werden müssen, in dem sie – nicht individuell, sondern als Nation! – ihren Fehler erkennen und von Herzen bereuen. Den anderen Nationen, also gerade auch jenen Menschen, zu denen wir normalerweise predigen, ist kein solches Königreich verheissen worden, weshalb es unpassend wäre, darüber zu predigen.

Nein, wir predigen das Evangelium Gottes, das Evangelium der Gnade, das sich zwar auch zentral um die Person des Herrn Jesus dreht, aber in einem höheren Sinne. Unser Thema ist nicht der verheissene Messias-König für Israel, nicht der Sohn Davids, sondern der Sohn des lebendigen Gottes, Gott selbst, geoffenbart im Fleisch, ein verherrlichter Mensch im Himmel. Unsere Berufung, unsere Hoffnung, unser Erbteil etc. ist himmlischer und nicht irdischer Natur. Deshalb ist unsere Predigt gewöhnlicherweise auch nicht vom Unterpfand einer irdischen Hoffnung (Krankenheilung u.ä.) begleitet, sondern vom Wirken des Heiligen Geistes an den Herzen der Zuhörer. Zwar wäre es falsch zu sagen, dass es heute keine übernatürlichen Krankenheilungen oder ähnliches mehr gebe, aber solche Erscheinungen sind nicht das gewöhnliche Zeichen, das unsere Predigt begleitet.

Zur Zeit, als die Apostel (auch nach dem Weggang des Herrn Jesus) in Israel gepredigt haben, war es normal, dass Kranke geheilt wurden – selbst durch Schweisstücher und den Schatten der Apostel (Apg 5,15 und 19,12)! Es wäre erstaunlich gewesen, wenn jemand nicht geheilt worden wäre. Heute ist es umgekehrt: Im Normalfall gibt es keine solchen Wunderzeichen, aber dann und wann treten sie doch auf – und wir staunen darüber.

Vers 8

Heilt Kranke, weckt Tote auf, reinigt Aussätzige, treibt Dämonen aus! Umsonst habt ihr empfangen, umsonst gebt! Mt 10,8

Die Apostel sollten zwar in erster Linie predigen. Auch der Dienst des Herrn Jesus bestand in erster Linie darin zu lehren. Aber sie sollten mit verschiedenen Zeichen demonstrieren, dass das Königreich wirklich nahe gekommen war: Kranke sollten geheilt, Tote auferweckt, Aussätzige gereinigt und Dämonen ausgetrieben werden. Alle möglichen Arten von Folgen der Sünde auf dieser Erde – Krankheit, Tod, Unreinheit und Besessenheit – sollten beseitigt werden, denn nun war der Messias da.

Diese Zeichen waren besonders wichtig für die damalige Zeit, aber auch für die Zeit unmittelbar nach der Verwerfung des Messias durch das Volk Israel. Zuerst bekam Israel nochmals eine zweite Chance. Auch in dieser Zeit spielten diese Zeichen eine wichtige Rolle, denn es ist für Juden typisch, Zeichen zu fordern (1.Kor 1,22). Nach der Steinigung von Stephanus änderte sich die Hauptstossrichtung: Noch immer wurde den Juden zuerst gepredigt (vgl. Röm 1,16), aber das Hauptaugenmerk lag letztlich auf den Griechen (den Nichtjuden). Dabei legten die Apostel gewissermassen ein Fundament für den geistlichen Tempel (vgl. Eph 2,20). Ihre Autorität sollte – auch unter den Griechen – durch besondere Zeichen untermauert sein, wie der Apostel Paulus selbst einmal den Korinthern schrieb: «Die Zeichen des Apostels sind ja unter euch vollbracht worden in allem Ausharren, in Zeichen und Wundern und Machttaten» (2.Kor 12,12). Nachdem diese Grundlage gelegt war, nahm die Zahl der Zeichen und Wunder merklich ab.

Wir müssen nicht danach streben, viele Zeichen und Wunder zu tun. Das taten auch die Apostel nicht. Ihre Predigt wurde einfach durch viele Zeichen und Wunder begleitet, das war damals das Normale; unsere Predigt wird nur dann und wann durch Zeichen oder Wunder bekräftigt, das ist heute das Normale. Heute wie damals steht die Predigt im Zentrum. Unsere primäre Aufgabe ist es auch nicht, Kranke zu heilen oder Besessene zu befreien, sondern vielmehr, Menschen zum ewigen Leben zu führen.

Wie auch die Apostel damals, so haben wir unsere Gaben umsonst bekommen. Wir sollen sie nicht einsetzen, um daraus einen Gewinn zu erzielen, auch wenn es biblisch gesehen absolut legitim ist, dass ein Vollzeit-Diener finanziell von der Gemeinde getragen wird. Das ist ein anderes Thema. Wir sollen die Herzenshaltung haben, das, was wir umsonst bekommen haben, umsonst weiter zu geben.

Vers 9

Verschafft euch nicht Gold noch Silber noch Kupfer in eure Gürtel, Mt 10,9

Die Apostel sollten sich komplett ohne Geld auf den Weg machen und während ihrer Dienstreise auch ohne Geld bleiben. Ist das ein Grundsatz, den auch wir heute befolgen sollten? Sollen wir ohne Vorräte und ohne Geld losziehen, um das Evangelium zu predigen? Nein! Wir werden bei der Betrachtung des folgenden Verses im Zusammenhang mit einer (vermeintlichen) Parallelstelle noch sehen, dass wir dieses Prinzip nicht unbesehen auf die heutige Zeit übertragen können.

Bedenken wir, dass die Apostel hier einen ganz besonderen Auftrag hatten. Sie waren Boten des Messias-Königs, der gewissermassen vor dem Stadttor stand, um einzuziehen und Seine Herrschaft anzutreten. Der Messias war da, die Segnungen des erwarteten Friedensreiches für jedermann erkennbar. Die Botschaft lautete, umzukehren und den König in Ehren zu empfangen. Wenn aber der König in Macht gekommen und anwesend war, wie hätten Seine Boten mit eigenem Geld für sich selbst sorgen müssen? Er selbst verbürgte Sich gewissermassen für sie; Er selbst sorgte für alles, was sie nötig hatten. Das war eine besondere Situation.

Wir wollen an dieser Stelle kurz innehalten und staunen über diesen einzigartigen König! Normalerweise sorgt nämlich das Volk für den König, indem es seinen Unterhalt mit Steuern finanziert. Als Israel zum ersten Mal einen König über sich haben wollte, ermahnte der Prophet Samuel das Volk scharf. Dabei malte er ihnen vor Augen, was es sie kosten würde, den Unterhalt des Königs zu finanzieren (1.Sam 8,11ff.). Tatsächlich ist es in allen Völkern und zu allen Zeiten so gewesen, dass das Volk den König finanziert hat. Aber beim Herrn Jesus war es anders und wird es auch wieder anders sein, denn Er ist ein König mit unbegrenzten eigenen Mitteln. Er wird für Sein Volk und auch für die ganze Erde so sorgen, wie ein König für sein Volk sorgt, aber darüber hinaus wird Er selbst auch für alles weitere sorgen, für Speis und Trank sowie für alles, was Seine Untertanen benötigen! Davon hat Er beispielsweise bei der Speisung der 5000 und der 4000 einen eindrücklichen Beweis gegeben. Wer ist ein König wie Er?

Vers 10

keine Tasche auf den Weg, noch zwei Unterkleider noch Sandalen noch einen Stab! Denn der Arbeiter ist seiner Nahrung wert. Mt 10,10

Die Apostel sollten sich nicht nur ohne Geld, sondern auch ohne Tasche, ohne Ersatzkleider und ohne sonstigen Hilfsmittel auf den Weg machen. Der HERR würde für alles sorgen, «denn der Arbeiter ist seiner Nahrung wert». Sie waren im Dienst für Ihn und im Gegenzug würde Er selbst für sie sorgen. Auch wenn wir diese Anweisungen nicht eins zu eins auf unser Leben und unseren Dienst übertragen können, weil wir einen anderen Auftrag haben, der unter anderen Voraussetzungen zu erfüllen ist, gilt der Grundsatz, dass man für Gott niemals vergebens arbeitet, weiter (vgl. etwa 1.Tim 5,18). Es gefällt dem HERRN, jede noch so kleine Regung, die für Ihn erfolgt, zu belohnen, da Er ein Belohner ist (Hebr 11,6). Selbst ein Becher Wasser, der im rechten Moment und in der richtigen Gesinnung dargereicht wird, wird seine Beachtung finden (Mk 9,41).

Trotzdem gilt es die Unterschiede zu berücksichtigen, die uns das Wort Gottes aufzeigt! In Lk 10 finden wir eine ähnliche Aussendung, allerdings von 70 Jüngern. Auch diesen Jüngern gebot der Herr Jesus, nichts mitzunehmen (Lk 10,4). Sehr viel später fragte Er die Zwölf: «Als ich euch ohne Börse und Tasche und Sandalen sandte, mangelte euch wohl etwas?» – «Sie aber sagten: Nichts» (Lk 22,35). Doch dann gab Er ihnen eine neue Weisung: «Aber jetzt, wer eine Börse hat, der nehme sie und ebenso eine Tasche, und wer nicht hat, verkaufe sein Gewand und kaufe ein Schwert» (Lk 22,36). Von nun an sollten sie also nicht mehr ohne Vorräte unterwegs sein, sondern alles mitnehmen, was sie tragen konnten. Wieso? Israel und die ganze Welt stand kurz davor, den Messias-König definitiv zu verwerfen und zu kreuzigen. Er würde zwar wieder auferstehen, aber dann weggehen, um sich in den Himmeln zur Rechten des Vaters zu setzen, während Seine Jünger dem Hass der Welt ausgeliefert sein würden. Die Versorgungskette sollte nicht mehr dieselbe wie zuvor sein. Zudem mussten sich die Jünger auf Anfeindungen gefasst machen, wovon das Schwert spricht.

Wollte der Herr Jesus, dass Seine Jünger zum Schwert greifen? Die soeben zititierte Stelle legt diesen Gedanken nahe, aber ein Folgevers relativiert die Aussage: «Sie aber sprachen: Herr, siehe, hier sind zwei Schwerter. Er aber sprach zu ihnen: Es ist genug» (Lk 22,38). Die Jünger verstanden den Herrn so, wie wir Ihn wohl auch verstanden hätten: «Greift zu den Schwertern!» Deshalb zeigten sie Ihm die zwei Schwerter, die sie bereits zur Hand hatten. Aber Seine Antwort lautete: «Es ist genug». Er wollte nicht, dass sie zu den Schwertern griffen, denn wie oft hatte Er das Gegenteil gepredigt! Er wollte, dass sie sich innerlich auf Feindschaft vonseiten der Welt einstellten, wie Er bereits früher angekündigt hatte: «Meint nicht, dass ich gekommen sei, Frieden auf die Erde zu bringen; ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert» (Mt 10,34). Nur kurze Zeit nach dieser Warnung griff ja tatsächlich einer der Jünger zum Schwert, um den Herrn Jesus im Garten Gethsemane zu verteidigen. Er hatte wohl immer noch das Wort des Herrn, aber nicht die nachfolgende Einschränkung im Ohr. Dieser Jünger musste die folgenden Worte hören: «Stecke dein Schwert wieder an seinen Ort! Denn alle, die das Schwert nehmen, werden durchs Schwert umkommen» (Mt 26,52). Der Herr Jesus wollte also nicht, dass Seine Jünger zu Waffen griffen, sondern Er wollte sie nur warnen vor der Feindschaft der Welt.

Vers 11

Wenn ihr aber in eine Stadt oder in ein Dorf einkehrt, so forscht, wer darin würdig ist; und dort bleibt, bis ihr weggeht! Mt 10,11

Die Jünger sollten sich stets der Tatsache bewusst sein, dass sie als Abgesandte des Messias-Königs unterwegs waren. Noch heute hat ein Abgesandter eines Landes – ein Botschafter – eine besondere Stellung. Er untersteht der Gesetzgebung seines eigenen Landes und geniesst im Gastland Immunität. Er verkehrt in den höchsten Kreisen. Er würde dem Ruf seines Landes schaden, wenn er sich in Spelunken herumtreiben, ein Lotterleben führen oder sich mit zwielichtigen Gestalten abgeben würde. Auch die Jünger sollten sich so verhalten. In jedem Dorf und in jeder Stadt sollten sie sich genau nach einer angemessenen Bleibe erkundigen. Sie sollten innerhalb einer Stadt oder eines Dorfes keine Runde drehen, sondern an einem Ort bleiben, bis ihre Aufgabe erfüllt war.

Auch wir Christen heute sind Botschafter an Christi Statt (2.Kor 5,20). Wir können uns vielleicht nicht in so exklusiven Kreisen bewegen wie die Apostel damals in Israel, aber wir sollten dieselbe Gesinnung an den Tag legen. Uns muss auf Schritt und Tritt bewusst sein, dass wir hier den Herrn Jesus Christus repräsentieren. Die Meinung der Leute über Ihn hängt stark davon ab, wie wir uns verhalten. Damit tragen wir eine grosse Verantwortung. Zugleich ist diese Stellung aber auch ein Privileg. Wir werden in den folgenden Versen noch sehen, dass wir alles andere als Bittsteller oder Verkäufer sind, die den Menschen etwas andrehen wollen. Wir haben eine gewisse himmlische Vollmacht erhalten und wir dürfen in dieser Autorität auftreten.

Vers 12

Wenn ihr aber in das Haus eintretet, so grüsst es! Mt 10,12

Diese Aufforderung mag vielleicht im ersten Moment etwas seltsam klingen, da wir es als etwas Selbstverständliches ansehen, eine Familie, die uns aufnimmt, zu grüssen. Im Hebräischen hat die Grussformel aber eine Doppelbedeutung: «Willkommen!» bedeutet zugleich: «Gesegnet!». Das Neue Testament ist zwar in Griechisch verfasst, aber der Herr Jesus hat mit Seinen Jüngern natürlich Hebräisch gesprochen, weshalb man den vor uns liegenden Vers mit dieser Doppelbedeutung verstehen kann. Die Jünger sollten also das Haus, das ihrer würdig war und sie aufnahm, segnen.

Man muss weder Hebräisch noch Griechisch verstehen, um diese Bedeutung zu erfassen, denn der Folgevers (Mt 10,13) zeigt an, was mit diesem «Gruss» gemeint ist. Niemand soll sich einreden lassen, dass man zwingend die Ursprachen der Bibel verstehen müsse, um die wahre Bedeutung erfassen zu können. Das Wort Gottes ist uns in einer Form gegeben worden, die deutlich zu verstehen ist, «damit man es geläufig lesen kann» (Hab 2,2).

Eine gewisse Kenntnis der Originalsprachen oder auch nur ein gutes Wörterbuch können uns aber hie und da Details offenbaren, die wir sonst vielleicht verpassen würden, wie etwa hier im vor uns liegenden Vers. Ein weiterer geläufiger Willkommensgruss in Israel, den wohl die meisten kennen, lautet: «Shalom!» – «Frieden!». Im Griechischen begrüsste man sich regelmässig mit: «Chaire!» – «Freu Dich!». Dieses Wort ist mit dem Wort «charis» verwandt, das «Gnade» bedeutet.

Immer wieder hört man, wie sich Christen mit der vermeintlich «über-christlichen» Grussformel: «Shalom!» begrüssen, die aber nicht christlicher, sondern jüdischer Natur ist. Wenn man sich gegenseitig schon nicht «normal», sondern in salbungsvoller christlicher Art begrüssen möchte, dann sollte man die wirklich christliche Grussformel verwenden, die wir in fast allen neutestamentlichen Briefen finden: «Gnade und Frieden!» – «Charis» und «Shalom». In diesem Gruss steckt eine der christlichen Fundamentalwahrheiten, nämlich dass Gott Sich in dieser christlichen Zeit seit Pfingsten aus Juden und Griechen (Nicht-Juden) ein neues Volk bildet. Beide Teile sollen angesprochen werden, denn in Christo Jesu ist nicht Jude noch Grieche (Gal 3,28).

Vers 13

Und wenn nun das Haus würdig ist, so komme euer Friede darauf; wenn es aber nicht würdig ist, so wende sich euer Friede zu euch zurück. Mt 10,13

Oh, wie oft sind wir besorgt bezüglich all der tausend Entscheidungen, die wir jeden Tag fällen müssen! Wie oft fragen wir uns, ob es nun richtig sei, dieses oder jenes zu tun. Und gerade bezüglich der Dinge Gottes plagt uns oft eine besondere Furcht, denn wir wollen doch ja keine Fehler machen, wenn es um Ihn selbst geht. Wenn der HERR uns wie diese zwölf Jünger in die Städte Israels gesandt hätte, wer von uns hätte sich nicht ob der Frage gequält, ob dieses Haus, das wir nun betreten und gesegnet haben, wirklich würdig sei? War es richtig, dieses und nicht ein anderes Haus zu betreten? Habe ich ein richtiges Urteil gefällt?

Aber Gott sei Lob und Dank! Die Entscheidung liegt letzten Endes immer beim HERRN und nicht bei uns! Natürlich handelten die Jünger nach bestem Wissen und Gewissen, aber es war nicht ausgeschlossen, dass sie bezüglich eines gewissen Hauses falsch lagen und ein fehlerhaftes Urteil fällten. Wenn sie nun ein Haus segneten, das sie für würdig hielten, das aber gar nicht würdig war, kehrte ihr Friede wieder zu ihnen zurück. Die letzte Entscheidung lag bei Gott, der Sich nie von Äusserlichkeiten täuschen lässt, sondern immer das richtige Urteil fällt.

Auch wir sind nicht gefeit davor, immer wieder Fehler zu machen und falsche Entscheidungen zu treffen. Aber deswegen müssen wir uns nicht selber quälen. Unser Vater in den Himmeln ist besorgt für uns. Dann und wann wird Er zulassen, dass ein Fehler, den wir begangen haben, Konsequenzen nach sich zieht, damit wir eine Lektion daraus lernen können, aber wenn wir uns durch einen Fehler in Gefahr begeben, wird Er uns schützen. Ebenso tröstend ist der Gedanke, dass wir Seinen Willen unmöglich durch einen Fehler so beugen können, dass auch Er einen Fehler machen muss. Er macht keine Fehler. Niemals.

Vers 14

Und wenn jemand euch nicht aufnehmen noch eure Worte hören wird – geht hinaus aus jenem Haus oder jener Stadt und schüttelt den Staub von euren Füssen! Mt 10,14

Die Jünger wurden vom HERRN nicht als Bittsteller noch als Verkäufer abgesandt. Sie kamen nicht im eigenen, sondern in Seinem Namen. Sie waren Abgesandte des grossen Königs, Überbringer eines königlichen Befehls – und so sollten sie sich auch verhalten. Denken wir einmal an einen Steuereintreiber! Ein Steuereintreiber tritt in einem Betrieb mit Autorität auf. Im Namen des Staates fordert er Einsicht in die Bücher sowie die geschuldeten Abgaben. Seinen Befehlen muss Folge geleistet werden, weil er im Auftrag des Staates handelt. So ähnlich war es mit den Jüngern und so ähnlich ist es mit uns.

Natürlich treten wir nicht arrogant oder gebieterisch auf, sondern wir versuchen, die Herzen zu gewinnen, die Menschen zu überzeugen, oder sogar, wie es in 2.Kor 5,11 heisst, zu überreden. Trotzdem sollte uns bewusst sein, dass wir nicht eine freundliche Einladung überbringen, die man annehmen oder ablehnen kann, sondern eine göttliche Aufforderung. Der Apostel Paulus predigte den Athenern auf dem Areopag: «Nachdem nun Gott die Zeiten der Unwissenheit übersehen hat, gebietet er jetzt den Menschen, dass sie alle überall Busse tun sollen» (Apg 17,30). Gott gebietet allen Menschen überall, dass sie Busse tun sollen! Sowohl im ersten als auch im letzten Kapitel des Briefes an die Römer hat er den Begriff «Glaubensgehorsam» verwendet (Röm 1,5 und Röm 16,26).

Wenn nun jemand der Botschaft nicht gehorsam sein will und nicht glaubt, dann soll ein solcher wissen, dass er nicht eine Einladung zu einer Party ausgeschlagen, sondern sich einem göttlichen Befehl widersetzt hat. Die Jünger sollten als Zeichen dafür das Haus oder die Stadt verlassen und dann sogar den Staub von ihren Füssen schütteln. Ein sehr ernstes Zeichen! Später haben auch die Apostel effektiv so gehandelt: «Die Juden aber […] erweckten eine Verfolgung gegen Paulus und Barnabas und vertrieben sie aus ihren Grenzen. Sie aber schüttelten den Staub von ihren Füssen gegen sie ab und kamen nach Ikonion» (Apg 13,50.51).

Vers 15

Wahrlich, ich sage euch, es wird dem Land von Sodom und Gomorra erträglicher ergehen am Tag des Gerichts als jener Stadt. Mt 10,15

Wie ernst ist es, wenn Menschen die rettende Botschaft Gottes – ja: Gott selbst! – abweisen! Sie werden dafür einmal Rechenschaft geben müssen. Sie werden zur Verantwortung gezogen werden. Sie haben eine schreckliche Strafe zu erwarten. Natürlich, die Leute können sagen, dass ja im Moment nichts geschehe und dass sie solchen Warnungen keinen Glauben schenken. «Weil der Urteilsspruch über die böse Tat nicht schnell vollzogen wird, darum ist das Herz der Menschenkinder davon erfüllt, Böses zu tun, denn ein Sünder tut hundertmal Böses und verlängert doch seine Tage» (Pred 8,11.12). Spöttische Menschen werden fragen: «Wo ist die Verheißung seiner Ankunft? Denn seitdem die Väter entschlafen sind, bleibt alles so von Anfang der Schöpfung an» (2.Petr 3,4).

Aber das stimmt nicht! Unzählige bekannte Beispiele warnen uns vor Gottes gerechtem Gericht über die Sünde. Den Spöttern, die behaupten, seit Anfang der Schöpfung sei nie etwas Derartiges geschehen, ist zu entgegnen, «dass von jeher Himmel waren und eine Erde, die aus Wasser und durch Wasser Bestand hatte⟨, und zwar⟩ durch das Wort Gottes, durch welche die damalige Welt, vom Wasser überschwemmt, unterging» (2.Petr 3,5.6). Nach der weltweiten Flutkatastrophe kann eben nicht mehr behauptet werden, seit Anfang der Schöpfung sei alles so geblieben. Ein anderes Beispiel ist das Land von Sodom und Gomorra, das heute noch eine sprichwörtliche Bedeutung in der Umgangssprache hat. Fünf Städte befanden sich in jenem Gebiet; vier davon wurden durch Feuer und Schwefel vom Himmel verrichtet. Man hat sie vor wenigen Jahren wieder entdeckt. Sämtliche Funde haben den biblischen Bericht bestätigt.

So himmelschreiend die Sünden von Sodom und Gomorra und so entsetzlich das Gericht über jene Städte gewesen sind, das Gericht jener Menschen, die das Evangelium ablehnen, wird härter ausfallen. Wie kann das sein? Das hat mit Verantwortung zu tun. Je grösser die Vorrechte sind, die eine Person geniesst, umso höher ist auch ihre Verantwortung. Wer das Evangelium gehört hat, ist direkt ins göttliche Licht gestellt worden, hat die volle Offenbarung der göttlichen Wahrheit empfangen und weiss deshalb ganz genau, worum es geht. Er wird nach diesem Wissen gerichtet werden. Dieser Grundsatz zieht sich durch die ganze Bibel. Wir finden in anschaulich dargestellt im Zusammenhang mit der Verantwortung eines Knechtes des HERRN: «Jener Knecht aber, der den Willen seines Herrn wusste und sich nicht bereitet noch nach seinem Willen getan hat, wird mit vielen Schlägen geschlagen werden; wer ihn aber nicht wusste, aber getan hat, was der Schläge wert ist, wird mit wenigen geschlagen werden. Jedem aber, dem viel gegeben ist – viel wird von ihm verlangt werden; und wem man viel anvertraut hat, von dem wird man desto mehr fordern» (Lk 12,47.48).

Vers 16

Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter Wölfe; so seid nun klug wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben. Mt 10,16

Dem Herrn Jesus war bewusst, dass Seine Jünger sich durch ihren Dienst grossen Gefahrne in der Welt aussetzen würden. Die Welt hasste Ihn und deshalb würde sie auch Seine Jünger hassen. «Ich habe ihnen dein Wort gegeben, und die Welt hat sie gehasst, weil sie nicht von der Welt sind, wie ich nicht von der Welt bin» (Joh 17,14). Aus dieser Gefahr machte Er keinen Hehl. Offen und deutlich kündigte Er Seinen Jüngern an, was sie erwarten würde. Sie wären wie Schafe unter Wölfen – eine leichte, wehrlose Beute unter wilden Tieren. Wie hat sich das in den vergangenen 2.000 Jahren immer wieder bewahrheitet! Auch der Apostel Paulus schrieb einmal, dass er in Ephesus mit wilden Tieren gekämpft habe, wobei der Zusammenhang klar macht, dass er damit Menschen gemeint hat (1.Kor 15,32). Den Ausgang seiner Gerichtsverhandlung vor dem römischen Kaiser Nero hat er als eine Befreiung aus dem Rachen des Löwen beschrieben (2.Tim 4,17).

Wie sollen sich Jünger des HERRN in dieser Gefahr verhalten? Sie sollen klug – aber nicht listig – wie die Schlange sein. Der HERR verlangt nicht, dass wir unseren Verstand an der Garderobe abgeben und uns stumpfsinnig von einer Gefahr in die nächste begeben. Nein, wir sollen kluge Entscheidungen treffen. Manchmal kann es sein, dass der HERR uns direkt in eine brenzlige Situation führt und will, dass wir das aushalten und mutig zur Wahrheit stehen. Aber der vor uns liegende Vers macht mehr als deutlich, dass dies nicht unser Standardvorgehen sein soll. Wir sollen nicht auf Teufel komm raus provozieren, die Gefahr suchen und gewissermassen alles daran setzen, einen Helden-Märtyrertod sterben zu können. In erster Linie sollen wir klug und einsichtig handeln.

Klug bedeutet aber nicht listig oder gar hinterlistig. Jede Form von Falschheit ist zu meiden. Wir sollen wohl klug wie die Schlangen, aber auch einfältig wie die Tauben sein, die in Israel als reine, zum Opfer geeignete Tiere galten. Manchmal erscheint uns das als sehr schwer, weil wir wissen, dass Aufrichtigkeit und Wahrheit uns in Gefahr führen werden. Aber wir dürfen wissen, dass wir niemals aus der Hand Gottes fallen können. Niemand kann uns etwas antun, das den Willen Gottes übersteuern würde! Und die Erfahrung lehrt, dass der offene, geradlinige und aufrichtige Wandel in aller Regel der einfachste Weg für einen Christen ist. Nicht nur für uns, sondern auch für unsere Nächsten ist das Zusammenleben einfacher, wenn jeder weiss, woran er an uns ist. Nur allzu oft zeigt sich im Nachhinein, dass unsere Befürchtungen, Sorgen und Ängste vergeblich gewesen sind, dass die Reaktionen unserer Nächsten gar nicht so schlimm ausfallen, wie wir befüchtet haben.

Vers 17

Hütet euch aber vor den Menschen! Denn sie werden euch an Gerichte überliefern und in ihren Synagogen euch geisseln; Mt 10,17

Nochmals warnte der Herr Jesus Seine Jünger ganz allgemein vor den Menschen. Wir denken in diesem Zusammenhang wohl instinktiv an gottlose Menschen, die wir als die grösste Gefahr für die Gläubigen ansehen. Doch der zweite Versteil macht deutlich, dass der Herr Jesus ganz spezifisch vor den religiösen Menschen warnte, denn Er sprach von den üblichen religiösen Gerichtsverfahren, vor Synedrien (das Synedrium bzw. der Sanhedrin war die oberste religiöse Gerichtsinstanz in Israel) und vor Geisselungen in den Synagogen. Tatsächlich ging die grösste Gefahr für Gläubige schon immer von religiösen Menschen aus. Das römische Imperium hat die Christen beispielsweise besonders deshalb so blutig verfolgt, weil sich die Christen geweigert haben, dem Kaiserkult zu frönen, d.h. den Cäsar als Gott zu verehren. Das Blut, das damals vergossen worden ist, ist allerdings nichts im Vergleich zum Blut jener Millionen von Märtyrern, das die römisch-katholische Kirche im Verlauf der Jahrhunderte vergossen hat. Mit die grösste Gefahr für Christen geht heute (weltweit gesehen) vom Islam aus. Aber auch die hier im Westen als ach so friedliebend bewunderten Hinduisten und Buddhisten verfolgen in ihren Heimatländern Christen bis aufs Blut. Der deutsche Pastor Olaf Latzel wurde nicht etwa von gottlosen Menschen, sondern von seiner eigenen Kirchgemeinde bei den staatlichen Strafbehörden angezeigt. Ein sich mutmasslich aus mehrheitlich gottlosen Richtern zusammensetzendes Gericht hat ihn freigesprochen.

Weshalb liegen die Dinge so? Nun, das lässt sich relativ einfach erklären. Der gottlose Mensch will von all dem «religiösen Zeugs» nichts wissen. Der religiöse Mensch dagegen will etwas sein, will etwas haben, will etwas bringen. Der Christ, der ihm erklärt, dass er so niemals Annahme bei Gott finden kann, greift seine innerste Überzeugung an und stellt sie in Frage. Das kann der religiöse Mensch kaum ertragen. Die Bibel bestätigt das sehr eindrücklich. Wer war der erste Märtyrer? Abel. Von wem wurde er umgebracht? Vom gottlosen Kain? Nein! Vom religiösen Kain, der es nicht ertragen konnte, dass Gott sein Opfer nicht als wohlgefällig angenommen hatte!

Vers 18

und auch vor Statthalter und Könige werdet ihr geführt werden um meinetwillen, ihnen und den Nationen zum Zeugnis. Mt 10,18

Die Verfolgung, mit der die Jünger des HERRN rechnen mussten und rechnen müssen, sollte keine Grenzen kennen. Auch die Staatsmacht – hier mit «Statthalter und Könige» umschrieben – würde zum Zweck der Verfolgung missbraucht werden. Auch dies hat sich bis in die heutige Zeit bewahrheitet, denn im vergangenen Jahrhundert hat sich eine Staatsform – der Kommunismus bzw. Sozialismus – als einer der erbittertsten Feinde des christlichen Glaubens erwiesen. Man würde denken, dass eine Regierungsform nichts mit Glaubensüberzeugungen zu tun habe, aber der Kommunismus hat das Gegenteil bewiesen. Die Sovjetunion hat sich die Ausrottung des christlichen Glaubens von Beginn weg zu einem ihrer Hauptziele gesetzt! Die Ironie des Schicksals liegt darin, dass das, was man im Osten mit viel Gewalt nicht ausrotten konnte, im Westen freiwillig über Bord geworfen wurde.

Wir stellen übrigens fest, dass die Belehrungen des Herrn Jesus hier einen allgemeineren, in die Zukunft gerichteten Aspekt angenommen haben. Hier ging es nicht mehr ausschliesslich um die damalige Aussendung der Jünger zum Volk Israel, sondern um allgemeine Themen im Zusammenhang mit dem Missionsdienst. Das darf uns nicht allzu sehr überraschen, denn in der Bibel wird oft eine angesprochene Gruppe als stellvertretend für künftige Generationen angesehen. Gerade im Matthäus-Evangelium stehen die Jünger des Herrn Jesus sehr oft (auch) stellvertretend für den jüdischen Überrest der kommenden Tage. Das in Offb 11 beschriebene Schicksal der zwei Zeugen für Israel in den kommenden Tagen zeigt sehr eindrücklich, auf wie viel Widerstand die zum Glauben an den Herrn Jesus gekommenen Juden von ihrem eigenen Volk zu erwarten haben werden.

Vers 19

Wenn sie euch aber überliefern, so seid nicht besorgt, wie oder was ihr reden sollt; denn es wird euch in jener Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt. Mt 10,19

Die Jünger des Herrn Jesus Christus sind keine Übermenschen, das wissen wir alle nur zu gut. Für einen «normalen» Menschen und damit selbstverständlich auch für einen Jünger ist es eine grosse seelische Belastung, in einen Gerichtsprozess verwickelt und angeklagt zu werden. In solchen Situationen weiss man vor lauter Sorge und Angst gar nicht mehr recht, was man sagen oder denken soll. Die Gedanken kreisen, die Verzweiflung übermannt einen. Durch die hier in Mt 10,19 gegebene Verheissung dürfen wir jedoch wissen, dass der HERR unsere Nöte nicht nur kennt, sondern Sich auch ihrer annimmt. Er selbst wird uns eingeben, was wir reden sollen. Wenn wir verstummen, wird Er unseren Mund auftun nach Seinem Wohlgefallen und zum Preise seiner Herrlichkeit. Was für eine schöne Zusage!

Diese Zusage bezieht sich zwar auf eine ganz bestimmte Situation, aber sie zeigt einen allgemeineren Grundsatz im Handeln des HERRN an: Wo immer wir nicht weiter wissen, wann immer wir von Sorgen und Ängsten übermannt werden, wir haben stets die Möglichkeit, uns vertrauensvoll an Ihn zu wenden! Er kann, Er will und Er wird uns stets zur Seite stehen und helfen, wenn wir Ihn darum bitten! Fühlst Du Dich bei Deiner Arbeit überfordert, weil man so viel von Dir verlangt? Wende Dich an den HERRN! Befürchtest Du, dass Du den vielen Schulstoff nicht bewältigen und die Prüfungen in der Schule oder im Studium nicht bestehen wirst? Wende Dich an den HERRN! Will es Dir einfach nicht richtig gelingen, ein guter Ehepartner zu sein? Wende Dich an den HERRN! Weisst Du beim besten Willen nicht, wie Du Deine Kinder richtig erziehen sollst? Wende Dich an den HERRN! Es gibt keine Sache, die für Ihn zu gross oder zu schwer wäre, und es gibt keine Sache, die zu klein wäre, als dass sie Ihn interessieren könnte. Er nimmt Anteil an unserem ganzen Leben und Er freut Sich, wenn wir Ihn auch entsprechend einbeziehen.

Vers 20

Denn nicht ihr seid die Redenden, sondern der Geist eures Vaters, der in euch redet. Mt 10,20

Als der HERR Mose zu Seinem Volk Israel und zum Pharao senden wollte, lautete einer der Einwände Moses, dass er kein guter Redner sei. Da antwortete ihm der HERR: «Wer hat dem Menschen den Mund gemacht? Oder wer macht stumm oder taub, sehend oder blind? Nicht ich, der HERR? Und nun geh hin! Ich will mit deinem Mund sein und dich unterweisen, was du reden sollst» (2.Mose 4,11.12). Darin liegt – genau wie im vor uns liegenden Vers – eine tiefe Unterweisung, die wir wie folgt auf den Punkt bringen können: Wir sind nicht Gott; Gott allein ist Gott. Das mag im ersten Moment seltsam klingen, wird sich aber mit einigen wenigen Gedanken (hoffentlich) erklären lassen.

Im ganzen Universum gibt es nur ein einziges Wesen, das völlig freie Entscheidungen treffen und tun kann, was immer es will: Gott. Nur Er steht ausserhalb von Raum und Zeit, nur Er kann Leben erschaffen, nur Er kann durch Sein Wort Dinge ins Dasein rufen etc. Sein Wort hat Macht. Auch unsere Worte haben eine gewisse Macht, denn sie hinterlassen immer eine Wirkung auf die Zuhörer, wie uns bspw. im Brief des Jakobus mit so eindringlichen Warnungen vor Augen geführt wird. Auch wissen wir aus Erfahrung, dass Worte, die wir sagen, tiefe Verletzungen hinterlassen können, die nie mehr vollständig geheilt werden können. Wir wissen, dass wir Worte nicht zurücknehmen können. Und doch ist Gottes Wort anders, weil es so mächtig ist, dass es Tote ins Leben rufen oder eben Dinge erschaffen kann. Das Evangelium von Jesus Christus ist das Wort Gottes, das tote Menschen lebendig machen kann. Dieses Wort sollen wir zu den Menschen tragen.

Gott allein weiss und entscheidet, wann und was Er wen zum wem sagen lässt. Nur Er allein ist weise, das Herz eines Menschen mit Seinem Wort zu durchbohren und zum Leben zu erwecken. Wir sind nichts weiter als der Mund, den Er dazu benutzen will. Wir sind irdene Gefässe, die den Lichtglanz des Evangeliums Gottes als Schatz in ihrem Innern tragen (2.Kor 4,6.7). Das kann uns in brenzligen Situationen ruhig machen. Wir dürfen wissen, dass nicht wir die Redenden sind, sondern der Geist unseres Vaters, der in uns redet. Diesen Gedanken können wir ausdehnen auf alle möglichen Bereiche unseres Lebens. Wir sind nicht der Dirigent unseres Lebens; Gott dirigiert – und gebraucht uns als Taktstock, als Werkzeug in Seiner Hand, das Er meisterhaft zu führen versteht. Wir sind nicht Gott; Gott allein ist Gott. Er ist der Schöpfer (damals wie heute) und der Meister. Lassen wir uns von Ihm, von Seinem Geist führen!

Vers 21

Es wird aber der Bruder den Bruder zum Tode überliefern und der Vater das Kind; und Kinder werden sich erheben gegen die Eltern und sie zu Tode bringen. Mt 10,21

Wer kann die unendliche Not erfassen, die in dieser Aussage geschildert wird? Wir finden hier einen Bruch, einen Riss mitten durch den engsten Familienkreis beschrieben, zwischen Brüdern, zwischen Eltern und Kinder – einen Riss bis aufs Blut, bis auf den Tod. In einem der folgenden Verse finden wir die folgende, dazu gehörende Aussage des Herrn Jesus: «Meint nicht, dass ich gekommen sei, Frieden auf die Erde zu bringen; ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert» (Mt 10,34). Im Lukas-Evangelium werden diese ernsten Ausführungen um das folgende Wort ergänzt: «Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen, und wie wünschte ich, es wäre schon angezündet!» (Lk 12,49). Wie wenig wird unter Christen über dieses Thema gesprochen!

Doch wie kann das sein? Wurde uns nicht gesagt, der Herr Jesus sei als der Retter der Menschen auf diese Erde gekommen, als Derjenige, der Frieden, Gesundheit, Heil und Versöhnung bringt? Ja, das ist wohl wahr, aber die Menschheit hat nicht gewollt! Auch hierin ist uns Israel ein Vorbild. Das Volk hat – gerade damals! – sehnlichst seinen Messias-Erlöser erwartet. Die ganze Hoffnung Israels ruhte auf diesem einen Mann der kommen sollte, um alles in Ordnung zu bringen. Und dann kam Er! Aber Er war nicht so, wie das Volk es erwartet, wie es Ihn sich gewünscht hat. Hier war Er nun, aber sie lehnten Ihn ab. Seine Liebe wurde mit Hass erwidert. Er war da, um zu retten, um Frieden zu bringen, aber sie wollten weder die Rettung noch den Frieden – und schon gar nicht Ihn selbst.

Nur wenige Menschen wandten sich Ihm zu, stellten sich auf Seine Seite. Diesen Menschen schlug nun aber von der Masse des Volkes dieselbe Feindseligkeit entgegen, die das Volk für den Herrn Jesus empfand. Diese Menschen fanden zwar die Rettung und echten Frieden mit Gott, der auch als Grundlage für den Frieden unter den Menschen dienen konnte, aber die Welt erklärte ihnen den Krieg. Bis hin zu den nächsten Verwandten – dem eigenen Bruder, den eigenen Eltern oder den eigenen Kindern – sollte sich ein Riss durch die Gesellschaft ziehen, ein Hass bis aufs Blut.

Tatsächlich hat der Name oder die Person des Herrn Jesus in allen Gesellschaften und zu allen Zeiten offenbar gemacht, was die Menschheit ist. Immer und überall ruft dieser Name, ruft diese herrliche Person den Hass der Menschen hervor. Denken wir doch nur an die schreckliche Christenverfolgung im römischen Reich, an die grausame Christenverfolgung durch die römisch-katholische Kirche in den folgenden Jahrhunderten, an die blutigen Kriege in der Reformationszeit, an die Christenverfolgung durch den Nationalsozialismus oder an die Christenverfolgung in der Sovjetunion und in der DDR!

Der Herr Jesus ist nicht gekommen, um das Schwert zu bringen, aber Sein Kommen hat das Schwert notwendigerweise zur Folge gehabt. Das muss uns völlig bewusst sein.

Vers 22

Und ihr werdet von allen gehasst werden um meines Namens willen. Wer aber ausharrt bis ans Ende, der wird gerettet werden. Mt 10,22

Die Jünger des Herrn Jesus müssen sich darauf gefasst machen, von allen Menschen gehasst zu werden um des Namens Jesu willen. Dieses «alle» ist wörtlich zu verstehen. Von Natur aus steht jeder einzelne Mensch Gott ablehnend gegenüber. Er mag wohl moralisch gut oder auch religiös sein, aber das sind nur zwei Arten, wie die eigentliche Ablehnung gegenüber Gott kaschiert wird. Es kann mit wirklich jedem Mensch zum Streit oder zur Entzweiung kommen, wenn es um die Person des Herrn Jesus Christus geht. Wir haben ja gerade im vorherigen Vers gelesen, dass sich ein Bruch sogar durch die engsten Familienbeziehungen ziehen kann. Das «alle» warnt uns auch deutlich davor, Unterschiede bezüglich verschiedener Gruppen von Menschen zu machen, wozu wir leider fast schon instinktiv neigen. Die «Religiösen» sind nicht besser als die (offen) «Gottlosen», die «Rechten» sind nicht besser als die «Linken», die «christlich Erzogenen» sind nicht besser als Moslems oder Angehörige anderer Religionen. «Alle» meint wirklich alle!

Doch wie haben wir den zweiten Versteil zu verstehen? Hängt unser ewiges Seelenheil davon ab, ob wir ausharren bis ans Ende? Nein, das ist nicht die Aussage. Wenn in der Bibel die Rede von «Errettung» ist, dann ist damit (insgesamt) sehr viel mehr als nur die ewige Errettung gemeint. Ein einfaches und ein weniger einfaches Beispiel sollen das zeigen: In 2.Tim 4 beschreibt der Apostel Paulus, wie er ohne jede menschliche Unterstützung in Rom vor dem kaiserlichen Gericht gestanden hat. In V.17 schreibt er: «Der Herr aber stand mir bei und stärkte mich, damit durch mich die Predigt vollbracht wurde und alle die aus den Nationen hörten; und ich bin gerettet worden aus dem Rachen des Löwen» (2.Tim 4,17). Das bezieht sich ganz offensichtlich nicht auf die ewige Errettung, sondern ganz einfach aus der Rettung aus einer bestimmten gefährlichen Situation heraus. Das zweite Beispiel: Der Apostel Petrus schreibt in 1.Petr 3 über die Sintflut und die Rettung von Noah durch die Arche. In V.21 heisst es: «Das Abbild davon errettet jetzt auch euch, das ist die Taufe» (1.Petr 3,21). Wie jetzt? Hat die römisch-katholische Kirche doch Recht, wenn sie sagt, dass man nicht durch Gnade und Glauben, sondern durch die Taufe das ewige Leben erlangt? Nein! Noah wurde durch die Arche vor der Sintflut (und auch vor dem Einfluss der gottlosen Gesellschaft, in der er davor gelebt hatte) gerettet; er sass in Sicherheit, während alle anderen ertranken. Durch die Taufe stellen wir uns öffentlich auf die Seite des Herrn Jesus. Wir können uns das wie in der Sportstunde in der Schule vorstellen, wo zwei Mannschaften gebildet werden und jemand noch quasi im letzten Moment von der einen Seite zur anderen wechselt. So zeigen wir öffentlich an, dass wir zum Herrn Jesus und nicht länger zur Welt gehören wollen. Das wird uns vor vielen schwierigen Situationen bewahren und so «retten», da wir gewissermassen dem Zugriff der Welt entzogen werden wie einst Israel durch die Taufe im Roten Meer (vgl. 1.Kor 10,2) dem Zugriff von Ägypten entzogen worden ist.

Wir werden die schwierigen Situationen, von denen der Herr Jesus hier spricht, nicht einfach deshalb überstehen, weil wir einmal eine Entscheidung für Ihn gefällt haben. Entscheidend ist, ob wir dabei bleiben, ob wir ausharren bis ans Ende. Stellen wir uns einen Kampf um eine Stadt vor! Die eine Seite hisst gleich zu Beginn des Kampfes ihre Flagge auf dem höchsten Turm. Gehört die Stadt nun ihr? Nein! Entscheidend ist, dass diese Partei den Stand hält und die Flagge so lange verteidigt, bis der Kampf vorbei ist. Nicht wer am Anfang die Flagge hisst, sondern wessen Flagge am Ende weht, hat gewonnen. Wer vor dem Ende einknickt, geht unter. Wenn wir die Schwierigkeiten dieses Lebens bewältigen wollen, müssen wir lernen, die Stellung zu halten. In Röm 5,3–5 finden wir eine schöne «Kette», die zur Frucht des Ausharrens führt: «Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch in den Bedrängnissen, da wir wissen, dass die Bedrängnis Ausharren bewirkt, das Ausharren aber Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung; die Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden» (Röm 5,3–5). Die Hoffnung lässt nicht zuschanden werden, weil Gott all Seine Versprechen halten und wahrmachen wird. Er will aber, dass wir als Bewährte im Glauben dahin gelangen, nicht als solche, denen das ewige Heil einfach so wie ein Lottogewinn in den Schoss gefallen ist. Diese Bewährung und die daraus resultierende, immer fester werdende Hoffnung finden wir aber nur auf dem Weg des Ausharrens, doch Ausharren lernen wir nur durch Bedrängnisse. Bedrängnisse sind deshalb notwendig, um uns bewährt und fest in der Hoffnung werden zu lassen.

Vers 23

Wenn sie euch aber verfolgen in dieser Stadt, so flieht in die andere! Denn wahrlich, ich sage euch, ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende sein, bis der Sohn des Menschen gekommen sein wird. Mt 10,23

Spätestens hier nun ist uns klar, dass der Herr Jesus nicht mehr von der damaligen, sondern von einer späteren Aussendung der Jünger gesprochen hat, denn jetzt redete Er über das Kommen des Sohnes des Menschen – ein typischer Ausdruck für Sein zweites Kommen in Macht in Herrlichkeit. Die Bibel ist voll von Verknüpfungen, die für uns zu Beginn vielleicht etwas seltsam erscheinen. Mose und Josua redeten bspw. beide zu den damaligen Israeliten über damals noch weit in der Zukunft liegende Ereignisse, sprachen aber nicht etwa über «jene Israeliten» oder «eure Nachkommen», sondern sagten: «ihr» und «dieses Geschlecht» – so, als ob den damals lebenden Israeliten all diese Dinge widerfahren würden. In Wahrheit wurden jene Israeliten aber als stellvertretend für die späteren Generationen angesprochen. Genauso hat auch der Herr Jesus Seine Jünger teilweise als Stellvertreter oder Vorbilder für die israelitischen Jünger der künftigen Tage nach dem Ende des christlichen Zeitalters angesprochen. Erinnern wir uns? Zuerst hat Er Seine Jünger damals tatsächlich ausgesandt und ihnen dafür bestimmte Anweisungen gegeben. Im Laufe Seiner Ausführungen hat Er aber den Blickwinkel geändert und begonnen, über eine spätere, zweite, sehr ähnliche Aussendung in ferner Zukunft zu sprechen. Das liegt jetzt nun vor uns. Hier sind nicht mehr die Jünger als die damaligen Jünger angesprochen, hier ist das Thema nicht mehr die damalige Aussendung, sondern jetzt geht es um treue Israeliten, die am Ende der Tage beginnen werden, in Israel zu missionieren, und zwar unmittelbar bevor der Herr Jesus in Macht und Herrlichkeit aus dem Himmel zurückkehren wird.

Die im Neuen Testament enthaltenen prophetischen Stellen (insbesondere im Evangelium nach Matthäus und in der Offenbarung an Johannes) zeigen auf, dass es nach dem Ende des christlichen Zeitalters, also kurze Zeit nach der Entrückung der Christen, in Israel zu einer Erweckung kommen wird. Viele Juden werden dann plötzlich erkennen, dass der Herr Jesus, den ihre Vorväter verworfen haben, tatsächlich der verheissene Messias (Christus) gewesen ist. Sie werden Busse tun und umgehend beginnen, in Israel zu predigen, wie es die Jünger damals getan haben. Diese Bewegung wird in Israel auf erbitterten Widerstand stossen, der sich (wie wir gesehen haben) sogar innerhalb der engsten Familienbanden entfalten wird. Ähnlich wie die Apostel nach der Steinigung des Stephanus werden diese treuen Israeliten verfolgt werden und von Stadt zu Stadt fliehen müssen, was sie aber nutzen werden, um das Evangelium des Reiches überall zu predigen, wohin sie gelangen. Die Zeit wird knapp und gedrängt sein. Noch ehe diese Jünger die Gelegenheit gehabt haben werden, in allen Städten Israels zu predigen, wird bereits der Herr Jesus in Macht in Herrlichkeit aus dem Himmel zurückkehren.

Vers 24

Ein Jünger ist nicht über dem Lehrer und ein Sklave nicht über seinem Herrn. Mt 10,24

Wir alle streben unwillkürlich nach Geborgenheit, Frieden und Wohlergehen. Wir wollen, dass es uns gut geht. Die gute Nachricht ist, dass dies auch Gottes Wille für uns ist. Die schlechte Nachricht lautet: «Aber jetzt noch nicht!». In Apg 14,22 heisst es, «dass wir durch viele Bedrängnisse in das Reich Gottes hineingehen müssen». In 2.Tim 3,12 steht: «Alle aber auch, die gottesfürchtig leben wollen in Christus Jesus, werden verfolgt werden». Ein Jünger ist nicht über dem Lehrer; es ist nicht die Aufgabe des Lehrers, dafür zu sorgen, dass der Schüler (Jünger) über ihm steht. Ein Sklave ist nicht über seinem Herrn; der Herr ist nicht dafür besorgt, dem Sklaven auf eigene Kosten ein gutes Leben zu verschaffen. Der Herr Jesus ist unser Lehrer und unser Herr. Er hat ein Leben der Aufopferung geführt und ist immer wieder auf erbitterten Widerstand gestossen, wie uns der nachfolgende Vers zeigen wird. Sein Leben hier auf der Erde war ein einziger Kampf – und auch wir sind berufen, durch Leiden zur Herrlichkeit zu gelangen.

Leider hat das sogenannte Wohlstandsevangelium in der Christenheit grossen Schaden angerichtet, denn selbst solche, die diese Irrlehre ablehnen, unterliegen teilweise ihrem Einfluss, indem sie meinen, es sei durchaus auch Gottes Wille, ihnen bereits im Hier und Jetzt ein gutes Leben zu ermöglichen. Eine solche Zusage oder Verheissung finden wir aber nirgends im Wort Gottes! Natürlich ist das Leben im Willen Gottes das beste Leben, das wir hier auf der Erde führen können, das Leben, für das wir bestimmt sind, das Leben, das uns wirklich erfüllen und glücklich machen kann. Natürlich finden wir nur auf diesem Weg einen inneren Frieden und ein Glück, das die Welt nicht kennen kann. Aber das ist – zusammen mit Bedeckung (Kleidung) und der nötigen Nahrung – alles, was der Herr uns versprochen hat. Er hat uns weder Gesundheit noch Wohlstand, weder Ansehen noch Einfluss, weder glückliche Beziehungen noch Familie oder sonst irgendetwas verheissen, wonach uns so oft verlangt. Im Gegenteil hat Er immer wieder deutlich darauf hingewiesen, dass wir uns auf Gegenwind und Schwierigkeiten gefasst machen müssen. Das muss uns einfach bewusst sein, damit wir die Kosten überschlagen können und nicht loslaufen, nur um mitten im Lauf enttäuscht aufzugeben.

Vers 25

Es ist dem Jünger genug, dass er wird wie sein Lehrer und der Sklave wie sein Herr. Wenn sie den Hausherrn Beelzebul genannt haben, wie viel mehr seine Hausgenossen! Mt 10,25

Als Christen sind wir zu den höchsten Vorrechten berufen, die einem Menschen gewährt werden können. Zu diesen Vorrechten zählt, in den Fussstapfen des Herrn Jesus zu wandeln (1.Petr 2,21), so zu wandeln, wie Er gewandelt ist (1.Joh 2,6). Doch dieses Vorrecht hat nicht nur positive Aspekte, denn im Leben des Herrn Jesus gab es viel Widerstand, Feindseligkeit, Einsamkeit, aber auch Entbehrungen und vieles mehr, vor dem wir unwillkürlich zurückschrecken. Unter anderem haben Seine eigenen Landsleute Ihn Beelzebul genannt, also behauptet, Er sei vom Teufel selbst besessen!

Der Name «Beelzebul» geht zurück auf einen Götzen namens «Baal-Sevuv» (oder: «Baal-Sebub»), den Herrn der Fliegen, der von den Philistern besonders bei Krankheit angerufen wurde. Das wissen wir aus dem traurigen Bericht über den König Ahasja von Israel, der nach einer Verletzung diesen Götzen anrufen wollte (2.Kön 1). Die Juden haben den Götzen später «Baal-Sevul» genannt, was so etwas wie «der Herr des Mistes» bedeutet. Dadurch haben sie diesen Götzenkult ins Lächerliche gezogen respektive – wortwörtlich – als Mist bezeichnet. Die Griechen haben diesen Namen «Beelzebul» ausgesprochen.

Diese Beleidung ist nur eine Form von Leiden gewesen, die der Herr Jesus in Seinem Leben erdulden musste. Bis auf Seine sühnenden Leiden am Kreuz können wir prinzipiell jedes Leiden teilen. Als Seine Nachfolger müssen wir mit Spott, Schmach, Schimpf und Schande, mit Entbehrungen, Verfolgung und Widerstand rechnen. So negativ diese Dinge an und für sich sind, sie haben doch einen höchst positiven Aspekt, denn sie sind immer Leiden mit und für den Herrn Jesus. Das bedeutet, dass uns die Ehre zuteil wird, dem Herrn gewissermassen in Seinen Leiden zur Seite zu stehen, und dass der Vater uns für jedes Ungemach reichlich entschädigen wird.

Vers 26

Fürchtet euch nun nicht vor ihnen! Denn es ist nichts verdeckt, was nicht aufgedeckt, und nichts verborgen, was nicht erkannt werden wird. Mt 10,26

Obwohl uns als Jüngern des Herrn Jesus grosse Gefahren begegnen können, sollen wir uns nicht fürchten. Das ist kein leeres Wort. Weltweit gesehen hat die Christenverfolgung, die es seit den ersten Tagen der Christenheit immer ununterbrochen gegeben hat, mittlerweile beängstigende Ausmasse angenommen. Gemäss Angaben von OpenDoors werden Christen in fast ganz Asien und fast ganz Afrika sowie in Mittelamerika stark bis extrem verfolgt. Die halbe Weltkarte ist dunkelorange bis rot eingefärbt. Berichte aus Indien, Pakistan und Afghanistan schildern in einer bedrückenden, Übelkeit erregenden Weise, was dies für die einzelnen Brüder und Schwestern bedeutet. Hier in Europa können wir uns nicht einmal im Ansatz vorstellen, was es in anderen Teilen der Welt kostet, sich zum Herrn Jesus zu bekennen.

Doch der HERR sieht alles! Vieles von dem, was Christen angetan wird, wird im Verborgenen ausgeübt, gut versteckt vor den Augen der Öffentlichkeit und der Behörden. Solche Verfolgung gibt es auch hier bei uns: Versteckter Spott, Sticheleien, Verleumdung, nächtliche Sachbeschädigungen, Nachteile im Beruf etc. Manche von uns leiden schwer, ohne dass irgendjemand Notiz davon nimmt, weil die Verfolgung so geschickt und verborgen ausgeführt wird. Aber für uns alle ist es ein grosser Trost zu wissen, dass alles Verdeckte aufgedeckt und alles Verborgene erkannt werden wird. Einmal wird der HERR alles ans Licht bringen und alles gerecht beurteilen. Was für uns ein grosser Trost ist, wird für die übrigen Menschen ein gewaltiger Schrecken sein! Sie werden feststellen, dass sie zwar Menschen täuschen konnten, aber nicht Gott. Für jedes böse Wort und für jede böse Handlung werden sie Rechenschaft geben müssen!

Vers 27

Was ich euch sage in der Finsternis, redet im Licht, und was ihr ins Ohr geflüstert hört, ruft aus auf den Dächern! Mt 10,27

Der Herr Jesus wird sich einmal so zu erkennen geben, dass für jeden Menschen völlig klar ist, wer Er ist. Jedes Knie wird sich vor Ihm beugen, jede Zunge wird Ihn als den Herrn über alles bekennen (Phil 2,10.11). In einem einzigen Augenblick wird für ausnahmslos alle Menschen völlig klar sein, was die Wahrheit ist, dass Er die Wahrheit ist. Dann wird es zu spät sein, Seine rettende Hand im Glauben zu ergreifen, denn für Glauben wird es keinen Raum mehr geben, da man wissen wird. Bis dahin hält Er Sich aber noch verborgen, um Sich allein von jenen finden zu lassen, die glauben. Sein Wirkungskreis als Mensch war klein, hauptsächlich auf die Gegend von Galiläa beschränkt, ein Land, das im Finstern sass (Jes 8,23 und 9,1). Kurz vor Pfingsten umfasste die Schar der Gläubigen eine Menge von lediglich etwa 120 Personen (Apg 1,15). In diesem Sinne hat der Herr Jesus «in der Finsternis» gesprochen und «ins Ohr geflüstert». Die Jünger sollten die Wahrheit später aber laut und deutlich verkündigen, denn Gott hat es gefallen, das Evangelium von Menschen zu Menschen predigen zu lassen. Die Aufgabe der Jünger, unsere Aufgabe ist es, auf den Dächern auszurufen, dass im Herrn Jesus Christus Rettung vor dem ewigen Verderben zu finden ist.

Vers 28

Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht zu töten vermögen; fürchtet aber vielmehr den, der sowohl Seele als auch Leib zu verderben vermag in der Hölle! Mt 10,28

Wir sollen das Evangelium von Jesus Christus mit Entschiedenheit und Nachdruck predigen, obwohl wir damit – gemäss der Warnung des HERRN – auf Widerstand stossen werden, der bis zur Verfolgung des Lebens gehen kann. Wie können wir diesem Auftrag furchtlos gerecht werden? Gar nicht! Der Herr Jesus spricht in diesem Zusammenhang nicht von einem Gegensatz zwischen Furcht und Furchtlosigkeit, sondern von zwei verschiedenen Arten von Furcht respektive von zwei verschiedenen Dingen, die uns Furcht einjagen können. Im realistischen Menschenbild, das die Bibel zeichnet, sehen wir immer wieder Menschen, die von Furcht geprägt gewesen sind: Abraham fürchtete die Ägypter und die Philister, Isaak fürchtete die Philister, Jakob fürchtete Esau etc. Furcht ist ebenso ein Bestandteil des menschlichen Lebens wie Freude oder Trauer.

Zugleich warnt uns das Wort Gottes aber vor Menschenfurcht: «Menschenfurcht stellt eine Falle» (Spr 29,25). Die Furcht vor den Reaktionen unserer Mitmenschen kann uns zu falschen Entscheidungen leiten. Auch dies zeigt uns das Wort Gottes deutlich auf: Abraham brachte die Philister und die Ägypter in Bedrängnis und musste jeweils unter Schimpf und Schande wegziehen, Isaak hätte um ein Haar die Philister zu Fall gebracht und musste sich ebenfalls gerechtfertigte Vorwürfe anhören, Jakob musste den HERRN fürchten lernen und an der Hüfte geschlagen werden etc.

Wohl ist es wahr, dass die Menschen uns sehr viel, sehr Übles antun können. Sie können sogar unseren Leib töten. Das Blut von Millionen von Märtyrern bekräftigt diese Tatsache eindrücklich. Aber zwei Dinge können die Menschen nicht tun: Erstens können sie unsere Seele nicht töten. Nichts und niemand kann uns von Gott trennen. Wird unser Leib getötet, bedeutet das nur, dass wir direkt in die ewige Herrlichkeit eingehen, um für immer glücklich zu sein. Zweitens kann kein Mensch uns etwas antun, was der HERR nicht zulässt. «Geschieht etwa ein Unglück in der Stadt, und der HERR hat es nicht bewirkt?» (Amos 3,6). Gott der HERR hat immer das letzte Wort. Alles muss sozusagen über Seinen Schreibtisch gehen und von Ihm genehmigt werden, sonst geschieht es nicht. Das ist schwer zu fassen, weil viele treue Geschwister schon viel Schlimmes erlitten haben. Wie könnte Gott dies zugelassen haben? Hier fehlt es uns an der Ewigkeitsperspektive; wir können die Dinge nicht richtig einordnen und beurteilen, weil wir nicht das grosse Ganze sehen. Aber wir müssen auch nicht alles verstehen. Lassen wir uns doch durch dieses Wort trösten! Wir könnten mitten in einem gewaltbereiten und aufgebrachten Mob freimütig vom Herrn Jesus Christus predigen, ohne dass uns irgendjemand auch nur ein Haar krümmen könnte, wenn unsere Zeit noch nicht gekommen wäre. Wie oft ist der Herr Jesus brenzligen Situationen einfach so auf übernatürliche Weise entgangen! Das kam so häufig vor, dass Judas meinte, er könne Ihn problemlos an die Hohenpriester ausliefern und dafür Geld kassieren, weil der Herr Jesus ja doch wieder entkommen werde. Der Prediger George Whitefield hat offenbar einmal nach einem wütenden Angriff, dem er nur knapp lebend entgangen ist, in sein Tagebuch geschrieben, dass es unglaublich sei, wie unsterblich die Auserwählten seien, solange ihre göttlich bestimmte Zeit noch nicht gekommen sei.

Kann uns dieses Wissen furchtlos machen? Nein! Wie bereits am Anfang erwähnt gibt es keine Wahl zwischen Furcht und Furchtlosigkeit, sondern nur eine Wahl zwischen Furcht und Furcht – Furcht vor den Menschen oder Furcht vor Gott. Wie jetzt? Ist Gott nicht unser Vater, der uns über alles liebt? Wie könnten wir Ihn fürchten? Das Eine hat mit dem Andern nichts zu zun. Ja, Gott ist Liebe, und Seine Liebe zu uns ist ohne jede Grenze und ohne jede Einschränkung. Aber zugleich ist Er der Allmächtige, der Schöpfer und Erhalter eines Universums, das so gewaltig gross ist, dass wir bis heute trotz neuster Technik nicht eine einzige Grenze entdeckt haben. Gott schenkt Leben und Gott nimmt Leben. Er ist der Gott, der die grosse Flut über die Erde gebracht hat, der Sodom und Gomorra in einem Regen aus Feuer und Schwefel vernichtet hat, der geboten hat, die Kanaaniter mitsamt den alten Menschen und den Kleinkindern restlos auszurotten. «Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen!» (Hebr 10,31). Gott ist ein verzehrendes Feuer. Feuer ist gut, es schenkt Licht und Wärme, aber es zerstört auch ohne jede Rücksicht alles, was ihm zu nahe kommt. Die Sonne ist für unser Leben von immenser Bedeutung, aber wenn wir uns ihr nur auf ein paar tausend Kilometer nähern würden, würde sie uns komplett verdampfen lassen, obwohl es sich bei der Sonne nur um einen vergleichsweise kleinen Stern im grossen Universum handelt.

Vor wem sollten wir uns also mehr fürchten, vor den Menschen oder vor Gott? Ganz klar: Vor Gott! Er kann unendlich mehr als die Menschen! Wenn wir aber Ihn fürchten, dann wird diese Furcht unsere Menschenfurcht überwinden. Denken wir einmal an einen Menschen, der Höhenangst und gleichzeitig eine panische Angst vor wilden Tieren hat! Dieser Mensch steht vor einem Grat, den er nie im Leben überwinden würde, wenn er die freie Wahl hätte. Plötzlich taucht hinter ihm ein Bär auf. Die panische Angst, die den Menschen überfallen wird, wird ihn dazu treiben, den Grat zu überwinden. Er wird es nicht tun, weil er furchtlos ist, sondern weil eine grössere Furcht die kleinere Furcht übersteuert hat. Genauso soll bei uns die Furcht vor dem HERRN die Furcht vor den Menschen übersteuern: «Fürchtet euch nicht! Denn nur, um euch auf die Probe zu stellen, ist Gott gekommen, und damit die Furcht vor Ihm euch vor Augen sei, damit ihr nicht sündigt» (2.Mose 20,20).

Vers 29

Werden nicht zwei Sperlinge für eine Münze verkauft? Und nicht einer von ihnen wird auf die Erde fallen ohne euren Vater. Mt 10,29

Wir sollen Gott fürchten, uns vor Augen führen, dass Er die Macht hat, nicht nur den Leib, sondern auch die Seele zu verderben, wie es im vorangegangenen Vers 28 heisst. Aber diese Furcht soll nicht das prägende Element unserer Beziehung zu Gott sein, denn «ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, wieder zur Furcht, sondern einen Geist der Sohnschaft habt ihr empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater!» (Röm 8,15). Deshalb hat der Herr Jesus an Seine Belehrung darüber, dass wir Gott fürchten sollen, gleich einen riesigen Trost, einen Aufruf zu kindlichem Vertrauen angefügt. Die Überleitung bildet die Macht Gottes: Der HERR hat nicht nur die Macht, den Leib und die Seele zu verderben, sondern auch die Macht, Leben zu bewahren.

Ein Sperling war zur damaligen Zeit von so geringem Wert, dass man für eine einzige Münze gleich zwei Stück bekommen hat. Der Wert einer Sache kann auf verschiedene Art bestimmt werden. Eine Art besteht ganz einfach darin, danach zu fragen, wie viel man dafür zu zahlen bereit ist. Wollen die Leute für eine kleine Münze nicht nur einen, sondern zwei Sperlinge haben, kann man mit Fug und Recht sagen, dass Sperlinge quasi wertlos sind. Völlig anders ist der Wert jedes gläubigen Menschen bemessen, wenn wir dieselbe Methode anwenden, «denn ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichen Dingen, mit Silber oder Gold, erlöst worden seid von eurem eitlen, von den Vätern überlieferten Wandel, sondern mit dem kostbaren Blut Christi als eines Lammes ohne Fehler und ohne Flecken» (1.Petr 1,18.19). Niemals ist in der Geschichte des Universums ein auch nur annähernd gleich hoher Preis für etwas bezahlt worden! Der Wert eines einzelnen Menschen ist nach der Bibel höher als der Wert aller Schätze der ganzen Welt (vgl. Mk 8,36)!

Doch selbst von den quasi wertlosen Sperlingen fällt nicht ein einziger tot auf die Erde, solange Gott sein Leben bewahrt. Er, der grosse Gott, der Schöpfer und Erhalter des Universums, wacht höchstpersönlich über das Leben jedes einzelnen Sperlings! «Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit. Du tust deine Hand auf und sättigst alles Lebendige nach Wohlgefallen» (Ps 145,15.16). Wie viel mehr wird der HERR Sich um jeden einzelnen von uns kümmern!

Vers 30

Bei euch aber sind selbst die Haare des Hauptes alle gezählt. Mt 10,30

Wenn der HERR sagt, dass Er sogar auf die praktisch wertlosen Sperlinge Acht hat, dann ist das noch zu wenig, um wirklich auszudrücken, wie unendlich viel Ihm an jedem einzelnen von uns liegt, wie sehr Er für uns besorgt ist. Deshalb fügt Er an, dass selbst die Haare unseres Hauptes alle gezählt sind. Ein Europäer hat im Normalfall bis gegen 120.000 Haare auf seinem Kopf! Täglich fallen bis zu 100 Haare aus, die jedoch gewöhnlich laufend ersetzt werden. Gott der HERR hat die genaue Anzahl Haare jedes Menschen gezählt. Das im vor uns liegenden Vers verwendete Verb könnte auch mit «nummeriert» übersetzt werden, was seine gewöhnliche Bedeutung ist. Gott der HERR weiss also um Dein Haar Nummer 98.137 und um Dein Haar Nummer 12.805. Wie viel mehr weiss Er dann um alles Wichtigere, was Dich betrifft!

Aber Er weiss es nicht nur, Er kümmert sich auch. In 1.Petr 5,7 werden wir aufgefordert, alle unsere Sorge auf Ihn zu werfen, «denn Er ist besorgt für euch». Der gewöhnliche Leser kennt heute den Unterschied zwischen «sich sorgen» und «besorgt sein» nicht mehr; beides bedeutet für ihn dasselbe. Im Griechischen ist der Unterschied deutlicher erkennbar. Die Sorge, die wir auf den HERRN werfen sollen, ist «merimna», etwas, das uns bedrückt, beschäftigt, ängstigt. Dieses Wort wird im Gleichnis vom vierfältigen Acker verwendet, wo die Dornen für die Sorgen des Lebens stehen (Mt 13,22; Mk 4,19; Lk 8,14). Nach Lk 21,34 können «Lebenssorgen» unsere Herzen beschweren. Paulus war bedrängt durch die Sorge um alle Versammlungen (2.Kor 11,28). «Besorgt sein» in 1.Petr 5,7 ist dagegen «melo», was «sich kümmern» bedeutet. Die Jünger riefen dem Herrn Jesus in Seenot zu, ob es Ihn nicht kümmere, dass sie umkämen (Mk 4,38); Martha fragte Ihn vorwurfsvoll, ob es Ihn nicht kümmere, dass sie alles alleine machen müsse (Lk 10,40); im Gleichnis vom guten Hirten wird vom Mietling gesagt, dass er bei Gefahr flieht statt sich um die Schafe zu kümmern (Joh 10,13). Judas war nach Joh 12,6 nicht für die Armen besorgt, sondern wollte sich bereichern. Es ist also nicht etwa so, dass der HERR Sorge oder gar Angst um uns hätte, sondern vielmehr kümmert Er Sich liebevoll um uns, was uns entlasten soll, uns Sorgen zu machen oder zu ängstigen. Jedes Haar auf unserem Haupt ist gezählt bzw. nummeriert!

Vers 31

Fürchtet euch nun nicht! Ihr seid wertvoller als viele Sperlinge. Mt 10,31

In Vers 28 finden wir die Aufforderung, dass wir Gott fürchten sollen, in Vers 31 heisst es, dass wir uns nicht fürchten sollen. Liegt hier ein Widerspruch vor? Nein! Hinter der Aufforderung in Vers 28 steht der Gedanke, dass wir Gott mehr als alles andere fürchten sollen. Wenn wir uns schon fürchten, wenn wir schon nicht furchtlos sein können, dann sollen wir nicht Menschen, sondern den Allmächtigen fürchten. In den Versen 29–31 wird anhand von zwei eindrücklichen Beispielen – den Sperlingen und den Haaren auf unserem Haupt – klar gemacht, dass Gott der HERR nicht ein ferner, sehr zu fürchtender König, sondern zugleich auch unser Vater in den Himmeln ist, der sich höchstpersönlich um uns kümmert. Wo immer wir hingehen, was immer wir tun, wir sind in Seiner Hand und damit in Sicherheit. Wir sind nicht Pfennigware, austauschbar oder entbehrlich, sondern Ihm liegt sehr an uns. Deshalb müssen wir uns vor nichts und niemand fürchten. Was wollen Menschen uns tun? Welches Unglück soll uns begegnen? Nichts und niemand tritt an uns heran, wenn nicht unser Vater in den Himmeln – immer mit guten Gründen! – den Zutritt gewährt.

Vers 32

Jeder nun, der sich vor den Menschen zu mir bekennen wird, zu dem werde auch ich mich bekennen vor meinem Vater, der in den Himmeln ist. Mt 10,32

Nun folgt eine zweite grosse Ermutigung: Der HERR verbürgt sich nicht nur höchstpersönlich für unsere Sicherheit, sondern wird uns auch für unseren Mut belohnen. Wenn wir uns vor den Menschen zum Herrn Jesus bekennen, d.h. den Menschen sagen, dass wir zu Ihm gehören, dann wird Er sich vor dem Vater zu uns bekennen, d.h. bezeugen, dass wir zu Ihm gehören. Wie gewaltig! Stellen wir uns einmal vor, ein Freund von uns würde behaupten, er kenne eine der berühmtesten Menschen unserer Zeit persönlich. Wir würden das wohl kaum ernst nehmen. Aber eines Tages würden wir dieser Prominenz begegnen; wir würden völlig aus dem Häuschen sein. Dann würde diese Berühmtheit zu uns schauen, lächeln, winken und den Namen unseres Freundes rufen, zu ihm hingehen und mit ihm plaudern. Wir wären völlig baff. So – aber unendlich intensiver – wird es einmal sein, wenn der Herr Jesus sich zu uns bekennen wird. Dann wird Er nicht wieder in Demut und in Knechtsgestalt kommen, sondern in Macht und Herrlichkeit. Sein Auftreten wird so gewaltig sein, dass jedes Knie sich beugen und jede Zunge Seine uneingeschränkte Herrschaft anerkennen wird! Seine Erscheinung wird so furchtbar und schrecklich sein, dass sogar Seine ärgsten Feinde ohne jedes Zögern Ihm Gehorsam heucheln werden. Niemand wird auch nur den kleinsten Teil Seiner uneingeschränkten Autorität in Frage stellen. Atheisten werden ihren Unglauben verlieren. Alle Welt wird vor Ihm zittern. Und dann wird Er sagen: Der und der gehört zu mir. Was wird das sein!

Bevor wir uns dem nächsten Vers mit der Kehrseite der Medaille zuwenden, wollen wir noch kurz eine grundsätzliche Sache bedenken, die leider vielen Christen unbekannt ist: Gott rührt keinen Einheitsbrei an und Gott fällt keine Pauschalurteile. Viele Christen behaupten, es gebe nur zwei Sorten Menschen, nämlich Verlorene und Errettete. Das stimmt zwar grundsätzlich, ist aber eine sehr oberflächliche Sichtweise. Man kann diese Ansicht mit einer Strichzeichnung eines Menschen vergleichen: Ein Kreis und fünf Striche. Man erkennt zwar, was diese wenigen Striche darstellen sollen, aber selbstverständlich ist so eine Strichzeichnung nicht einmal annähernd ein realitätsgetreues Abbild eines bestimmten Menschen. So stimmt es einerseits, dass jeder, der seit Pfingsten zum lebendigen Glauben an den Herrn Jesus Christus gekommen ist, die Ewigkeit in Freude und Herrlichkeit zusammen mit Ihm zu teilen, denn es gibt «jetzt keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind» (Röm 8,1). Andererseits wird es aber Unterschiede geben. In diesem Zusammenhang spricht das Wort Gottes unter anderem von Lohn. Auch wenn alles, was wir Belohnenswertes tun können, immer der Gnade Gottes entspringt, gefällt es Ihm doch, uns einst so zu behandeln, als wären wir die Wirkenden gewesen. Er ist ein Belohner (Hebr 11,6); Er liebt es, grosszügig zu sein. Für die Zeit des tausendjährigen Friedensreiches, wenn diese Erde sich unter der uneingeschränkten Herrschaft des Herrn Jesus befinden wird, finden wir zahlreiche Details in der Bibel, wie dieser Lohn aussehen wird. Unter anderem wird davon gesprochen, dass wir über Städte gesetzt werden können (vgl. Lk 19,17–19). Über die Zeitalter danach erfahren wir – ganz allgemein – nur wenig, woraus aber natürlich nicht der Schluss gezogen werden kann, dann werde der von den Christen so viel beschworene Einheitsbrei Realität werden.

Wenn wir über diese Themen nachsinnen, ist es hilfreich, sich auf die (teils feinen) Unterschiede zu konzentrieren, die im Wort Gottes gemacht werden. Wir sind als Gläubige z.B. Kinder Gottes. Als solche sind wir alle gleichberechtigt, da gibt es nicht einmal einen Unterschied zwischen Juden und Heiden, zwischen Männern und Frauen. Was der Gemeinde, dem Leib Christi, als Ganzes zusteht, steht jedem einzelnen Christen im vollen Mass auch persönlich zu. Wir haben an allen himmlischen Segnungen gleichermassen Teil. Dazu gehören auch die Rettung vor der Hölle und der Zutritt zum Himmel, aber noch viel mehr. Wir werden aber an anderen Stellen auch als Jünger bezeichnet. Studieren wir das Wort Gottes genau, stellen wir fest, dass der Kreis der Jünger nicht deckungsgleich mit dem Kreis der Kinder Gottes ist. Auch die treuen Juden in der Zeit vor Pfingsten und die treuen Juden in der Zeit nach der Entrückung gehören beispielsweise zu den Jüngern, sind aber nicht Teil des Leibes Christi. Umgekehrt gibt es Kinder Gottes, die es ihr ganzes Leben lang nicht lernen, Jünger zu sein. Verheissungen an Jünger sind – im Gegensatz zu den Verheissungen an die Kinder Gottes – oft an Bedingungen geknüpft. Sie müssen also erkämpft, verdient werden. Hier haben wir nun so ein Beispiel vor uns: Jeder Jünger, der sich als solcher zu erkennen gibt, sei er Christ oder Jude (der Herr Jesus sprach damals zu Seinen jüdischen Jüngern und damit stellvertretend auch zu den Jüngern des jüdischen Überrestes der kommenden Tage), wird einen bestimmten Lohn empfangen; der Herr Jesus wird Sich vor dem Vater zu ihm bekennen. Das ist Lohn: Eine Gegenleistung für etwas, das man getan hat (vgl. Röm 4,4 und Röm 11,6). Die geistlichen Segnungen für Kinder Gottes sind dagegen Gnade, nicht Lohn; wir empfangen sie unverdient. Diese Unterschiede müssen bei der Bibelauslegung unbedingt beachtet werden.

Vers 33

Wer aber mich vor den Menschen verleugnen wird, den werde auch ich verleugnen vor meinem Vater, der in den Himmeln ist. Mt 10,33

O, wie viele liebe Geschwister im Herrn Jesus haben sich ob dieses Verses schon mit fürchterlichen Gedanken geplagt! Wie nahe liegt der Schluss, dass der Herr Jesus hier sagen würde, man werde letzten Endes doch nicht für die Ewigkeit gerettet, wenn man es einmal versäumt habe, Seinen wunderbaren Namen vor den Menschen zu bekennen! Und wer von uns hat nicht schon einmal feige zurückgezogen und geschwiegen, wo er hätte reden müssen? Aber das ist hier nicht die Aussage! Erinnern wir uns an den vorangegangenen Vers! Dort geht es um Lohn – und die ewige Errettung kann niemals Lohn sein, sondern nur aus Gnade geschenkt werden. Wer dem Herrn Jesus nach seiner Rettung treu dient (was leider nicht auf alle Kinder Gottes zutrifft), der wird dafür einmal belohnt werden. Aber auch die Kehrseite ist wahr: Wer dem Herrn Jesus nicht dient, wer Ihn vor den Menschen verleugnen wird, der hat keinen Lohn zu erwarten – im Gegenteil! Der Herr Jesus wird einen solchen Christ vor dem Vater in den Himmeln verleugnen. Er wird also nicht eine neutrale Haltung, sondern eine negative Haltung einnehmen, wenn es um die Frage des Lohnes gehen wird. Das wird nicht so sein, als ob man in der Tombola leider eine Niete gezogen hätte und leer ausgehen würde (womit man ja meist sowieso rechnet), sondern vielmehr ein echter Verlust. Denken wir nur schon an die grosse Beschämung, die diese Reaktion mit sich bringen wird! Viele Christen denken, dass sie niemals mehr etwas Negatives zu erwarten hätten – egal, wie sie sich verhielten. Darin liegen sie falsch. Natürlich gibt es keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind (Röm 8,1), aber das bedeutet nicht, dass man definitiv mit einem Ergebnis rechnen könnte, das sich zwischen Null/Neutral und Positiv bewegt, denn auch der Apostel Johannes warnt beispielsweise echte Gläubige: «Und nun, Kinder, bleibt in ihm, damit wir, wenn er offenbart werden wird, Freimütigkeit haben und nicht vor ihm beschämt werden bei seiner Ankunft!» (1.Joh 2,28). Es ist also für einen echten Gläubigen möglich, bei der Ankunft des Herrn Jesus beschämt zu werden, um nur einmal eine der zu erwartenden Konsequenzen zu nennen. Ich habe dieses Beispiel bewusst gewählt, weil niemand in Bezug auf die erwähnte Stelle im Johannesbrief behaupten kann, es gehe hier nicht um echte Gläubige.

Mit der Frage der ewigen Errettung, der Gotteskindschaft und der Teilnahme an den kollektiven Segnungen des Leibes Christi hat dies alles aber nichts zu tun. An diesen Segnungen nehmen wir aufgrund der souveränen Auswahl Gottes nach Gnade teil, ohne dass wir daran etwas ändern könnten. Man muss diese beiden Dinge sauber auseinander halten, damit man die entsprechenden Stellen in der Bibel richtig auslegen kann.

Vers 34

Meint nicht, dass ich gekommen sei, Frieden auf die Erde zu bringen; ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Mt 10,34

Nun folgt ein scheinbar abrupter Themenwechsel, der aber gar keiner ist. Bedenken wir, dass sich diese Rede an jüdische Jünger richtete! Diese erwarteten, dass der Messias Jesus nun Sein lange ersehntes Friedensreich aufrichten würde. Damit erwarteten sie natürlich auch, sofort den verheissenen Lohn für ihre Treue erhalten zu können, von dem der Herr Jesus gerade gesprochen hatte. Aber hierin lagen sie falsch. Sie würden nicht direkt in die Herrlichkeit eingeführt werden. Zuerst mussten sie leiden. Der Herr Jesus stand nicht im Begriff, Sein Friedensreich aufzurichten; zuerst sollte das Schwert kommen.

Diese Worte irritieren vielleicht, weil wir überzeugt sind, dass der Herr Jesus bei Seinem ersten (damaligen) Kommen als Retter gekommen sei und dass Er erst bei Seinem zweiten Kommen als Richter erscheinen werde. Das stimmt tatsächlich. Seine Mission war es, die Grundlage für echten, dauernden Frieden zu schaffen. Aber Seine Anwesenheit als Mensch hier auf der Erde war für die Menschen ein Störfaktor. Sie hassten, was Er war. Er war gekommen, um Frieden zu bringen, aber Seine Person störte sie so sehr, dass sie zum Schwert griffen. Es gehörte nicht zu Seiner Mission, das Schwert auf die Erde zu bringen, aber das Schwert war eine unausweichliche Konsequenz Seiner Anwesenheit hier auf der Erde. So sehr hasst der Mensch Gott! Die Jünger mussten, wie wir schon bei der Betrachtung einiger früherer Verse im selben Kapitel gesehen haben, diese Konsequenzen mittragen. Sie konnten nicht die sofortige Einführung des Friedens und des Segens erwarten, sondern sie mussten mit Hass, Feindschaft und Verfolgung rechnen.

Vers 35

Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter; Mt 10,35

Selbstverständlich war es nicht das Ziel bzw. der Zweck des Kommens des Herrn Jesus, Streit in die engsten Familienkreise zu bringen. Im Gegenteil bestand Sein Ziel darin, uns mit Gott zu versöhnen und uns einen Dienst der Versöhnung zu geben (2.Kor 5,18). Aber an Seiner Person scheiden sich die Geister. Viele Menschen würden dies abstreiten und behaupten, sie seien der Person Jesu Christi gegenüber neutral oder vielleicht sogar tendenziell wohlgesonnen eingestellt. Bekehrt sich aber der Ehepartner, der Sohn, die Tochter oder sonst ein Glied aus dem engsten Familienkreis, wird sich schnell zeigen, dass die allgemeine Haltung überhaupt nicht neutral oder gar wohlgesonnen ist. Viele treue Gläubige haben leider entsprechende Erfahrungen machen müssen. Der Herr Jesus lässt uns nicht blind ins Geschoss rennen, sondern Er hat ausdrücklich vor den Konsequenzen gewarnt, mit denen wir rechnen müssen, wenn wir Ihm nachfolgen. Niemand sollte sich vormachen, wenn er sich bekehre, werde sofort alles schlagartig besser. Die jüdischen Jünger sollten nicht die Aufrichtung des messianischen Friedensreiches erwarten. Der Weg zur Herrlichkeit führt durch Leiden. Das muss uns bewusst sein, damit wir die Kosten der Nachfolge seriös überschlagen können.

Vers 36

und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. Mt 10,36

Ein schreckliches Wort! Die eigenen Hausgenossen, jene Menschen, mit denen man sein Leben teilt, die einem näher als sonst jemand stehen, werden die Feinde der Jünger des Herrn Jesus sein. Der Feind wird nicht von weither kommen, sondern im eigenen Haus aufstehen. Das Sprichwort «Blut ist dicker als Wasser», mit dem wir ausdrücken sollen, dass man in der eigenen Familie immer füreinander sorgt und sich im Zweifel stets für die Familienangehörigen und nicht für Fremde entscheiden wird, versagt, wenn es um die Nachfolge des Herrn Jesus geht. Das fällt uns natürlich schwer zu glauben, aber der HERR legt einen Nachdruck auf diesen Punkt. Wir müssen verstehen, dass uns die Nachfolge hier alles kosten kann, dass wir sogar, wenn es hart auf hart kommt, die Beziehung zu unseren eigenen Hausgenossen aufs Spiel setzen werden. Sind wir bereit, für den Sohn Gottes, der uns geliebt uns Sich für uns hingegeben hat, so weit zu gehen?

Vers 37

Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig; Mt 10,37

Wir hätten natürlich gerne «dä Füfer und s’Weggli», das heisst wir würden gerne das Brötchen bekommen und das Geld behalten. Am liebsten wäre es uns, wenn uns die Nachfolge nichts kosten würde. Aber das ist nicht immer möglich. Manchmal müssen wir uns zwischen dem Herrn Jesus und der Familie entscheiden, weil die Familie sich weigert, unseren neuen Wandel zu akzeptieren. Eine solche Entscheidung ist schwer; in einer solchen Situation sind die Kosten der Nachfolge immens hoch. Wer nicht bereit ist, diese Kosten zu tragen, ist des Herrn Jesus nicht würdig. Ein solcher Mensch kann kein Jünger sein. Achtung, hier geht es nicht darum, wer ein Kind Gottes ist oder nicht! Es geht um Jüngerschaft.

Der Apostel Paulus schrieb einmal davon, wie wir von Gott tauglich befunden worden sind, mit dem Evangelium betraut zu werden, so reden wir, nicht um Menschen zu gefallen, sondern Gott, der unsere Herzen prüft» (1.Thess 2,4). Für ihn war es etwas Besonderes, mit dem Evangelium betraut zu werden. Er hatte dafür von Gott für tauglich befunden werden müssen. Den Philippern schrieb er: «Wandelt nur würdig des Evangeliums des Christus!» (Phil 1,27). An einer anderen Stelle heisst es: «Denn infolge der Bewährung dieses Dienstes verherrlichen sie Gott wegen des Gehorsams eures Bekenntnisses zum Evangelium Christi und wegen der Lauterkeit der Gemeinschaft mit ihnen und mit allen» (2.Kor 9,13). Diese beispielhaft ausgewählten Stellen machen deutlich, dass nicht jedes Kind Gottes automatisch ein Jünger des Herrn ist. Diesbezüglich verhält es sich nicht anders als unter den Menschen: Als Kind wird man ohne eigenes Dazutun in eine Familie geboren und man bleibt dann für immer ein Kind dieser Familie; als Arbeiter oder Student wird man dagegen nur zugelassen, wenn man bestimmte Qualifikationen erfüllt, einen Test bestanden hat bzw. etwas vorweisen kann. Ist man einmal angestellt, muss man sich oft während einer Probezeit unter Beweis stellen. Hat man es einmal geschafft, ist die Stelle trotzdem nicht sicher, denn wenn man beginnt, die Arbeit schlecht zu verrichten bzw. schlechte Prüfungen im Studium zu schreiben, kann man auch wieder hinausgeworfen werden. Wir werden aus Gnade durch Glauben in die Familie Gottes geboren. Als Jünger berufen werden wir dagegen, wenn wir dazu tauglich sind und uns bewährt haben. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.

Wir Christen sind oft so arrogant, dass wir (oft mehr oder weniger unbewusst) davon ausgehen, der HERR müsse froh sein, wenn wir uns Ihm zur Verfügung stellten. Das Gegenteil ist der Fall! Der HERR braucht nichts und niemanden. «Auch wird er nicht von Menschenhänden bedient, als wenn er noch etwas nötig hätte, da er selbst allen Leben und Odem und alles gibt» (Apg 17,25). «Ich nehme keinen Stier aus deinem Haus, noch Böcke aus deinen Hürden. Denn mein ist alles Getier des Waldes, das Vieh auf tausend Bergen. Ich kenne alle Vögel der Berge, und was sich tummelt im Feld, ist mir bekannt. Wenn mich hungerte, ich würde es dir nicht sagen; denn mein ist die Welt und ihre Fülle. Sollte ich das Fleisch von Stieren essen und das Blut von Böcken trinken?» (Ps 50,9–13). Wenn Er jemanden in den Dienst beruft, dann tut Er dem Betreffenden einen Gefallen! Es ist eine unermessliche Ehre und ein Privileg für uns, wenn wir dem HERRN dienen dürfen! Das bezieht sich nicht etwa nur auf einen Vollzeitdienst, sondern auf jede Art von Dienst, auf jede Art von Aufgabe, die wir im Auftrag des HERRN ausführen dürfen, und wenn es – bildlich gesprochen – nur darum geht, die Pflöcke des Zeltes der Zusammenkunft durch die Wüste zu tragen, was das besondere Vorrecht (!) der Angehörigen nur einer Familie der Leviten gewesen ist.

Die Tauglichkeit zum Jünger hängt nicht von unseren Fähigkeiten ab, nicht von unserer Kraft und nicht von unserer Intelligenz, sondern vielmehr von unserer Entschiedenheit. Sind wir bereit, uns uneingeschränkt vom HERRN gebrauchen zu lassen? Dann taugen wir zum Dienst. Als der Prophet Elia Elisa zu seinem Nachfolger berief, nahm Elisa all das, was er gerade in der Hand hatte, und gab es uneingeschränkt dem HERRN hin: «Und er … fand Elisa, den Sohn Schafats, der gerade mit zwölf Gespannen vor sich her pflügte. Er selbst aber war bei dem zwölften. Und Elia ging zu ihm hin und warf seinen Mantel über ihn … Da kehrte er sich von ihm ab, nahm das Gespann Rinder und schlachtete sie, und mit dem Geschirr der Rinder briet er ihr Fleisch und gab es den Leuten, und sie assen. Dann machte er sich auf und folgte Elia nach und diente ihm» (1.Kön 19,19–21). Nur wer eine solche Entschiedenheit an den Tag legt, ist würdig, ein Jünger des HERRN zu sein. Wer dagegen, wenn es hart auf hart kommt, seine Familie mehr liebt als den HERRN oder wer nur halbherzig dienen will, taugt nicht als Jünger.

Vers 38

und wer nicht sein Kreuz aufnimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig. Mt 10,38

Unsere Entschiedenheit muss aber noch weiter gehen! Wir müssen, wenn wir dem Herrn Jesus wirklich als Jünger nachfolgen und dienen wollen, bereit sein, alles von uns hinzugeben. Jemand hat einmal treffend gesagt: «Ein halber Christ ist ein ganzer Mist». Ein Kind Gottes kann durchaus – wie einst das Volk Israel – auf beiden Seiten hinken (1.Kön 18,21), d.h. ein wenig dem HERRN nachfolgen und doch noch mit der Welt liebäugeln und weltlichen Vergnügungen nachgehen, aber der Vater in den Himmeln kann ein solches Kind keineswegs mit wichtigen Aufgaben betrauen. der «Playboy» in einer Unternehmerfamilie ist ein Kind des Unternehmers, wird aber nie das Unternehmen leiten dürfen. Die echte Nachfolge fordert Entschiedenheit. «Wisst ihr nicht, dass die, welche in der Rennbahn laufen, zwar alle laufen, aber einer den Preis empfängt? Lauft so, dass ihr ihn erlangt!» (1.Kor 9,24).

Wir würden alle gerne auf einer Sänfte in die himmlische Herrlichkeit getragen werden, aber das ist nicht der christliche Weg. Schon immer hat der Weg der Gläubigen durch Leiden zur Herrlichkeit geführt. «Sie stärkten die Seelen der Jünger und ermahnten sie, im Glauben zu verharren, und sagten, dass wir durch viele Bedrängnisse in das Reich Gottes hineingehen müssen» (Apg 14,22). Davon spricht das Kreuz. Am Kreuz hat unser Heiland und grosses Vorbild Unermessliches gelitten, um gerade dort in den tiefsten Leiden den grössten Sieg zu erringen und die grösste Herrlichkeit hervorstrahlen zu lassen. Das Kreuz spricht aber auch in einer allgemeineren Weise davon, dass jemand mit der Welt abgeschlossen hat. Wer sein Kreuz aufgenommen hat, ist ein Mann des Todes gewesen – für alle erkennbar! Jemand hat einmal beschönigend gesagt, dass man so einen Menschen nicht mehr zum Abendessen eingeladen hat. Wer mit seinem Kreuz unterwegs war, hatte von der Welt nichts mehr zu erwarten, denn sein Tod und damit sein Abschied von der Welt stand unmittelbar bevor. Aber auch die Welt hatte von so einem Menschen nichts mehr zu erwarten. Das Kreuz trennt uns von der Welt und die Welt von uns, wie es in Gal 6,14 heisst: «Mir aber sei es fern, mich zu rühmen als nur des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt». Sind wir bereit, mit allem abzuschliessen, dem HERRN alles hinzugeben, bis hin zu unserem Leben? Wenn nicht, sind wir Seiner nicht würdig. Wir werden nie jene Aufgaben übernehmen dürfen, die Er für uns vorgesehen hat.

Vers 39

Wer sein Leben findet, wird es verlieren, und wer sein Leben verliert um meinetwillen, wird es finden. Mt 10,39

Dieser Vers ist für sich allein kaum zu verstehen, aber seine Bedeutung ist offenkundig, wenn wir die vorangehenden Verse dazunehmen. Der Kontext ist wichtig! Der Herr Jesus hat von Schwierigkeiten gesprochen, die uns auf dem Weg der Nachfolge begegnen werden. Er hat davon gesprochen, dass wir vor schwere Entscheidungen gestellt werden können, dass es sogar heissen kann: «Entweder die Familie oder der Herr Jesus!», dass wir bis zum Äussersten geprüft werden können und dass wir die Bereitschaft haben sollen, alles von uns dem HERRN hinzugeben. Und genau an diesen letzten Punkt knüpft der vor uns liegende Vers an: Wer sein Leben retten will und deshalb zurückzieht, wird es letztlich verlieren; aber wer bereit ist, sein Leben hinzugeben, der wird es letztlich retten.

Ein wenig Sprachkenntnis oder eine gute Software, die es uns erlaubt, etwas über die im Originaltext verwendeten Ausdrücke zu erfahren, liefert uns einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn. Das Wort, das hier mit «Leben» übersetzt wird, ist «Psyche», worunter wir für gewöhnlich die Seele eines Menschen verstehen. Das griechische Wort bezeichnet aber beides, was eigentlich gar nicht so überraschend ist, denn der Mensch ist eine lebendige Seele, was bedeutet, dass unsere Seele unser Wesen, unsere Persönlichkeit ausmacht und dass das Leben für uns das ist, was wir unserer Seele geben können. Der Prediger beschreibt die höchste Form der Glückseligkeit eines Menschen ohne Gott als Essen, Trinken und Fröhlichsein, kurz als eine möglichst umfassende Befriedigung der Bedürfnisse unserer Seele. Im Hebräischen verhält es sich übrigens genau gleich wie im Griechischen: Das Wort «Nephesch» bezeichnet sowohl die Seele als auch das Leben.

Was können wir daraus lernen? Es geht im vor uns liegenden Vers nicht allein darum, ob jemand im äussersten Fall bereit ist, als ein Märtyrer zu sterben, sondern um viel mehr. Wir denken vielleicht, das Leben als Märtyrer hinzugeben, sei das Grösste, aber bedenken wir, dass dies oft nur eine sehr kurze Zeit der Angst und Qual bedeutet und uns dafür sofort den Zugang in die himmlische Herrlichkeit eröffnet. Ein Märtyrertod ist in den Augen Gottes überhaupt nicht das Grösste. Im schlimmsten Fall kann er sogar wertlos sein: «Und wenn ich meinen Leib hingebe, damit ich Ruhm gewinne, aber keine Liebe habe, so nützt es mir nichts» (1.Kor 13,3). Worum es im vor uns liegenden Vers eigentlich geht, ist die Bereitschaft, tagtäglich dem Willen des HERRN und damit auch den Bedürfnissen der Nächsten den Vorrang vor dem zu geben, was unsere Seele, unser Leben für sich selbst will. Wie bereits erwähnt geht es um Hingabe und Entschiedenheit.

Ein kleines Beispiel mag das vielleicht etwas veranschaulichen: Wir Ehemänner sind aufgerufen, die Bereitschaft zu haben, unser Leben für unsere Frauen hinzugeben (Eph 5,25). Was ist nun von einem Ehemann zu halten, der seine Frau zeitlebens lieblos behandelt und sich dann bei einem Raubüberfall schützend vor sie stellt, was ihn das Leben kostet? Macht diese eine (sehr lobenswerte!) Tat die jahrzehntelange lieblose Behandlung wett? Kann die Frau anschliessend wirklich von Herzen sagen, dass ihr Mann sie über alles geliebt habe? Die Hingabe des Ehemannes für seine Ehefrau soll sich eben nicht nur in einem einzigen Moment (der wohl in aller Regel nie kommen wird) zeigen, sondern im Alltag. Vielleicht ist dem Ehemann bewusst, dass seine Frau es hasst, den Geschirrspüler auszuräumen. Obwohl sie für den Haushalt verantwortlich ist und er einer vollzeitigen Erwerbstätigkeit nachgeht und abends müde nach Hause kommt, räumt er seiner Frau zuliebe jeweils noch kurz den Geschirrspüler aus. Kürzlich hat mir eine Frau, deren Mann vor einiger Zeit gestorben ist, genau das als ein Beispiel dafür genannt, dass ihr Mann sie geliebt habe. Wir vernachlässigen so oft die vermeintlich kleinen Dinge, aber dabei wären genau diese kleinen Taten zusammengenommen der grösste Beweis unserer Liebe und Hingabe.

Auch gegenüber dem HERRN verhält es sich ähnlich. Vielleicht dürfen wir etwas «Grosses» für den HERRN tun, ein ganzes Evangelium kommentieren 😉 oder noch mehr. Aber wenn wir einmal vor dem HERRN stehen und uns für unser Leben verantworten werden, werden diese Dinge nicht allzu viel Raum einnehmen. Das Gespräch wird sich mehr darauf konzentrieren, wie wir uns im Alltag verhalten haben, wie oft wir unsere eigenen Bedürfnisse zurückgestellt haben, um uns dem HERRN und unseren Nächsten zur Verfügung zu stellen, wie oft wir vielleicht auch darum gerungen haben, eine Vergebungsbereitschaft für eine Person zu entwickeln, die uns sehr verletzt hat, wie sehr wir dafür gekämpft haben, dem HERRN wesensmässig ähnlicher zu werden und ähnliches mehr. Wir sagen manchmal, dass auch Kleinvieh Mist mache, womit wir ausdrücken wollen, dass sich auch kleine Dinge zu etwas Grossem summieren können. Das ist wahr. Am Ende unseres Lebens wird die Summe aller kleinen Dinge in den allermeisten Fällen schwerer als die einzelnen grossen Taten wiegen.

Vers 40

Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat. Mt 10,40

Die abschliessenden Worte des Herrn Jesus zum Thema Lohn zeigen, dass die vermeintlich kleinen Dinge mehr Gewicht als grosse Heldentaten haben können. Hier geht es nun um Dinge, denen wir vielleicht nicht einmal eine besondere Bedeutung zumessen würden, wie etwa ein Glas Wasser, das wir einem durstigen Menschen reichen. Gerade diese kleinen Gesten, diese Selbstverständlichkeiten zeigen aber, was für eine Herzenshaltung wir haben. Nimmt jemand einen Jünger des Herrn Jesus Christus auf, zeigt er damit eine Aufgeschlossenheit gegenüber Ihm. Wer nichts vom HERRN wissen will, wird einen Christ nicht bereitwillig zu Besuch empfangen. Wer dagegen einem Christ Gastfreundschaft erweist, erweist diese letztlich gegenüber dem HERRN selbst.

Wir werden in einem späteren Kapitel, im Rahmen der sogenannten Endzeitrede des Herrn Jesus, noch sehen, dass sich dieser Grundsatz in einer bald kommenden Zeit extrem zuspitzen wird. In der Grossen Drangsal wird so etwas Kleines wie Freundlichkeit gegenüber den Jüngern des Herrn Jesus einen unglaublich hohen Wert haben, weil jede Geste der Freundlichkeit mit unmittelbarer Todesgefahr einhergehen wird. Deshalb wird diesen kleinen Handreichungen in jener Zeit eine besondere Bedeutung zugemessen werden. Aber die hier vor uns liegenden Verse machen deutlich, dass der Grundsatz eigentlich zu allen Zeiten besteht.

Vers 41

Wer einen Propheten aufnimmt in eines Propheten Namen, wird eines Propheten Lohn empfangen; und wer einen Gerechten aufnimmt in eines Gerechten Namen, wird eines Gerechten Lohn empfangen. Mt 10,41

Nicht jeder Christ ist zu grossen Dingen berufen. Nicht jeder Christ ist ein Prophet, d.h. mit der Gabe der Weissagung ausgestattet. Kommen jene, die keine grossen Aufgaben übernehmen können, zu kurz? Nein! Es ist eben gerade nicht so, dass Einzelpersonen im Leib Christi eine ganz besondere Bedeutung hätten. Jemand hat einmal treffend gesagt, dass es so etwas wie «grosse Männer Gottes» gar nicht gibt – nur einen grossen Gott, der mit schwachen Menschen handelt. Vielleicht mag jemand denken, dieser oder jener bekannte Prediger sei etwas Aussergewöhnliches. In Tat und Wahrheit ist dieser Prediger aber nur so etwas wie die Spitze des Eisberges: Von einem Eisberg sieht man nur die Spitze über dem Wasser, die aber immer nur einen Bruchteil des gesamten Eisberges ausmacht, denn fünf Sechstel bis sieben Achtel des Eisberges sind stets im Wasser verborgen. Selbst der bekannteste Prediger ist «nur» ein Glied am Leib Christi, sein Dienst ein Produkt des verborgenen Zusammenwirkens unzähliger Geschwister. Würde kein einziger Christ für den Dienst beten, würde sich niemand mehr um das ganze «Drum und Dran» kümmern, käme der Predigtdienst (wenn er wirklich geistgewirkt ist) praktisch sofort zum Erliegen.

Niemand muss also denken, er oder sie komme zu kurz. Wer kein Prophet sein kann, kann einem Propheten zudienen, im Gebet für ihn einstehen, ihn bewirten, für die administrativen Dinge sorgen oder ähnliches. Am Ende wird sich zeigen, dass der Dienst des Propheten (hier einfach als Beispiel erwähnt) nicht die Leistung eines aussergewöhnlichen Menschen, sondern ein Gemeinschaftsprojekt unter der Federführung des Heiligen Geistes gewesen ist. Der HERR wird nicht den Propheten allein, sondern die ganze Mannschaft, die zusammengearbeitet hat, belohnen.

Ja, der HERR wird sogar jene nicht zum Leib Christi gehörenden Menschen belohnen, die einen Gläubigen («Gerechten») aufnehmen! Das ist der Punkt, den wir bereits bei der Betrachtung des vorangegangenen Verses ansgesprochen haben. Es ist tröstend, aber zugleich auch ernst zu sehen, dass der HERR den blossen «Sympathisanten» Rechnung trägt – tröstend, weil es zeigt, dass selbst die kleinste Handreichung Seinem gnädigen Blick nicht entgeht, aber ernst, weil es zeigt, dass ein Sympathisant kein «Gerechter» ist. Ein «Gerechter» in den Augen Gottes kann nur sein, wer sein Vertrauen voll und ganz auf das Sühnungswerk setzt, das der Herr Jesus Christus am Kreuz auf Golgatha vollbracht hat. Nur wer den Schritt des Glaubens auch wirklich tut, kann in die himmlische Herrlichkeit eingehen. Man muss bildlich gesprochen das angebotene Glas Wasser in die Hand nehmen, an den Mund setzen und austrinken. Wer dagegen nur mit dem christlichen Glauben sympathisiert, wer also verstandesmässig zustimmt, dass ein Glas Wasser etwas Gutes ist, aber nicht davon trinkt, der gehört nicht dazu. Denken wir einmal an Mose! Mose hätte in seiner privilegierten Position als vermeintlicher Enkel des Pharaos mit der Sache der Israeliten sympathisieren und sich für die Israeliten einsetzen können. Das wäre zweifellos eine gute Sache gewesen, aber kein Glaube im biblischen Sinn. Nein, Mose musste seine Position verlassen und sich auf die Seite der Israeliten stellen, einer von ihnen sein. Es gibt Menschen, die behandeln Christen freundlich, weil sie mit den Christen sympathisieren. Aber diese Menschen sind keine Christen. Das sind einfach zwei Paar Schuhe. Gerade in der heutigen Zeit ist es wichtig, diesbezüglich klar zu unterscheiden.

Vers 42

Und wenn jemand einem dieser Geringen nur einen Becher kalten Wassers zu trinken gibt in eines Jüngers Namen, wahrlich, ich sage euch, er wird seinen Lohn gewiss nicht verlieren. Mt 10,42

Den Augen des HERRN entgeht nichts. Vor Seinem Thron wird einmal sogar ein Becher kalten Wassers zur Sprache kommen, das einem «Geringen» gereicht worden ist. Eine kleine Geste kann Ewigkeitswert haben! Wie oft trotten wir durch den grauen Alltag, wie oft reiht sich ein Tag an den andern, ohne dass etwas Aussergewöhnliches passiert! Wer hat sich nicht schon gefragt, was all diese Tage sollen, die in der Erinnerung zu einem einzigen Tag mit der immer selben Routine verschwimmen? Im Buch Prediger wird diese Erfahrung, die alle Menschen machen, treffend auf den Punkt gebracht. Da ist die Rede vom Wasser, das sich im immer selben Kreislauf von Verdunstung und Regen bewegt, vom Kreislauf des Windes etc. – alles scheint sich fortwährend im Kreis zu drehen, ohne jeden Fortschritt. Aber so denken wir nur, wenn wir Gott nicht einbeziehen, wenn wir keine Ewigkeitsperspektive einnehmen. Wenn wir aber den Blick auf Gott richten, ändert sich alles.

Auch in Gottes Handeln gibt es viele sich wiederholende Aspekte. Der Thron, den Hesekiel in seiner Vision gesehen hat, hat Räder, die von Kreisläufen sprechen (Hes 1); die Kreisläufe der Natur haben eine geistliche Bedeutung. Aber der Thron bleibt nicht stehen, sondern bewegt sich, jedoch immer nur vorwärts, nie zurück. Alles, wirklich alles, was der HERR tut, bildet einen Baustein zu Seiner eigenen Verherrlichung, zur Erfüllung Seines göttlichen Ratschlusses. Einmal werden wir alles richtig sehen und verstehen, dass Sein Ratschluss sich in Milliarden von kleinen Ereignissen Schritt für Schritt unaufhaltsam erfüllt hat. Dann werden wir verstehen, dass die kleinen Dinge unseres grauen Alltages wichtig sind und eine Bedeutung haben. Aber noch besser wäre es, wenn wir das bereits jetzt verstehen würden.

Vielleicht beginnt für Dich heute – wie für mich – ein ganz gewöhnlicher Werktag. Zum tausendsten Mal begibst Du Dich an Deinen Arbeitsplatz, um zum tausendsten Mal die immer selbe Arbeit zu verrichten. Dein Tagesplan sieht nichts Besonderes vor, da gibt es nichts, auf das Du Dich heute besonders freuen könntest. Du wirst wieder arbeiten und dann nach Hause gehen, noch einige Dinge erledigen und Dich dann schlafen legen – wie schon tausendmal davor. Doch denk bitte nicht so über diesen heutigen Tag! Wenn Du ein Kind Gottes bist, dann begibst Du Dich heute auf eine neue Strecke Deines Weges an der Hand des Himmlischen Vaters! Heute wirst Du eine Strecke zurücklegen, die Du noch nie gegangen bist und die Du nie wieder gehen wirst, die aber einen wichtigen Teil Deines Weges als Pilger auf dieser Erde bildet. Heute ist alles möglich! Vielleicht siehst Du auf dem Arbeitsweg jemanden, der eine Panne hat. Du wirst ihm helfen und ihm das Evangelium predigen. Vielleicht vertraut sich Dir heute ein Arbeitskollege an, schildert Dir seine Not und bittet Dich, ihm zu helfen. Vielleicht erhältst Du heute eine überraschende, schöne Nachricht, vielleicht wird ein wichtiges Projekt abgeschlossen. Vielleicht erscheint Dein Herr, um Dich zu Sich zu nehmen. Nicht nur vielleicht, sondern ganz sicher wirst Du rückblickend einmal verstehen, dass der heutige Tag nicht belanglos gewesen ist, sondern eine wichtige Rolle im Ratschluss Gottes gespielt hat.

Nimm Dir doch ein Beispiel an der Sonne! Aus unserer irdischen Sicht geht sie Tag für Tag im Osten auf und im Westen wieder unter, immer dasselbe Spiel. Auch die modernsten Wissenschaftler sprechen übrigens vom Sonnenaufgang und vom Sonnenuntergang, weil das einfach die Weise ist, wie wir es wahrnehmen. In Wahrheit führt die Sonne noch ein viel langweiligeres Leben, denn sie bleibt beständig an ihrem Ort und schaut zu, wie sich die Erde unaufhaltsam in der immer selben Bahn um sie kreist. Aber wie beschreibt die Bibel das Leben, das die Sonne führt? Finden wir eine Aussage darüber, wie sich die Sonne mühsam und gelangweilt im Osten aufmacht, um sich über den Süden bis zum Westen zu schleppen und einen tristen Tag mehr auf ihrer Liste abzuhaken? Nein! «Und sie, wie ein Bräutigam aus seinem Gemach tritt sie hervor; sie freut sich wie ein Held, die Bahn zu durchlaufen. Am einen Ende des Himmels ist ihr Aufgang und ihr Umlauf bis zum anderen Ende, und nichts ist vor ihrer Glut verborgen» (Ps 19,6.7). Wie ein Held, wie ein Bräutigam! Der Bräutigam macht sich nur ein einziges Mal in seinem ganzen Leben auf, um als Bräutigam aus seinem Gemach zu treten; es gibt nur einen Hochzeitstag in seinem Leben! Die Sonne tritt ihren Lauf jeden einzelnen Tag so an, als wäre es ihr Hochzeitstag, als wäre sie ein Held, der sich aufmacht, um eine wichtige Schlacht zu schlagen! Wieso? Weil sie weiss, dass sie an diesem Tag, an jedem Tag die Herrlichkeit Gottes verkündigen darf! «Der Himmel erzählt die Herrlichkeit Gottes, und das Himmelsgewölbe verkündet seiner Hände Werk. Ein Tag sprudelt dem anderen Kunde zu, und eine Nacht meldet der anderen Kenntnis – ohne Rede und ohne Worte, mit unhörbarer Stimme» (Ps 19,2–4). Und genau dasselbe Privileg haben Du und ich heute!

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