Matthäus 17
Vers 1
Und nach sechs Tagen nimmt Jesus den Petrus und Jakobus und Johannes, seinen Bruder, mit und führt sie abseits auf einen hohen Berg. Mt 17,1
Schon wenige Tage, nachdem der Herr Jesus Seinen Jüngern angekündigt hatte, dass einige von ihnen Seine künftige Herrlichkeit sehen sollten, nahm Er drei ausgewählte Jünger mit sich auf einen hohen Berg, um ihnen genau das zu zeigen, wovon Er gesprochen hatte. Die Zahl Drei weist auf ein vollkommenes Zeugnis hin. Zwei Zeugen waren in einem Gerichtsprozess ausreichend, aber drei Zeugen waren besser (vgl. 5.Mose 19,15). Der Teufel setzte kurze Zeit später alles daran, dieses besondere Zeugnis, mit dem wir uns in den kommenden Tagen beschäftigen dürfen, zu zerstören. Oder war es etwa Zufall, dass Herodes als Erstes Jakobus töten liess (Apg 12,2) und sich gleich danach aufmachte, Petrus als Zweiten zu töten (Apg 12,3)? Wäre ihm dies gelungen, wäre nur noch ein Zeuge der zukünftigen Herrlichkeit Jesu Christi übrig geblieben, was ein ungenügendes Zeugnis gewesen wäre. Doch Gott sei Dank! Zwei Zeugen blieben bis zum Schluss respektive lange genug, um ihr Zeugnis öffentlich abzulegen!
Man mag sich fragen, weshalb der Herr Jesus nicht alle zwölf Jünger mit Sich genommen habe. Offenbar waren nicht alle, sondern nur diese drei (Petrus, Johannes und Jakobus) geeignet für das, was sie auf dem hohen Berg erleben sollten. Nur diese drei Jünger hatten den Herrn Jesus auch bei der Auferweckung des jungen Mädchens begleiten dürfen (Mk 5,37) und nur diese drei Jünger durften Ihm später in Gethsemane besonders nahe sein (Mk 14,33). Hatte der Herr Jesus diese drei Jünger etwa lieber als die anderen? In einer gewissen Weise: Ja!
Das mag für die meisten Christen falsch klingen, denn in der Christenheit wird immer wieder behauptet, dass Gott alle Menschen gleichermassen liebe und dass insbesondere alle Christen genau dieselbe Stellung vor Gott haben und alle genau gleich geliebt sind. Das ist wohl wahr, wenn wir die Sache allein aus der Sicht Gottes betrachten, denn Gott ist Liebe (1.Joh 4,8) und Er kann deshalb gewissermassen gar nicht anders, als ohne jede Einschränkung zu lieben. Bloss ist Liebe keine einseitige Sache. Die Qualität einer Liebesbeziehung ist von der Hingabe beider Seiten abhängig. Ein Mensch, der die Liebe Gottes sein Leben lang von sich weist und ablehnt, wird in der Hölle, im Feuersee landen, wo er für alle Ewigkeit schreckliche Qualen erleiden wird, ohne auch nur einen kühlenden Tropfen der Zuwendung Gottes zu erfahren. Wir können uns gar nicht ausmalen, wie schrecklich das sein muss! Die uneingeschränkte Liebe Gottes, die diesem Menschen gegolten hat, wird ihm nichts nützen, denn er hat Gott nicht geliebt.
Wenn ein Mensch zum lebendigen Glauben an den Herrn Jesus kommt und das neue, ewige Leben empfängt, tritt er gewissermassen in eine Ehebeziehung zum HERRN. Zwar wird nur die Christenheit als Ganzes als die Braut des Herrn Jesus bezeichnet, aber von der Art der Beziehung her kann man das in einer gewissen Weise auch auf den Einzelnen übertragen. Aber so, wie verschiedene menschliche Ehen unterschiedliche Qualitäten aufweisen, so, wie es von exzellenten Ehen bis hin zu Katastrophen-Ehen alle möglichen Facetten zwischen zwei Menschen gibt, so gibt es auch unterschiedlich gute Beziehungen zwischen Christen und dem HERRN. Viele Christen führen leider eine etwas distanzierte, abgekühlte Beziehung. Ihnen kann Sich der HERR nicht so zuwenden, wie Er es eigentlich möchte. Andere Christen brennen für den HERRN, verlangen nach Ihm und erfahren entsprechend mehr Zuwendung, weil der Segensstrom nicht gehemmt wird, sondern frei fliessen kann.
Die zwölf Jünger des Herrn Jesus zeigen uns etwas davon. Da gab es Judas Iskariot, den der Herr Jesus mehrfach Seinen Freund genannt hat, dem Er den Ehrenplatz beim letzten Passah eingeräumt hat, der das alles aber für nichts geachtet hat, weil er das Geld mehr als den Herrn Jesus geliebt hat. Dann gab es acht weitere Jünger, die zwar eine echte, aber keine aussergewöhnlich gute Beziehung zum Herrn Jesus hatten. Drei Jünger standen dem Herrn Jesus dagegen besonders nahe und von diesen dreien war einem ganz besonders bewusst, wie sehr der Herr Jesus ihn liebte, nämlich Johannes. In seinem Evangelium vermeidet er es, seinen Namen zu nennen. Er spricht von sich immer als von dem Jünger, den Jesus liebte. Das zeigt, wie sehr er sich der Liebe des Herrn Jesus bewusst war und wie sehr er diese Liebe genossen hat. Hier haben wir quasi ein Bild einer besonders schönen Beziehung! Die anderen Jünger waren in unterschiedlichen Graden mehr verschlossen, was eine entsprechend abgestufte Distanziertheit der Beziehung zum HERRN zur Folge hatte. Den meisten von ihnen konnte der Herr Jesus nicht Seine künftige Herrlichkeit zeigen; sie blieben unten und in ihren Problemen, während die drei Zeugen einen Höhepunkt erleben durften, der sie bis zu ihrem Lebensende geprägt hat.
Wenn Du ein echter Christ im Sinne des Wortes Gottes bist, dann kann ich Dir versichern, dass Du uneingeschränkt, unendlich geliebt bist. Der HERR möchte Sich Dir mit Seiner ganzen Liebe zuwenden und eine Beziehung mit Dir führen, von der Du sagen wirst: «Ja, ich bin geliebt!» – Allerdings hängt es ganz von Dir ab, bis zu welchem Grad Du das zulassen willst. Im Buch der Sprüche heisst es, dass die Furcht des HERRN der Anfang der Erkenntnis (Intimität) ist und dass die Furcht des HERRN darin besteht, das Böse zu hassen (Spr 1,7 und Spr 8,13). Das ist die Grundvoraussetzung, aber nicht der Kern der Beziehung, die ein Christ zum HERRN haben sollte. Es ist quasi die Tür, durch die man einen Raum betritt, aber nicht der Raum selbst. Der Raum selbst ist nicht geprägt von Furcht, sondern von Liebe (vgl. etwa Röm 8,15; 2.Tim 1,7; 1.Joh 4,18). Wie viel Du von dieser Liebe geniessen kannst, hängt ganz von Dir ab. Du musst den Raum betreten und Du musst den Raum erkunden, wie einst Abraham das Land Kanaan! Du musst es zulassen, dass der HERR Dich mit so viel Liebe beschenken kann, wie es nur möglich ist! Seine Liebe ist unendlich, aber das Mass, das effektiv bei Dir ankommt, hängt davon ab, wie viel Platz Du dafür einräumst.
Vers 2
Und er wurde vor ihnen umgestaltet. Und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, seine Kleider aber wurden weiss wie das Licht; Mt 17,2
Die drei Jünger befanden sich nun allein mit dem Herrn Jesus auf einem hohen Berg, den Petrus in seinem zweiten Brief viele Jahre später (noch immer unter dem Eindruck dessen, was er dort gesehen hatte) als einen heiligen Berg bezeichnete. Dieser Standort hat durchaus eine übertragene Bedeutung, denn manchmal muss der HERR uns quasi auf eine erhöhte Position heben, damit wir klar sehen können. Im Tal oder in der Wüste sehen wir nicht so klar wie von einem Berg aus. Diese drei Jünger durften hier also gewissermassen himmlischen, heiligen Boden betreten, um eine ganz besondere Offenbarung zu empfangen.
Vor den Augen der Jünger wurde nun der Herr Jesus umgestaltet: Sie kannten Ihn in Seiner Knechtsgestalt, die keine besondere Anziehungskraft auf Menschen ausübte (vgl. Jes 53,2.3), aber nun sahen sie Ihn leuchten wie die Sonne, in Kleidern, weiss wie das Licht. Hier durften sie etwas von Seinem wirklichen Wesen, etwas von Seiner zukünftigen Herrlichkeit sehen. Hier zeigte Er Sich, wie Er wirklich ist. Diese Jünger durften also damals bereits sehen, was alle anderen Menschen erst in der Zukunft einmal sehen werden: Dieser Jesus, den man belächelt und verspottet, wird Sich so zeigen, dass jedes Knie sich vor Ihm beugen und jede Zunge bekennen wird, dass Er der HERR ist (Phil 2,10.11).
Der knappe Bericht von Matthäus enthält nur eine Andeutung davon, wie gewaltig diese Offenbarung gewesen sein muss. Einen etwas tieferen Eindruck verleiht uns ein vergleichbarer Bericht von Johannes in Offb 1. Johannes war ja jener Jünger, der sich der Liebe des Herrn Jesus ganz besonders bewusst war. Er hatte wiederholt an der Brust Jesu gelegen und eine sehr innige Beziehung zu Ihm gepflegt. Aber als alter Mann in der Verbannung sah er den Herrn Jesus noch einmal in dieser Seiner zukünftigen Herrlichkeit. Das wird in Offb 1 ganz detailliert beschrieben. Die Erscheinung war so gewaltig, dass Johannes, der so oft an der Brust Jesu gelegen hatte, schrieb: «Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füssen wie tot» (Offb 1,17). Wir können uns gar nicht vorstellen, wie gewaltig und wie herrlich der Herr Jesus wirklich ist!
Vers 3
und siehe, Mose und Elia erschienen ihnen und unterredeten sich mit ihm. Mt 17,3
Der Herr Jesus hatte den Jüngern angekündigt, dass sie die Herrlichkeit sehen würden, mit der Er in Seinem Reich kommen werde. Hier haben wir nun den eindeutigen Bezug zum zukünftigen Tausendjährigen Reich vor uns, denn ausgerechnet Mose und Elia erschienen, um sich mit dem Herrn Jesus zu unterreden. Mose und Elia sind die zwei Säulen der Juden, wenn man das so sagen kann. «Zufällig» sind es auch gerade diese zwei Männer, von denen man die Grabstätte nicht weiss, denn Mose wurde vom HERRN selbst begraben und Elia wurde entrückt, weshalb es für ihn überhaupt kein Grab gibt. Hier sehen wir sie nun viele Jahrhunderte nach ihrem Weggang lebendig und in der direkten Gegenwart des Herrn Jesus. Sie haben es «geschafft»; sie haben teil an der Herrlichkeit des zukünftigen Friedensreiches. Das ist besonders tröstlich in Bezug auf Mose, denn ihm war ja der Zutritt zum verheissenen Land verweigert worden. Aber er wird es betreten! Auch alle anderen alttestamentlichen Gläubigen werden an der Herrlichkeit jenes Reiches teilhaben.
Was haben diese drei Männer besprochen? Darüber berichtet Lukas: «Diese erschienen in Herrlichkeit und besprachen seinen Ausgang, den er in Jerusalem erfüllen sollte» (Lk 9,31). Das Gespräch war also nicht geprägt von Vorfreude auf die kommende Herrlichkeit, sondern vielmehr von der Trübsal und den Leiden, die dem Herrn Jesus zuerst noch bevorstanden. Es könnte keine zukünftige Herrlichkeit geben, weder für Mose und Elia noch für irgendjemand sonst, wenn der Herr Jesus nicht den Preis dafür am Kreuz auf Golgatha bezahlt hätte. Deshalb musste der Herr Jesus nun Seinen Weg nach Jerusalem antreten und dort den Ratschluss Gottes erfüllen. Ohne das Kreuz hätte es dort auf dem Berg der Verklärung gar nichts zu besprechen gegeben.
Vers 4
Petrus aber begann und sprach zu Jesus: Herr, es ist gut, dass wir hier sind. Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten machen, dir eine und Mose eine und Elia eine. Mt 17,4
Die drei Jünger des Herrn Jesus mussten völlig überwältigt von dem gewesen sein, was sie sahen. Wir wissen, dass Petrus viele Jahre später, kurz vor seinem Tod die Szene auf diesem Berg noch deutlich vor Augen hatte (vgl. 2.Petr 1). Es wäre passend gewesen, wenn die Jünger diese Offenbarung in stiller Anbetung genossen hätten. Aber das menschliche Herz ist kaum je dazu in der Lage, Gott Gott sein zu lassen, still aus Seiner Hand zu empfangen und anzubeten. Es liegt uns nicht, Ihn alles und uns nichts sein zu lassen! Wir wollen auch etwas sein, auch etwas haben und auch etwas tun. Wieder einmal war es damals Petrus, der als Erster den Mund öffnete. Seinem Wesen entsprechend wollte er sofort aktiv werden. Er hatte gewiss Gutes im Sinn, aber doch müssen wir mit Bedauern feststellen, dass er eine der herrlichsten Szenen überhaupt nicht verbessert, sondern vielmehr gestört hat. Darin liegt eine ernste Warnung für uns. Wenn der HERR beginnt zu handeln, sollten wir uns dreimal überlegen, ob wir wirklich auch gleich (wie es unserer Natur entspricht) aktiv werden und mitmischen sollen. Die Gefahr, dem HERRN dazwischen zu funken, ist oft grösser als die Chance, genau das Richtige zu tun.
Damit will ich keinesfalls zu einer fatalistischen Passivität aufrufen! Es gefällt dem HERRN, uns in die Verwirklichung Seiner Pläne mit einzubeziehen, uns im richtigen Moment die richtigen Hebel in Bewegung setzen zu lassen. Aber nur Er hat den vollen Überblick. Wenn wir im richtigen Moment das Richtige tun wollen, müssen wir Ihn fragen und nicht nach eigenem Gutdünken handeln. Das ist der entscheidende Punkt.
Petrus sah drei grosse Männer vor sich, ja wohl die drei grössten Männer überhaupt für einen messianischen Juden. Natürlich wollte Er alle gleich gut behandeln, allen dreien einen Dienst erweisen. Er verstand (trotz der Offenbarung, die er kurz davor erhalten hatte; vgl. Mt 16) nicht, dass der Herr Jesus Christus sowohl Mose als auch Elia um Welten überragte. Sein Urteil war falsch und sein Angebot verzerrte das Bild der Herrlichkeit, das er in stiller Anbetung hätte geniessen sollen.
Vers 5
Während er noch redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke, und siehe, eine Stimme kam aus der Wolke, welche sprach: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe. Ihn hört! Mt 17,5
Noch während Petrus seine Aussage beenden konnte, mit der er den Herrn Jesus gewissermassen auf eine Stufe mit Mose und Elia stellte, wurde er vom Vater in den Himmeln unterbrochen. Eine lichte Wolke (bei der es sich wohl um die Schechina gehandelt haben dürfte, die die Stiftshütte sowie den ersten Tempel erfüllt hatte) überschattete die gesamte Szene und eine Stimme aus der Wolke stellte die Sache richtig: Nur Jesus Christus ist der geliebte Sohn des Vaters! Hätte Petrus das nicht bestens wissen müssen? Er selbst hatte das doch kurz davor bezeugt!
Natürlich gibt es viele Frauen und Männer, an denen der HERR Wohlgefallen gefunden hat; viele, die Er als Seine Töchter und Söhne aufgenommen hat. Aber Jesus Christus ist und bleibt einzigartig! Es gibt nichts im Universum, das der Vater in den Himmeln so sehr lieben würde, an dem Er eine solche Wonne hätte, wie an Seinem eingeborenen Sohn. Die Liebe zwischen dem Vater und dem Sohn ist die tiefste und reinste Liebe, die es gibt. Etwas davon ist im ewigen Wort Gottes offenbart. Durch den Heiligen Geist dürfen wir diese unvergleichliche Liebe studieren, bewundern und anbeten. Wir dürfen aber auch daran teilhaben, denn Gott will uns in diese Liebesbeziehung mit einbeziehen. Besonders kostbar ist es in Seinen Augen, wenn wir in unserem Wesen und Verhalten etwas vom Herrn Jesus widerspiegeln, weil Er dann in uns etwas von Jenem sehen kann, den Er mehr als alles liebt. Das bedeutet nicht, dass wir unseren Charakter aufgeben oder verleugnen müssten, denn jeder von uns hat das besondere Vorrecht, die Herrlichkeit Christi in einer einzigartigen Weise zu widerspiegeln. Wenn mein eigenes Wesen die Wesensart Christi nicht verdeckt, sondern auf meine ganz eigene Weise hervorstrahlen lässt und unterstreicht, dann lebe ich gemäss meiner Bestimmung. Das ist im Grunde der Kern des Christenlebens.
Vers 6
Und als die Jünger es hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und fürchteten sich sehr. Mt 17,6
Man kann den HERRN noch so gut kennen und noch so vertraut mit Ihm sein, wenn Er Sich in Seiner Herrlichkeit zeigt, fürchtet sich jeder, denn auch unser HERR ist ein verzehrendes Feuer (Hebr 12,29). Er ist nun einmal absolut heilig, absolut gerecht und so voll reinster Liebe, dass unsere verdorbene Natur es nicht ertragen kann. Es ist ähnlich wie mit der Sonne: Solange wir nur einen verschwindend geringen Bruchteil ihrer Energie empfangen, weil wir so weit von ihr entfernt leben, geniessen wir die Wärme und das Licht. Nähern wir uns der Sonne, sieht es aber völlig anders aus. Sie wird uns verzehren und verdampfen lassen, weil wir nicht passend für ihre Gegenwart sind. Ist die Sonne also etwas Schlechtes? Nein! Sie ist gut, aber wir passen nicht in ihre Nähe.
Ganz ähnlich ist es mit Gott. Aber Er kann uns passend machen für Seine Gegenwart! Er kann uns Seine Natur geben, eine Natur, die Seine Nähe nicht nur ertragen, sondern geniessen kann. Wir werden Ihn immer fürchten, weil Er auch sehr zu fürchten ist, aber diese Furcht wird uns nicht abschrecken, sondern uns antreiben, alles von uns zu weisen, was in Seinen Augen unpassend ist: «Die Furcht des HERRN bedeutet, Böses zu hassen» (Spr 8,13). Die Furcht des HERRN wird uns gleichzeitig vor Ihm zurückbeben, aber auch Seine Nähe noch mehr suchen lassen. Wir fürchten Ihn, aber wir lieben Ihn auch und wissen, dass wir bei Ihm alles finden, was wir brauchen.
Vers 7
Und Jesus trat herbei, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! Mt 17,7
Unser Verhältnis als Christen zu Gott sollte nicht primär von Furcht, sondern von Liebe geprägt sein. «Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus, denn die Furcht hat es mit Strafe zu tun. Wer sich aber fürchtet, ist nicht vollendet in der Liebe» (1.Joh 4,18). Man stelle sich einmal vor, ein Kind würde auf die Frage, woran es als Erstes denke, wenn man von seinem Vater spreche, antworten: «Furcht»! Das wäre schrecklich! Genauso schrecklich ist es, wenn ein Christ sein Verhältnis zu Gott mit Furcht charakterisieren würde.
Und doch ist die Furcht des HERRN der Anfang der Erkenntnis. Wer Gott nicht fürchtet, nimmt Ihn nicht ernst. Viele Menschen behaupten, dass sie an Gott glauben, aber in ihrem Leben spielt Er keine Rolle. Sie zeigen in ihrem Verhalten, dass sie einen feuchten Dreck auf Seinen Willen geben. Damit zeigen sie aber auch, dass sie Ihn nicht fürchten. Sie meinen, sie könnten tun und lassen, was sie wollen, ohne dass es Konsequenzen hätte. «Weil der Urteilsspruch über die böse Tat nicht schnell vollzogen wird, darum ist das Herz der Menschenkinder davon erfüllt, Böses zu tun, denn ein Sünder tut hundertmal Böses und verlängert doch seine Tage» (Pred 8,11.12). Diese Menschen werden nie eine echte, gute Beziehung zu Gott aufbauen können. Sie werden Ihn einmal als ihren Richter kennen lernen. Solchen Leuten wird durch die Bibel immer wieder gesagt, dass sie sich besser fürchten sollten!
Für jene hingegen, die den HERRN fürchten, hat die Bibel eine ganz andere Botschaft, die wir immer und immer wieder finden, sicherlich weit über hundertmal: «Fürchte dich nicht!» Wie kann das sein? Was gilt denn nun? Ganz einfach: Die Furcht des HERRN ist der Anfang der Erkenntnis, sozusagen der Türöffner zu einer Beziehung zu Gott. Wer den HERRN fürchtet, nimmt Ihn ernst und räumt Ihm jenen Platz ein, der Ihm gebührt, denn Er ist GOTT und wir sind Sünder. Rennen wir dann nicht vor Ihm davon, sondern nähern wir uns in Demut, wird Er uns erkennen lassen, dass Er alles getan hat, um uns in Seine Gegenwart zu führen – aus reiner Gnade, völlig unverdient. Dort gibt es einen Ort, an dem wir ohne jede Furcht Gemeinschaft mit Ihm pflegen können, weil Er alles gut gemacht hat.
Die Jünger fürchteten sich zu Recht auf dem Berg der Verklärung, das war völlig passend. Ihr Herz war quasi am rechten Fleck. Deshalb konnte und wollte der Herr Jesus sich ihnen nähern. Er rührte sie an und sprach eben jene wundervollen Worte, die schon so vielen echten Gläubigen so oft zum Trost geworden sind: «Fürchtet euch nicht!»
Vers 8
Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als ihn, Jesus, allein. Mt 17,8
Welch unaussprechliches Glück, welch unaussprechliche Freude liegt in diesen Worten! Ein Mensch kann sich für alles Mögliche begeistern, aber kaum je für die Person des Herrn Jesus Christus. Der wahre Glaube misst Ihm aber jenen Wert zu, den Er in den Augen des Himmlischen Vaters hat; er erkennt, dass Er alles ist. Der Glaube versteht, dass ein Mensch, der den Herrn Jesus hat, alles hat, selbst wenn er sonst nichts besitzt, und dass ihm alles fehlt, wenn er den Herrn Jesus nicht hat. Die ewige Herrlichkeit, nach der sich so viele Menschen sehnen, wird in vielerlei Hinsicht herrlich sein, aber das Zentrale, das Herrlichste, der Kern des Ganzen wird die Person des Herrn Jesus Christus sein. Dann und dort werden wir Ihn sehen, wie Er wirklich ist, und es wird uns genügen. Wir werden gewissermassen niemand sehen als Ihn, Jesus, allein, und das wird uns mit dem höchsten Glück erfüllen, das es nur geben kann.
Ja, wer mit dem Auge des Glaubens auf den Herrn Jesus blickt, wird strahlen und sein Angesicht wird nicht beschämt werden (Ps 34,6). In Seinem Licht sehen wir das Licht, denn bei Ihm ist der Quell des Lebens (Ps 36,10). Das ewige Leben ist, dass wir Ihn, den allein wahren Gott, und den Er gesandt hat, Jesus Christus, erkennen (Joh 17,3). Er selbst, Jesus Christus, ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben (1.Joh 5,20). Daher gibt es kein ewiges Leben, keine Herrlichkeit und kein bleibendes Glück ohne Ihn.
Vers 9
Und als sie von dem Berg herabstiegen, gebot ihnen Jesus und sprach: Sagt niemandem die Erscheinung weiter, bis der Sohn des Menschen aus den Toten auferweckt worden ist! Mt 17,9
Die drei Jünger Petrus, Johannes und Jakobus hatten nun den verheissenen Vorgeschmack von der künftigen Herrlichkeit des Herrn Jesus erhalten. Als Juden waren sie der festen Überzeugung, der Herr Jesus werde sich bald unmittelbar in dieser Herrlichkeit öffentlich präsentieren und die Herrschaft über Israel und den Rest der Welt übernehmen. Doch der Herr Jesus wies sie erneut darauf hin, dass Er erst sterben und aus den Toten auferstehen werde, bevor das alles sich verwirklichen sollte. Wie oft hat Er Seine Leiden und Seinen Tod angekündigt! Und wie wenig wurde Er gehört! Die Schilderungen in den Evangelien über die Ereignisse nach der Auferstehung zeigen ganz deutlich, dass die Jünger Ihm nie richtig zugehört hatten. Geht es uns nicht manchmal genau gleich? Wir alle lesen das Wort Gottes aus unserer eigenen Perspektive, mit unserer ganz eigenen Brille. Das erschwert es uns, es so zu verstehen, wie es wirklich gemeint ist. Wir tun gut daran, den HERRN jeweils ganz bewusst vor dem Lesen der Bibel zu bitten, uns verstehen zu lassen, was ER uns sagen will.
Man könnte sich nun fragen, weshalb die Jünger vorerst nichts von der Erscheinung auf dem sogenannten Berg der Verklärung erzählen sollten. Die Antwort ist einfach: Israel hatte den Herrn Jesus als seinen Christus (Messias) verworfen. Er war damals quasi nicht mehr ihr Messias. Er sprach nicht mehr direkt, sondern nur noch in Gleichnissen zum Volk, Er tat nur noch Wunder für Einzelne und aus Gnade, nicht mehr als Zeichen für das ganze Volk und Er verbarg Seine Herrlichkeit gewissermassen vor dem Volk. Nach Seiner Auferstehung sollte sich sowieso alles ändern. Dann sollte das Erlebnis auf dem Berg der Verklärung ein ganz besonderes Zeugnis sein. Der zweite Brief des Apostels Petrus zeigt uns das, denn dort wird dieses Erlebnis als eine Bestätigung der alttestamentlichen Prophetien vorgestellt.
Vers 10
Und die Jünger fragten ihn und sprachen: Was sagen denn die Schriftgelehrten, dass Elia zuerst kommen müsse?
Die Frage der Jünger zeigt, dass sie den Herrn Jesus noch nicht verstanden hatten. Sie dachten noch immer, Seine Herrschaft würde in Kürze anbrechen. Aus den Schriften des Alten Testamentes, insbesondere aus dem Buch Maleachi, wussten sie, dass dem Kommen des Messias in Macht und Herrlichkeit ein besonderer prophetischer Aufruf vorausgehen muss. Ein Prophet in der Weise Elias würde kommen und die Ankunft des Messias ankündigen. Die Jünger dachten also, dass hier etwas nicht aufgehe, denn ihrer Ansicht nach stand der Antritt der Herrschaft des Herrn Jesus unmittelbar bevor, aber dieser besondere Prophet war ihres Erachtens noch nicht aufgetreten.
Hier sehen wir einmal mehr, wie sehr unsere eigenen Vorstellungen uns daran hindern können, klare und eindeutige Aussagen richtig zu verstehen. Der Herr Jesus hatte den Jüngern nun bereits mehrfach Seinen Tod angekündigt, aber sie hatten diese Ankündigungen jedes Mal geflissentlich überhört, weil diese Ankündigungen einfach nicht in ihre eigene Vorstellung passte. Auch wir können das Wort Gottes nicht einfach so immer richtig verstehen. Wir müssen geistliche Energie aufwenden, um uns ganz bewusst von unseren eigenen Vorstellungen zu lösen und das Wort Gottes möglichst direkt und unverfälscht zu uns sprechen zu lassen.
Vers 11
Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Elia kommt zwar und wird alle Dinge wiederherstellen. Mt 17,11
Die Jünger hatten die Schriften des Alten Testamentes bezüglich dieses Punktes richtig verstanden: Vor dem Herrschaftsantritt des Messias würde ein Prophet in der Weise Elias kommen. Aber sie konnten dieses Wissen nicht mit dem, was sie gerade erlebten, in Einklang bringen. Sie konnten nicht erkennen, wie das alles zusammen passen sollte. Der HERR war doch da! Aber den Propheten in der Weise Elias war noch nicht gekommen. Wie sollte der Herr Jesus nun Seine Herrschaft antreten? Wir wissen, dass der Herr Jesus damals Seine Herrschaft noch gar nicht antreten sollte. Das löst alle Probleme der Jünger. Die weiteren Ausführungen des Herrn Jesus in den folgenden Versen werden allerdings noch eine verblüffende alternative Lösung für das Problem liefern.
Auch bei uns kann es immer wieder passieren, dass wir das, was wir erleben, nicht mit dem vereinbaren können, was wir aus dem Wort Gottes wissen. Dann ist Demut gefragt! Je besser wir den HERRN kennen, umso leichter fällt es uns, Ihm bedingungslos zu vertrauen, also auch dann, wenn wir Sein Handeln nicht verstehen und nicht nachvollziehen können. Wir dürfen sicher sein, dass sich der Knoten irgendwann lösen wird. Dann wird uns alles klar werden und wir werden sogar dann ein uneingeschränktes Ja zu Seinem Handeln haben, wenn wir bis dahin eher zum Nein tendiert hätten. Bedenken wir: ER hat den Überblick, wir nicht. Er kann alles einordnen und zusammenfügen. Wir können das nicht – und das sollten wir sowohl wissen als auch akzeptieren.
Vers 12
Ich sage euch aber, dass Elia schon gekommen ist, und sie haben ihn nicht erkannt, sondern an ihm getan, was sie wollten. Ebenso wird auch der Sohn des Menschen von ihnen leiden. Mt 17,12
Für Israel wäre es damals nicht ausgeschlossen gewesen, den Herrn Jesus als Messias zu erkennen und anzunehmen, auf dass Er Seine Friedensherrschaft angetreten hätte. Denn Ihm war bereits ein Prophet in der Weise Elias vorangegangen! Johannes der Täufer war dieser Prophet gewesen, wie uns der folgende Vers klar macht. Er hatte in Seinem Dienst alle Kennzeichen erfüllt, die die Schriften des Alten Testamentes in Bezug auf Elia genannt hatten.
Auch wenn die Jünger also richtig bezüglich der damals noch langen zu erwartenden Dauer bis zum Herrschaftsantritt ihres Messias lagen, hatten sie doch übersehen, dass das Kommen Elias kein Problem im Hinblick auf die Erfüllung der Prophetie darstellte, weil jener Teil der Prophetie tatsächlich schon erfüllt war. Wie wunderbar sind die Wege Gottes! Sein Weg führt durch das Meer und Seine Pfade durch grosse Wasser; Seine Fussspuren erkennt niemand (Ps 77,20).
Nicht nur die Jünger, sondern ganz Israel hat leider nicht erkannt, wer Johannes der Täufer wirklich gewesen ist. Deshalb haben die Leute an ihm getan, was sie wollten. Letztlich starb er als Märtyrer, was ganz deutlich zeigt, dass das Volk insgesamt ihn abgelehnt hat. Dem Sohn des Menschen, dem Herrn Jesus, würde es genau gleich wie Seinem Vorläufer ergehen. Wir haben hier schon mindestens die dritte Leidensankündigung vor uns.
Vers 13
Da verstanden die Jünger, dass er von Johannes dem Täufer zu ihnen sprach. Mt 17,13
Der Vorläufer des Messias war Johannes der Täufer. Er, Johannes, war der Prophet in der Weise Elias, der gemäss der Prophetie von Maleachi den Weg für das Kommen des Messias vorbereiten, gewissermassen Ihm vorangehen sollte. Das wird uns in Lk 1,17 ganz deutlich bestätigt. Vermeintlich im Widerspruch zu diesem klaren Zeugnis der Heiligen Schrift steht Joh 1,21, wo Johannes der Täufer die Frage der Priester und Leviten, ob er Elia sei, entschieden verneint. Allerdings lautete die Frage damals nicht, ob er jener Prophet sei, der in der Weise Elias kommen sollte, sondern vielmehr, ob er Elia sei. Johannes war nicht Elia, sondern vielmehr der kommende Prophet in der Weise Elias. Hier liegt also effektiv kein Widerspruch vor. Das könnte man nun als Wortklauberei abtun. Zu beachten ist jedoch, dass unter den Juden die Ansicht kursierte, Elia, der bekanntlich nicht gestorben, sondern lebendig in den Himmel aufgefahren war, würde in persona zurückkehren. Mit seinem Nein trat Johannes der Täufer dieser abergläubischen Ansicht entgegen, die damals weit verbreitet war. Hätten sie ihn gefragt, ob er Elia sei, der kommen soll (also der Prophet in der Weise Elias), hätte er mit Ja geantwortet.
Vers 14
Und als sie zu der Volksmenge kamen, trat ein Mensch zu ihm und fiel vor ihm auf die Knie Mt 17,14
Wieder zurück vom Berg der Verklärung sahen sich der Herr Jesus und die drei Jünger sofort erneut mit Problemen konfrontiert. Wie die folgenden Verse zeigen werden, hatten die übrigen Jünger während jener Zeit mit einem grossen Problem gekämpft, es aber nicht lösen können, obwohl sie dazu hätten in der Lage sein müssen. Wie bezeichnend ist das für unser Leben! Wie oft kämpfen wir hier mit irgendwelchen unlösbaren Problemen, während oben in den himmlischen Sphären, in der Gegenwart des Herrn Jesus alles so klar, friedlich und ruhig wäre! Wie oft sehen wir nur Probleme, wie oft verlieren wir unsere himmlische Perspektive aus den Augen!
Natürlich sind die Probleme hier unten real; wir können sie nicht einfach weg diskutieren. Dieser Mensch, der auf den Herrn Jesus zukam, hatte eine echte, grosse Not. Er fiel vor dem Herrn auf die Knie, was ein deutlicher Hinweis auf seine Verzweiflung ist. Auch wir können echte, gewaltige Probleme haben, die uns an die Grenze unserer Kräfte, unseres Glaubens, unserer Hoffnung bringen und in Ratlosigkeit bis hin zur Verzweiflung stürzen können.
Weder ein Ignorieren noch ein Kleinreden dieser Probleme wird uns weiterhelfen. Auch positives Denken wird uns nicht aus unseren Problemen retten, denn wir können uns den ganzen Tag lang etwas einreden, ohne dass dies unsere Probleme verschwinden lassen wird. Wir können den ganzen Tag lang den Kopf in den Sand stecken wie der Vogel Strauss, aber die Probleme werden weiter bestehen. Die entscheidende Frage lautet also nicht, wie wir unsere Probleme bestmöglich ignorieren können, aber auch nicht, wie wir sie lösen und zum Verschwinden bringen können, sondern vielmehr, wie wir damit umgehen.
Glauben wir, dass es der HERR nur gut mit uns meint? Glauben wir, dass Er stets das Beste für uns will? Wer diese Frage nicht mit Ja beantworten kann, kennt den HERRN leider noch nicht gut genug. Wer aber diese Überzeugung hat, muss sich die Folgefrage stellen: Kann der HERR uns vor allem Leid, vor allen Problemen bewahren? Hat Er die Macht dazu? Wer diese Frage nicht mit Ja beantworten kann, kennt den HERRN leider noch nicht gut genug. Wer dagegen überzeugt von der Allmacht Gottes und von der Liebe Gottes zu uns ist, muss sich fragen, weshalb ihm in seinem Leben dann noch Probleme begegnen. Hätte der HERR die Probleme nicht verhindern können? Doch, natürlich! Aber wieso hat Er es dann zugelassen? Weil Er etwas übersehen hat oder weil Er es eben doch nicht so gut mit uns meint? Das sei ferne! Offenbar muss Er uns in diese Situationen hineinführen, gerade weil Er es so gut mit uns meint! Auch wenn es abgedroschen klingt, sind Probleme und Krisen immer eine Chance – und was für eine! Sie können uns sprunghaft näher zum HERRN bringen, uns dazu bewegen, Ihn noch viel intensiver zu suchen, noch viel mehr Gemeinschaft mit Ihm zu haben, elementare Lektionen für unser Christenleben zu lernen und im Glauben zu wachsen. Wer sich in einer Krise an den HERRN klammert, wird gestärkt im Glauben aus der Krise herauskommen. Entscheidend ist, dass wir uns in solchen Zeiten nicht (nur) um unsere Probleme hier unten drehen, sondern so oft wie möglich Himmelsluft atmen, uns beim Herrn Jesus aufhalten, Ihn suchen. Dort kommen wir selbst im Sturm zur Ruhe, dort finden wir Frieden, neue Kraft und neue Zuversicht.
Vers 15
und sprach: Herr, erbarme dich meines Sohnes! Denn er ist anfallskrank und leidet arg; denn oft fällt er ins Feuer und oft ins Wasser. Mt 17,15
Dieser Mann, der vor dem Herrn Jesus auf die Knie fiel und betete, sah sich mit einem sehr schwerwiegenden Problem konfrontiert: Sein Sohn litt an schwersten Anfällen. Die Schilderungen hier und in den Parallelstellen lassen an epileptische Anfälle denken, die für jeden, der einmal einen solchen Anfall miterleben muss, ein grosser Schock sind. Hier kam erschwerend hinzu, dass diese Anfälle den Jungen oft sehr unglücklich fallen liessen, oft ins Wasser und sogar oft auch ins Feuer. Der Vers 18 macht klar, dass es sich hier in diesem Fall nicht um eine gewöhnliche Krankheit, sondern um eine Besessenheit durch einen Dämon gehandelt hat. Das kann man aber nicht verallgemeinern! Nicht jede Krankheit ist dämonischen Ursprungs! Auch nicht jede Epilepsie kann auf das Wirken eines Dämons zurückgeführt werden.
Der Teufel ist ein Menschenmörder von Anfang an (Joh 8,44). Er und seine Dämonen hassen Gott und die Menschen, die Gott so liebt. Ihr Treiben zielt auf Mord und Totschlag ab. Hier sehen wir ein deutliches Beispiel davon: Dieser arme Junge wurde vom Dämonen ganz gezielt so gezerrt, dass er nicht nur ab und zu, sondern oft ins Feuer und oft ins Wasser fiel. Der Dämon wollte diesen Jungen möglichst rasch zu Tode bringen und noch dazu auf eine grausame Art und Weise. Wenn uns der Teufel wieder einmal mit seinen hohlen und falschen Versprechungen lockt, sollten wir uns Beispiele wie dieses vor Augen führen, um uns klar zu machen, worauf er wirklich hinauswill.
Vers 16
Und ich brachte ihn zu deinen Jüngern, doch sie konnten ihn nicht heilen. Mt 17,16
In seiner Not wandte sich der Vater des armen Jungen an die Jünger, denn der Herr Jesus selbst war ja nicht anwesend. Die Jünger konnten dem Vater allerdings nicht weiter helfen; sie konnten den Jungen nicht heilen. Da wohl noch niemand von uns je eine Epilepsie geheilt oder einen Dämon ausgetrieben hat, erscheint uns das als nicht weiter verwunderlich. Allerdings hatten die Jünger vom Herrn Jesus die Vollmacht erhalten, Krankheiten zu heilen und Dämonen auszutreiben (Mt 10,1). Sie hätten also mit diesem Problem allein fertig werden müssen! Die Aussage des Vaters, die Jünger hätten ihm nicht helfen können, ist also eine Beschämung für die Jünger gewesen.
Vers 17
Jesus aber antwortete und sprach: Ungläubiges und verkehrtes Geschlecht! Bis wann soll ich bei euch sein? Bis wann soll ich euch ertragen? Bringt ihn mir her! Mt 17,17
Die schroffe Antwort des Herrn Jesus auf die Bitte des Vaters eines armen, geplagten Jungen überrascht – aber nur, wenn man nicht berücksichtigt, dass die Jünger das Problem eigentlich auch ohne die Hilfe des Herrn Jesus hätten lösen können. In den Schwierigkeiten hatte sich einmal mehr das damalige Grundproblem von Israel gezeigt: Unglaube. Wiederholt musste der Herr Jesus jenes Geschlecht (die Israeliten) als ungläubig und verkehrt bezeichnen, denn trotz offensichtlicher und nicht zu leugnender Zeichen und Wunder weigerte es sich, Ihn als seinen Messias zu akzeptieren.
Die Jünger waren leider nicht viel besser als ihre Landsleute. Sie hatten vom Herrn Jesus die Vollmacht erhalten, Dämonen auszutreiben und Krankheiten zu heilen, aber doch waren sie bei diesem Jungen gescheitert, was auf eine Unzulänglichkeit von ihrer Seite her hinweist. Die Evangelien belegen, dass die Jünger auch bei anderen Gelegenheiten wiederholt Unglauben und mangelndes Verständnis zeigten. Hier zeigt sich jedenfalls, dass wir als Gläubige nicht einfach alle Möglichkeiten so ohne Weiteres in der Tasche haben. In unserem Glaubensleben und insbesondere bei der Erfüllung der uns vom HERRN übertragenen Aufgaben benötigen wir eine unmittelbare Abhängigkeit von Ihm sowie ein tiefes Vertrauen zu Ihm. Wo das fehlt, hilft uns unsere Stellung als Christen nicht viel weiter; wir werden genauso scheitern wie die Welt. Das erklärt, weshalb es so viel Versagen und so viel allzu Menschliches in der Christenheit gibt. Ja, wir sollten so viel anders als die Welt sein, aber wir sind es nicht, weil wir uns nicht genug an den HERRN klammern!
Vers 18
Und Jesus bedrohte ihn, und der Dämon fuhr von ihm aus; und von jener Stunde an war der Junge geheilt. Mt 17,18
Dieser arme Junge war nicht durch eine Krankheit, sondern durch einen Dämon geplagt. Für den Herrn Jesus war das kein Problem. Er erkannte sofort die Ursache und löste das Problem ohne jede Anstrengung – komplett und definitiv. Wenn Er aber so ein schwerwiegendes Problem wie eine so ausgeprägte Besessenheit in einem Augenblick lösen kann, wie viel mehr dann auch all unsere kleineren und grösseren Sorgen, Nöte und Schwierigkeiten!
Leider glauben wir oft zu wenig. Wir sehen nur einerseits die Grösse und die Schwere eines Problems und andererseits unsere Unfähigkeit, damit klar zu kommen. Wir denken, dass dieses Problem sich nie im Leben wird lösen lassen, vergessen aber, dass es nur ein kleines Eingreifen des HERRN benötigt, um das Problem ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen. Wie viel ruhiger, wie viel geduldiger und wie viel zuversichtlicher wären wir, wenn wir ein völliges Vertrauen in den HERRN hätten! Wenn Er will, löst Er jedes Problem in einer Millisekunde; wenn Er nicht will, dann nur, weil es besser für uns ist, das Problem noch eine Weile auszuhalten. Seine Hilfe kommt immer spätestens rechtzeitig. Wenn sich Deine Probleme also nicht lösen, dann reibe Dich nicht innerlich daran auf, sondern vertraue darauf, dass der HERR Dich in Seine liebevolle Schule nimmt und dass dieses Problem in Seiner Hand nicht zu Deinem Schaden, sondern zu Deinem Segen sein wird, wenn Du nur zulässt, dass der HERR Dich da durch führt.
Vers 19
Da traten die Jünger für sich allein zu Jesus und sprachen: Warum haben wir ihn nicht austreiben können? Mt 17,19
Die Jünger hatten versagt, denn sie hatten eine Fähigkeit nicht nutzen können, die ihnen gegeben worden war. Aber nun taten sie genau das Richtige. Sie erkannten ihr Versagen, was alles andere als selbstverständlich ist, und sie kamen damit zum Herrn Jesus. Wenn wir versagen, dann tendieren wir oft dazu, uns alles irgendwie schön zu reden und unser Versagen wegzuerklären. Wir hätten hundert Gründe gefunden, weshalb wir (als Jünger) diesem Jungen nicht helfen konnten. Damit nehmen wir dem HERRN die Möglichkeit, weiter an uns zu arbeiten. Denn nur, wenn wir einsehen, dass da etwas nicht stimmt, werden wir Ihn um Hilfe bitten.
Das eigene Ungenügen einzusehen reicht aber nicht aus. Das könnte uns nämlich auch einfach dazu führen, uns innerlich selbst zu zerfleischen, uns in Selbstvorwürfen und Selbstmitleid zu ertränken. Nein, wir müssen damit zum HERRN gehen! Die Jünger machten es richtig, indem sie sofort den Herrn Jesus fragten, was denn nun Sache sei. Damit gaben sie Ihm die Möglichkeit, ihnen geistliche Einsicht und eine echte Hilfestellung zu vermitteln, denn wir werden in den folgenden Versen einen entscheidenden Hinweis darauf finden, wieso genau die Jünger gescheitert waren und wie sie in einem weiteren solchen Fall vorgehen sollten. Dahin wären die Jünger nie gelangt, wenn sie nicht den Herrn Jesus gefragt hätten.
Wenn in unserem Alltag oder vielleicht auch allgemein in unserem Leben etwas schief geht, dann sollten wir als Christen immer kurz innehalten und uns fragen, was das soll. Wir sollten offene Augen für solche Dinge haben. Allerdings sollten wir uns dann nicht in unseren eigenen Gedanken hin und her bewegen bzw. kreisen, sondern damit zum Herrn Jesus gehen und Ihn fragen, was Er dazu zu sagen hat. Der HERR will durch alles Mögliche zu uns sprechen. Wenn wir Ihm zuhören, können wir stetig lernen und an geistlicher Einsicht gewinnen. Wir werden mit viel offeneren Augen durch das Leben gehen und Ihm sehr viel näher sein.
Vers 20
Er aber spricht zu ihnen: Wegen eures Kleinglaubens; denn wahrlich, ich sage euch, wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so werdet ihr zu diesem Berg sagen: Hebe dich weg von hier dorthin!, und er wird sich hinwegheben. Und nichts wird euch unmöglich sein. Mt 17,20
Waren die Jünger zu schwach gewesen? Waren sie gescheitert, weil sie nicht die richtigen Worte aussprechen konnten? Nein! Sie hatten zu wenig Glauben gehabt. Wie wir unser Leben hier auf der Erde als Christen meistern, hängt nicht primär von unserer Intelligenz, von unserem Fleiss oder von unserer Kraft, sondern vielmehr von unserem Glauben, von unserem Vertrauen zu Gott ab. Er allein ist Derjenige, der alles weiss, alles richtig beurteilt und alles vermag. Er will uns leiten. Gerade in Schwierigkeiten zeigt sich, ob und wie stark wir Ihm vertrauen. Glauben wir, dass Er es nur gut mit uns meint, dann werden wir Ihm auch auf Wegen folgen, die uns zuwider sind, ohne Seine Hand loszulassen. Dadurch werden wir Schwierigkeiten meistern, die andere Menschen nicht meistern können. Unser Glaube wird bewährt sein.
Einerseits ist es sehr tröstlich zu wissen, dass der Erfolg unseres Christenlebens nicht von unseren eigenen Fähigkeiten abhängt, denn dann wäre ja alles völlig unsicher. Andererseits muss es uns aber auch beschämen, weil wir so oft straucheln und versagen, wenn doch nur Glaube, Vertrauen zu Gott nötig wäre, uns davor zu bewahren. Ach, könnten wir Gott doch noch so viel bedingungsloser vertrauen!
Einige Christen behaupten, die Stärke unseres Glauben sei entscheidend. Sie knüpfen damit doch wieder an unseren Fähigkeiten an. Der Herr Jesus sagte Seinen Jüngern aber, dass schon ein Glaube wie ein Senfkorn ausreichend sei. Das Senfkorn wird in Mt 13,32 als kleiner als alle anderen Arten von Samen bezeichnet. Die Jünger hätten also nicht einen stärkeren Glauben benötigt, sondern einfach überhaupt Glauben. Die Kraft kommt nämlich nicht aus unserem Glauben, sondern von Gott. Der Glaube ist wie ein Stromkabel. Entscheidend ist, ob es an das Stromnetz angeschlossen ist oder nicht. Die Dicke des Stromkabels spielt keine Rolle.
Man mag nun einwenden, dass Menschen in der Kirchengeschichte unterschiedlich starken Glauben gezeigt hätten und dass das sehr wohl eine Rolle gespielt habe. Aber das ist etwas anderes. Jene Christen, die einen aussergewöhnlichen Glauben in ihrem Leben gezeigt haben, haben sich nicht dadurch ausgezeichnet, dass sie versucht hätten, besonders fest oder stark zu glauben. Sie hatten einfach Glauben. Was sie auszeichnet ist, dass sie diesen Glauben in mehr Situationen gehabt haben als andere. Diese Unterscheidung ist für uns persönlich wichtig. Wir müssen nicht versuchen, besonders fest zu glauben, sondern vielmehr, immer wieder neu zu glauben, selbst wenn eine Situation unmöglich erscheint. Der Glaube selbst muss nur wie ein Senfkorn sein, aber er sollte auch da vorhanden sein, wo es darum geht, einen Berg zu versetzen.
Vers 21
Diese Art aber fährt nicht aus ausser durch Gebet und Fasten. Mt 17,21
Nachdem der Herr Jesus den Jüngern den wesentlichen Grundsatz für das Gelingen auf dem Weg des Glaubens aufgezeigt hatte, äusserte Er Sich noch zum spezifischen Problem. Tatsächlich hatten es die Jünger hier nicht mit einem «gewöhnlichen», sondern mit einem besonders hartnäckigen bzw. mächtigen Dämon zu tun, der nicht so einfach wie andere Dämonen ausgetrieben werden konnte. Diese Art konnte nur durch Gebet und Fasten ausgetrieben werden.
Die Jünger hatten gewiss gebetet! Weshalb betonte der Herr Jesus denn, dass sie ins Gebet hätten gehen sollen? Weil sie nicht genug intensiv oder nicht hartnäckig genug gebetet hatten! Bekanntlich gibt es viele verschiedene Arten von Gebet, vom kurzen Stossgebet in der Not bis hin zu einem anhaltenden und intensiven Flehen. Dieses intensive Flehen wäre hier notwendig gewesen. Darauf weist die Erwähnung des Fastens hin. Fasten (Verzicht auf etwas) für sich allein ist nichts und hat weder Wert noch Wirkung. Das wird leider oft nicht verstanden. Das Fasten ist nur ein «Hilfsmittel» für ein intensiveres Gebet, denn es verschafft uns zusätzliche Zeit (z.B. jene Zeit, die wir für die Zubereitung und den Verzehr von Nahrung benötigen würden) und es bindet unser Ich etwas zurück, was es uns erleichtert, uns auf unser Gebetsanliegen zu fokussieren. Gebet und Fasten ist folglich gleichzusetzen mit einem sehr intensiven Flehen.
Die Jünger hätten so intensiv für die Befreiung des Jungen flehen sollen, dann hätten sie den Dämon austreiben können. Sie haben also vorschnell aufgegeben. Und wieso? Weil sie keinen Glauben gehabt haben! Sie haben sich wahrscheinlich zunächst voller Zuversicht an die Aufgabe gemacht. Dann sind sie gescheitert. Sie dürften es wohl noch ein zweites und ein drittes Mal versucht haben, aber immer wieder sind sie gescheitert. Da haben sie kapituliert. Ihre Erfahrung lehrte sie, dass sie dieses Problem nicht lösen könnten. Aber das Wort Gottes hätte ihnen die Gewissheit geben sollen, dass sie auf jeden Fall zum Ziel kommen würden! Hätten sie dem Wort Gottes mehr Glauben als ihrer Erfahrung geschenkt, hätten sie ihre Bemühungen fortgesetzt und intensiviert. Dadurch wären sie zum Ziel gekommen. Lassen wir uns diese Lektion für unsere eigenen Leben zu Herzen nehmen!
Vers 22
Als sie sich aber in Galiläa aufhielten, sprach Jesus zu ihnen: Der Sohn des Menschen wird überliefert werden in der Menschen Hände, Mt 17,22
Jesus Christus, der Sohn Gottes, der alles wusste und alles richtig beurteilte, sah damals bereits die Leiden des Kreuzes näher rücken. Wir haben gesehen, dass Er Seinen Jüngern schon mindestens zweimal Seine kommenden Leiden angekündigt hatte. Die Jünger hatten Seine Aussagen nicht recht einordnen können, weshalb Er sie in Seiner Gnade nochmals auf das Kommende vorbereitete. Er machte ihnen klar, dass Er in die Hände der Menschen überliefert und dann getötet werden würde. Sie sollten vorgewarnt sein auf das, was bald kommen sollte. So lässt der HERR auch uns in aller Regel nicht im Dunkeln tappen. Er spricht offen über das, was kommen wird, über das, womit wir zu rechnen haben, damit wir nicht völlig überrascht werden.
In die Hände von Menschen überliefert zu werden ist etwas vom Schlimmsten, das passieren kann. Die Menschen, wenn sie so im Allgemeinen genannt werden, sind das, was die Welt im Sinne der Bibel bzw. diesen Zeitlauf (oder: Zeitgeist) ausmacht. Der Fürst der Welt ist aber der Teufel (Joh 16,11), der ein Menschenmörder von Anfang an sowie der Vater der Lüge ist (Joh 8,44). Der Teufel ist auch der Gott dieser Welt (2.Kor 4,4). Die Welt bzw. die Menschen sind folglich geprägt von einer menschenverachtenden, lügnerischen und mörderischen Gesinnung. Sie hassen Gott und alles, was mit Ihm zu tun hat. Als der König David einmal eine Strafe für eine schwere Sünde wählen sollte, sagte er: «Mit ist sehr angst! Lass mich doch in die Hand des HERRN fallen! Denn seine Erbarmungen sind sehr gross. Aber in die Hand der Menschen lass mich nicht fallen!» (1.Chr 21,13). David wusste nur zu gut, dass die Menschen keine Grenzen kennen und dass sie genauso wild und verheerend wüten können wie der Teufel selbst, ihr Fürst und ihr Gott. In die Hand der Menschen zu fallen ist deshalb etwas vom Schlimmsten, das passieren kann. Allerdings dürfen wir uns mit dem Gedanken trösten, dass auch die Menschen nicht weiter gehen können, als der HERR es ihnen erlaubt. Der Glaube kann deshalb über das Sichtbare hinaus auf den Unsichtbaren blicken und wissen, dass ER in jedem Fall definiert, was möglich ist und was nicht, ob wir nun in die Hand der Menschen oder in andere Nöte fallen. Es spielt letztlich keine Rolle.
Vers 23
und sie werden ihn töten, und am dritten Tag wird er auferweckt werden. Und sie wurden sehr betrübt. Mt 17,23
Der Herr Jesus erklärte Seinen Jüngern ganz genau, was alles kommen würde. Das waren aber nicht nur negative, sondern auch positive Aussichten, denn Er sollte zwar getötet werden, aber wieder auferstehen! Die Auferstehung des Herrn Jesus ist mit das grossartigste Ereignis der gesamten Menschheitsgeschichte und der Grund zu einer Hoffnung, die ihresgleichen sucht. Wie phantastisch ist es, dass wir es mit dem Gott zu tun haben dürfen, der Leben aus dem Tod schafft! Die Jünger haben die Erklärung des Herrn Jesus leider nicht wirklich verstanden. Sie waren sehr betrübt, konnten aber (wie die Berichte über die späteren Ereignisse zeigen) bis zuletzt nicht wirklich glauben, dass alles so kommen sollte. Auch überhörten sie wohl den Hinweis auf die Auferstehung, denn sie waren nur betrübt, aber nicht verwundert, neugierig oder voll Hoffnung auf das, was nach dem Tod des Herrn Jesus kommen sollte.
Ach, wie oft hören auch wir nicht richtig hin, wenn der Herr Jesus zu uns spricht! Er verwendet so viel Zeit, Energie und Liebe darauf, uns für dieses Leben vorzubereiten, uns dieses Leben zu erklären und uns auf rechte Weise zu führen – und wir hören so selten richtig zu. Das Hauptproblem besteht darin, dass wir bereits über vieles feste Ansichten und Meinungen haben. Deshalb ordnen wir alles Neue irgendwie in dieses Raster ein. Wir sind aber nicht bereit, das Raster, unsere Ansichten und unsere Meinungen zu hinterfragen und zu korrigieren. Deshalb verstehen wir vieles oft falsch. Wenn wir dem HERRN richtig zuhören wollen, müssen wir bereit sein, uns von unseren eigenen Ansichten und Meinungen zu lösen.
Vers 24
Als sie aber nach Kapernaum kamen, traten die Einnehmer der Doppeldrachmen zu Petrus und sprachen: Zahlt euer Lehrer nicht die Doppeldrachmen? Mt 17,24
Die Frage der Einnehmer der Tempelsteuer (damals eine Doppeldrachme pro Kopf) erscheint uns als geradezu vorwurfsvoll, so wie wenn man uns fragen würde, ob wir die normalen Steuern nicht bezahlen wollten. Tatsächlich schwang in der Frage aber kein Vorwurf mit, denn es handelte sich um eine damals umstrittene Lehrfrage. Der HERR hatte nämlich Israel in der Wüste durch Mose geboten, eine Art Kopfsteuer zu bezahlen (2.Mose 30,13; vgl. auch 4.Mose 3,50). Das scheint eine einmalige Sache gewesen zu sein. Später kam unter den Israeliten dann aber die Frage auf, ob damit nicht vielmehr eine jährliche Kopfsteuer gemeint gewesen sei. Diese Frage war zur Zeit, als der Herr Jesus als Mensch hier auf der Erde Seinen öffentlichen Dienst ausübte, noch nicht abschliessend beantwortet. Die Frage der Einnehmer der Tempelsteuer war also nicht vorwurfsvoll, sondern vielmehr so zu verstehen, welcher Lehrmeinung sich der Herr Jesus anschloss.
Man kann den wesentlichen Punkt in diesem Abschnitt durchaus auch ohne dieses Hintergrundwissen verstehen. Das Wort Gottes erklärt sich aus sich selbst heraus. Wir müssen keine Talmud-Experten sein und wir müssen nicht Hebräisch oder Altgriechisch beherrschen, um das Wort Gottes verstehen zu können. Hie und da bereichert aber etwas Hintergrundwissen das Verständnis, so wie hier. Wenn wir gute Bibellehrer haben, die über solches Hintergrundwissen verfügen, dürfen wir dem HERRN dankbar dafür sein, dass sie uns den Horizont etwas erweitern. Doch stets gilt der Grundsatz: «Prüft aber alles, das Gute haltet fest!» (1.Thess 5,21).
Vers 25
Er sagt: Doch. Und als er in das Haus eintrat, kam Jesus ihm zuvor und sprach: Was meinst du, Simon? Von wem erheben die Könige der Erde Zoll oder Steuer, von ihren Söhnen oder von den Fremden? Mt 17,25
Wieder einmal war Petrus etwas vorschnell. Ohne Rücksprache mit seinem Meister beantwortete er die Frage der Einnehmer der Tempelsteuer mit einem entschiedenen Ja. Das ist gut nachvollziehbar, denn Petrus hatte den Herrn Jesus ja nun schon über längere Zeit intensiv beobachtet und dabei festgestellt, dass der Herr Jesus in jedem einzelnen Punkt des Lebens das Richtige getan hatte. Wahrscheinlich dachte sich Petrus, dass mehr Tempelsteuer zu geben (also nicht nur einmal pro Leben, sondern einmal pro Jahr; vgl. den Kommentar zu V.24) besser sei und dass der Herr Jesus gewiss auch so denken würde. Es schien so klar! Wir handeln leider oft genau gleich. Bei Dingen, die uns klar erscheinen, fragen wir nicht den HERRN, sondern entscheiden selbst. Das ist nicht gut. Wir leben in einer überaus komplexen Welt, in der es wohl nichts gibt, das wir völlig begreifen und verstehen können. Wir überblicken nie alle Konsequenzen unserer Entscheidungen. Deshalb tun wir gut daran, alles in Absprache mit dem HERRN zu tun. Er hat nämlich den vollen Überblick!
Der Herr Jesus nutzte die vorschnelle Antwort von Petrus, um ihm eine herrliche Wahrheit zu offenbaren und noch ein Wunder oben drauf zu setzen. Der HERR kann auch unsere falschen Entscheidungen zum Guten nutzen. Das bedeutet natürlich nicht, dass wir nun doch tun und lassen könnten, was wir wollen, sondern nur, dass der HERR so unendlich erhaben ist, dass Er selbst den grössten Mist noch als Kompost zu nutzen weiss.
Vers 26
Da er aber sagte: Von den Fremden, sprach Jesus zu ihm: Demnach sind die Söhne frei. Mt 17,26
Wie so oft ging der Herr Jesus nicht auf die im Vordergrund stehende Frage (Kopfsteuer einmal pro Leben oder einmal pro Jahr?), sondern auf eine tiefer liegende Wahrheit ein. Es ging Ihm nicht darum, ob Er Seine Steuer einmal oder jährlich bezahlen sollte, sondern vielmehr darum, die Herrlichkeit Seiner Person zu zeigen. Er war und ist der Sohn Gottes, der ewige Sohn des ewigen Vaters. Sollte der Vater in den Himmeln von Ihm Zoll und Steuer erheben? Unmöglich! Auch die Könige der Erde erheben ihre Abgaben von den Fremden und nicht von den eigenen Söhnen. Der Herr Jesus schuldete die Kopfsteuer für den Tempel also weder jährlich noch einmal pro Leben, sondern gar nicht, denn der Tempel war das Haus Seines Vaters, zu dem Er als Sohn jederzeit freien Zugang hatte.
Zugleich deutete der Herr Jesus aber noch eine weitere Wahrheit an, die erst später in den Lehrbriefen des Neuen Testamentes entfaltet werden sollte (ähnlich wie z.B. die Wahrheit über die ekklesia, die Gemeinde, den Leib Christi). Er sprach nämlich nicht von einem Sohn, sondern von mehreren Söhnen und Er schloss Petrus in die Steuerbefreiung mit ein. Damit deutete Er an, dass auch Petrus zu den Söhnen zählte, die jederzeit freien Zugang zum Haus des Vaters haben! Er deutete an, dass Er uns Ihm gleich macht, dass wir vor dem Vater in den Himmeln stehen, wie Er vor Ihm steht. Diese Wahrheit ist so gewaltig, dass selbst heute, 2.000 Jahre später, noch viele Christen grösste Mühe haben, sie wirklich in der Tiefe zu erfassen und danach zu leben. Wir finden noch eine weitere gewaltige Andeutung dieser wunderbaren Wahrheit am Ende des Johannes-Evangeliums, wo der Herr Jesus davon spricht, dass Er auffahren werde «zu meinem Vater und eurem Vater und zu meinem Gott und eurem Gott» (Joh 20,17). Was das alles bedeutet, wird dann in den Briefen des Neuen Testamentes, besonders im Epheser- und Kolosser-Brief erklärt.
Vers 27
Damit wir ihnen aber keinen Anstoss geben, geh an den See, wirf eine Angel aus und nimm den ersten Fisch, der heraufkommt, öffne sein Maul, und du wirst einen Stater finden; den nimm und gib ihnen für mich und dich! Mt 17,27
O, wie wunderbar ist der Herr Jesus! In aller Liebe weist Er Seinen vorschnellen Jünger darauf hin, dass Er keineswegs eine Tempelsteuer schuldet. Zugleich weist Er auf die erhabene Stellung hin, die Er den Seinen geben will. Aber dann nutzt Er diese Freiheit, die Ihm zusteht, nicht, um Seinen Mitmenschen keinen Anstoss zu geben! Er verzichtet freiwillig auf das, was Ihm von Rechts wegen gebührt, aus reiner Rücksicht und Nächstenliebe! Und wir wissen nur zu gut, dass diese Haltung ganz grundlegend in Seinem Wesen verankert war, denn Er hat sich aus der höchsten, Ihm zustehenden Position siebenfach bis zum Tod am Kreuz erniedrigt, um uns zu retten (vgl. Phil 2); Er ist nicht gekommen, um bedient zu werden, was Ihm zugestanden hätte, sondern um zu dienen und Sein Leben als Lösegeld zu geben für Viele (Mk 10,45). Wie wunderbar ist Er! Alle, die Sein sind, sollten diese herrliche Wesensart in ihrem Verhalten zur Schau stellen, wie uns in Röm 14 erklärt wird, wo wir aufgefordert werden, unsere (sehr weit gehende) Freiheit dort nicht in Anspruch zu nehmen, wo es zu einem Problem für unsere Nächsten werden könnte.
Auch die Art und Weise, wie der Herr Jesus die Sache letztlich gelöst hat, ist sehr anziehend. Er konnte keine Münze aus Seiner Tasche ziehen, denn als Mensch auf dieser Erde besass Er nichts. War Sein Bedarf also nicht gedeckt? Doch! Der Vater in den Himmeln sorgte für Ihn und wann immer Er etwas benötigte, empfing Er es aus der Hand des Vaters. So konnte Er Petrus mit einer Angel an den See senden, um den erstbesten Fisch aus dem Wasser und dann aus dessen Mund das passende Geldstück zu ziehen. Der Stater entsprach vier Drachmen und damit zwei Doppeldrachmen. Wie herrlich!