Bibelkommentare

Erklärungen zur Bibel

 

Matthäus 2

Vers 1

Als aber Jesus zu Bethlehem in Judäa geboren war, in den Tagen des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise vom Morgenland nach Jerusalem, die sprachen: Mt 2,1

Der für Israel lange zuvor verheissene und vermeintlich sehnlichst erwartete Messias Jesus wurde in Bethlehem in Judäa geboren, aber niemand nahm davon Notiz. Der HERR führte Magier vom weit entfernten Osten nach Jerusalem, um Seinem Volk die Ankunft des Messias durch diese Fremden kundzutun! Wenn uns Matthäus auch den Herrn Jesus in besonderer Weise als den König für Israel vorstellt, so zieht sich doch der Gedanke wie ein roter Faden durch dieses Evangelium, dass Fremde klarer gesehen haben als die Israeliten. Hier haben wir das erste Beispiel vor uns.

Übrigens sind diese Magier von Osten ein guter Gradmesser dafür, wie sehr wir von Traditionen und menschlichen Vorstellungen statt vom Wort Gottes beeinflusst sind: Glaubt man, es seien Könige gewesen, liegt man falsch. Glaubt man, ihre Namen seien Caspar, Melchior und Balthasar gewesen, liegt man falsch. Glaubt man, es seien drei Männer gewesen, liegt man (vielleicht) falsch. Es waren Magier, also in etwa Sterndeuter; ihre Zahl wird nirgends in der Bibel erwähnt. Auch Namen sucht man vergeblich. Die folgenden Verse werden klar machen, dass sie auch nicht ein frisch geborenes Baby in der Krippe im Stall angetroffen haben. Sie kamen erst einige Zeit nach der Geburt nach Bethlehem.

Vers 2

Wo ist der König der Juden, der geboren worden ist? Denn wir haben seinen Stern im Morgenland gesehen und sind gekommen, ihm zu huldigen. Mt 2,2

Diese fremden Magier aus dem fernen Osten hatten einen besonderen Stern aufgehen sehen und daraus gefolgert, dass ein besonderer König der Juden geboren sein musste. Ist das nicht äusserst merkwürdig? Wie sind diese Magier darauf gekommen, dass der aufgehende Stern ausgerechnet die Geburt eines jüdischen Königs anzeigen sollte? Nun, die Juden hatten sich nach der Wegführung in die Gefangenschaft nach Babel mit der Zeit im gesamten babylonischen Reich zerstreut. Nachdem das medo-persische Reich an die Macht gekommen war, gab es in jenem gewaltigen Reich überall verstreut Juden. So sagte der böse Haman beispielsweise einmal zum König Ahasveros: «Da gibt es ein Volk, verstreut und abgesondert unter den Völkern in allen Provinzen deines Königreiches! Und ihre Gesetze sind von denen jedes anderen Volkes verschieden» (Est 3,8). Und diese Juden, die überall verstreut lebten und so anders waren, die hatten eine besondere Hoffnung, eine Hoffnung auf einen König, der einmal kommen sollte, einen König, von dem Bileam einmal gesagt hatte: «Ich sehe ihn, aber nicht jetzt, ich schaue ihn, aber nicht nahe. Es tritt hervor ein Stern aus Jakob, und ein Zepter erhebt sich aus Israel» (4.Mose 24,17). Es ist kein Zufall, dass sich später einmal einer der berüchtigsten falschen Messiasse Bar Kochba, d.i. Sternensohn, genannt hat! Die Magier (magoi; ein persisches Wort) aus dem Osten kannten offenbar diese uralte Prophezeiung und haben sie ernst genommen. Der aufgehende Stern war für sie genug, um sich auf eine lange und beschwerliche Reise in ein unbekanntes Land zu machen. Das ist sehr erstaunlich und zeigt echten Glauben – ein Vertrauen, das alles auf eine Karte setzt.

Da ein Stern offenkundig keine genaue Position markieren kann, zogen die Magier nach Jerusalem, in die Hauptstadt der römischen Provinz Judäa. Sie dachten wohl, wenn sie, die ja fast nichts wussten, im fernen Land die richtigen Schlüsse gezogen hätten, sei in Judäa und Jerusalem schon längst bestens bekannt, was Sache war. Aber da täuschten sie sich! Niemand von den Leuten der Heiligen Schriften hatte etwas bemerkt. Was für ein Armutszeugnis für die Juden! Was für eine Beschämung, dass Fremdlinge ihnen zeigen mussten, was Sache war! Die Magier nannten den verheissenen König den «König der Juden». Das ist ein ganz und gar un-jüdischer Ausdruck. Man findet ihn im Alten Testament nicht ein einziges Mal. Diesen Ausdruck hatten wenige Jahre davor die Römer geprägt, denn sie hatten den damals amtierenden König über Judäa eingesetzt, indem sie Herodes zum «König der Juden» ernannt hatten. Aber Herodes hätte gar keinen Anspruch auf jenen Thron haben dürfen, denn er war ein Idumäer, d.h. ein Edomiter. Jakob sollte über Esau herrschen, nicht umgekehrt! Aber doch hatten Fremde Herodes über die Juden gesetzt, indem sie ihn zum König der Juden ernannt hatten. Der wahre König der Juden sollte aber nicht dazu ernannt, sondern dazu geboren werden. Die Frage der Magier enthielt damit also, ohne dass diese es wussten, ein gewaltiges Konfliktpotential, wie die folgenden Verse zeigen.

Vers 3

Als aber der König Herodes es hörte, wurde er bestürzt und ganz Jerusalem mit ihm; Mt 2,3

Wir können verstehen, dass Herodes der Edomiter, der vom römischen Senat als König der Juden eingesetzt worden war, mit Bestürzung auf die Nachricht von einem Konkurrenten, einem zum König der Juden geborenen Menschen, hörte. Aus der Geschichtsschreibung wissen wir, dass Herodes Zeit seines Lebens von der Angst getrieben war, seinen Thron zu verlieren. Er wendete jede nur erdenkliche Taktik an, um seine Herrschaft zu sichern, von Schmeichelei bis hin zur Ermordung von potentiellen Konkurrenten war alles in seinem Repetoir. Vielleicht war ihm irgendwo in der hintersten Ecke seines Verstandes auch bewusst, dass er als Edomiter keinerlei Anrecht hatte, über Judäa zu herrschen, denn der HERR hatte schon vor der Geburt von Esau (dem Stammvater der Edomiter) und Jakob (dem Stammvater der Israeliten und damit auch der Juden) bestimmt, dass der Ältere (Esau) dem Jüngeren (Jakob) dienen und nicht etwa über diesen herrschen sollte (vgl. 1.Mose 25,23). Die Nachricht, dass nun der eigentlich von Gott dafür vorgesehene König der Juden gekommen sein sollte, war jedenfalls ein grosser Schock für Herodes.

Aber unser Vers spricht nicht nur von einer Bestürzung des Königs Herodes. Ganz Jerusalem war mit ihm bestürzt, als sich die Nachricht vom neu geborenen König der Juden verbreitete! Wie kann das sein? Warteten die Juden nicht sehnsüchtig auf ihren Messias, auf ihren Erlöser, auf Rettung und Befreiung? Hätte nicht ein gewaltiger Jubelschall ganz Jerusalem erfüllen müssen? Ach, auf den Mensch ist keinerlei Verlass! Viele Juden hatten sich mit ihrer Situation arrangiert. Sie lebten ganz gut unter der römischen Herrschaft, sie hatten lange Zeit Sonderrechte genossen, es herrschte Frieden und Wohlstand. Da gab es Hellenisten, also Juden mit einer grossen Vorliebe für alles Griechische – von heidnischer Philosophie bis hin zu einem unanständigen Körperkult –, die ihre Faszination frei entfalten konnten, weil die Römer ja ebenfalls grosse Anhänger der griechischen Kultur waren, da gab es Sadduzäer, die es verstanden hatten, aus dem israelitischen Tempeldienst ein für sie sehr lukratives Geschäft zu machen, da gab es die Zöllner, die mit den Römern zusammen arbeiteten, ihr eigenes Volk ausbeuteten und dabei unsäglich reich wurden, und da gab es die Pharisäer, die mittlerweile gewissermassen die Deutungshoheit bezüglich der Heiligen Schriften gewonnen hatten und sich nicht von diesem religiösen Thron stossen lassen wollten. Für all diese Menschen kam ein tiefgreifender gesellschaftlicher Umbruch höchst unpassend. Lieber wollten sie ihr gewohntes Leben weiter führen, als vom Messias in die Freiheit geführt zu werden.

Sehen wir diese Haltung heutzutage nicht auch bei uns in Europa? Die Menschen sind alles andere als frei, viele sind gebunden in Süchten, versklavt von der Sünde oder psychisch krank. Nie hat es so viele psychische Probleme gegeben wie seit der vermeintlichen Befreiung von Zwängen ab dem Jahr 1968! Den Menschen geht es schlecht. Schaut man auf der Strasse in die Gesichter von Menschen ab 40 Jahren, sieht man mehrheitlich eine Verkniffenheit, eine Verbitterung, eine Zeichnung vom Leben. Aber die Menschen haben sich mit ihrer Situation arrangiert! Weist man sie darauf hin, dass ihre Fesseln gelöst werden könnten, wollen sie es nicht wagen – aus Angst, das zu verlieren, woran sie sich so gewöhnt haben. Das ist die ganze Tragödie, dass der Mensch lieber im gewohnten Gefängnis bleibt, als sich in die unbekannte Freiheit zu begeben!

Vers 4

und er versammelte alle Hohen Priester und Schriftgelehrten des Volkes und erkundigte sich bei ihnen, wo der Christus geboren werden solle. Mt 2,4

Für Herodes war, obwohl er ein Edomiter und kein Jude war, klar, dass der zum «König der Juden» Geborene der Messias, der Christus sein musste. Also war ihm auch bewusst, dass er es mit der göttlichen Vorsehung, ja mit Gott selbst, zu tun hatte. Und trotzdem dachte er, er könne die Erfüllung des göttlichen Ratschlusses vereiteln und den Christus beseitigen! In dieser seiner Torheit glich er dem Pharao, der ebenfalls gemeint hatte, er könne sich dem HERRN in den Weg stellen und dabei gelingen haben!

Von einem menschlichen Standpunkt aus gesehen ging Herodes allerdings durchaus geschickt vor. Wenn es sich wirklich um den verheissenen Messias handeln sollte, dann musste sich wohl in den Heiligen Schriften der Juden (die mit unserem Alten Testament identisch sind) eine Prophetie bezüglich des Geburtsortes finden lassen. Also rief er alle Hohen Priester (es gab in Israel immer nur einen Hohenpriester, weshalb man den hier und an anderen Stellen verwendeten Ausdruck besser mit «führende Priester» übersetzen sollte) und die Schriftgelehrten – also alle, die sich mit den Heiligen Schriften auskannten – zu sich, um sich direkt bei ihnen zu erkundigen, welches der prophetisch angekündigte Geburtsort des Christus sein sollte. Wenn ihm das jemand sagen konnte, dann doch sicher diese in den Heiligen Schriften bestens unterwiesenen Männer!

Ist es nicht erstaunlich, dass Herodes fast wie selbstverständlich davon ausging, das prophetische Wort werde sich präzise erfüllen? Für ihn schienen die Heiligen Schriften keine Märchen, sondern vielmehr handfeste Informationen zu sein. Er ging fest davon aus, dass wenn in den Heiligen Schriften vor Jahrhunderten die Ortschaft X als Geburtsort des Messias angekündigt worden war, der Christus auch in der Ortschaft X zur Welt kommen würde. Herodes hatte also einen Glauben an die Heiligen Schriften, der deutlich fester war als jener, den man heute selbst unter bekennenden Christen findet! Denn wie viele Christen gibt es, die von sich sagen, sie hätten neues Leben von Gott empfangen, die aber an der Zuverlässigkeit des Wortes Gottes zweifeln! Und doch half dieses Vertrauen auf den Wahrheitsgehalt der Heiligen Schriften dem König Herodes nichts, denn er hielt das Wort Gottes zwar für zuverlässig, setzte aber sein Vertrauen nicht darauf. Er war wie ein Mensch, der überzeugt ist, dass dieses Glas Wasser vor ihm perfekt geeignet sei, um seinen Durst zu löschen, aber nicht davon trinkt und schliesslich, obwohl er den Wert und den Nutzen des Wassers perfekt erfasst hat, verdurstet. Es nützt nichts, vom Wahrheitsgehalt der Bibel überzeugt zu sein, wenn man nicht sein Vertrauen darauf setzt.

Vers 5

Sie aber sagten ihm: Zu Bethlehem in Judäa; denn so steht durch den Propheten geschrieben: Mt 2,5

Die führenden Priester und die Schriftgelehrten konnten dem König Herodes aus dem Stegreif die richtige Antwort geben. In ihren Heiligen Schriften gab es tatsächlich eine Stelle, die davon sprach, wo der Messias geboren werden sollte, nämlich in der Stadt Bethlehem in Judäa. Diese Männer kannten die Heiligen Schriften und sie waren offensichtlich – ebenso wie Herodes – davon überzeugt, dass sich diese Verheissung wortwörtlich erfüllen sollte. Aber auch sie wollten ihr Vertrauen nicht auf den lebendigen Gott setzen, der dieses Wort gesprochen hatte! Ihnen musste klar sein, was Herodes im Schild führte. Sie hatten lange genug mit ihm zu tun gehabt und selber miterlebt, wie er zeitlebens alles getan hatte, um den Thron zu erhalten und zu sichern, wie er sogar vor Mord nicht zurückgeschreckt war. Den Priestern und Schriftgelehrten musste also bewusst sein, dass sie mit ihrer Antwort den Messias ans Messer dieses gottlosen Edomiters liefern würden. Aber sie zögerten nicht, die richtige Antwort zu geben! Wieso? Weil der Messias höchst ungelegen kam, weil Er ihr etabliertes System und ihre Vorrangsstellung gefährdete. Nur schon seine blosse Existenz war in ihren Augen eine Gefahr! Da kam ihnen der gottlose Edomiter gerade recht, der sich an ihrer Stelle die Hände schmutzig machen würde.

Vielleicht können wir nachvollziehen, dass die führenden Juden sich später einmal durch die entlarvenden Reden des Herrn Jesus beleidigt fühlten, dass sein Handeln eine andauernde Provokation für sie war, aber hier war noch nichts von all dem geschehen. Sie wussten nicht, wer und wie Er war, sie wussten nicht, was Er noch alles tun sollte, aber dennoch wollten sie Ihn jetzt schon loswerden und ermorden lassen. Wenn man sich das einmal richtig vor Augen führt, dann ist Mt 2,5 einer der traurigsten Verse im ganzen Neuen Testament. Schonungslos legt der Heilige Geist hier die völlig verdorbene Gesinnung der religiösen Führerschaft bloss; Er entlarvt ihre Bosheit und stellt sie so ans Licht, dass man als Leser nur erschaudern kann. Aber wir wollen nicht einfach mit dem Finger auf die «bösen Juden» zeigen, sondern uns selbst fragen, wie wir reagieren würden, wenn der Herr Jesus selbst in unsere Kirchen kommen und unsere Gottesdienste so «stören» würde, wie Er damals das jüdisch-religiöse System erschüttert hat. Ich wäre nicht überrascht, wenn Er bei uns auf denselben erbitterten Widerstand stossen würde, denn seien wir einmal ehrlich: Richtig nach Seinem Willen läuft in der Christenheit im Allgemeinen schon lange nichts mehr! Vergleichen wir das Leben der ersten Christen in der Apostelgeschichte mit unserem Leben jetzt, können wir nur den totalen Bankrott erklären.

Vers 6

»Und du, Bethlehem, Land Juda, bist keineswegs die geringste unter den Fürsten Judas, denn aus dir wird ein Führer hervorkommen, der mein Volk Israel hüten wird.« Mt 2,6

Das war die Prophezeiung, auf die sich die Schriftgelehrten beriefen. Sie kannten das Wort Gottes so gut, aber es war ihren Herzen doch so fern! Sie behandelten die Heiligen Schriften wie ein Gesetzbuch, wie eine Gebrauchsanleitung: «Ihr erforscht die Schriften, denn ihr meint, in ihnen ewiges Leben zu haben» (Joh 5,39a), aber die Bibel ist kein Gesetzbuch und auch keine Gebrauchsanleitung, sondern ein göttliches Zeugnis über den Einen, Vollkommenen, Gott, gepriesen in Herrlichkeit, den Sohn Gottes, Jesus Christus: «Und sie sind es, die von mir zeugen; und ihr wollt nicht zu mir kommen, damit ihr Leben habt» (Joh 5,39b.40). Er, der Herr Jesus, ist das Kernstück, der zentrale Gegenstand der Bibel, und nur in Ihm ist das ewige Leben zu finden.

Die Schriftgelehrten zeigten nicht nur damit, dass sie den Messias dem König Herodes ans Messer lieferten, sondern auch durch eine bewusst unvollständige Wiedergabe der alttestamentlichen Prophezeiung, dass sie das göttliche Zeugnis über den Messias nicht annehmen wollten. Das in Mt 2,6 wiedergegebene Zitat stammt aus Micha 5,1, aber es ist nicht komplett. In Micha 5,1 heisst es:

Und du, Bethlehem Efrata, das du klein unter den Tausendschaften von Juda bist, aus dir wird mir der hervorgehen, der Herrscher über Israel sein soll; und seine Ursprünge sind von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her. Micha 5,1

Der erste Teil des Verses, den die Schriftgelehrten zitiert haben, spricht von der Menschheit des Messias, vom Anfang seiner Wege als Mensch auf dieser Erde. Der zweite Teil, den sie unterschlagen haben, spricht von der Gottheit des Messias, nämlich davon, dass Seine Ursprünge – als Gott – von der Urzeit und von den Tagen der Ewigkeit her sind. Der Messias ist also gemäss Micha 5,1 keine geschaffene oder «gewordene» Person, wie wir es sind, sondern Gott selbst, der von Ewigkeit her ist und in alle Ewigkeit derselbe bleiben wird! Aus den alten jüdischen Schriften kann man erfahren, dass die Juden das göttliche Zeugnis über den Messias zunächst angenommen und Seine Gottheit bekräftigt hatten. Mit der Zeit hatte man sich aber von dieser Wahrheit abgewandt, sodass die Schriftgelehrten zur Zeit Jesu Christi auf eine entsprechende Frage hin entschieden erklärt hätten, der Messias sei nur ein Mensch und nicht Gott. Die Auslassung des zweiten Versteils von Micha 5,1 in Mt 2,6 ist ein erschreckendes Zeugnis für diese Verblendung.

Vers 7

Dann berief Herodes die Weisen heimlich und erforschte genau von ihnen die Zeit der Erscheinung des Sternes; Mt 2,7

Herodes kannte nun den Ort, an dem er suchen musste. Aber es verhielt sich eben nicht so, wie wir es aus unseren verklärten, romantischen Überlieferungen kennen, dass gewissermassen alles in einer Nacht geschehen wäre. Die Magier waren bereits einige Zeit unterwegs gewesen; die Geburt Jesu Christi lag deshalb schon eine unbestimmte Zeit in der Vergangenheit. Herodes kannte deshalb nur den Ort, aber nicht die Zeit. Diese wollte er nun von den Magiern in Erfahrung bringen, um abschätzen zu können, wie alt der Junge sein würde, den er suchte. Er berief die Magier heimlich. Niemand sollte von seinen Plänen erfahren. Wir erkennen im Vorgehen von Herodes eine ausgeprägte Zielstrebigkeit. Er wusste genau, an wen er sich wofür wenden musste. Bedenken wir, dass ihm als König über die damals sehr grosse Provinz Judäa (die ein Mehrfaches grösser als der heutige Staat Israel war), viele Mittel zur Verfügung standen. Zudem war er skrupellos; er schreckte vor nichts zurück. Damit zeigt uns das Kapitel 2 des Matthäus-Evangelium unter anderem einen Kampf zwischen zwei Königen oder einen Kampf zwischen zwei Reichen: Auf der einen Seite steht ein weltliches Reich mit einem mächtigen, aber bösen König, der fast nach Belieben schalten und walten kann; auf der anderen Seite steht ein himmlisches Reich mit einem vermeintlich schwachen, hilflosen König, der noch ein kleines Kind ist. Wird der starke König den schwachen überwinden? Kann ein Mensch, dem alle nur denkbaren Mittel zur Verfügung stehen, die Vorsehung Gottes zunichte machen? Herodes dachte es, wie es einst auch der Pharao gedacht hatte. Aber beide lagen vollkommen falsch!

Vers 8

Und er sandte sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht genau nach dem Kind! Wenn ihr es aber gefunden habt, so berichtet es mir, damit auch ich komme und ihm huldige. Mt 2,8

O, dieser Herodes! Was für ein böser und gottloser Mensch muss das gewesen sein! Wir wissen aus der Geschichte, dass er sich auf Schmeicheleien ebenso gut verstand wie auf Mord und Totschlag. Diese Magier aus dem fernen Osten kannten ihn nicht, weshalb er sie problemlos hinters Licht führen konnte. Sie mussten ja davon ausgehen, dass die Juden ein mindestens gleich grosses Verlangen wie sie als Fremdlinge hatten, den Messias zu sehen, und sie konnten wohl nicht wissen, dass Herodes, der König der Juden, selbst gar kein Jude, sondern ein Edomiter war. Als er ihnen sagte, er wolle zum Messias kommen und ihm huldigen, hatten sie keine Veranlassung, ihm zu misstrauen. Das musste ihnen völlig naheliegend und ernstgemeint vorkommen. In den folgenden Versen werden wir sehen, dass sie ohne jeden Argwohn zu Herodes zurückgekehrt und ihm den Messias unwissentlich ans Messer geliefert hätten, wenn nicht Gott selbst eingegriffen hätte.

Vers 9

Sie aber zogen hin, als sie den König gehört hatten. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er kam und oben über der Stelle stand, wo das Kind war. Mt 2,9

Was für ein seltsamer Stern leitete doch diese Magier aus dem Osten! Offenbar musste es sich bei dieser Himmelserscheinung zunächst um etwas gehandelt haben, das einem aufgehenden oder neuen Stern entsprach. Sie erlaubte es den Magiern nämlich nur, eine Verbindung zur alten Verheissung für Israel zu machen und sich deshalb nach der Hauptstadt von Israel aufzumachen. Nachdem sie mit Herodes gesprochen hatten, veränderte sich aber die Erscheinung, denn plötzlich begann der Stern, sich zu bewegen. Zudem muss er eine andere Erscheinungsform angenommen haben, denn jetzt leuchtete dieses Licht nicht wie ein gewöhnlicher Stern am Himmel, sondern es konnte die Magier ganz gezielt bis zum richtigen Haus in Bethlehem führen, wo es dann wieder still stand. Man hat in der Vergangenheit viel darüber gerätselt, welcher Stern oder aber welcher Komet dies gewesen sein könnte. Der biblische Bericht macht aber klar, dass diese Himmelserscheinung so ungewöhnlich gewesen ist, dass man sie keiner bekannten Kategorie zuordnen kann. Die Magier wurden durch und durch übernatürlich geführt.

Vers 10

Als sie aber den Stern sahen, freuten sie sich mit sehr grosser Freude. Mt 2,10

Die Magier aus dem fernen Osten waren durch einen besonderen Stern geleitet worden. Sie mussten ihn anschliessend aus dem Blick verloren haben, wohl weil er verschwand, um einige Zeit später in einer ganz neuen Form wieder zu erscheinen. Als sie den Stern neu wieder sahen, freuten sie sich mit sehr grosser Freude. Wie schön ist diese Betonung im Vers, der vor uns liegt! Eine sehr grosse Freude! Wir müssen bedenken, dass diese Magier nicht direkt durch den Heiligen Geist geleitet wurden, denn sie waren Fremdlinge, die nicht zu Gottes erwähltem Volk gehörten. Ihr Verständnis bezüglich der alttestamentlichen Verheissungen dürfte sehr lückenhaft gewesen sein und nur auf einzelnen Erzählungen beruht haben, die sie gehört hatten. Wie sollten sie also den Weg zum Messias finden, wie sollten sie Leitung in ihrem Leben erfahren, wie sollten sie mit Gott in Kontakt treten? Es war schier unmöglich! Aber Er hatte sich ihnen in Gnade zugewandt. Er hatte den Stern zum ersten und dann auch zum zweiten Mal erscheinen lassen. Kaum sahen sie den Stern wieder vor sich, wussten sie, dass Gott sie auch den weiteren Weg führen würde – und das war ihnen eine grosse Freude und Erleichterung.

Haben wir dieselbe Haltung? Jemand hat einmal gesagt, dass es nur zwei Arten von Menschen gibt, nämlich jene, die sagen: «Dein Wille geschehe!», und jene, die sagen: «Mein Wille geschehe!». Da ist etwas Wahres dran. Die allermeisten Menschen sind ganz froh, wenn Gott der HERR sich nicht zu sehr in ihre Angelegenheiten einmischt. Sie leben ihr Leben so, wie sie selbst es für richtig halten, wie sie selbst es wollen. Das Motto in unserer ehemals christlichen Gesellschaft lautet heute: «Nimm es Dir – und zwar gleich sofort!» Unsere Gesellschaft ist geprägt von einem rücksichtslosen Egoismus, vom Lustprinzip und von einer ungeheuerlichen Anspruchshaltung. Der ehemalige amerikanische Präsident John F. Kennedy hat einmal gesagt: «Frag nicht, was Dein Land Dir geben kann; frag, was Du Deinem Land geben kannst!» Diese Aussage stiess auf Begeisterung. Heute würde man ihn für diese Aussage scharf kritisieren, denn unsere Haltung ist mittlerweile, dass wir gar niemandem etwas schulden, aber Anspruch auf alles haben sollten, was irgend wir wollen. Würde der HERR in unser Leben eingreifen und uns leiten wollen, würden sich die meisten von uns entschieden dagegen wehren. Bei den Magiern damals war es umgekehrt: Sie freuten sich mit sehr grosser Freude darüber, dass sie nicht mehr auf sich allein gestellt waren, sondern wieder von oben geleitet wurden. Weshalb hatten sie diese Haltung? Weil sie Gott vertrauten – mehr vertrauten als sich selbst. Sie waren überzeugt, dass Er ihnen etwas ausserordentlich Gutes bereitet hatte und sie dahin führen wollte. Ein echter Christ hat dieselbe Haltung. Er vertraut Gott bedingungslos und ist völlig davon überzeugt, dass das, was der HERR ihm geben will, besser als alles andere ist, dass der Weg, den der HERR ihn führen will, besser als jeder andere Weg ist. Er weiss, dass er im Elend landen wird, wenn er seinen Weg nach eigenem Gutdünken gehen muss, dass er aber auf grüne Auen und zu frischen Wassern geführt wird, wenn er sich vom HERRN leiten lässt. Vertrauen wir Gott dem HERRN? Dann werden auch wir uns mit sehr grosser Freude freuen, wenn Er uns neu leiten wird!

Vers 11

Und als sie in das Haus gekommen waren, sahen sie das Kind mit Maria, seiner Mutter, und sie fielen nieder und huldigten ihm, und sie öffneten ihre Schätze und opferten ihm Gaben: Gold und Weihrauch und Myrrhe. Mt 2,11

Wir müssen uns das einmal vorstellen: Die in ihrem Land wohl hochangesehenen, als sehr weise geltenden und sicherlich einflussreichen Männer fallen vor einem Kleinkind nieder und beten es an! Was muss das für eine Szene gewesen sein! Aber so urteilt der Glaube: Er blickt hinter das Sichtbare und beurteilt geistliche Dinge, himmlische Realitäten. Diese Mager erkannten, dass sie es nicht nur mit dem aussergewöhnlichsten Menschen zu tun hatten, der je über diese Erde gegangen ist, sondern mit Gott selbst, gekommen im Fleisch. Sie taten das Richtige, aber von einer menschlichen Warte aus sah es seltsam und unvernünftig aus. Aber genau diese Art von Handeln zieht sich durch die ganze Bibel hindurch. Denken wir beispielsweise nur einmal an Noah! Mitten auf dem Trockenen baute er ein Schiff. Wahrscheinlich hatte es bis dahin noch nie geregnet und das Meer war jedenfalls weit entfernt. Jahrzehntelang baute er an jenem Projekt. Die Leute müssen ihn für verrückt gehalten haben, aber er war der Einzige, der wirklich klar sah, weil er sein Urteil nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Wort Gottes stützte.

Wahrscheinlich hat sich die traditionelle Auffassung, es seien drei Männer gewesen, die dem HERRN gehuldigt haben, etabliert, weil hier in Mt 2,11 drei Geschenke genannt werden. Diese drei Geschenke sind aber vielleicht nur von zwei, vielleicht aber auch von vier, fünf, einem Dutzend Männer dargebracht worden. Wir wissen es nicht. Die Geschenke sind jedenfalls allesamt von hoher Symbolkraft: Gold wird in der Bibel immer wieder mit dem Göttlichen in Verbindung gebracht. Es war das reinste bekannte Edelmetall, deshalb auch sehr wertvoll und damit ein bildhafter Hinweis auf die göttliche Natur, denn Gott ist absolut makellos rein und heilig und gut. Das Gold, das die Magier darbrachten, bezeugte also ebenso wie ihre Anbetung die Gottheit des Messias. Das war nicht einfach ein kleines Kind, das sie aufsuchten, sondern der HERR der Herrlichkeit selbst, Mensch gewordener Gott! Weihrauch ist ein Gewürz, das einen sehr angenehmen Duft verströmt, wenn es verbrannt wird. In den ersten Kapiteln des dritten Buches Mose werden die verschiedenen Opferarten beschrieben. Immer wieder finden wir dort den Gedanken, dass von diesen Opfern ein lieblicher Geruch in die Nase Gottes aufsteigen sollte. Dieser liebliche Duft spricht davon, wie der Herr Jesus den Vater in den Himmeln als Mensch auf dieser Erde verherrlicht und erfreut hat. Alles, was er tat, sagte, dachte und fühlte, war in völliger Übereinstimmung mit Gott dem Vater und darauf ausgerichtet, Ihn zu ehren und zu erfreuen. Wann immer der Vater auf den Sohn blickte, hatte Er nur Grund zur höchsten Freude. Und davon spricht dieser liebliche Duft respektive hier in Mt 2,11 der Weihrauch. Er betraf aber nicht nur das Leben des Herrn Jesus hier auf der Erde, sondern vor allem auch seinen Tod, durch den Er den Vater in einer ganz einmaligen Weise verherrlichen sollte. Das wird daran erkennbar, dass Weihrauch seinen lieblichen Geruch erst entfaltete, wenn er verbrannt wurde. Hier haben wir also schon einen ersten Hinweis auf die kommenden Leiden des Messias vor uns. Myrrhe schliesslich spricht ganz besonders von Leiden. Es handelt sich dabei um ein überaus kostbares Harz, das in verschiedenen Qualitäten erhältlich war. Die kostbarste Art von Myrrhe wurde gewonnen, indem man einem bestimmten Baum oder Strauch eine Wunde zufügte. Das als Wundreaktion einsetzende «Bluten» des Baumes setzte das begehrte Harz frei, das man dann als Myrrhe verkaufen konnte. Myrrhe ist bitter und das Ursprungswort, von dem sich unser Begriff «Myrrhe» ableitet, ist auch «bitter». Myrrhe wurde vor allem für das Einbalsamieren von Toten verwendet. Damit ist Myrrhe ein dreifacher Hinweis auf die Leiden und den Tod dieses kleinen Kindes, das die Magier aus dem fernen Osten anbeteten.

Vers 12

Und als sie im Traum eine göttliche Weisung empfangen hatten, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg hin in ihr Land. Mt 2,12

Die Magier hatten Herodes zugesichert, ihm auf ihrer Rückreise nochmals einen Besuch abzustatten und ihm den genauen Aufenthaltsort des Messias zu nennen. Sie konnten ja nicht wissen, was dieser hinterlistige und gottlose König wirklich im Schilde führte! Aber sollte Herodes wirklich Erfolg haben? Sollte es ihm gelingen, Gottes Pläne zu durchkreuzen? Natürlich nicht! Durch einen Traum sprach der HERR direkt zu den Magiern. Er gebot ihnen, nicht wieder zu Herodes zurück zu kehren, sondern direkt in ihr Land zu ziehen, was sie dann auch im Gehorsam taten. Wenn man mal darauf achtet, ist es doch sehr auffällig, wie in Mt 2 dieser Kampf zwischen den beiden «Königen der Juden» beschrieben wird: Einem – Herodes – standen alle nur erdenklichen Mittel zur Verfügung und er setzte alles daran, seinen Widersacher zu beseitigen; der andere – Jesus Christus – war ein Kleinkind ohne irgendwelche Hilfsmittel, das naturgemäss weder Pläne schmiedete noch Massnahmen ergriff, um sich zu verteidigen. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Königen hätte nicht ungleicher sein können, aber doch war Herodes absolut chancenlos. Wir müssen uns vor Augen führen, dass es uns nicht anders ergehen kann. Manchmal sträuben wir uns ein wenig oder vielleicht sogar stark gegen den Willen Gottes. Wir versuchen, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, alle Hebel in Bewegung zu setzen und uns aus einer bestimmten Lage zu befreien oder ähnliches. Aber wir müssen wissen, dass wir niemals den Willen Gottes übersteuern können. Versuchen wir es doch, werden wir am Ende nur unsere eigene Torheit offenbaren.

Vers 13

Als sie aber hingezogen waren, siehe, da erscheint ein Engel des Herrn dem Josef im Traum und spricht: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter zu dir und fliehe nach Ägypten, und bleibe dort, bis ich es dir sage! Denn Herodes wird das Kind suchen, um es umzubringen. Mt 2,13

Mit der Weisung an die Magier war die Gefahr für das Kleinkind Jesus noch nicht gebannt, denn Herodes wusste ja, dass er in Bethlehem nach einem kleinen Jungen suchen musste, was die Zielgruppe relativ überschaubar machte. Die Zeit drängte, denn Herodes würde gewiss bald merken, dass die Magier nicht zu ihm zurückkehren würden. Dann würde er andere Hebel in Bewegung setzen. Die junge Familie musste den nun gefährlich gewordenen Ort Bethlehem möglichst rasch verlassen. Deshalb sprach der HERR auch zu Joseph in einem Traum. Er forderte ihn auf, umgehend das Land zu verlassen und nach Ägypten zu fliehen. Er nannte ihm auch den Grund für die Aufforderung zur eiligen Flucht: Herodes trachtete danach, das Kind zu suchen und umzubringen!

Wenn wir die ersten zwei Kapitel des Matthäus-Evangeliums überblicksmässig vor uns haben, ist sehr auffällig, durch wie viele Träume der HERR damals zu Menschen gesprochen hat. Nur schon in diesen zwei Kapiteln werden fünf Träume erwähnt. Leider denken viele Christen, dass Träume auch heute noch das Mittel der Wahl seien, wie der HERR zu den Seinen sprechen will. Mit diesem Gedanken öffnen sie sich in einer naiven Weise für böse Einflüsse, denn Träume können nicht nur von Gott, sondern auch aus unserer (von den Eindrücken des Tages «überfluteten») Seele kommen, «denn Träume kommen durch viel Geschäftigkeit» (Pred 5,2). Darin steckt eine grosse Gefahr, denn die Träume, die unsere Seele «produziert», um die Eindrücke des Tages zu verarbeiten, sind ganz wesentlich davon beeinflusst, womit wir uns den Tag hindurch beschäftigt haben. Sie können im schlimmsten Fall ein Hebel sein, über den der Teufel Einfluss auf uns ausüben kann. Dazu kommt, dass man zur Traumdeutung – auch im «christlichen» Bereich, der von Scharlatanen durchsäuert ist – oft auf Ansätze aus der Psychologie zurückgreift, die ihrerseits ihre Wurzeln direkt in der Esoterik hat.

Erstaunlicherweise finden wir in der ganzen Bibel nicht eine einzige Stelle, die uns von einem Sprechen des HERRN zu einem Christen durch einen Traum berichtet! Ein Zusammenhang zwischen «Christ» und «Traum» wird nur im Judas-Brief hergestellt, wo es um falsche Christen geht, also um gottlose Menschen, die sich als Christen ausgeben: «Ebenso aber beflecken auch diese als Träumende das Fleisch» (Jud 1,8). Wieso sollte der HERR auch zu einem Christen durch einen Traum sprechen sollen? Als Christen haben wir den Heiligen Geist beständig in uns wohnend! Durch diesen in uns wohnenden Heiligen Geist kann der HERR direkt mit unserem (menschlichen) Geist kommunizieren (vgl. Röm 8,16), weshalb es keinen «Umweg» über einen Traum braucht. Mit Joseph, einem gottesfürchtigen Juden, in dem der Heilige Geist nicht wohnte, und erst recht mit den fremden Magiern konnte der HERR nicht auf diese Weise kommunizieren, weshalb Er Träume benutzte. Von Gott eingegebene Träume sind also eher ein Kommunikationsmittel für Menschen, die Ihm noch «fremd» sind. Das bedeutet nicht, dass ein Christ niemals – ohne jede Ausnahme – durch einen Traum von Gott geleitet werden könnte. Aber ein Sprechen Gottes zu einem Christen durch einen Traum ist auf alle Fälle etwas sehr Ungewöhnliches und gewiss nichts Normales. Hat jemand den Eindruck, der HERR habe durch einen Traum zu ihm gesprochen, sollte er sich sehr gewissenhaft fragen, ob das wirklich ein Sprechen des HERRN gewesen ist. Ein Christ, der Träumen «nachjagt», befindet sich jedenfalls eindeutig auf dem falschen Dampfer und begibt sich selbst in grosse Gefahr.

Vers 14

Er aber stand auf, nahm das Kind und seine Mutter des Nachts zu sich und zog hin nach Ägypten. Mt 2,14

Dieser Joseph war schon ein erstaunlicher Mann! Auf das Wort des HERRN hin heiratete er die nicht von ihm schwanger gewordene Maria und auf das Wort des HERRN hin verliess er noch mitten in der Nacht alles, um sofort nach Ägypten zu fliehen! Das waren zwei gewaltig grosse Glaubensschritte. Manch einer denkt sich vielleicht, dass er sich selbstverständlich auch so verhalten würde, wenn der HERR so direkt zu ihm sprechen würde. Aber ist das wirklich so? Wie oft hat der Heilige Geist schon durch das Wort Gottes, die Bibel, zu unseren Herzen gesprochen und uns Weisung gegeben! Und wie oft haben wir anschliessend Ausreden erfunden, um das, was wir vernommen haben, zu relativieren! Wie oft ist uns schon bewusst geworden, dass dieses oder jenes falsch ist, und wie oft haben wir es doch weiterhin getan! Ach, es ist eben leider nicht so, dass wir einem «Brief vom Himmel» sofort Folge leisten würden! Unsere Herzen sind hart und wir sind träge. Nehmen wir uns doch ein Beispiel an Joseph, dem Mann von Maria! Üben wir uns in einer Haltung, die den Willen Gottes von Herzen tun will! Das wird uns selbst zum grossen Segen sein.

Vers 15

Und er war dort bis zum Tod des Herodes; damit erfüllt wurde, was von dem Herrn geredet ist durch den Propheten, der spricht: »Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.« Mt 2,15

Die Mordpläne des Herodes zwangen Joseph und seine kleine Familie zur Flucht. Hätte der HERR Joseph nicht durch einen Traum gewarnt, wäre er nicht rechtzeitig geflohen. Das Kleinkind Jesus wurde, wenn man das mit aller Ehrfurcht so sagen darf, einfach mitgetragen. Seine Eltern bestimmten, wo es hinging. Durch diese spontanen Entscheidungen fügten sich die Dinge aber so, dass Gottes längst gefasster Ratschluss erfüllt wurde. Mit der Flucht nach Ägypten erfüllte sich eine weitere wichtige Prophezeiung. Aber es ist wichtig zu sehen, dass da keinerlei menschliche Taktik im Spiel war. Joseph ging nicht nach Ägypten, weil er dafür sorgen wollte, dass sein Sohn möglichst viele Verheissungen erfüllte, sondern weil der HERR ihn zur Flucht angehalten hatte. Er war ja auch nicht nach Bethlehm gezogen, damit sein Sohn – nach der Verheissung – dort geboren würde, sondern weil ein kaiserlicher Erlass ihn dazu zwang. Sonst wäre er sicher nicht mit Maria erst aufgebrochen, als diese bereits hochschwanger war, sondern viel früher, als das Reisen noch wesentlich beschwerdefreier vonstatten gegangen wäre. Wir sehen also, dass Menschen ganz normale, spontane Entscheidungen fällten, dass sie durch äussere Umstände oder aber auch durch ein direktes Sprechen des HERRN geführt wurden, ohne dass ihr Wille irgendwie übersteuert worden wäre – und dass sich trotzdem alles gemäss dem ewigen Ratschluss Gottes fügte. Dieses Zusammenspiel zwischen der göttlichen Fügung und dem menschlichen Handlungs- und Verantwortungsspielraum ist ein grosses Geheimnis, das wir nie völlig erfassen werden, solange wir auf dieser Erde sind.

Aber was war denn das für eine Verheissung, die sich hier erfüllte? Mt 2,15 enthält ein Zitat aus Hos 11,1: «Als Israel jung war, gewann ich es lieb, und aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen». Diese Stelle spricht doch gar nicht vom Messias, könnte man nun einwenden. Ja, und gerade deshalb ist dieser Zusammenhang zwischen Hos 11,1 und Mt 2,15 so interessant und wichtig! Es ist sehr lehrreich und ein grosser Gewinn für jeden Bibelleser, sich einmal etwas intensiver mit der Frage zu befassen, wie der Heilige Geist im Neuen Testament Zitate aus dem Alten Testament verwendet, um Seine Botschaft zu unterstreichen. Sehr oft ist die Verwendung von alttestamentlichen Zitaten nämlich – in aller Ehrfurcht gesagt – recht kreativ und nicht selten sogar wirklich unerwartet. Man würde im ersten Augenblick denken, dass die angeführte alttestamentliche Stelle – wie hier zum Beispiel – gar nicht zur neutestamentlichen Aussage passe, aber wenn man ein wenig darüber nachsinnt, stellt man fest, dass die Stelle nicht nur perfekt passt, sondern dass der Umstand, wie das Zitat eingefügt wird, gleich nochmals eine zusätzliche Offenbarung enthält.

Bereits aus dem Alten Testament (ohne Bezugnahme auf das Neue Testament) geht hervor, dass Gott der HERR das Volk Israel und den Messias auf eine eigentümliche Weise miteinander identifiziert: Manchmal ist die Rede vom Volk Israel, aber der Zusammenhang macht klar, dass es eigentlich um den Messias geht und dass das Volk nur stellvertretend für den Messias erwähnt wird; manchmal ist die Rede vom Messias, aber der Zusammenhang zeigt, dass es eigentlich um das Volk Israel geht. Das Volk Israel kann also stellvertretend für den Messias stehen und umgekehrt. Hier sollen nur ein paar wenige Beispiele angeführt werden: In Psalm 41 ruft jemand («ich») ab Vers 5 den HERRN um Gnade an, «denn ich habe gegen dich gesündigt» (Ps 41,5). Diese Person schildert dann in den folgenden Versen, wie sie von Feinden bedrängt worden ist; in Vers 10 heisst es schliesslich: «Selbst mein Freund, auf den ich vertraute, der mein Brot ass, hat die Ferse gegen mich erhoben» (Ps 41,10). Dieser Vers ist eine eindeutige Bezugnahme auf den Verrat des Judas Iskariot am Herrn Jesus Christus. Das macht das Zitat dieses Verses in Joh 13,18 völlig klar. Ja, aber hat denn der Messias gesündigt, wie es in Ps 41,5 heisst? Natürlich nicht! Der Herr Jesus kannte keine Sünde, Sünde war nicht in Ihm und Er tat keine Sünde! Wie bringen wir dann aber Ps 41,5 und Ps 41,10 zusammen? Die Erklärung lautet wie folgt: Psalm 41 ist – wie sehr viele der Psalmen – ein Gebet des treuen Überrestes, d.h. des echt gottesfürchtigen Teils des Volkes Israel, mit dem Sich der Messias in Gnade völlig einsmacht, identifiziert. Er stimmt gewissermassen in ihr Gebet ein, fügt Ihn betreffende Passagen hinzu und betet damit gewissermassen zusammen mit ihnen. Das soll anzeigen, dass Er voller Mitgefühl mitleiden wird, wenn sie Verfolgung, Leid und Drangsal erfahren, ganz nach Jes 63,9: «In all ihrer Bedrängnis war er bedrängt». Ein Gegenstück dazu findet man beispielsweise in den sogenannten «Gottesknechtliedern» im Buch Jesaja (Jes 42,1–9; Jes 49,1–13; Jes 50,2–11; Jes 52,13–53,12; Jes 61,1–3). Liest man diese Passagen, die jeweils vom Knecht des HERRN sprechen, stellt man fest, dass diese Lieder von einer einzelnen Person – dem Messias –, zugleich aber auch vom ganzen Volk Israel sprechen. Was gilt nun? Beides! In Jes 41,8 heisst es: «Du aber, Israel, mein Knecht, Jakob, den ich erwählt habe …». Das Wort «Israel» ist eben nicht nur die Bezeichnung für ein bestimmtes Volk, sondern auch ein Begriff dafür, was dieses Volk als eine Einheit hätte sein sollen: Ein Kämpfer Gottes. Das war ja der Name, den der HERR dem Jakob gegeben hat. Jakob sollte fortan kein Fersenhalter, sondern ein Gotteskämpfer sein, ein Knecht Gottes. Ebenso sollten seine Nachkommen insgesamt als Einheit Gotteskämpfer, ein Knecht Gottes sein. Aber die Nation hatte versagt, immer und immer wieder, weshalb sie als Knecht nicht taugte. Deshalb musste Gott einen weiteren Knecht berufen, den wahren Israel, den Messias. Er allein sollte den Platz einnehmen, den Israel als Ganzes nicht hatte halten können. Er sollte in einem gewissen Sinne an die Stelle Israels treten. Das ist göttliche Identifikation: Der Messias steht für Israel, Israel steht für den Messias. Dasselbe sehen wir in Bezug auf das Verhältnis zwischen dem Stammvater Jakob und dem Volk Israel in Hos 12,3b–14: Diese Stelle spricht abwechselnd vom Stammvater und vom Volk, wobei Jakob stellvertretend für das Volk steht und umgekehrt. Hat man dieses Prinzip der göttlichen Identifikation einmal verstanden, klären sich viele Stellen von selbst, die sonst schwierig zu verstehen wären.

Das Buch Hosea schildert über weite Teile Israels Untreue und die göttliche Antwort des Gerichtes. Die letzten Kapitel sprechen dann aber plötzlich von einer künftigen Versöhnung und Wiederherstellung. Doch wie sollte Gott der HERR, der Heilige der Heerscharen, Sich diesem untreuen Volk wieder in Gerechtigkeit zuwenden können? Der Schlüssel ist «der Sohn», den Er aus Ägypten rufen wird! Einmal hat Er Israel wie einen Sohn aus Ägypten gerufen, aber Israel hat sich in der Folge als ein untreuer Sohn erwiesen, der verstossen werden musste. Indem Er diese Stelle in Mt 2,15 zitiert, zeigt Er an, dass Er noch einmal einen Sohn aus Ägypten rufen wird, den wahren Israel, den Messias. Dieser wird die Grundlage für die Versöhnung und Wiederherstellung Israels – aber nicht nur Israels, sondern der ganzen Welt – legen. So hat Gott der HERR also in einer gewissen Weise bereits damals, als Er das Volk Israel aus Ägypten gerufen hat, Seinen geliebten Sohn, den Herrn Jesus Christus, vor Augen gehabt, aber dieser Gedanke ist erst mit Hos 11,1 und Mt 2,15 wirklich klar offenbart worden. Die Heilige Schrift ist eine wunderbare Einheit und wir können nur staunen, wenn wir sehen, wie ein Gedanke aus dem zweiten Buch Mose sich über das Buch Hosea bis zum Matthäus-Evangelium erstreckt und erst das Zusammenspiel dieser drei Bücher den Gedanken vollständig offenbart!

Vers 16

Da ergrimmte Herodes sehr, als er sah, dass er von den Weisen hintergangen worden war; und er sandte hin und liess alle Jungen töten, die in Bethlehem und in seinem ganzen Gebiet waren, von zwei Jahren und darunter, nach der Zeit, die er von den Weisen genau erforscht hatte. Mt 2,16

Das Herz will stehen bleiben oder aber zerspringen, wenn man liest, was der Heilige Geist durch Matthäus so nüchtern berichtet hat: Der König Herodes liess in der ganzen Stadt Bethlehem alle männlichen Kleinkinder von null bis zwei Jahren töten! In seinem Wahn, seinen vermeintlichen Gegenspieler auszuschalten, schreckte er vor gar nichts zurück, nicht einmal vor so einem schrecklichen Gräuel. Was für ein böser Mensch muss das gewesen sein! Berechnend, skrupellos, eiskalt. Man will sich gar nicht ausmalen, wie die verzweifelten Mütter weinend, schreiend und flehend versucht haben müssen, ihre geliebten Kleinkinder vor den Schwertern der Soldaten zu schützen. Man kann sich kaum vorstellen, wie die Soldaten diesen schrecklichen Befehl ausführen konnten, welche Belastung das auch für sie gewesen sein muss. Das Schwert im Kampf gegen einen geschulten Krieger zu erheben, ist eine Sache, aber das Schwert gegen ein wehrloses Kleinkind zu erheben, eine ganz andere. Herodes hatte aber offenbar die Macht und den Einfluss, auch einen so schrecklichen Befehl sofort in die Tat umsetzen zu lassen. Wieder einmal zeigt sich, dass er berechnend, entschlossen, mächtig und skrupellos zu Werke gegangen ist, es ihm aber dennoch nicht gelungen ist, den König der Juden zu töten, der damals noch ein wehrloses Kleinkind gewesen ist. Der Mensch kann tun und lassen, was er will, er kann den Willen Gottes nicht übersteuern.

Vers 17

Da wurde erfüllt, was durch den Propheten Jeremia geredet ist, der spricht: Mt 2,17

So unfassbar schrecklich der Kindermord in Bethlehem auch gewesen ist, er war in der göttlichen Vorsehung enthalten. Gott der HERR hatte gewusst, dass es dazu kommen werde, und Er hat es zugelassen – ja, mehr noch: Er hat es schon rund 600 Jahre davor durch den Propheten Jeremia ankündigen lassen. Wie kann das sein? Wie kann ein gütiger und liebender Gott so eine schreckliche Tat zulassen? Auf diese Frage gibt es keine einfache, keine «billige» Antwort. Die Wege des HERRN sind für uns manchmal unbegreiflich, da sie viel höher als unsere Wege sind (Jes 55,9). Darin liegt ein Test für unseren Glauben: Vertrauen wir Ihm zu 100%, auch wenn wir nicht nachvollziehen und verstehen können, was Er tut? Glauben wir Ihm nur dann, wenn wir Sein Handeln erklären können, oder auch dann, wenn wir es nicht verstehen? Denken wir, dass Er hier oder da einen Fehler gemacht hat? Oder «glauben» wir so, wie Hiob, der in Hiob 9,1–24 zum Ausdruck bringt, dass er sich unter die mächtige Hand Gottes gezwungen fühlte, der es so empfand, als sei er einem blinden, aber allmächtigen Schicksal ausgeliefert, das mit ihm machte, was es wollte, ob recht oder nicht? Oder vertrauen wir dem HERRN von Herzen? Kennen wir Ihn so, dass wir wie Elisabeth Elliot sagen können: «Ich brauche den Weg nicht zu kennen. Ich brauche nur dem Führer zu vertrauen»? In Röm 8,28 heisst es, dass denen, die Gott lieben, denen, die nach Seinem Vorsatz berufen sind, alle Dinge zum Guten mitwirken. Gott meint, was Er sagt! Glauben wir Ihm, vertrauen wir Ihm?

Gerade, wenn es um kleine Kinder geht, die «viel zu früh» gestorben sind, urteilen wir oft (zu) kurzsichtig. Wir meinen, die Kinder hätten doch noch aufwachsen, dies und das erleben und ein langes Leben haben müssen. Aber was ist das Leben hier auf der Erde? Zum einen besteht in jedem einzelnen Fall die grosse Gefahr, dass ein Kind später einen gottlosen Weg einschlägt und sich Zorn aufhäuft auf den Tag des Zorns (vgl. Röm 2,5). Stirbt ein Kind sehr früh, bevor es überhaupt seine Verantwortlichkeit erkennen und schuldfähig sein kann, dürfen wir es sicher in der Hand des HERRN wissen; hat es aber einmal die Fähigkeit erlangt, die Folgen seines Handelns abschätzen und beurteilen zu können, wird es nach seinem Tod vor Gott Rechenschaft ablegen müssen. Da können wir uns nicht mehr sicher sein, wie es die Ewigkeit zubringen wird. Zum andern muss das Leben hier auf der Erde einem Menschen nicht nur Gutes bieten. Die meisten Menschen würden am Ende ihres Lebens rückblickend wohl eher das Gegenteil behaupten. Um noch einmal auf Hiob zurück zu kommen: In Hiob 7,1–3 schildert er, wie sehnlich er auf seine Ablösung, auf den Tod, auf das Ende seines Lebens hier auf der Erde gewartet hat. So geht es leider vielen Menschen. Es gibt keine Garantie für ein glückliches Leben auf dieser Erde – mit einer Ausnahme: Wer seinen Weg zusammen mit Gott geht, dem hat sich eine Quelle des Glücks eröffnet, die selbst dann nicht versiegen wird, wenn der Mensch in grosse Bedrängnis, Schwierigkeiten und Nöte geraten wird. Auch ein solcher Mensch kann Traurigkeit über Traurigkeit haben, schier am Leben verzweifeln, aber doch wird ihm nichts und niemand das tiefe Glück in seinem Innersten rauben können. Der lebendige Glaube an den Herrn Jesus Christus ist also die einzige Garantie für ein echt glückliches Leben auf dieser Erde, aber doch gibt es sicherlich viele Brüder und Schwestern im HERRN, die sich den Tag ihres Heimgangs zu Ihm herbeisehnen. Vielleicht haben es kleine Kinder, die sehr früh sterben, diesbezüglich insgesamt sogar etwas besser als wir, die wir unsere vollen 70, 80 Jahre hier «absitzen» müssen.

Vers 18

»Eine Stimme ist in Rama gehört worden, Weinen und viel Wehklagen: Rahel beweint ihre Kinder, und sie wollte sich nicht trösten lassen, weil sie nicht mehr sind.« Mt 2,18

Hier haben wir nun also das Zitat aus dem Buch Jeremia vor uns. Die Originalstelle ist in Jer 31,15 zu finden, man sollte aber unbedingt auch noch die folgenden Verse lesen:

So spricht der HERR: Horch! In Rama hört man Totenklage, bitteres Weinen. Rahel beweint ihre Kinder. Sie will sich nicht trösten lassen über ihre Kinder, weil sie nicht mehr sind. So spricht der HERR: Halte deine Stimme zurück vom Weinen und deine Augen von Tränen! Denn es gibt Lohn für deine Mühe, spricht der HERR: Sie werden aus dem Land des Feindes zurückkehren; und Hoffnung ist da für deine Nachkommenschaft, spricht der HERR, und deine Kinder werden in ihr Gebiet zurückkehren. Jer 31,15–17

Jeremia hat in den 40 Jahren vor der Zerstörung Jerusalems gewirkt, was bedeutet, dass seine Botschaft etwa aus dem Jahr 600 v.Chr. stammt. 600 Jahre im Voraus hat Gott der HERR angekündigt, was Bethlehem Böses widerfahren sollte! Aber Er hat auch 600 Jahre im Voraus einen wunderbaren Trost ausgesprochen. Rahel sollte ihre Kinder beweinen und sich nicht trösten lassen, «weil sie nicht mehr sind», d.h. weil sie getötet worden sein würden. Doch der HERR würde sie aus dem Land des Feindes zurückkehren lassen. Was ist damit gemeint? Das Land der Chaldäer? Babel? Nein, denn die Kinder sollten ja nicht in die Gefangenschaft geführt, sondern getötet werden! Das wird bereits aus Jer 31,15 klar, wird aber dadurch noch deutlicher gemacht, dass diese Stelle in Mt 2,18 zitiert und auf den Kindermord zu Bethlehem angewendet wird. Der Feind in Jer 31,16 ist also nicht Babel, sondern der Tod – ganz im Sinne von 1.Kor 15,26: «Als letzter Feind wird der Tod weggetan.» Das Land des Feindes ist der Scheol (hebr.), der Hades (gr.), also das Totenreich. Also macht Gott der HERR mit Jer 31,15–17 in Verbindung mit Mt 2,18 klar, dass es für solche, die als Kleinkinder sterben, eine gewaltige Hoffnung gibt! Hier haben wir einen von mehreren Belegen dafür vor uns, dass Menschen, die vor der Zeit der Verantwortlichkeit respektive Schuldfähigkeit sterben, von Gott gerettet werden! So bitter der Verlust der Kinder für Rahel auch sein sollte, umso grösser sollte zuletzt ihre Freude über die für alle Ewigkeit gewonnenen Kinder sein! Und wer weiss, wie viele dieser Menschen für die Ewigkeit gerettet gewesen wären, wenn sie nicht als Kleinkinder getötet worden wären, sondern das Alter der Schuldfähigkeit und der Verantwortlichkeit erreicht hätten … ? Die Wege des HERRN sind manchmal unverständlich, aber immer gut!

Vers 19

Als aber Herodes gestorben war, siehe, da erscheint ein Engel des Herrn dem Josef in Ägypten im Traum Mt 2,19

Joseph hatte dem HERRN gehorcht und war nach Ägypten geflohen, wodurch Jesus Christus dem Kindermord von Bethlehem entgehen konnte. Kurze Zeit später starb Herodes. Er hatte alles versucht, um seinen Thron zu retten, seine Herrschaft zu festigen, aber zuletzt trat der Tod an ihn heran, der grosse «Gleichmacher» – vor dem Tod sind alle Menschen gleich, ob klein oder gross, reich oder arm, mächtig oder verachtet. Alle müssen sterben, niemand kann etwas «auf die andere Seite» mitnehmen. Herodes verlor auf einen Schlag alles, woran er sich so sehr geklammert hatte. Das eröffnete dem wahren König der Juden aber den Weg zurück ins verheissene Land, denn es war natürlich nicht der Wille des HERRN, den Messias in Ägypten aufwachsen zu lassen. Nein, der Messias musste so bald als möglich Seinem Volk präsentiert werden, musste wirklich einer von ihnen sein. Also leitete der HERR die Rückkehr der kleinen Familie in die Wege, indem Er erneut durch einen Traum zu Joseph sprach.

Vers 20

und spricht: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter zu dir und zieh in das Land Israel! Denn sie sind gestorben, die dem Kind nach dem Leben trachteten. Mt 2,20

Die Botschaft des Engels, die Joseph im Traum erhielt, war kurz, einfach und klar: Die Gefahr war gebannt, Herodes war tot, der weg in das Land Israel stand offen und Joseph sollte deshalb umgehend mit seiner Familie zurückkehren. Ach, wie oft haben wir schon geseufzt und gesagt, wir würden gerne so vom HERRN geführt werden! Wenn Er uns doch nur ganz deutliche und einfache Anweisungen geben würde! Aber wie oft haben wir zugleich Seine deutlichen und einfachen Anweisungen in den Wind geschlagen. Er spricht beständig zu uns durch Seinen Geist und Sein Wort. Aber wollen wir hören? In vielen christlichen Kreisen zeigt sich eine gewisse Unwilligkeit, dem Wort Gottes Folge zu leisten. Wir finden in der Bibel klare Anweisungen, aber daneben sehr umständliche und komplizierte Auslegungen, die uns weismachen wollen, dass das, was da steht, nicht das aussagen soll, was da steht. Auf diese Weise betrügen wir uns manchmal auch ohne die «Hilfe» von aussen ganz allein selbst. Ein bekanntes Beispiel ist 1.Kor 11,3–16, wo es um die Kopfbedeckung für die Frauen beim Gebet geht. Die Handlungsanweisung ist so einfach, wie man es sich nur wünschen kann: Frauen sollen ihr Haupt bedecken, Männer sollen mit unbedecktem Haupt beten. Dazu finden wir eine mehrschichtige, umfangreiche Erklärung, die der HERR in Seiner Weisheit wohl gegeben hat, weil Er wusste, dass wir Seinem Gebot keine Folge leisten würden, wenn Er es uns nicht bis ins letzte Detail begründen würde. O, wie hart sind unsere Herzen! Und Er weiss es ganz genau! So klar die Sache auch ist, ist heute die Mehrheit der Christen überzeugt, dass Frauen ganz nach Belieben mit unbedecktem Haupt beten könnten. Die Begründungen dafür sind ellenlang, kompliziert und kaum verständlich, erscheinen aber auf den ersten Blick doch irgendwie logisch und überzeugen letztlich ganz besonders dadurch, dass sie das uns passende Ergebnis liefern, das uns in den Ohren kitzelt. Möchten es doch wieder mehr Christen mit Benedikt Peters halten, der einmal gesagt hat: «Ich bin ein einfältiger Bibelleser. Sehr einfältig. Ich halte mich einfach an das, was da geschrieben steht.» Für jeden Einzelnen von uns stellt sich letztlich die einfache, aber alles entscheidende Frage: Will ich das, was der HERR in Seinem Wort sagt, befolgen, ob es mir nun passt oder nicht? Haben wir einmal die Bereitschaft entwickelt, Ihn wirklich regieren zu lassen, werden wir mit Staunen feststellen, dass Er auch heute noch so deutliche und einfache Anweisungen gibt wie damals bei Joseph. Sicher gilt das nicht für alle nun denkbaren Fragen, aber der Trend, die Tendenz wird sehr deutlich sein.

Vers 21

Und er stand auf und nahm das Kind und seine Mutter zu sich, und er kam in das Land Israel. Mt 2,21

Wieder zeichnete sich Joseph durch einen schlichten, unbedingten Gehorsam aus. Er tat genau das, was der HERR ihm geboten hatte und kehrte zurück in das Land Israel. Die Ausdrucksweise ist hier interessant, denn eigentlich gab es das Land Israel damals gar nicht mehr. Natürlich war da immer noch dieses grosse Landstrich, das der HERR Seinem auserwählten Volk gegeben hatte, aber das Land war schon längst kein autonomes Staatsgebiet mehr. Üblicherweise sprach man damals von der römischen Provinz Judäa. Wenige Jahrzehnte sollte ein römischer Kaiser in seinem Hass auf die Juden die Provinz in «Palästina» umbenennen, als hätte sie den Philistern (Palästinensern) gehört, bevor sie von Rom erobert wurde. Gott der HERR hatte das Land und das Volk in fremde Hände übergeben, aber es war nach wie vor Sein Land und Sein Volk. Deshalb nannte Er es weiterhin das Land Israel.

An dieser Stelle sei noch kurz darauf hingewiesen, dass das Land Israel damals drei grössere Gebiete umfasste, von denen in den Evangelien immer wieder die Rede ist, nämlich Judäa, Galiläa und Samaria. Judäa befand sich ganz im Süden. Ging man von dort aus nach Norden, kam man nach Samaria. Durchquerte man, immer weiter nach Norden ziehend, Samaria, gelangte man in den nördlichsten Teil, Galiläa. So kann man sich beim Lesen der Evangelien ungefähr vor Augen malen, was sich wo zugespielt hat. Für die Israeliten war damals nur Judäa «das Wahre». Der Grund dafür war nicht nur, dass sich der einzige von Gott anerkannte Tempel in Jerusalem und damit in Judäa befand, sondern auch, dass die Israeliten, die damals im Land lebten, allesamt Rückkehrer waren, deren Familien ursprünglich aus dem Gebiet Judäa stammten. Als die Regierungszeit von Salomo, dem Sohn Davids, zu Ende gegangen war, war es nämlich zu einer Teilung des Reiches Israel in ein Nordreich (mit der Hauptstadt Samaria) und ein Südreich (das Stammesgebiet von Juda und Benjamin mit der Hauptstadt Jerusalem) gekommen. Etwas vor 700 v.Chr. wurde das Nordreich von Assur (Assyrien) erobert und die Israeliten aus jenem Gebiet wurden in die Gefangenschaft weggeführt. Die Spuren dieser Familien verlaufen sich im Nirgendwo. Heute weiss niemand mehr genau, wo diese Familien geblieben sind. Das Südreich hatte etwas länger Bestand; es «überlebte» die Zeit der assyrischen Vorherrschaft, wurde dann aber vom «Nachfolgereich» Babel erobert. Die Juden, die sich damals aus Angehörigen aller zwölf Stämme zusammensetzten, weil viele aus dem Nordreich nach Juda ausgewandert waren, wurden nach Babel in die Gefangenschaft geführt. Als die Medo-Perser das babylonische Weltreich gestürzt hatten, erlaubten sie den Juden die Rückkehr. Viele Juden kehrten zurück und bauten Jerusalem mitsamt dem Tempel neu auf. Das Gebiet des Nordreichs war damals bereits von einem Mischvolk besiedelt, das teils fremde und teils israelitische Wurzeln hatte und einen synkretistischen – vermischten – Gottesdienst mit israelitischen und heidnischen Elementen ausübten. Da die Hauptstadt dieses Mischvolkes Samaria war, nannte man sie die Samariter. Die Samariter waren bei den Juden verhasst, weil sie einen unreinen Gottesdienst ausübten, weil sie teils fremde Wurzeln hatten und weil sie dennoch behaupteten, sie – und nicht die Juden – seien die wahren Nachkommen Jakobs. «Samariter» war damals unter Juden ein böses Schimpfwort. Mit dem dritten Gebiet – Galiläa – werden wir uns später noch etwas näher befassen.

Vers 22

Als er aber hörte, dass Archelaus über Judäa herrschte anstelle seines Vaters Herodes, fürchtete er sich, dahin zu gehen; und als er im Traum eine göttliche Weisung empfangen hatte, zog er hin in die Gegenden von Galiläa Mt 2,22

Dieser unscheinbare Vers enthält gleich mehrere hochinteressante Hinweise. Zunächst einmal macht er klar, dass die Erfüllung der alttestamentlichen Prophezeiungen über den Messias kein Werk von Menschen, sondern Gottes Führung gewesen ist. Joseph wusste ja, dass dieses kleine Kind, das Maria kürzlich zur Welt gebracht hatte, der Eine, der Retter, sein sollte. Also dachte er sich wohl, dass das Kind unbedingt in Judäa aufwachsen müsse, vielleicht sogar in Bethlehem, das ja im Zusammenhang mit der Geburt so eine wichtige Rolle gespielt hatte. Er wäre also im Wunsch, sich «genau richtig» zu verhalten, nach Judäa zurückgekehrt, aber das wäre komplett falsch gewesen! Gott der HERR musste ihn durch Umstände und durch eine weitere Offenbarung im Traum an einen Ort führen, an den Joseph nie im Leben gezogen wäre, nämlich nach Galiläa, das nicht neben Judäa, sondern hinter Samaria lag.

Der Umstand, der Joseph (zusammen mit der göttlichen Weisung im Traum) veranlasste, Judäa zu meiden, war die Tatsache, dass Archelaus über Judäa herrschte. Eigentlich war seit Jahren klar gewesen, dass Antipatros die Thronfolge antreten würde. Kurz vor seinem Tod, offenbar bereits schon deutlich gezeichnet von einer schweren Krankheit, keimte in Herodes aber ein Misstrauen gegenüber Antipatros auf, das zuletzt dazu führte, dass er in einem Wutanfall Antipatros des Hochverrats beschuldigte und hinrichten liess, das Testament abänderte und Archelaus, einen als besonders blutrünstig bekannten Bösewicht, als Nachfolger einsetzte. Der Grimm von Herodes trug damit massgebend zur Erfüllung der göttlichen Vorsehung bei, was an Psalm 76 denken lässt: «Denn selbst der Grimm des Menschen wird dich preisen; auch noch mit dem Rest des Grimmes wirst du dich gürten» (Ps 76,11).

Zuletzt soll noch auf eine sprachliche Feinheit hingewiesen werden, die nicht unwesentlich ist. Das Wort, das hier mit «anstelle» übersetzt wird und ausdrücken will, dass sich Archelaus an die Stelle von Herodes gesetzt hat, lautet im griechischen Original «anti». Das ist wichtig zu wissen, wenn wir verstehen wollen, wer der Antichrist ist. Diese Person wird zwar entschieden gegen den Herrn Jesus sein, was die für uns gebräuchlichere Übersetzung von «anti» ist, also der Feind Christi, aber er wird eben gerade nicht einfach alles Religiöse abschaffen. Vielmehr wird er behaupten, dass er es sei, der nun die göttlichen Verheissungen zur Erfüllung bringe, d.h. er wird sich an die Stelle von Christus setzen und behaupten, er sei der wahre Messias, auf den Israel nun schon so lange warte! Das System, das er in Israel aufrichten wird, wird einen sehr biblischen Anstrich haben. Anders wäre es ja auch kaum denkbar, dass er so viele wird verführen können. Aber die Person, die im Zentrum steht, ist die falsche, nicht der wahre Christus (Messias), sondern der «Anstelle von-Christus», eben der Antichrist: «Ich bin in dem Namen meines Vaters gekommen, und ihr nehmt mich nicht auf; wenn ein anderer in seinem eigenen Namen kommt, den werdet ihr aufnehmen» (Joh 5,43).

Vers 23

und kam und wohnte in einer Stadt, genannt Nazareth; damit erfüllt wurde, was durch die Propheten geredet ist: »Er wird Nazoräer genannt werden.« Mt 2,23

Joseph musste nach Galiläa geführt werden, denn der Messias sollte in Bethlehem geboren, aus Ägypten gerufen und in Nazareth aufgewachsen sein, was Joseph allerdings offenbar nicht bekannt war. Er hätte sich also falsch verhalten, wenn er auf sein eigenes Urteil hätte abstellen müssen. Aber wieso war Joseph der dritte Punkt nicht bekannt? Nun, ganz einfach: Was Matthäus hier zitiert («er wird Nazoräer genannt werden»), findet man nirgends im Alten Testament! Wie kann das sein? Hat sich Matthäus geirrt?

Auffallend ist, dass hier im Gegensatz zu anderen Stellen kein Prophet namentlich erwähnt wird. Ja, mehr noch! Matthäus schreibt von den Propheten, also von mehreren Propheten, die das so vorausgesagt haben sollen! Und doch finden wir nirgends eine entsprechende Stelle im Alten Testament. Diesem Mysterium kommen wir ohne Sprachkenntnisse nicht auf die Spur. Im Städtenamen Nazareth ist das Wurzelwort «nezer» enthalten, das man mit «Spross» übersetzen kann. Nazareth ist also «Sprosslingen». Und plötzlich ist alles klar: Mehrere Propheten haben den Messias als den Spross des HERRN angekündigt, insbesondere Jesaja, Jeremia und Sacharja (Jes 4,2; 11,1; Jer 23,5; 33,15; Sach 3,8; 6,12). Man würde meinen, der Herr Jesus sei Zeit Seines Lebens nie «Spross» genannt worden, aber dieser Eindruck täuscht. In den Ohren eines Juden wurde Er beständigt «Spross» genannt, nämlich immer dann, wenn man Ihn als «Jesus den Nazarener» bezeichnet hat. So hat man Ihn aber nur genannt, weil Er in Nazareth aufgewachsen war, einem unscheinbaren und rückständigen Kaff, das im Alten Testament nicht ein einziges Mal erwähnt wird und in dem die Menschen zur Zeit Jesu teilweise noch in Höhlen gehaust haben. So tief hat Er Sich erniedrigt!

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