Matthäus 20
Vers 1
Denn mit dem Reich der Himmel ist es wie mit einem Hausherrn, der ganz frühmorgens hinausging, um Arbeiter in seinen Weinberg einzustellen. Mt 20,1
Der Herr Jesus hatte Seinen Jüngern erklärt, dass ihre Hingabe für Ihn von Gott reichlich belohnt werde, aber dass bezüglich der Belohnung Erste Letzte und Letzte Erste sein würden. Als Erklärung fügte Er ein Gleichnis an. Wenn wir dieses Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg richtig verstehen wollen, müssen wir diesen Kontext beachten, also berücksichtigen, dass uns dieses Gleichnis eine Erklärung über die Belohnung für Hingabe sowie über die seltsam anmutende Aussage liefern soll, dass Erste Letzte und Letzte Erste sein werden.
Das Gleichnis handelt von einem Hausherrn mit einem Weinberg, der Tagelöhner sucht, die für inn arbeiten. Mit Blick auf den Kontext können wir feststellen, wer die Akteure in diesem Gleichnis sind: Der Hausherr ist Gott, der Weinberg ist Sein Arbeitsfeld, die Arbeiter sind Gläubige, also solche, die zum Königreich der Himmel gehören und die von Gott zum Dienst berufen werden. Erinnern wir uns, dass der Zugang zum Königreich der Himmel nicht durch Arbeit, gute Werke oder gute Taten, sondern nur durch Glauben geöffnet werden kann. Das hatte der Herr Jesus dem reichen jungen Mann erklärt, was ja dann wiederum die Frage der Jünger aufgeworfen hatte, ob ihre Hingabe denn keine Belohnung nach sich ziehen werde. Wir würden ein grosses Auslegungs-Durcheinander anrichten, wenn wir annehmen würden, dass der Ruf nach Arbeiter für den Weinberg der Ruf des Evangeliums und dass der Lohn für die Arbeit im Weinberg das ewige Leben sei. Nirgends in der Bibel finden wir den Gedanken, dass das ewige Leben der Lohn für etwas ist, das wir tun. Es kann nur aus Gnade und nur durch Glauben empfangen werden.
Vers 2
Nachdem er aber mit den Arbeitern um einen Denar den Tag übereingekommen war, sandte er sie in seinen Weinberg. Mt 20,2
Der Herr des Weinberges suchte Arbeiter für einen Tag. Er ging aus, er wählte, er engagierte, er sandte hin und er bestimmte, was gearbeitet werden sollte. Die Tagelöhner mussten nichts anderes tun, als sich bereit zu halten. Das gilt auch für uns Gläubige in Bezug auf Gott. Wenn wir Ihm dienen wollen, dann sollen wir uns bereit halten, um Seinen Ruf zu hören und diesem Ruf zu folgen. Er wird die passende Arbeit bestimmen und Er wird uns aussenden. Gute Tagelöhner hielten sich damals schon frühmorgens bereit (vgl. V.1). Auch wenn wir als Christen einen gewissen Reifungsprozess durchlaufen müssen, damit wir bereit für den Dienst sind, ist es richtig und wichtig, so früh wie möglich die Bereitschaft zu entwickeln, sich vom HERRN gebrauchen zu lassen.
Der Tageslohn für einen Arbeiter betrug damals offenbar ein Denar, denn der Hausherr und die Arbeiter wurden sich einig darüber, dass dieser Preis angemessen für einen ganzen Tag Arbeit sei. Diese Angabe ermöglicht es uns, die in der Bibel genannten Preise auf unser heutiges Leben umzurechnen, denn wenn auch die Währungen und der Wert des Geldes geändert haben, wissen wir heute noch genauso gut wie damals, wie viel Lohn angemessen für einen Tag Arbeit ist. Für das Verständnis des Gleichnisses wichtig ist der Umstand, dass der zwischen dem Hausherrn und den Arbeitern vereinbarte Tageslohn angemessen und fair war.
Vers 3
Und als er um die dritte Stunde ausging, sah er andere auf dem Markt müssig stehen; Mt 20,3
Der Hausherr hatte frühmorgens Arbeiter angeheuert. Offenbar hatte er aber nicht genug Arbeiter gefunden; es gab mehr Arbeit als Leute, die der Arbeit nachgingen. Erinnert uns das nicht an die Worte unseres Herrn aus Mt 9,37.38? «Die Ernte zwar ist gross, die Arbeiter aber sind wenige. Bittet nun den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter aussendet in seine Ernte!» Wir sehen hier in diesem Gleichnis, dass der Hausherr selbst sich nochmals auf die Suche nach weiteren Arbeitern macht. Er ging um die dritte Stunde aus, also in der Mitte des Morgens (ca. 9 Uhr), um weitere Arbeiter zu suchen. Tatsächlich fand er solche, die müssig auf dem Markt standen. Diese Arbeiter waren frühmorgens (ca. 6 Uhr) noch nicht da gewesen, denn sonst hätte er sie gleich da engagiert. Sie waren verspätet eingetroffen und von niemandem engagiert worden, weil die Arbeitgeber früh nach Arbeitern gesucht hatten. Denn logischerweise wollten die Arbeitgeber die Arbeiter, die sie nur für einen Tag anstellten, den ganzen Tag für sich arbeiten lassen und nicht erst ab 9 oder gar 10 Uhr. Wir haben hier also eine erste Gruppe von Arbeitern vor uns, die «zu spät» gekommen sind. Sie hätten bereits früher bereit sein sollen, hatten aber erst zu spät «gezündet».
Vers 4
und zu diesen sprach er: Geht auch ihr hin in den Weinberg! Und was recht ist, werde ich euch geben. Mt 20,4
Der Hausherr stellte auch diese Arbeiter an, die erst (zu) spät auf dem Marktplatz erschienen waren, um sich als Tagelöhner zur Verfügung zu stellen. So gnädig ist auch der HERR mit den Seinen. Es gibt Christen, die sich – aus welchen Gründen auch immer – dem HERRN nicht so zum Dienst zur Verfügung stellen wollen, wie sie sollten. Sie sind zu sehr mit sich selbst oder mit ihren eigenen Dingen beschäftigt. Zu der Zeit, zu der Er ausgeht, um Arbeiter für Seinen Weinberg zu suchen, sind sie nicht dort, wo sie sein sollten. Wenn sie sich dann später – eigentlich: zu spät – aufmachen, um sich dem HERRN zur Verfügung zu stellen, wird Er sie nicht verlassen auf dem Marktplatz stehen lassen, sondern ihnen nachgehen und sie suchen. Auch diese Christen bekommen eine Chance, dem HERRN zu dienen. Wie herrlich ist das!
Allerdings einigt sich der Hausherr im Gleichnis mit diesen Arbeitern nicht auf einen bestimmten Lohn. Er bestimmt einseitig, dass er ihnen geben werde, was recht ist. Diese Arbeiter mussten sich damit zufrieden geben, denn sie wussten, dass sie nicht mehr um einen ganzen Tageslohn feilschen konnten. So müssen auch Christen, die zu spät «zünden», ein besonderes Vertrauen darauf an den Tag legen, dass der HERR ihnen geben wird, was recht ist. Doch Gott sei Dank dürfen wir Sein Wort haben, das uns zeigt, wie reichlich und grosszügig Er gibt! Niemand, der Ihm je etwas gegeben hat, ist in der Folge zu kurz gekommen – im Gegenteil!
Vers 5
Sie aber gingen hin. Wieder aber ging er hinaus um die sechste und neunte Stunde und machte es ebenso. Mt 20,5
Die Arbeiter, die vom Hausherrn erst in der Mitte des Morgens engagiert worden waren, gingen hin und machten sich an die Arbeit. Was auch immer der Grund gewesen sein mochte, weshalb sie ihre Arbeitskraft erst so spät zur Verfügung stellten, hatten sie doch wenigstens den Willen, sich auf den Ruf des Hausherrn hin unverzüglich ans Werk zu machen.
Doch es gab noch andere Arbeiter: Der Hausherr ging um die Mittagszeit (sechste Stunde) und mitten am Nachmittag (etwa drei Uhr; neunte Stunde) nochmals aus, fand erneut Arbeiter, die davor noch nicht da gewesen waren, und engagierte auch diese. Kann man glauben, dass es Arbeiter gab, die sich erst nach zwölf Uhr aufmachten, um ihre Arbeitskraft für jenen Tag zur Verfügung zu stellen? Sie wurden um drei Uhr nachmittags engagiert und leisteten folglich gerade einmal einen Viertel eines Tageswerkes. Doch es gibt Christen, die einen grossen Teil ihres Christenlebens «verschlafen» und tatsächlich erst kurz vor «Feierabend» bereit sind, in den Dienst des HERRN berufen zu werden. Den Hebräern musste der Heilige Geist einmal tadelnd schreiben: «Denn während ihr der Zeit nach Lehrer sein solltet, habt ihr wieder nötig, dass man euch lehrt, was die Anfangsgründe der Aussprüche Gottes sind; und ihr seid solche geworden, die Milch nötig haben und nicht feste Speise» (Hebr 5,12). Man kann seiner Entwicklung hinterher hinken. Das ist traurig. Aber die gute Nachricht ist, dass man trotzdem noch in den Dienst berufen werden kann, wenn auch verspätet. Solange wir leben, ist der Zug nie definitiv abgefahren und verpasst. Dafür sorgt der HERR in Seiner unermesslichen Gnade.
Vers 6
Als er aber um die elfte Stunde hinausging, fand er andere stehen und spricht zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag müssig? Mt 20,6
Der Hausherr ging um die elfte Stunde erneut zum Marktplatz, also eine Stunde vor Sonnenuntergang und Arbeitsende. Und wieder standen da Arbeiter! Diese Arbeiter hatten den ganzen Tag verpasst und sie mussten sich deshalb zu Recht die vorwurfsvolle Frage gefallen lassen, weshalb sie den ganzen Tag müssig gestanden hätten. Diese Arbeiter hatten einen ganzen Tag verloren. Und so gibt es leider auch Christen, die fast ihr ganzes Leben vergeudet haben. Sie haben nie dem Ruf Gottes Folge geleistet, sondern stets für sich selbst gelebt, nach ihrem eigenen Gutdünken. Sie haben eigene Interessen verfolgt. Ihr Leben ist vielleicht geprägt gewesen von viel Aktivität, vielleicht sogar von viel guter sozialer Aktivität, aber doch haben sie in den Augen des HERRN den ganzen Tag müssig gestanden, weil sie nicht das getan haben, was hätte getan werden sollte, weil sie nicht dem HERRN nachgefolgt sind. Wie traurig ist doch eine Bilanz eines Lebens, die lautet, dass man nichts vorzuweisen hat! Wir sollten uns deshalb immer wieder selbst prüfen, ob wir unser Leben für uns selbst oder in der Nachfolge unseres Herrn Jesus Christus führen. So können wir, wenn wir auch zur ersten Stunde noch nicht bereit gewesen sind, uns wenigstens in der dritten oder sechsten Stunde in den Dienst rufen lassen.
Vers 7
Sie sagen zu ihm: Weil niemand uns eingestellt hat. Er spricht zu ihnen: Geht auch ihr hin in den Weinberg! Mt 20,7
Die Arbeiter, die den ganzen Tag müssig auf dem Marktplatz gestanden hatten, behaupteten, niemand habe sie eingestellt. Aber war der Hausherr nicht frühmorgens, zur dritten, zur sechsten und dann noch zur neunten Stunde auf dem Marktplatz gewesen, um Arbeiter in das Werk zu berufen? Diese Arbeiter hatten all die Rufe nicht gehört. Sie waren zu beschäftigt mit ihren eigenen Dingen. Am Ende des Tages meinten sie wirklich, niemand habe sie einstellen wollen. Nicht wenige Christen behaupten, sie hätten keinen Ruf von Gott oder sie würden Seine Stimme nicht hören. Doch sie sind mit ihren eigenen Dingen beschäftigt, sie haben keine Momente der Ruhe und sie wollen vielleicht auch gar nicht wirklich in einen Dienst berufen werden. Und so verpassen sie den ganzen Arbeitstag, das ganze Christenleben.
Aber wie erstaunlich ist die Langmut Gottes! Im Gleichnis schickt der Hausherr diese Arbeiter noch für die letzte Stunde vor Sonnenuntergang und Arbeitsschluss in seinen Weinberg. Solange noch etwas Zeit bleibt, findet der HERR Gelegenheiten für uns. Von Ihm werden wir nie hören, dass es sich jetzt auch nicht mehr lohne und dass Er jetzt auch nicht mehr wolle. Haben wir elf Stunden verschlafen und raffen wir uns für die letzte, zwölfte Stunde auf, wird Er uns senden. So gnädig ist Er!
Vers 8
Als es aber Abend geworden war, spricht der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Rufe die Arbeiter und zahle ihnen den Lohn, angefangen von den letzten bis zu den ersten! Mt 20,8
Der Hausherr gab den Arbeitern natürlich nach dem Arbeitsende ihren Lohn. Doch wie viel würden die Arbeiter erhalten? Nur jene, die sich frühmorgens hatten einstellen lassen, konnten wissen, wie viel sie bekommen würden, nämlich einen Denar, denn darüber waren sie sich mit dem Hausherrn einig geworden. Der Hausherr wollte allerdings nicht bei jenen beginnen, die als Erste begonnen hatten, sondern bei jenen, die als Letzte eingestellt worden waren und wohl nur etwa eine Stunde (statt bis zu zwölf) für ihn gearbeitet hatten. Wie viel würde er ihnen geben?
Vers 9
Und als die um die elfte Stunde Eingestellten kamen, empfingen sie je einen Denar. Mt 20,9
Das ist nun wirklich mehr als erstaunlich! Der Hausherr hatte jenen Arbeitern, die den ganzen Tag für ihn gearbeitet hatten, je einen Denar versprochen, was offenbar ein fairer Tageslohn war. Nun kamen jene Arbeiter, die nur gerade mal eine Stunde gearbeitet hatten, und sie empfingen nicht etwa einen zwölftel Denar, sondern einen vollen Denar, einen vollen Tageslohn! Das war ganz gewiss nicht der Lohn, den der Hausherr geschuldet hätte, sondern ein Lohn, der die Schuldigkeit des Hausherrn bei weitem überstieg. Was hat das zu bedeuten und wie viel mehr Lohn konnten die anderen Arbeiter wohl erwarten?
Vers 10
Als aber die Ersten kamen, meinten sie, dass sie mehr empfangen würden; und auch sie empfingen je einen Denar. Mt 20,10
Die Erwartung der Ersten ist absolut verständlich, denn wenn schon jene, die nur eine Stunde gearbeitet hatten, einen vollen Denar erhielten, mussten sie, die den ganzen Tag geschuftet hatten, doch deutlich mehr bekommen. Doch auch sie erhielten nur je einen Denar. Was für ein Schock! Was wäre unser erster Gedanke in einer solchen Situation? Wenn wir ganz ehrlich sind, würden wir doch denken, dass der HERR unfair sei. Denn wie kann es gerecht sein, jemandem, der den ganzen Tag geschuftet hat, denselben Lohn zu geben wie jenem, der nur für eine Stunde gearbeitet hat? Das ist doch ungerecht! Doch das ist unser Denken, das unserer eigenen, begrenzten Sichtweise entspringt. Wir werden noch sehen, wie der Hausherr auf die Vorwürfe der Ersten reagiert.
Vers 11
Als sie den aber empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn Mt 20,11
Die Erwartung der Ersten wurde bitter enttäuscht und die allzu menschliche Reaktion darauf war Murren. Ach, wie oft murren auch wir! Laufen die Dinge nicht so, wie wir es gerne hätten oder wie wir es uns vorgestellt haben, sind wir unzufrieden und wir beginnen zu murren. So natürlich diese Reaktion ist, so falsch ist sie aber auch. Murren verunehrt Gott, denn es bringt zum Ausdruck, dass wir Sein Handeln als falsch qualifizieren. Murren schadet aber auch uns selbst, denn es lässt eine Bitterkeit in uns aufkommen, die uns innerlich vergiftet. Wer regelmässigt murrt, wird mürrisch und damit zu einem höchst unangenehmen und zugleich unglücklichen Zeitgenossen.
Müssen wir also immer schön artig Ja und Amen zu allem sagen, was geschieht? Natürlich nicht! In erster Linie hat der HERR Freude an der Wahrheit im Innern (Ps 51,8), das bedeutet an einer uneingeschränkten Offenheit Ihm gegenüber. Wir sollen und können Ihm nichts vormachen. Doch es ist ein himmelweiter Unterschied zwischen einem Unverständnis bezüglich Seiner Wege und einer mürrischen Verurteilung Seines Handelns. Wenn etwas geschieht, das wir nicht erwartet haben, dann sollen wir mit unserer Enttäuschung unbedingt vor Gott treten. Wir dürfen Ihm alles sagen, also dass wir nicht verstehen, was gerade geschehen ist, dass wir es nicht einordnen können, dass wir traurig und verletzt oder vielleicht auch wütend sind, dass dieses oder jenes schwer an uns nagt usw. Nicht angebracht ist es dagegen, dem HERRN Vorwürfe zu machen. Gerade in schwierigen Situationen zeigt sich unser Glaube, unser Vertrauen zu Ihm, darin, dass wir trotz unseres Unverständnisses und trotz unserer Enttäuschung an der Wahrheit festhalten, dass Er nur das Beste für uns im Sinn hat. Gerade dieser Glaube ehrt Ihn am meisten und zeigt zugleich am besten, aus welchem Holz wir geschnitzt sind. Es ist leicht zu glauben, wenn alles rund läuft. Aber glauben wir auch, wenn alles vermeintlich den Bach runter geht?
Vers 12
und sprachen: Diese Letzten haben eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleichgemacht, die wir die Last des Tages und die Hitze getragen haben. Mt 20,12
Der Vorwurf der Ersten war nicht unberechtigt: Sie hatten einen ganzen Tag bei Hitze gearbeitet und doch nur dasselbe erhalten wie jene, die lediglich eine Stunde lang mitgearbeitet hatten. Das bedeutet aber nicht, dass es richtig war, darüber bzw. gegen den Hausherrn zu murren. Hätten sie nämlich nur auf das Verhältnis zwischen sich selbst und dem Hausherrn geschaut, wären sie zufrieden gewesen, denn sie hatten genau das erhalten, was vereinbart worden war. Was hatte zu ihrem Murren geführt? Das elende Vergleichen!
Wir alle neigen dazu, uns ständig in jeder Hinsicht mit anderen zu vergleichen. Doch das ist schädlich. Vergleichen führt entweder zu Unzufriedenheit oder aber zu Hochmut. Haben wir das Gefühl, anderen ginge es besser als uns, andere seien klüger, schöner, stärker, gesegneter oder was auch immer, werden wir unzufrieden und neidisch. Haben wir dagegen das Gefühl, wir hätten anderen etwas voraus, tendieren wir dazu, auf sie herab zu sehen. Beides ist böse und beides macht uns innerlich krank.
Dazu ein Beispiel: Vielleicht denken wir, dass alle oder zumindest die meisten unserer Berufskollegen mehr Lohn erhalten als wir. Dann sind wir unzufrieden. Doch können wir an unserer Situation etwas ändern? Wir müssten unsere Arbeitsstelle riskieren und versuchen, durch einen Jobwechsel zu mehr Lohn zu kommen, nur um dann festzustellen, dass wir im Vergleich noch immer zu wenig verdienen (zumindest gefühlt). Und so murren wir dann über eine gefühlt unbefriedigende Situation, an der wir nichts ändern können. Aber fragen wir uns einmal anders, nicht, ob wir gleich viel oder mehr oder weniger als unsere Kollegen verdienen, sondern vielmehr, ob wir genug zum Leben haben. Reicht unser Einkommen für uns aus? Können wir uns dann und wann was Schönes leisten? Na, also! Wo liegt das Problem? Und was muss es uns jucken, ob jemand anders mehr oder weniger als wir verdient? Die Situation ist diesselbe, aber die Sichtweise ist eine andere. Es klingt banal, aber dankbar zu sein für das, was man hat, bewahrt vor Neid und Murren.
Vers 13
Er aber antwortete und sprach zu einem von ihnen: Freund, ich tue dir nicht unrecht. Bist du nicht um einen Denar mit mir übereingekommen? Mt 20,13
Die Ersten, die nach ihrem Empfinden zu kurz gekommen waren, waren in einem Punkt zu weit gegangen. Sie hatten dem Hausherrn eine gewisse Ungerechtigkeit unterstellt. Die Entgegnung des Herrn war entwaffnend: «Freund, ich tue dir nicht unrecht». Hatten sie nicht einen Denar als Tageslohn vereinbart und hatte er ihnen nicht den vereinbarten Lohn gegeben? Doch! Also hatte er sie eben gerade nicht ungerecht, sondern im Gegenteil überaus gerecht behandelt. Ihre Unzufriedenheit ging nicht auf eine ungerechte Behandlung, sondern auf ein Vergleichen mit anderen zurück, das zu Neid und Bitterkeit geführt hatte. Das Problem lag nicht beim Herrn, der ungerecht gehandelt hätte, sondern bei den Ersten, die eine Wurzel der Bitterkeit in ihren Herzen hatten aufkommen lassen.
Wie viele von uns sind immer wieder einmal unzufrieden mit ihrer Situation und mit ihrem Leben! Ist es, weil der HERR uns falsch geführt hat? Ist es, weil Sein Plan nicht gut für uns ist? Nein, das Problem liegt bei uns, weil wir Sein Handeln falsch einschätzen und falsch beurteilen. Wir vergleichen uns mit anderen, wir sind enttäuscht, weil unsere Pläne sich nicht verwirklicht haben usw. Es wäre gut für uns, wenn uns dies mehr bewusst würde, weil wir dann etwas dagegen unternehmen, unsere Sichtweise gerade rücken, dankbarer werden und dem HERRN mehr vertrauen könnten. Unter denselben, unveränderten Umständen ginge es uns dadurch wesentlich besser.
Vers 14
Nimm das Deine und geh hin! Ich will aber diesem Letzten geben wie auch dir. Mt 20,14
Von Natur aus stört sich der Mensch regelmässig am göttlichen: «Ich will aber». Es fällt uns schwer zu akzeptieren, dass Gott der HERR als Einziger tun und lassen kann, was immer Er will. Es fällt uns schwer zu akzeptieren, dass Er unseren Willen übersteuern kann, wann immer es Ihm beliebt. Es fällt uns schwer zu akzeptieren, dass Seine Gedanken und Seine Wege so völlig anders als unsere Gedanken und unsere Pläne sind. Aber der Glaube anerkennt nicht nur, dass es so ist, sondern er begrüsst diese Tatsache freudig. Das echte, tiefe Vertrauen einer Seele, die Gott kennt und Gemeinschaft mit Ihm pflegt, beinhaltet notwendigerweise auch die Erkenntnis, dass Er immer besser weiss, was gut und richtig ist, als wir es je wissen könnten. Wer Ihn kennt, weiss genau, dass Er Seine Macht niemals missbraucht, dass Er niemals willkürlich handelt und dass wir keinesfalls Spielbälle in Seiner Hand sind. Obwohl der HERR tun und lassen könnte, was immer Ihm gefallen würde, handelt Er doch einerseits berechenbar, nämlich gemäss Seinem eigenen Wort, und andererseits immer zu unseren Gunsten. Wie freut sich der Glaube deshalb über jedes göttliche: «Ich will» oder «Ich muss»! Wann immer Gott allein aus Sich selbst heraus handelt, ist das Ergebnis einfach nur herrlich. Ach, möchten wir uns doch mehr mit dem Unsern begnügen und Ihm im Übrigen bedingungslos vertrauen!
Vers 15
Ist es mir nicht erlaubt, mit dem Meinen zu tun, was ich will? Oder blickt dein Auge böse, weil ich gütig bin? Mt 20,15
Kann, darf Gott wirklich einfach so sagen, dass Er dem Letzten genau dasselbe wie dem Ersten geben will? Ja! Denn Er kann mit dem Seinen tun, was Er will. Der Lohn, den Er jenen gibt, die Ihm gedient haben, wird von Ihm allein festgesetzt, denn was Er gibt, gehört allein Ihm. Niemand von uns hat Anspruch auf mehr, als vereinbart gewesen ist. Doch dem HERRN steht es frei, gütig zu sein, ohne dass wir Einwände dagegen erheben dürften. Ja, uns erscheint die Behandlung der Arbeiter durch den Hausherrn als unfair, aber was genau ist wirklich passiert? Einige haben genau das erhalten, was vereinbart worden war; das war völlig gerecht und fair. Andere haben mehr erhalten, als ihnen zugestanden hätte; das war Gnade. Darf der HERR etwas nicht gnädig sein? Wer sind wir, dass wir meinen, wir könnten Ihm Vorschriften machen?
Doch wie sollen wir dieses Gleichnis verstehen? Was will der Herr Jesus uns damit sagen? Wie sollen wir Sein Handeln einordnen? Diese Frage werden wir bei der Betrachtung des nächsten Verses beantworten.
Vers 16
So werden die Letzten Erste und die Ersten Letzte sein; denn viele sind Berufene, wenige aber Auserwählte. Mt 20,16
Da der Hausherr am Ende allen Arbeitern unabhängig davon, wie lange sie für ihn gearbeitet haben, denselben Lohn gibt, ist die Ansicht verbreitet worden, hier ginge es um das ewige Leben. Diese Auslegung kann aber nicht richtig sein, weil das ewige Leben nicht verdient werden kann. Es kann nur aus Gnade erhalten werden, also völlig unverdient. Hier in diesem Gleichnis geht es nicht um das ewige Leben, sondern um Lohn.
Zum Thema Lohn ist wohl vor allem 1.Kor 3,10ff. von Bedeutung. Dort wird erklärt, dass alle Gläubigen der jetzigen Gnadenzeit am Haus oder Tempel Gottes bauen, dessen Grundlage gelegt worden ist: Jesus Christus. Je nachdem, wie wir uns an diesem Bau beteiligen, werden wir Lohn empfangen oder Schaden leiden. Lohn ist sowohl in unserem normalen Geschäftsleben als auch in der Bibel eine Gegenleistung für Arbeit. Je mehr jemand arbeitet, umso mehr Lohn erhält er; je weniger jemand arbeitet, umso weniger Lohn springt am Ende raus. Das ist das allgemeine Prinzip.
Nun stellt sich zunächst die Frage, wer überhaupt am Haus Gottes mitbauen kann. Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus dem Gleichnis und aus der Erklärung dazu im heutigen Vers: Der Hausherr suchte Arbeiter und berief alle geeigneten Personen in seinen Dienst. Diese Leute waren also gerufen oder berufen. Die Initiative geht von Gott aus. Er beruft. Nun, wir wissen aus unzähligen Stellen in der Bibel, dass Er sehr viele Menschen in die Nachfolge beruft, nämlich alle. Allerdings ist nicht zu allen Zeiten immer gleich am Haus Gottes gearbeitet worden. Für diese spezifische Arbeit, von der unser Gleichnis spricht, sind nur jene Menschen berufen, die zur passenden Zeit (in der Gnadenzeit) leben, also nicht davor oder danach, und es sind auch nur jene Menschen berufen, die diesen Ruf effektiv hören. Wir wissen, dass selbst heute noch nicht alle Menschen vom Evangelium erreicht worden sind. Das bedeutet nicht, dass jene, die das Evangelium nicht hören, verloren gehen müssen; aber sie können nicht am Tempel Gottes in seiner jetzigen Form mitarbeiten. Wir sprechen hier ja nicht über das ewige Leben, sondern über Lohn.
Aber längst nicht alle Menschen folgen auch dem Ruf Gottes. Nicht einmal alle Christen wollen mitarbeiten! Deshalb gibt es zwar viele Berufene, aber nur wenige, die effektiv mitarbeiten. Diese sind alle Auserwählte. Wie sollen wir das nun verstehen? Nun, Gott der HERR weiss ganz genau, wer wann und wie mitarbeiten wird. Diese Schar von echten Arbeit ist von Ihm selbst gewissermassen handverlesen. In diesem Sinne sind sie alle Auserwählten, so wie überhaupt alle Erlösten auserwählt sind von vor Grundlegung der Welt. Aber doch mussten all diese Arbeiter in ihrer Eigenverantwortung ihre eigene Entscheidung dazu treffen. Beides geht Hand in Hand: Auserwählung und Entscheidung. Wir können dieses Geheimnis, das wie ein Widerspruch scheint, nur beschreiben, aber nicht völlig in der Tiefe verstehen.
Grundsätzlich müssten nun die Ersten am meisten Lohn erhalten und die Letzten am wenigsten. Dieses Gleichnis besagt nicht, dass zwingend alle genau denselben Lohn erhalten müssen, aber es zeigt, dass das allgemeine Prinzip: Mehr Arbeit = mehr Lohn hier nicht zur Anwendung kommt. Jeder, wirklich jeder hat die Chance auf vollen Lohn. Das ist die entscheidende Kernaussage.
Wir können das in zweierlei Hinsicht interpretieren. Einerseits können wir den Tag im Gleichnis als ein Bild auf die gesamte Gnadenzeit verstehen. Wir denken vielleicht, weil wir erst am Ende dieser Gnadenzeit leben, wo alles schon längst in Trümmern liegt, könnten wir nicht denselben Lohn erhalten wie jene, die z.B. zur Zeit der Apostel gelebt haben. Aber das stimmt nicht. Zu jeder Zeit gibt es die Chance auf vollen Lohn. Niemand muss Angst haben, zu kurz zu kommen! Andererseits können wir den Tag aber auch als ein Bild auf unsere Lebensspanne verstehen. Einige Christen geben sich schon kurz nach ihrer Bekehrung völlig dem HERRN hin und dienen Ihm während ihres gesamten Christenlebens. Andere lassen etwas oder sogar viel Zeit verstreichen, bis sie in den Dienst einsteigen. Das Gleichnis soll uns natürlich nicht dazu ermutigen, möglichst lange für uns selbst zu leben, aber es soll jene, die bereits viel Zeit verloren haben, ermutigen. Selbst wenn Du viele Jahre als Christ versagt und nur für Dich selbst gelebt hast, hast Du heute noch die Möglichkeit, ganze Sache zu machen und vollen Lohn zu erhalten! Denken wir nur etwa an Simson, der sein ganzes Leben verpfuscht hat! Am Ende, gewissermassen in den letzten fünf Minuten, hat er endlich die Entscheidung getroffen, sich voll und ganz dem HERRN hinzugeben. Der HERR hat diese Entscheidung so sehr unterstützt, dass Simson in jenen fünf Minuten mehr erreichen konnte als während seines ganzen Lebens. Das Gleichnis verbietet uns also quasi, uns selbst einzureden, jetzt sei es zu spät, jetzt habe es keinen Sinn mehr. Solange es heute heisst, gibt es eine echte Chance auf vollen Lohn!
Vers 17
Und als Jesus nach Jerusalem hinaufging, nahm er die zwölf Jünger allein zu sich und sprach auf dem Weg zu ihnen: Mt 20,17
Nun wurde es ernst: Jesus ging nach Jerusalem hinauf. Er wusste genau, was Ihn dort erwartete, nämlich der Tod am Kreuz. Ein weiteres Mal nahm Er deshalb Seine engsten Jünger beiseite, um sie nochmals auf das vorzubereiten, was kommen würde. Er wusste ja auch, was sie dachten. Sie meinten, ihr Herr würde nun als der lange ersehnte Messias von Jerusalem begrüsst werden und Seine Friedensherrschaft antreten. Der Herr Jesus wollte den kommenden Schock für die Jünger abmildern. Er sorgte sich nicht für Sich selbst, sondern für Seine Jünger!
Vers 18
Siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und der Sohn des Menschen wird den Hohen Priestern und Schriftgelehrten überliefert werden, und sie werden ihn zum Tode verurteilen; Mt 20,18
Der Herr Jesus warnte Seine Jünger nicht nur vage davor, dass etwas Schlimmes geschehen könnte, sondern erklärte ihnen detailliert, was geschehen würde: Er sollte den führenden Priestern und Schriftgelehrten überliefert werden, diese würden Ihn zum Tode verurteilen und den Nationen (den Römern, unter deren Herrschaft Jerusalem damals stand) überliefern; diese würden Ihn verspotten, geisseln und kreuzigen (vgl. V.19). Wir wissen, dass alles ganz genau so geschehen ist. Hätten sich die Jünger die Worte Jesu genau eingeprägt, hätten sie in jenen schlimmsten Stunden nicht ihren Glauben verloren, sondern sie wären vielmehr darin gestärkt worden.
Nur allzu oft geht es uns wie den Jüngern: Wir machen uns gewisse Vorstellungen davon, was in unserem Leben als Nächstes geschehen werde. Verlaufen die Dinge dann nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben, kommen wir ins Wanken. In solchen Momenten ist es gut und wichtig, inne zu halten, den HERRN im Gebet zu suchen und sich zu fragen: Verlaufen die Ereignisse noch innerhalb der von Gott aufgezeigten Bahnen? Ist etwas geschehen, das auch nur eines Seiner Worte ungültig macht? Oder zerschellen gerade nur meine eigenen Vorstellungen an der Realität? Manchmal kann es sogar sein, dass der HERR selbst uns im Vorfeld auf etwas Unschönes hingewiesen und vorbereitet hat, sodass ein schlimmes Ereignis in unserem Leben nicht etwa den Glauben schwächen, sondern ihn vielmehr stärken sollte, weil genau das geschieht, was der HERR im Vorfeld gesagt hat. Den grössten Stolperstein für unseren Glauben bilden jedenfalls in aller Regel unsere eigenen Vorstellungen, die sich nicht auf ein Wort Gottes stützen, sondern unseren eigenen Wünschen entspringen, sich aber hin und wieder nicht realisieren lassen.
Vers 19
und sie werden ihn den Nationen überliefern, um ihn zu verspotten und zu geisseln und zu kreuzigen; und am dritten Tag wird er auferweckt werden. Mt 20,19
Der Herr Jesus hat Seine Jünger (mehrfach!) ernstlich darauf hingewiesen, was mit Ihm in Jerusalem geschehen würde. Hier in Mt 20,18.19 sehen wir, dass Er sehr genaue Voraussagen gemacht hat, die sich später allesamt eins zu eins erfüllt haben. Das hätte den Glauben der Jünger eigentlich stärken müssen. Am Ende von Mt 20,19 haben wir aber noch eine weitere Voraussage: Am dritten Tag würde der Herr Jesus auferweckt werden! All die tragischen Ereignisse, die Ihn und Seine Jünger erwarteten, sollten nur eine Wegstrecke hin zu einem herrlichen, unvergleichlichen Höhepunkt bilden! Ach, wenn die Jünger doch nur richtig zugehört hätten! Sie hätten alle Ereignisse eins zu eins mit den Voraussagen vergleichen können und dann wissen müssen, dass ihr geliebter Herr am dritten Tag auferstehen sollte.
Wie oft gleichen wir selbst aber den Jüngern! In Seinem guten Wort hat der HERR uns ganz deutlich aufgezeigt, dass unser Weg als Christen in dieser Welt viel Not und Leid mit sich bringt, dass dieser schwierige und steinige Weg aber zu einem herrlichen, unvergleichlichen Höhepunkt führt, der alle Trübsal mehr als wettmachen wird. Und doch gehen wir in aller Regel davon aus, dass es uns hier eigentlich ganz gut gehen sollte. Wenn uns Schwierigkeiten auf unserem Weg begegnen, straucheln wir im Glauben, obwohl doch gerade diese Schwierigkeiten die Zuverlässigkeit des Wortes Gottes bestätigen und unsere Hoffnung auf das wunderbare Ziel bestärken sollten.
Vers 20
Dann trat die Mutter der Söhne des Zebedäus mit ihren Söhnen zu ihm und warf sich nieder und wollte etwas von ihm erbitten. Mt 20,20
Leider hat die Leidensankündigung des Herrn Jesus die Jünger nicht dazu gebracht, über das Gesagte nachzudenken oder sich mit der Person ihres Herrn und Heilandes zu beschäftigen. Nein, wie es typisch für uns Menschen ist, waren die Jünger weitaus mehr mit sich selbst als mit ihrem Herrn und Heiland beschäftigt. Die beiden Söhne des Zebedäus, Johannes und Jakobus, traten mit ihrer Mutter vor den Herrn Jesus, um etwas für sich selbst zu erbitten. Ach, welche Langmut prägt unseren Herrn! Nicht einmal Seine engsten Jünger brachten Ihm Verständnis oder gar Mitleid entgegen, weil sie so voll von sich selbst waren, dass es für Ihn nur wenig Platz in ihren Herzen gab. Doch Er ertrug das ohne jede Bitterkeit. Ohne Weiteres war Er bereit, das, was Ihn selbst betraft, zur Seite zu schieben, um Sich mit den Anliegen der Seinen zu befassen. Wären wir nur zu zehn Prozent so wie Er, wie herrlich wäre unser Miteinander!
Vers 21
Er aber sprach zu ihr: Was willst du? Sie sagt zu ihm: Sag, dass diese meine zwei Söhne einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken sitzen in deinem Reich! Mt 20,21
Die Mutter von Johannes und Jakobus wollte sich vom Herrn Jesus nicht irgendwas, sondern gleich die beiden besten Plätze für ihre Söhne erbitten. Sehr ambitioniert! Wir würden eine solch forsche Bitte vielleicht als unangebracht oder gar egoistisch verurteilen. Aber zeigt sie nicht einen Glauben, der Gott gefällt? Ganz offensichtlich stand es für die Mutter von Johannes und Jakobus völlig ausser Frage, dass der Herr Jesus die Herrschaft über das Königreich Gottes empfangen werde. Sie glaubte fest daran. Zudem glaubte sie, dass der Herr Jesus die Macht habe zu bestimmen, wer in Seinem Reich welche Position einnehmen werde. Schliesslich bat sie nicht um irgendwas in dieser Welt für ihre Söhne, sondern um einen Ehrenplatz im Reich Gottes. Das Reich Gottes hatte also so gesehen für sie die oberste Priorität. Bevor wir achso frommen Christen verächtlich die Nase über diese Bitte rümpfen, sollten wir uns unter anderem mal die Frage stellen, welche Priorität denn wir dem Reich Gottes in unserem Leben einräumen. Wie viel liegt uns hier und jetzt wirklich daran? Wie viel Zeit und Energie investieren wir dafür? Zeigen wir in unserem Leben einen Glauben, der es mit jenem der Mutter von Johannes und Jakobus aufnehmen kann?
Vers 22
Jesus aber antwortete und sprach: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde? Sie sagen zu ihm: Wir können es. Mt 20,22
Die Bitte von Johannes und Jakobus zeigte Glauben und ein Trachten nach dem Reich Gottes, aber sie war auch vermessen, denn Johannes und Jakobus baten nicht einfach nur um Ehrenplätze, sondern um die zwei ausgezeichnetsten Plätze überhaupt. Der Herr Jesus musste ihnen entgegnen, dass sie nicht wüssten, worum sie bäten. Solche Plätze bekommt man nicht einfach so, weil man nett danach fragt. Man muss sie sich verdienen. In 2.Sam 23 finden wir bspw. eine Liste der Helden Davids. Da ist genau beschrieben, wer was getan hat, um sich einen Eintrag in dieser Liste bzw. eine entsprechende Position im Königreich Davids zu verdienen.
Im Königreich Gottes gilt der Grundsatz, dass der Ehre Demut voraus geht (Spr 18,12) und dass die Herrlichkeit auf dem Weg der Leiden gefunden wird (vgl. etwa Röm 8,18; Hebr 2,10; 1.Petr 1,11; 1.Petr 4,13; 1.Petr 5,1). Wer im Königreich Gottes Platz nehmen will neben dem Herrn Jesus, muss denselben Kelch trinken, den Er trinken musste. Das ist natürlich nicht der Kelch des Zornes Gottes, den Er – zur Sünde gemacht – in Seinen sühnenden Leiden trinken musste, denn diesen Kelch konnte nur Er allein trinken. Es ist der Kelch der unsäglichen Leiden, die Er vonseiten der Menschen erlitten hat. Konnten Johannes und Jakobus einen solchen Kelch trinken? Konnten sie sagen, wie Dietrich Bonhoeffer später einmal gedichtet hat: «Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern, des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand»? Sie sagten Ja. Eine steile Ansage!
Vers 23
Er spricht zu ihnen: Meinen Kelch werdet ihr zwar trinken, aber das Sitzen zu meiner Rechten und zu meiner Linken zu vergeben, steht nicht bei mir, sondern ist für die, denen es von meinem Vater bereitet ist. Mt 20,23
Johannes und Jakobus hatten erklärt, dass sie den Kelch der Leiden trinken könnten, und der Herr Jesus antwortete ihnen, dass sie diesen Kelch tatsächlich trinken würden. Jakobus wurde wenige Jahre später mit dem Schwert getötet (Apg 12,2). Johannes endete in der Verbannung auf der Insel Pathmos. Beide haben die totale Ablehnung durch Menschen am eigenen Leib erfahren und sozusagen den Höchstpreis für ihre Überzeugung bezahlt, den heute hier bei uns nur die wenigsten bezahlen müssen, nämlich eine Verfolgung bis aufs Blut.
Haben uns diese Märtyrer der ersten Jahre etwas voraus, weil sie so einen hohen Preis bezahlt haben, während wir oft deutlich «billiger» wegkommen? Nein! Erinnern wir uns an das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg! Gott der HERR kennt das Herz eines jeden von uns. Er weiss, was wir tragen können, was unser Glaube aushalten kann. Uns wird niemals etwas begegnen, das uns überfordern wird. «Gott aber ist treu, der nicht zulassen wird, dass ihr über euer Vermögen versucht werdet» (1.Kor 10,13). Aber umgekehrt wird Er unseren Glauben bis aufs Äusserste erproben, damit später für alle ersichtlich sein wird, wie stark unser Glaube wirklich gewesen ist. Abrahams Glaube reichte bis hin zu einer Überzeugung, dass er nötigenfalls seinen Sohn durch Toten-Auferstehung zurückerhalten werde (Hebr 11,19), weshalb der HERR ihn bis hin zur entsprechenden Schwelle führte, um diesen Glauben öffentlich sichtbar zu machen. Für jeden von uns gibt es einen ganz bestimmten, individuell auf uns zugeschnittenen Kelch. Vertrauen wir darauf, dass der HERR uns genau jenen Kelch gibt, den wir trinken können? Ein solches Vertrauen würde uns in Bezug auf unser ganzes Leben ruhig machen und einen Frieden schenken, den die Welt nicht kennt. Wir könnten in der vollen Überzeugung leben, dass uns niemals etwas begegnen werde, das wir nicht tragen könnten.
Wenn auch Johannes und Jakobus jenen Kelch trinken mussten, nahm der Herr Jesus Sich selbst als Mensch völlig zurück: Nicht Er, sondern der Vater in den Himmeln würde die Plätze anweisen. Damit betonte Er, dass es allein die Sache Gottes ist, solche Entscheide zu treffen, nicht eines Menschen Sache. Wir können von Menschen viel Ehre erhalten, aber das ist alles nichts im Vergleich zu dem, was Gott uns geben kann und will. Trachten wir doch nach dieser echten Belohnung!
Vers 24
Und als die Zehn es hörten, wurden sie unwillig über die zwei Brüder. Mt 20,24
Die übrigen zehn Jünger waren mit der Bitte von Johannes und Jakobus nicht einverstanden. Wir können das, wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, gut nachvollziehen. Sicher machte sich einerseits der Unmut darüber breit, dass die beiden Jünger scheinbar versuchten, sich vorzudrängen; andererseits dürften die Jünger aber auch unwillig darüber gewesen sein, dass Johannes und Jakobus so auf ihre eigenen Wünsche fokussiert waren, was sich für einen Jünger Christi nicht zu geziemen scheint.
Doch offenbarten die zehn Jünger mit ihrem Unwillen nicht eine mindestens ebenso niedrige Gesinnung wie jene, die sie Johannes und Jakobus unterstellten? Wer gab ihnen das Recht, Johannes und Jakobus zu verurteilen und unwillig über sie zu werden? War da nicht auch Neid im Spiel? Und mochten sich die zehn Jünger vielleicht in einer hochmütigen Weise besser als die beiden Söhne des Zebedäus gefühlt haben?
Wieder einmal zeigt sich, dass das allzu menschliche, ewige, elende Vergleichen nur Schaden anrichtet. Wenn wir uns mit anderen vergleichen, werden wir neidisch oder aber hochmütig werden; einen echten, geistlichen Nutzen werden wir daraus nie ziehen. Möchten wir uns doch mehr an Röm 14,4 orientieren: «Wer bist du, der du den Hausknecht eines anderen richtest? Er steht oder fällt dem eigenen Herrn. Er wird aber aufrecht gehalten werden, denn der Herr vermag ihn aufrecht zu halten».
Vers 25
Jesus aber rief sie heran und sprach: Ihr wisst, dass die Regenten der Nationen sie beherrschen und die Grossen Gewalt gegen sie üben. Mt 20,25
Die Jünger hatten Johannes und Jakobus vielleicht auch teilweise missverstanden. Sie hielten ihre Bitte möglicherweise für den Ausdruck des normalen menschlichen Strebens nach Macht. Das wäre tatsächlich Ausdruck einer niedrigen Gesinnung gewesen. In der Welt streben die Menschen nach Macht, um andere Menschen beherrschen zu können und um tun und lassen zu können, was immer sie wollen. Lukas fügt in seinem Evangelium hinzu, dass jene, «die Gewalt über sie üben», «sich Wohltäter nennen» lassen (Lk 22,25). Machtmenschen sind hemmungslose Egoisten, aber sie wollen nicht nur so viel Macht wie nur irgend möglich, sondern sie wollen auch bewundert und verehrt werden. Sie lassen sich Wohltäter nennen, weil sie nicht nur gefürchtet, sondern auch geliebt werden wollen. All das ist nur Ausdruck ihres Egoismus. Ein Christ, der nach diesen Dingen strebt, hat den Kern des Christenlebens nicht verstanden, denn dieses Streben widerspricht allem, wofür unser geliebter Herr und Heiland Jesus Christus steht.
Vers 26
Unter euch wird es nicht so sein; sondern wenn jemand unter euch gross werden will, wird er euer Diener sein, Mt 20,26
Im Königreich Gottes gelten andere Grundsätze als in den Gesellschaften dieser Welt. In dieser Welt gilt beispielsweise das Ellbogen-Prinzip: Wer hoch hinaus will, muss rücksichtslos für seine eigenen Interessen einstehen und bereit sein, sich mithilfe seiner Ellbogen nach oben und vorne zu drängne. Im Königreich Gottes führt eine solche Einstellung zur Disqualifikation. Wer meint, er könne sich mit seinen Ellbogen nach vorne drängen, wird am Ende ganz hinten landen.
Wer gross werden will im Königreich Gottes, muss sich am Herrn Jesus orientieren. Er wird im Königreich Gottes der Grösste sein, denn Er allein ist würdig, die ganze Schöpfung zu regieren. Weshalb? Weil Er jene Qualitäten unter Beweis gestellt hat, über die ein echt guter Regent verfügen muss. Im Königreich Gottes zählen die inneren Qualitäten; Gott urteilt nicht nach dem Schein, sondern nach dem Herzen (vgl. 1.Sam 16,7). Am besten qualifiziert sind jene Personen, die dem Herrn Jesus von ihrer inneren Einstellung her am ähnlichsten sind. Und was hat Ihn (als Mensch) mehr als alles andere ausgezeichnet? «Denn auch der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele» (Mk 10,45). Deshalb: Wer gross werden will, muss aller Diener sein.
Vers 27
und wenn jemand unter euch der Erste sein will, wird er euer Sklave sein; Mt 20,27
Wer im Königreich Gottes der Erste sein will, muss den Weg gehen, den der Herr Jesus gegangen ist. Der Herrlichkeit gehen Demut und Leiden voraus. Man muss beweisen, dass man die richtige Herzenseinstellung (Demut) hat und man muss sich bewähren, indem man in Schwierigkeiten standhaft bleibt. Je höher man kommen will, umso ähnlicher muss man dem Herrn Jesus sein. Gott hat mit jedem Einzelnen Seiner Kinder hohe und höchste Pläne. Seine Absichten für uns übersteigen in aller Regel unsere kühnsten Träume. Doch wir werden nicht einfach so am Ziel landen. Der Weg dahin ist eng, steinig und steil. Der HERR muss unser ganzes Potential austesten und zum Vorschein bringen. Dafür müssen wir zahlreiche Prüfungen bestehen.
Das klingt alles extrem mühsam, aber das ist es nicht. Unser Beitrag ist eigentlich minimal, denn aus uns selbst heraus können wir sowieso nichts von dem bringen, was nötig ist. Unser Teil ist es, uns nicht zu sträuben, sondern uns an den Herrn zu klammern. Das ist alles. Natürlich ist das kein Spaziergang. Viele Geschwister haben schon viel Schweres ertragen und durchstehen müssen. Aber von uns ist nicht verlangt, aus eigener Kraft alle Herausforderungen zu meistern. Wir müssen nur immer wieder die richtige Entscheidung treffen: Nehmen wir das Ruder unseres Lebens wieder selbst in die Hand oder klammern wir uns noch mehr an den HERRN?
Vers 28
so wie der Sohn des Menschen nicht gekommen ist, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele. Mt 20,28
Der Herr Jesus sollte uns in allem das grosse Vorbild sein. Was hat Er getan, was hat Er gesagt, wie hat Er sich verhalten? Diese Fragen sollten uns in unserem Alltag leiten. Wenn wir den Herrn Jesus studieren, wie Er uns in den Evangelien vorgestellt wird, stellen wir fest, dass Er absolut konsequent nach dem Willen des Vaters in den Himmeln gelebt hat. Er hat Sich völlig von Ihm abhängig gemacht und Sein Trachten in allem war, den Vater zu ehren und zu verherrlichen. Sein Leben ist eine einzige Anbetung gewesen, ein einziger Wohlgeruch. Und weil Gott die Menschen liebt, hat dieses konsequente Leben für Gott Segen über Segen für die Menschen mit sich gebracht. Die Interessen Seiner Nächsten waren dem Herrn Jesus stets wichtiger als Seine eigenen Interessen. Selbst wenn Er einmal etwas Zeit für Sich allein gebraucht hätte, hat Er sich zuerst um jene gekümmert, die Ihn in der Einöde bereits erwartet haben. Ja, Er ist wahrlich nicht gekommen, um bedient zu werden, obwohl Ihm das mehr als jedem anderen zugestanden hätte! Er ist gekommen, um zu dienen; Er hat Sich freiwillig zum Knecht aller gemacht. Welche Herablassung, welche Gnade, welche Demut! Aber damit nicht genug: Am Ende hat Er Sein Leben, Sich selbst als Lösegeld für viele gegeben. Er hat Sich effektiv völlig verzehrt für Gott und die Menschen. Wer Ihm in dieser Haltung nacheifert, ist würdig, gross zu werden im Reich Gottes.
Vers 29
Und als sie von Jericho auszogen, folgte ihm eine grosse Volksmenge. Mt 20,29
Der Herr Jesus war unterwegs nach Jerusalem, wohl wissend, was Ihn dort erwartete. In Seiner unendlichen Gnade hatte Er aber noch einen Abstecher nach Jericho gemacht. Jericho war eine verfluchte Stadt: «Verflucht vor dem HERRN sei der Mann, der sich aufmachen und diese Stadt Jericho wieder aufbauen wird! Mit seinem Erstgeborenen wird er ihren Grund legen, und mit seinem Jüngsten ihre Torflügel einsetzen» (Jos 6,26). Nachdem die Israeliten unter der Führung Josuas Jericho vernichtet hatten, liess der HERR den Wiederaufbau der Stadt verbieten. Er kündigte jenem Mann, der dieses Verbot übertreten sollte, den Tod des Erstgeborenen, und jenem Mann, der den Wiederaufbau vollenden sollte, den Tod des Jüngsten an. Doch was gibt der Mensch im Allgemeinen schon auf das Wort Gottes? Später schickte sich Hiël der Betheliter an, Jericho wieder aufzubauen. Das kostete ihn seinen Erstgeborenen, Abiram. Man würde meinen, er hätte sein Vorhaben sofort aufgegeben, aber weit gefehlt: Hiël setzte den Wiederaufbau fort und bezahlte dafür mit dem Leben seines Jüngsten, Segub (1.Kön 16,34). Die Stadt Jericho war also allein schon mit ihrer Existenz ein Schlag in das Gesicht Gottes. Und doch stattete Er den Menschen dort einen Besuch ab, um ihnen Heilung und Rettung zu bringen. So ist unser Gott! Er bietet sogar dann Seine Unterstützung und Hilfe an, wenn wir uns selbstverschuldet in die Misere manövriert haben. Jeder kann jederzeit zu Ihm rufen und erhört werden – ausser, er oder sie spielt mit der Gnade und will Gott zum Hampelmann machen.
Vers 30
Und siehe, zwei Blinde, die am Weg sassen und hörten, dass Jesus vorüberging, schrien und sprachen: Erbarme dich unser, Herr, Sohn Davids! Mt 20,30
Zwei Blinde in Jericho! Was könnte den Zustand der meisten Menschen in Westeuropa heute besser beschreiben? Diese beiden armen Männer lebten in einer Stadt, die eine Materie gewordene Ablehnung der Rechtsforderungen Gottes war, eine Stadt praktisch wie ein ausgestreckter Mittelfinger. Dasselbe Fundament prägt unsere heutige Gesellschaft. Die Menschen haben sich von Gott ab- und all dem zugewendet, von dem Gott gesagt hat, dass es verkehrt sei. Wir sind wie ein Schiff, das ziel- und orientierungslos auf dem Meer treibt, weil man den Kapitän über Bord geworfen hat. In unserer Gesellschaft hat alles Platz, vom Buddhismus über Yoga bis hin zum Islam oder wahlweise auch abstrusen Ideologien. Nur für den Glauben an den Herrn Jesus Christus hat niemand etwas anderes als Verachtung übrig. Gott der HERR hat gesagt, dass wir teuer bezahlen werden, wenn wir dieses Bollwerk der Ablehnung gegen Ihn aufbauen, aber wir haben geantwortet, dass uns das egal sei. An einem solchen Ort leben wir, an einem solchen Ort lebten diese beiden Männer.
Dazu waren sie noch blind. Sie konnten nicht sehen. Wir sind genauso blind. Die Wahrheit ist vor unseren Augen, aber wir sehen sie nicht, weil wir blind sind. Wir leben in einer ständigen Dunkelheit, in einer Verfinsterung. Gottes Licht strahlt, aber wir sehen es nicht. Unser Zustand ist hoffnungslos. Alles in und um uns hält uns davon ab, das Leben aus Gott zu finden.
Doch der HERR macht Sich auf, zu suchen und zu erretten, was verloren ist. Immer wieder! Der Herr Jesus ging nach Jericho und Er ging an diesen beiden blinden Männern vorbei. Sie konnten Ihn nicht sehen, weil sie blind waren, aber sie hörten, dass Er vorüberging. Da taten sie das Einzige, das ein Mensch tun kann und tun muss, um errettet zu werden: Sie schrien zum Herrn Jesus. Lieber Leser, Dir muss nur bewusst werden, dass Du blind bist, dass Du ein Problem hast, und Du musst nichts weiter tun, als Gott aufrichtig um Hilfe zu bitten, wohl wissend, dass Du Dir nicht selbst helfen kannst. Es geht nicht um Religion, um eine Änderung der Verhaltensweisen oder dergleichen, sondern nur um den aufrichtigen Hilfeschrei zu Gott. Ein solcher Schrei wird niemals ungehört verschallen. Der HERR ist hier und wartet nur darauf, dass wir Seine Gnade in Anspruch nehmen und zu Ihm zurückkehren.
Vers 31
Die Volksmenge aber bedrohte sie, dass sie schweigen sollten. Sie aber schrien noch mehr und sprachen: Erbarme dich unser, Herr, Sohn Davids! Mt 20,31
Zwei Blinde in Jericho erhielten die Chance, dem Retter Jesus zu begegnen. Sie schrien zum Sohn Davids um Erbarmen. Doch sie waren nicht allein. Um sie herum waren viele Leute, ihre Nachbarn, vielleicht sogar Bekannte und Verwandte. Diese Leute wollten nicht, dass die zwei Blinden zum Herrn Jesus schrien. Sie bedrohten sie sogar! In einem gewissen Sinn leben wir alle in Jericho, in einer Gesellschaft, die Gott ablehnt und verworfen hat, in einer Gesellschaft, die Gott den Kampf angesagt hat. In dieser Gesellschaft ist Platz für alles und für alle, ausser für Jesus Christus. Wenn sich ein Mensch erdreistet, zum Herrn Jesus zu rufen, wollen seine Nächsten ihn zum Schweigen bringen. Der verzweifelte Hilferuf eines Menschen zu Gott ist ihnen zuwider. Es ist nicht so, dass die Menschen einfach selbst nicht zum Herrn rufen würden; nein, sie wollen sogar jene, die rufen wollen, hindern! Es scheint, als würden sie instinktiv spüren, dass ein einfacher Ruf zum Herrn Jesus sehr vieles in Bewegung setzt und dass dies Auswirkungen auf das Umfeld des Rufenden haben könnte …
Wenn Du gerade erst begonnen hast, den Namen unseres Heilandes Jesus Christus anzurufen, dann kann es sein, dass sich in Deinem Umfeld Widerstand regt. Man will Dir diesen vermeintlichen Unsinn ausreden, will Dich zum Schweigen bringen. Wie reagierst Du darauf? Mach es wie diese beiden Blinden: Schreie noch mehr! Solche Reaktionen des Umfeldes tun weh und sie wiegen schwer. Aber auch diese Last und Not dürfen wir zum Herrn Jesus bringen, wie jede andere auch. Wir können zu Ihm rufen und Ihm sagen, dass wir Ihn und Seine Gnade noch mehr brauchen. Und Er wird für uns sorgen. «Seid um nichts besorgt, sondern in allem sollen durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden» (Phil 4,6); «indem ihr alle eure Sorge auf ihn werft! Denn er ist besorgt für euch» (1.Petr 5,7).
Vers 32
Und Jesus blieb stehen und rief sie und sprach: Was wollt ihr, dass ich euch tun soll? Mt 20,32
Natürlich hörte der Herr Jesus das Schreien der beiden Blinden! Der HERR erhört jeden Schrei der Not. Ja, gerade ein aufrichtiger Schrei nach Hilfe ist es, was Seinen Arm und Seine starke Hand in Bewegung setzt. Bei der Berufung Moses erklärte Er, dass Er den Hilfeschrei des Volkes gehört und das Elend, in dem Israel sich damals befand, gesehen habe. Das war genug. Israel musste und konnte Ihm damals nichts bieten, aber der Hilfeschrei liess Gott tätig werden. So ist unser Gott. Er handelt aus Gnade, das bedeutet aus unverdienter Gunst.
Selbst wenn der Herr Jesus nicht alles gewusst hätte (denn Er war und ist Gott, gepriesen in Ewigkeit), wäre Seine Frage an die Blinden seltsam gewesen. Es war doch offensichtlich, dass sie blind waren. Was wollten sie wohl? Sehen! Und doch fragte Er sie. Er wollte es aus ihrem Mund hören. So hat Er sich bei fast allen Heilungen, von denen uns etwas ausführlicher berichtet wird, verhalten. Sehr eindrücklich ist bspw. die Frage an den armen Mann, der schon 38 Jahre lang krank am Teich Siloah gelegen hatte: «Willst du gesund werden?» (Joh 5,6). Wieso fragte Er das? Weil Er es aus dem Mund des Kranken hören wollte! Er will, dass wir selbst Ihn um Hilfe bitten.
Diese Erkenntnis ist hilfreich für unser Gebetsleben. Manchmal könnte nämlich der Gedanke aufkommen, dass unsere Gebete sinnlos seien, weil der HERR ja sowieso nach Seinem Gutdünken handelt. Er weiss besser als wir, was gut für uns ist, und Er will uns Gutes tun. Wozu sollten wir also noch beten? Tatsächlich weisen christliche Gebete, wie wir sie bspw. in den Lehrbriefen des Neuen Testamentes finden, einen ganz anderen Charakter auf als die typisch israelitischen Gebete aus dem Alten Testament. In den Lehrbriefen des Neuen Testamentes finden wir kein einziges Gebet um Wohlergehen, Gesundheit, ausreichend Nahrung oder dergleichen. Es scheint, als wären solche Gebete für uns nicht notwendig, weil wir die Verheissung haben, dass der HERR für all diese Dinge bereits gesorgt hat. Die Gebete kreisen mehr um geistliche Dinge, um ein Voranschreiten in der Erkenntnis Seiner Selbst und ähnliches. Wir beten also nicht, um Gott quasi «umzustimmen», d.h. dazu zu bringen, in einer Weise für uns tätig zu werden, in der Er ohne unser Gebet nicht gehandelt hätte. Aber Er will doch aus unserem Mund hören, was unsere Wünsche und Bedürfnisse sind. Gebet ist in diesem Sinne vor allem Beziehungspflege. Wer das verstanden hat, hat einen ganz neuen Zugang zum Gebet gefunden und wird sicherlich schönere und erfülltere Gebetszeiten mit dem HERRN haben.
Vers 33
Sie sagen zu ihm: Herr, dass unsere Augen geöffnet werden. Mt 20,33
Die beiden Blinden sagten dem Herrn Jesus klar und in einfachen Worten, was sie wollten, nämlich dass ihre augen geöffnet würden. Sie machten nicht viele Worte, sie beteten keine fixen Formeln durch, wägten ihre Worte nicht sorgsam ab, hielten sich an keinen etablierten Plan, sondern sagten dem Herrn Jesus einfach, was sie wollten. So sollen wir auch beten. Nur Menschen, die Gott nicht kennen, meinen, von der Zahl oder vom Inhalt ihrer Worte hinge der Erfolg eines Gebetes ab: «Wenn ihr aber betet, sollt ihr nicht plappern wie die von den Nationen; denn sie meinen, dass sie um ihres vielen Redens willen erhört werden» (Mt 6,7).
Vers 34
Jesus aber, innerlich bewegt, rührte ihre Augen an; und sogleich wurden sie wieder sehend, und sie folgten ihm nach. Mt 20,34
Alles, was der Herr Jesus getan hat, hat Er aus tiefstem Herzen getan. Keine Regung, kein Wort, keine Handlung, ohne dass Sein ganzes Herz voll und ganz darin gewesen wäre! Er wollte diese beiden Blinden nicht einfach heilen; das war keine Pflichtübung und auch nichts, das Er einfach noch nebenbei rasch getan hätte. Nein, Er wollte zunächst aus ihrem eigenen Mund hören, was sie von Ihm begehrten. Ihr Wunsch bewegte Ihn innerlich. Er empfand zutiefst die Not dieser Blinden, und das liess Ihn alles andere als kalt. Jemand hat einmal geschrieben, dass der Herr Jesus jeden bitteren Kelch, den Er uns darreichen muss, selbst zuerst bis und mit Bodensatz geleert hat, dass Er in allem mit uns mitleidet und dass Er alle Nöte noch viel tiefer empfindet als wir selbst. «Innerlich bewegt» – einer der schönsten Ausdrücke in den Evangelien überhaupt! Er kommt fast nur in Verbindung mit dem Herrn Jesus vor, wird aber im bekannten Gleichnis vom verlorenen Sohn auch auf den Vater bezogen (Lk 15,20).
Die Blinden wurden also geheilt. Sie wurden sehend. Und was war das Ergebnis? Sie folgten dem Herrn Jesus nach. Wie schön! Und wie bezeichnend: Wenn ein Mensch, der von Natur aus blind ist in Bezug auf die Wahrheit, der Gott weder sucht noch erkennen kann, sehend wird, wenn ein Mensch wirklich Gott geoffenbart im Fleisch, in der Person unseres geliebten Herrn und Heilandes Jesus Christus begegnet, wenn ein Mensch von Gott sehend gemacht wird, dann ist die natürlichste Reaktion dieses Menschen, sich an den HERRN zu klammern. Einmal wandten sich viele falsche Jünger von Jesus Christus ab. Also fragte Er die Seinen, ob sie auch gehen wollten. Ihre Antwort ist unsere Antwort, ist die Antwort aller wahren Christen zu allen Zeiten gewesen: «Herr, zu wem sollten wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Heilige Gottes bist» (Joh 6,68.69).