Matthäus 21
Vers 1
Und als sie sich Jerusalem näherten und nach Betfage kamen, an den Ölberg, da sandte Jesus zwei Jünger Mt 21,1
Nun spitzten sich die Ereignisse zu. Jesus Christus näherte sich mit Seinen Jüngern dem religiösen Zentrum Jerusalem. Er wusste genau, was Ihn dort erwartete, und Seine Jünger hätten es nach mehreren Ankündigungen auch wissen müssen. Sie wollten es aber nicht wahrhaben und schätzten deshalb die Situation zunächst völlig falsch ein – nur um dann später überrumpelt zu werden und zu versagen. Ganz anders der Herr Jesus: Obwohl Er genau wusste, was alles kommen musste, blieb Er völlig ruhig. Alles war geordnet und geplant, alles geschah in völliger Abhängigkeit vom Vater in den Himmeln. Er sandte zwei Jünger aus, um Vorbereitungen für das Passah zu treffen, wohl wissend, dass schon alles bereit war. Ach, könnten wir in unserem Leben nur halb so ruhig sein, wie Er es jeweils gewesen ist!
Vers 2
und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das euch gegenüberliegt; und sogleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Fohlen bei ihr. Bindet sie los und führt sie zu mir! Mt 21,2
Der Herr Jesus wusste genau, was zu tun war. Wir werden bald sehen, dass jede Handlung einem ganz bestimmten Zweck folgte. Er benötigte ein Eselsfohlen, um den Willen Gottes zu tun. Der Vater in den Himmeln hatte Ihm gezeigt, welches Eselsfohlen das richtige war. Deshalb konnte Er Seine Jünger mit ganz genauen Anweisungen in das nächste Dorf schicken, um das Eselsfohlen loszubinden und zu Ihm zu führen. Wir werden noch sehen, dass auch für alles weitere gesorgt war.
Auf dieselbe Weise hat der HERR auch für jeden Aspekt unseres Lebens vorgesorgt. Wenn wir glauben, können wir jedem neuen Tag ruhig und frohgemut entgegen blicken, nämlich im Wissen, dass alles, was uns begegnen wird, aus der Hand unseres liebevollen Vaters kommt und dazu gedacht ist, uns Ihm wieder ein Stück näher zu bringen, uns wieder ein Stück Seinem wunderbaren Sohn ähnlicher zu machen. Und doch sind wir jeden Tag so voller Sorgen! Wieso? Weil wir nicht genug glauben, weil wir nicht geprägt sind von einem unerschütterlichen Vertrauen, weil wir meinen, wir müssten selbst unseres Glückes Schmied sein. Ach, könnten wir doch nur mehr im Wissen ruhen, dass der Vater ganz genau weiss, was Er tut!
Vers 3
Und wenn jemand etwas zu euch sagt, so sollt ihr sprechen: Der Herr braucht sie, und sogleich wird er sie senden. Mt 21,3
Das ist nun wirklich erstaunlich! Die Jünger sollten ein fremdes Eselsfohlen mitsamt der Mutter losbinden und zum Herrn Jesus bringen. Sollten sie dabei «erwischt» werden, würde das natürlich Fragen auslösen, denn wer lässt schon zwei Fremde etwas von seinem Eigentum mitnehmen? In diesem Fall sollten die Jünger den Eigentümern einfach sagen: «Der Herr braucht sie». Stellen wir uns einmal vor, jemand, den wir noch nie gesehen hätten, würde eines unserer Tiere oder Fahrzeuge mitnehmen wollen und auf eine entsprechende Frage hin einfach sagen: «Der Herr braucht sie». Was würden wir davon halten? Doch der HERR hatte auch die Herzen dieser Menschen vorbereitet. Für sie würde diese einfache Aussage genug sein; sie würden die Esel mit den Jüngern ziehen lassen. Ist das nicht gewaltig?
Ein weiterer Punkt darf uns noch zum Nachdenken bringen: Wir tendieren ja alle dazu, eher zu gut und zu wichtig von uns selbst zu denken. Tatsächlich gibt es aber in der Heiligen Schrift keine einzige Stelle, wo es heisst, dass der HERR einen bestimmten Menschen brauchen würde. Das einzige Geschöpf, von dem es heisst, dass der HERR es gebraucht hat, ist ein Esel! Das sollte uns demütig werden lassen.
Vers 4
Dies aber ist geschehen, damit erfüllt wurde, was durch den Propheten geredet ist, der spricht: Mt 21,4
Nirgends in der Bibel finden wir einen Hinweis darauf, dass der Herr Jesus auch nur ein einziges Mal irgendetwas einfach so aus einer Laune heraus getan hätte. Alles diente einem bestimmten, vollkommenen Zweck. Allezeit tat Er genau das Richtige. Allezeit konnte der uneingeschränkte Wohlgefallen des Vaters in den Himmeln auf Ihm ruhen. Er tat nichts zu viel und nichts zu wenig. Was Er mit dem Eselsfohlen vorhatte, sollte eine jahrhundertealte Prophezeiung erfüllen, denn niemals hätte auch nur ein Wort Gottes leer zur Erde fallen sollen.
Böse Zungen könnten natürlich behaupten, wir hätten hier einen Beweis dafür vor uns, dass Jesus Christus einfach ein geschickter Stratege war, der das Alte Testament gut kannte und selbst dafür sorgte, Prophezeiungen zu erfüllen. Aber das stimmt nicht. Natürlich tat Er gewisse Dinge ganz bewusst, weil sie so geschehen mussten. Andere Prophezeiungen erfüllte Er hingegen, ohne dass Er als Mensch darauf einen Einfluss nehmen konnte. Denken wir nur einmal an Seine menschliche Abstammung, an den Geburtsort, an die Flucht nach Ägypten im Kleinkindalter oder auch an die Verlosung Seines Untergewandes bei Seiner Kreuzigung, an den Essig und an die Galle, die man Ihm reichte, oder an den Entschluss des Joseph von Arimathia, Ihn in sein eigenes Grab zu legen.
Vers 5
«Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir, sanftmütig und auf einer Eselin reitend, und zwar auf einem Fohlen, dem Jungen eines Lasttiers». Mt 21,5
Einer der letzten Propheten in Israel, Sacharja, hatte dem Überrest des Volkes Israel nach der Rückkehr aus Babylon etwa 500 Jahre vor Christus Folgendes zugesagt: «Juble laut, Tochter Zion, jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir: Gerecht und siegreich ist er, demütig und auf einem Esel reitend, und zwar auf einem Fohlen, einem Jungen der Eselin» (Sach 9,9). Nun, rund 500 Jahre später, erfüllte sich diese Prophezeiung: Der Herr Jesus, der wahre König Israels, ritt demütig auf einem Eselsfohlen in Jerusalem ein. Matthäus betont diese Tatsache mit Nachdruck. Das war der Tag, von dem der Prophet Daniel (noch vor Sacharja) gesprochen hatte: «Bis auf den Messias, den Fürsten, sind sieben Wochen und 62 Wochen» (Dan 9,25), denn an diesem Tag zeigte sich der Herr Jesus mit aller Deutlichkeit als der verheissene Messias.
Wir wissen genau, an welchem Tag dies geschehen ist, nämlich am 6. April 32 n.Chr. Das ist von Sir Robert Anderson vor mehr als 120 Jahren mit einer hieb- und stichfesten Beweisführung nachgewiesen worden. Man findet eine Übersetzung seines sehr empfehlenswerten Buches «Der kommende Fürst» («The Coming Prince») auf: tobiasbolt.ch. Das Kapitel 7 des Buches widmet sich der Beantwortung der Frage nach dem Todesjahr unseres Herrn. Wieso wird das hier erwähnt? Weil sich die Prophezeiung in Dan 9,24ff. auf den Tag genau erfüllt hat. Daniel sprach von 69 «Wochen», womit 69 × 7 = 483 Jahre von je 360 Tagen gemeint sind, also ein Zeitraum von 173.880 Tagen. Dieser Zeitraum begann mit der Erlaubnis an Nehemia zu laufen, Jerusalem wieder aufzubauen, also im Jahr 445 v.Chr., genauer am 1. Nisan, das ist der 14. März 445 v.Chr. (vgl. die Kapitel 4 und 9 des erwähnten Buches). Vom 14. März 445 v.Chr. bis zum 6. Apri 32 n.Chr. sind ganz genau 173.880 Tage vergangen. Die Prophezeiung von Daniel hat sich also nicht etwa auf das Jahr, sondern auf den Tag genau erfüllt – und das nicht etwa innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes, sondern vielmehr nach einer kaum zu erfassenden Zeitspanne von 173.880 Tagen! Wahrlich, man kann nur staunen über Gott und Sein Wort!
Vers 6
Als aber die Jünger hingegangen waren und getan hatten, wie Jesus ihnen aufgetragen, Mt 21,6
Dieser einfache Halbsatz erscheint nicht einmal ein erklärendes Wort wert zu sein. Aber ist es so selbstverständlich, dass die Jünger hingingen und taten, wie Jesus ihnen aufgetragen hatte? Ist es so selbstverständlich, dass wir als Jesu Jünger hingehen und tun, wie Jesus uns aufgetragen hat? Die Erfahrung zeigt, dass dies leider viel zu selten der Fall ist. Es fällt uns unheimlich schwer, einfach das zu tun, was der HERR gesagt hat. Wenn Er sagt, wir sollen gehen, bleiben wir; und wenn Er sagt, wir sollen bleiben, gehen wir. Wenn Er sagt, wir sollen reden, schweigen wir; und wenn Er sagt, wir sollen schweigen, reden wir. Seine Herrlichkeit besteht darin, dass Er trotz unseres Eigensinns immer zum Ziel kommt. Doch wie viel leichter würden wir es uns selbst machen, wenn wir einfach nur gehorchen und in Abhängigkeit von Ihm leben würden!
Vers 7
brachten sie die Eselin und das Fohlen und legten ihre Kleider auf sie, und er setzte sich darauf. Mt 21,7
Die Jünger zeichneten sich nicht nur durch ihren Gehorsam gegenüber dem HERRN, sondern auch durch eine schöne Form der Ehrerbietung aus: Sie legten ihre Kleider auf die Eselin und das Fohlen, damit der Herr Jesus sich nicht auf den nackten Eselsrücken setzen musste, sondern anständig sitzen konnte. Wir werden in den folgenden Versen sehen, dass diese schlichte Form der Ehrerbietung Vorbildcharakter hatte und wohl wesentlich dazu beitrug, dass der Herr Jesus jenen Empfang in Jerusalem erhielt, der Seiner würdig war. Bereits die Tieropfer im Alten Bund hatten durch zusätzliche Opfer (z.B. Trankopfer) «verziert» werden können. Damit konnten die Opfernden freiwillig eine zusätzliche Wertschätzung gegenüber dem HERRN zeigen. Der Grundgedanke zieht sich durch die ganze Bibel. So heisst es bspw. in einem der Briefe an die Korinther, dass Gott einen fröhlichen Geber lieb hat. Wir sollen geben und es ist richtig, wenn wir geben. Aber besser ist es, wenn wir fröhlich geben, mit der richtigen Herzenshaltung. Man kann das nicht gegeneinander ausspielen, sondern nur festhalten, dass etwas nicht in Ordnung ist, solange wir nicht fähig sind, dem HERRN fröhlich zu geben. Der Herr Jesus hat Seinen Dienst auch nicht als eine Pflichtübung ausgeführt, sondern immer aus ganzem Herzen. Wie oft war Er innerlich bewegt! Die Herzenshaltung ist genauso wichtig wie die Tat.
Vers 8
Und eine sehr grosse Volksmenge breitete ihre Kleider aus auf den Weg, andere aber hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Mt 21,8
Es ist überaus bewegend zu sehen, dass der Vater in den Himmeln Seinem geliebten Sohn schon vor der Kreuzigung jenen Eintritt in Jerusalem bereitet hat, der Seiner würdig war. Obwohl Er schon längst vom Volk Israel verworfen war und obwohl nur fünf Tage später das ganze Volk Seine Kreuzigung durch die Römer fordern sollte, musste Er als der König der Herrlichkeit in Jerusalem einziehen, wie es in Ps 24 so wunderbar beschrieben wird. Ja, hätten die Menschen Ihm diese Ehre nicht gegeben, hätte der Vater die Steine schreien lassen (Lk 19,40). Das war der Tag des HERRN, der Tag Jerusalems – aber die Stadt erkannte es nicht. Es war ein bittersüsser Tag, ein Tag der Freude, ein Tag der Aussicht auf die Wiederherstellung aller Dinge, wovon die Zweige sprechen, die in Israel üblicherweise nur beim freudigsten aller Feste, dem Laubhüttenfest, Verwendung fanden, aber es war auch ein Tag der Bitterkeit und des Weinens (Lk 19,41), weil die Stadt nicht erkannt hat, was ihr zum Frieden gedient hätte.
Wie beängstigend ist der Gedanke, dass ausgerechnet jene Volksmenge, die an jenem Tag ihre Kleider auf den Weg legte und dem Herrn Jesus laut jubelnd zurief, nur fünf Tage später geifernd Seine Kreuzigung forderte! Wie wetterwendisch und unbeständig ist das menschliche Herz! Ja, das Sinnen des menschlichen Herzens ist verdorben von seiner Jugend an; arglistig ist das Herz, mehr als alles, und verdorben ist es; wer mag es kennen? Der ist ein Narr, der seine Zuversicht auf Menschen setzt, die ihm heute unbedingte Treue schwören und ihm bereits morgen das Messer in den Rücken stossen können! Tröstlich ist allerdings (und dieser Trost muss unsere Sorgen weit übersteigen!), dass das menschliche Herz gerade auch deshalb so einfach lenkbar für Gott ist wie Wasserkanäle für die Bewässerung von Feldern (Spr 21,1). Er wollte, dass Sein Sohn als König empfangen wird, und es geschah so. Der Sohn musste fünf Tage später gekreuzigt werden, und es geschah so. Die Menschen taten zwar, was sie wollten, aber gerade dadurch erfüllten sie den Willen Gottes. Nichts ist je Seiner Kontrolle entglitten! Wir haben von Menschen nichts zu befürchten, denn sie können uns nichts antun, das der HERR nicht zulassen würde. Der bekannte Erweckungsprediger George Whitefield schrieb seinem Freund einmal in Zeiten schwerster Verfolgung: «In Athlone, Limerick, Cork und besonders in Dublin, wo ich fast fünfzigmal predigte, hatten wir Cambuslang-Tage. Ich kam nur mit knapper Not davon. Die Schläge schienen mich dahin zu befördern, wo es kein Abschiednehmen mehr gibt. Aber ich stelle fest, dass wir unsterblich sind, bis unsere Arbeit erledigt ist».
Vers 9
Die Volksmengen aber, die vor ihm hergingen und nachfolgten, riefen und sprachen: Hosanna dem Sohn Davids! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hosanna in der Höhe! Mt 21,9
Für einen kurzen Augenblick wurde es der Volksmenge in Jerusalem geschenkt, zu Ehren des Herrn Jesus die Wahrheit über Seine Person auszurufen. Die Menschen riefen: «Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!» – ein Zitat aus Ps 118 (Vers 26). Sie bekannten, dass der Herr Jesus der Messias, der Sohn Davids war. Sie riefen Ihm «Hosanna» zu, eigentlich: «Hoschiana», «bitte rette doch» (Ps 118,25). Ist es nicht erstaunlich, dass sie Ihn als ihren lange ersehnten Messias bekannten, zu Ihm um Hilfe schrien und Ihn ehrten? Fünf Tage später hatten sie das alles offenbar schon wieder vergessen, aber in diesem kurzen Augenblick wurden sie durch die Wirkung des Geistes Gottes (wie sonst sollte das möglich gewesen sein?) in das Licht der Wahrheit gestellt. Sie erkannten die Wahrheit, sie bekannten die Wahrheit, aber die Wahrheit drang nicht in ihre Herzen. Sie waren für einen Moment erleuchtet, im Licht Gottes, wo sie klar sahen, aber sie nahmen die Wahrheit nicht für sich selbst an. Wie tragisch! Viele Menschen haben es in den letzten Jahrhunderten leider diesen armen Menschen gleich getan. Sie wurden vom Geist Gottes erleuchtet, sie erkannten die Wahrheit, sie bekannten die Wahrheit vielleicht sogar als solche, aber letztlich lehnten sie sie doch ab. Entscheidend ist nicht, ob wir die Wahrheit als solche erkennen oder ob wir sie mit unserem Mund als solche bekennen, sondern vielmehr, ob wir sie im Glauben als Wahrheit annehmen.
Vers 10
Und als er in Jerusalem einzog, kam die ganze Stadt in Bewegung und sprach: Wer ist dieser? Mt 21,10
Die Ereignisse zwischen dem Einzug des Herrn Jesus in Jerusalem und Seiner Kreuzigung auf Golgatha warfen grosse Wellen. Schon beim Einzug des Herrn Jesus kam die ganze Stadt in Bewegung. Nach Seiner Auferstehung, als Er sich zwei Jüngern gegenüber unwissend stellte, fragten diese Ihn völlig überrascht, ob Er denn etwa der Einzige sei, der nicht mitbekommen habe, was geschehen sei (Lk 24,18). Niemand konnte behaupten, er wüsse nicht, was geschehen sei; er habe das nicht mitbekommen. Die ganze Stadt erfuhr vom bedeutenden Einzug des Herrn Jesus in Jerusalem, nicht nur eine kleine Schar von Jüngern. Die Leute wussten, wen sie wenige Tage später gekreuzigt sehen wollten. Niemand konnte sich entschuldigen.
Die grosse Frage, die sich stellte, ist dieselbe Frage, die jeder Mensch sich im Laufe seines Lebens stellen muss, die Frage, deren Antwort die weitreichendste Bedeutung für das ganze Leben hat: Wer ist dieser? Wer ist der Herr Jesus für Dich? Er kann nur entweder Dein Retter sein, auf den Du Deine ganze Hoffnung setzt, oder aber Dein Richter. Niemand von uns kommt an Ihm vorbei. Deshalb ist diese Frage wichtiger als die Frage nach Deiner Karriere oder nach Deiner Familienplanung. Es ist die eine Frage, mit der Du Dich intensiver als mit allem anderen beschäftigen solltest. Heute noch hast Du die Chance, Dein Vertrauen voll und ganz auf Ihn zu setzen und eine Beziehung mit Ihm einzugehen. Morgen könnte es zu spät sein.
Vers 11
Die Volksmengen aber sagten: Dieser ist Jesus, der Prophet, der von Nazareth in Galiläa. Mt 21,11
Die Volksmenge war in der Lage, die Frage der Stadt – «Wer ist dieser?» – zu beantworten. Können wir die Frage der Menschen, wer Jesus ist, auch beantworten?
Das Schöne ist, dass die Volksmenge nicht nur die menschliche Herkunft des HERRN genau benennen konnte (Jesus von Nazareth aus Galiläa), sondern dass sie auch wusste: Er war der Prophet. Diese Menschen wussten, dass Er nicht ein gewöhnlicher Mann und nicht einmal ein gewöhnlicher Prophet war, wenn man das sagen kann, sondern dass Er vielmehr der Prophet war. Das war eine Anspielung auf 5.Mose 18,15, wo Mose einen ganz besonderen Propheten angekündigt hat, den Messias. Darin lag die Volksmenge goldrichtig.
Aber doch hatten die Menschen die Person des Herrn Jesus nicht völlig erfasst. Sie hatten einfach die richtigen Schlussfolgerungen gezogen, aber sie waren nicht durch eine göttliche Offenbarung in das Geheimnis Seiner wunderbaren Person eingeweiht worden, wie es bei Petrus der Fall gewesen war (Mt 16,16.17). Leider sind die allermeisten Menschen nicht einmal in der Lage, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, wie das Kreuz eindrücklich beweist. Es ist ein Vorrecht, wenn Menschen, das, was sie selbst wahrnehmen, richtig beurteilen können. Aber der Weg des Glaubens erfordert noch mehr, nämlich eine Einweihung in die Gedanken Gottes über die Person Seines Sohnes. Diese setzt ein Wirken des Heiligen Geistes voraus, dem wir dafür die Tür zu unseren Herzen öffnen müssen.
Vers 12
Und Jesus trat in den Tempel ein und trieb alle hinaus, die im Tempel verkauften und kauften, und die Tische der Wechsler und die Sitze der Taubenverkäufer stiess er um. Mt 21,12
Der Herr Jesus war als der verheissene König-Messias in Jerusalem eingezogen und nun verhielt Er sich auch so: In göttlicher Autorität machte Er sich daran, den Tempelbezirk aufzuräumen. So wird Er bei Seinem zweiten Kommen generell auf der Erde aufräumen. Ein paar Hintergrundinformationen werden für das Verständnis hilfreich sein:
Im Griechischen gibt es zwei Wörter, die mit «Tempel» übersetzt werden können. Eines davon bezeichnet das eigentliche Tempelgebäude, das andere ist weiter gefasst und meint den gesamten Tempelbezirk mit allen seinen Vorhöfen. Natürlich sassen keine Verkäufer oder Wechsler im Tempel selbst, denn Zugang zum Gebäude hatten nur Priester. Auch in den «heiligeren» Vorhöfen gab es keine Verkäufer oder Wechsler. Der Tempel verfügte aber über einen Vorhof für die Nichtjuden, die Interesse daran hatten, dem Gott Israels zu begegnen. Die Juden dachten über diesen Vorhof ähnlich abschätzig wie über die Nichtjuden im Allgemeinen. Sie hatten deshalb die Lehre etabliert, dass man in diesem Vorhof Geschäfte mit Bezug auf den Tempeldienst abwickeln dürfe. Dadurch verunmöglichten sie es aber den Nichtjuden, vor Gott in die Stille zu kommen, denn der ganze Vorhof war von Marktgeschrei erfüllt. Man könnte (aus jüdischer Sicht) sagen, dass sei jetzt nicht so tragisch und bewege sich durchaus noch im Rahmen dessen, was mit der Heiligkeit des Tempels vereinbart werden könne. Aber der Herr Jesus hat das ganz anders gesehen!
Als König hat Er die uneingeschränkte Autorität, alles nach Seinem Gutdünken zu ordnen und zu regeln, was Er als Mensch natürlich in völliger Abhängigkeit vom Vater in den Himmeln tun wird. Wenn Er bald Seine Herrschaft über diese Erde antreten wird, dann wird Er alles so ordnen, wie es sein muss. Abweichungen werden nicht toleriert werden. Er wird nicht auf einem Eselsfohlen, sondern in Macht und Herrlichkeit inmitten Seiner Heiligen auf den Wolken des Himmels kommen und Er wird nicht nur den Tempelbezirk, sondern die ganze Erde reinigen und aufräumen. Dann wird alles so sein, wie es richtig ist, und deshalb wird dann die Erde in einem nie gekannten Ausmass aufblühen. Es werden Zustände wie in Eden herrschen, das Paradies auf Erden. Aber dieses Paradies kann es nicht ohne die starke Hand des HERRN geben.
Vers 13
Und er spricht zu ihnen: Es steht geschrieben: «Mein Haus wird ein Bethaus genannt werden»; ihr aber macht es zu einer «Räuberhöhle». Mt 21,13
Was ist das Haus Gottes, der Tempel Gottes? Der Tempel Gottes ist ein vom Rest der Welt abgeschiedener Ort der Begegnung. Dieser Gedanke zieht sich durch die ganze Bibel hindurch und prägt jede Art von Tempel, die wir finden können. Der erste, der mobile Tempel für Israel, die Stiftshütte, wurde das Zelt der Zusammenkunft oder das Zelt der Begegnung genannt. Der gemauerte Tempel entsprach in seinen wesentlichen Bauelementen dem Zelt der Begegnung – einfach in fester Form. Er wies aber Verzierungen auf, die an einen Garten erinnerten, was uns zurück zum Anfang der Bibel führt, nämlich in den Garten Eden. Der Garten Eden war ein Paradies. «Paradies» ist ein griechisches Wort mit persischem Ursprung; es bezeichnet nicht irgendeinen Garten, sondern einen abgeschiedenen Garten, also quasi einen Garten mit einem Zaun ringsum. Der Garten Eden war also gewissermassen der erste Tempel Gottes auf der Erde. Er unterschied sich vom Rest der Schöpfung und er war der Ort, wo Gott Gemeinschaft mit den Menschen pflegte. Auch die Aussagen in der Offenbarung über die zukünftige Form eines Tempels weisen auf den Gedanken eines besonderen Bereiches als Ort der Begegnung hin. Heute, in der christlichen Zeit, gibt es keinen Tempel aus Holz oder Stein. Kirchengebäude sind der Bibel völlig fremd. Der Tempel Gottes wird heute aus lebendigen Steinen gebaut, die laufend in den Bau eingefügt werden. Er besteht aus den wahren Gläubigen. Wo solche zusammenkommen, um dem Herrn Jesus zu begegnen, da ist Er selbst in ihrer Mitte. Solche Zusammenkünfte oder Versammlungen sind heute die abgeschiedenen Orte in der Welt, an denen man Gott begegnen kann.
Das Haus Gottes sollte ein Bethaus genannt werden, was diesen Kerngedanken schön zum Ausdruck bringt. Die Menschen sollten dort zur Ruhe kommen und Beziehung mit Gott pflegen können. Das war der Wille Gottes nicht nur für die Israeliten, sondern für alle Völker, wie die Stelle, auf die der Herr Jesus angespielt hat, zeigt: «Denn mein Haus wird ein Bethaus genannt werden für alle Völker» (Jes 56,7). Mit ihren falschen Ansichten über das Haus Gottes hatten die Juden genau das aber verunmöglicht. Sie hatten das Bethaus nicht nur zu einem Marktplatz bzw. Kaufhaus gemacht (vgl. Joh 2,16), sondern zu einer Räuberhöhle, denn die Geschäftemacher hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, die Leute regelmässig gewaltig über den Tisch zu ziehen. Wie muss das den HERRN betrübt haben!
Schon einmal hatte Er den Juden sagen müssen, dass sie Sein Haus zu einer Räuberhöhle gemacht hatten, nämlich durch Jeremia (Jer 7,11). Hatten die Juden auf Jeremia bzw. auf den HERRN gehört? Nein. Deshalb war ihr Tempel kurze Zeit später zerstört worden. Denn was nützte ein Haus Gottes, das kein Bethaus mehr war, sondern eine Räuberhöhle? Nun wurden sie vom Herrn Jesus gewarnt. Hörten sie? Nein. Kurze Zeit später wurde deshalb auch der zweite Tempel zerstört. Wie ernst ist das!
Vers 14
Und es traten Blinde und Lahme in dem Tempel zu ihm, und er heilte sie. Mt 21,14
Als David in die Stadt Jerusalem einzog, da sagte er: «Wer die Jebusiter schlägt und in den Wasserschacht gelangt und die Lahmen und Blinden erschlägt, die der Seele Davids verhasst sind … ! Daher sagt man: Ein Blinder und ein Lahmer dürfen nicht ins Haus kommen» (2.Sam 5,8). Das hatte natürlich seinen Grund, denn kurz davor hatten die hochmütigen Jebusiter noch damit geprahlt, dass die Blinden und Lahmen allein in der Lage seien, die gut befestigte Stadt gegen David zu verteidigen. Aber doch zeigte Davids Aussage eine Beschränkung der Gnade. Die Blinden und Lahmen waren seiner Seele verhasst!
Nun zog der wahre David in Jerusalem ein. Wie stellte Er Sich zu den Blinden und Lahmen? Er heilte sie! Wie schön ist das! Seine Gnade kannte keine Grenze. Egal, was die Menschen Ihm auch antaten, sie konnten Ihn nie dazu bringen, den Fluss der Gnade aus dem Himmel zu begrenzen. Was immer der Vater in den Himmeln wollte, Er tat es. Menschen konnten Ihn nicht aufhalten.
Vers 15
Als aber die Hohen Priester und die Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien und sagten: Hosanna dem Sohn Davids!, wurden sie unwillig Mt 21,15
Die Hohen Priester (das Gremium der führenden Priester) und die Schriftgelehrten sahen die Wunder, die der Herr Jesus tat. Sie freuten sich nicht etwa darüber, sie staunten nicht etwa, sie fragten sich nicht etwa, ob ihr Messias endlich gekommen sei – nein, sie waren neidisch! Sie ertrugen es nicht, dass plötzlich ein Anderer im Mittelpunkt stand, dass da plötzlich jemand war, der nicht nur eine fromme Fassade vorwies, sondern durch und durch gottesfürchtig war, dass da plötzlich jemand war, der Wunder vollbringen und in Vollmacht predigen konnte. Vor dem Auftreten des Herrn Jesus waren sie die Elite gewesen. Sie hatten geglänzt vor den Leuten. Ja, im Land der Blinden ist der Einäugige König. Aber der Herr Jesus liess diesen Glanz verblassen. Nur dadurch, wie Er war, was Er sagte und was Er tat, stellte Er sie bloss. Das konnten sie nicht ertragen. Nun war Er in Jerusalem eingezogen und nun waren da Kinder, die im Tempel schrien und das Wort aus Ps 118 auf Ihn anwendeten. Das war zu viel! Die führenden Priester und die Schriftgelehrten wurden unwillig und machten Ihm Vorwürfe, wie wir im nächsten Vers lesen werden.
Vers 16
und sprachen zu ihm: Hörst du, was diese sagen? Jesus aber sprach zu ihnen: Ja, habt ihr nie gelesen: «Aus dem Mund der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet»? Mt 21,16
Die führenden Priester und die Schriftgelehrten waren unwillig, weil die Kinder im Tempel schrien. Sie störte aber nicht so sehr der Lärmpegel, sondern vielmehr der Inhalt dessen, was die Kinder riefen, denn ihr Ausruf war, wie bereits jener der Volksmenge, ein Zitat aus Ps 118 und damit ein Hinweis darauf, dass dieser Jesus der Christus, der Messias war. Was entgegnete der Herr Jesus nun diesen religiösen Führern? Er zitierte einen Vers aus Ps 8! Den führendne Priestern und Schriftgelehrten war nur zu gut bekannt, dass der Ps 8 von der künftigen Herrlichkeit des Messias spricht. In jenem Psalm heisst es unter anderem: «Aus dem Munde der Kinder und Säuglinge hast du Macht gegründet wegen deiner Bedränger, um zum Schweigen zu bringen den Feind und den Rachgierigen» (Ps 8,3). Was für eine Antwort! Der Herr Jesus bestätigte die Aussage der Kinder im Tempel und Er warnte zugleich jene, die Ihm so feindselig gesinnt waren. Darüber hinaus zeigte Er ihnen an, dass sich gerade eine weitere Prophetie auf Ihn erfüllt hatte. Mit einem einzigen Bibelzitat hatte Er drei Fliegen geschlagen. Wer hat je so gesprochen wie Er?
Vers 17
Und er verliess sie und ging zur Stadt hinaus nach Betanien und übernachtete dort. Mt 21,17
Wie vielsagend! Der Herr Jesus war als der verheissene Messias in Jerusalem eingezogen und der Vater in den Himmeln hatte Ihm einen würdigen Empfang bereitet, aber der Herr Jesus wusste ganz genau, dass Er vom Volk schon längst verworfen war. Diese Stadt war (noch) nicht Seine Heimat; sie war Ihm feindlich gesinnt. Also verliess Er die Stadt und ihre Führer, um ausserhalb der Stadt zu übernachten.
Bedenken wir, dass der HERR und die beiden Ihn begleitenden Engel nur zu gerne die Gastfreundschaft Abrahams genossen, dass die beiden Engel sich wenig später aber entschieden weigerten, in Lots Haus zu übernachten. Sie hätten lieber auf dem Marktplatz im Freien geschlafen! Der HERR und die Seinen geniessen nicht die Gastfreundschaft jener, die Ihm den Rücken zugekehrt haben, selbst wenn es wahre Gläubige wie Lot sind, die «nur» einen falschen Weg eingeschlagen haben. Wie hätte der Herr Jesus in Jerusalem übernachten können, wenn die Menschen dort Ihn so grundlegend ablehnten!
Vers 18
Des Morgens früh aber, als er in die Stadt zurückkehrte, hungerte ihn. Mt 21,18
Der Herr Jesus konnte und wollte nicht in Jerusalem übernachten, denn Israel hatte Ihn verworfen. Aber Er wollte und musste Seinen Dienst dort vollenden. Zögerte Er Seine Rückkehr in die Stadt bis zum letzten Moment hinaus? Nein, schon frühmorgens kehrte Er in die Stadt zurück! Wie gehen wir an unser Tageswerk? Spät und träge? Oder früh und fleissig?
Man könnte sich nun auf den Standpunkt stellen, der Herr Jesus sei halt ein Übermensch gewesen. Doch Er war ein echter Mensch wie wir. Als Er in die Stadt zurückkehrte, hungerte Ihn. Er kannte Hunger, Durst, Müdigkeit und Erschöpfung genau gleich wie wir. Die Evangelien berichten an verschiedenen Stellen darüber. Aber für Ihn war es zugleich eine Freude und ein Glück, Sich dem Vater in den Himmeln zur Verfügung zu stellen. Er wusste ganz genau, dass das wahre Glück für einen Menschen darin liegt, so nah als möglich beim Vater zu sein, an Seiner Hand zu gehen und zu tun, was Er sagt. Das ist wahres Menschsein, ein Leben gemäss unserer Bestimmung!
Vers 19
Und als er einen Feigenbaum an dem Weg sah, ging er auf ihn zu und fand nichts an ihm als nur Blätter. Und er spricht zu ihm: Nie mehr komme Frucht von dir in Ewigkeit! Und sogleich verdorrte der Feigenbaum. Mt 21,19
Der Herr Jesus hatte Hunger. Er sah einen Feigenbaum, der voller Blätter war und der (weil die Zeit der Ernte noch nicht gekommen war; Mk 11,13) auch Früchte hätte tragen sollen. Doch der Baum trug nur Blätter, keine Früchte! Was für eine Enttäuschung! Und doch erscheint uns die Reaktion des HERRN als ungebührlich harsch. Wir verstehen sie allerdings, wenn wir ihre prophetische Tragweite erfassen.
Der Zweck eines Feigenbaums besteht darin, Feigen zu produzieren, die man essen und geniessen kann. Ein Feigenbaum, der keine Feigen liefert, ist nutzlos, selbst wenn er noch so hübsch anzusehen ist. Das Volk Israel wird vor allem in den prophetischen Schriften des Alten Testamentes wiederholt mit einem Weinstock oder mit einem Feigenbaum verglichen. In Mt 24,32 finden wir ebenfalls einen ganz eindeutigen Bezug zwischen dem Feigenbaum und dem Volk Israel. Der HERR hatte Israel in ein gutes Land verpflanzt, gehegt und gepflegt. Das Volk produzierte viel Ansehnliches. Da war viel Religiosität zu finden. Der Feigenbaum trieb also prächtige Blätter. Aus 1.Mose 3,7 wissen wir, dass sich die überaus grossen Feigenblätter bestens dazu eignen, die eigene Scham zu bedecken. Bildlich sprechen die Feigenblätter also von religiösen Taten, mit denen wir unsere Sünden überdecken. Aber der HERR sucht nicht Blätter, sondern Früchte! Er wollte in Israel etwas finden, das Er wirklich geniessen konnte. Fand Er es? Nein! In Jer 8,13 heisst es: «Wegnehmen, wegraffen werde ich sie, spricht der HERR. Keine Trauben sind am Weinstock und keine Feigen am Feigenbaum, und das Blatt ist verwelkt: so will ich ihnen Menschen bestellen, die sie verheeren werden». Obwohl Israel sehr viel Zeit hatte, Früchte für den HERRN zu reifen, fand Er, als Er in das Seine kam, keine einzige Frucht. Der Feigenbaum erwies sich als nutzlos, als unfähig, das hervorzubringen, was der HERR an ihm finden wollte. Mit der Verwerfung des Messias hatte das Volk Israel sein nationales Schicksal besiegelt.
Der Herr Jesus kündigte die Erfüllung der Prophetie in Jer 8,13 an, indem Er das dort verwendete Bild aufgriff und nochmals zur Darstellung brachte. Wenig später, nicht einmal 40 Jahre danach, wurde Jerusalem dem Erdboden gleich gemacht, Israel weitestgehend ausgerottet, der Tempel zerstört. Bis heute, mittlerweile fast 2000 Jahre lang, haben die Israeliten nie mehr die Möglichkeit gehabt, ihren Tempel wieder aufzubauen und ihren Gottesdienst richtig auszuüben. Der Feigenbaum ist verdorrt und er wird auch nicht wieder aufblühen und doch noch irgendwann einmal Frucht bringen. Das Volk Israel gleicht seit Jahrhunderten den ausgebleichten Knochen, die Hesekiel in einer Vision gesehen hat (Hes 37).
Doch unser Gott ist der Gott, der Licht aus der Finsternis und Leben aus dem Tod hervorbringt, der Gott, der Neues schafft, der Gott der Neuanfänge. Er wird etwas völlig Neues in Israel schaffen und dann wird Israel zu seiner wahren Bestimmung finden. Er wird den Israeliten ein neues Herz und einen neuen Geist geben und dann werden sie Sein Volk sein und Er wird ihr Gott sein. Dann wird Er endlich jene Frucht finden, die Er so lange vergeblich gesucht hat! «Denn wenn ihre Verwerfung die Versöhnung der Welt ist, was wird die Annahme anderes sein als Leben aus den Toten?» (Röm 11,15). Aber «sie nun die Güte und die Strenge Gottes: gegen die, welche gefallen sind, Strenge; gegen dich aber Güte Gottes, wenn du an der Güte bleibst» (Röm 11,22).
Vers 20
Und als die Jünger es sahen, verwunderten sie sich und sprachen: Wie ist der Feigenbaum sogleich verdorrt? Mt 21,20
Die Jünger, die dieses Ereignis beobachteten, verwunderten sich. Ich hätte mich auch verwundert! Aber meine Frage an den Herrn Jesus wäre gewesen: «Wieso hast Du das getan?» Denn von allen Zeichen und Wundern, die Er getan hat, war dieses deshalb aussergewöhnlich, weil es keinen wiederherstellenden, sondern vielmehr einen zerstörerischen Charakter hatte. Wie viele Kranke hat der Herr Jesus geheilt! Wie viele Besessene hat Er befreit! Ja, sogar Tote hat Er wieder auferweckt! Aber hier haben wir ein Zeichen vor uns, das «vernichtend» ist. Das hätte ich als einer Seiner Jünger damals wohl nicht verstanden.
Durch unsere Prägung haben wir in vielerlei Hinsicht ein falsches Bild von so ziemlich allem um uns herum. Niemand nimmt seine Umwelt wirklich objektiv wahr, wie sie ist. Wir alle betrachten die Welt durch unsere ganz eigene Brille. Und so betrachten wir auch den Herrn Jesus. Durch ein übersteigertes Gutmenschentum geprägt sehen wir in Ihm den perfekten Gutmensch. Natürlich ist Er ein grosser Menschenfreund, ja, sogar der einzig wahre Menschenfreund, der je über das Angesicht dieser Erde gewandelt ist. Aber Er ist so viel mehr als das! Er wird einmal zum Wohle der gesamten Menschheit und Schöpfung über diese Erde regieren, aber Seine Regierung wird nicht eine Gutmenschen-Regierung, sondern eine Herrschaft in Wahrheit und Gerechtigkeit sein. In Ps 101,8 heisst es beispielsweise prophetisch von Seiner Regierung: «Jeden Morgen will ich alle Gottlosen des Landes stumm machen, um aus der Stadt des HERRN alle Übeltäter auszurotten». Als Salomo seine Herrschaft über Israel antrat, legte ihm sein Vater David die heilige Pflicht auf, Übeltäter, die bis dahin straffrei geblieben waren (z.B. Joab und Gera), ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Salomo «räumte» bei seinem Regierungsantritt entsprechend «auf» und gerade dadurch wurde sein Thron befestigt und der Frieden im Land gesichert.
Wir leben heute in der Zeit der Gnade, die dadurch geprägt ist, dass der HERR das Urteil über uns Sünder und über unsere Sünden noch nicht vollstreckt. Es ist gesprochen, aber es wird noch nicht vollzogen. Das gibt uns die Chance, ein «Begnadigungsgesuch» einzureichen. Aber diese Zeit wird zu Ende gehen und dann wird nicht mehr länger die Gnade, sondern eine unerbittliche Gerechtigkeit vorherrschen. Wir lassen uns leicht täuschen vom Umstand, dass der HERR vermeintlich auf Bosheit nicht oder nur selten reagiert. Wir meinen, Er toleriere sie. Das ist aber nicht der Fall. Keineswegs hält Er für schuldlos den Schuldigen! Menschen können viel Böses tun und scheinbar ungeschoren davon kommen, ein gutes Leben leben, ohne dass sie die Früchte ihrer bösen Taten ernten müssten. Doch dieser Eindruck täuscht. Die Abrechnung wird kommen. Der Feigenbaum eines jeden von uns wird verdorren.
Die Jünger waren ganz offensichtlich anders geprägt, als wir es heute sind. Sie verwunderten sich nicht darüber, weshalb der Herr Jesus dem armen Feigenbaum so etwas antat, sondern vielmehr darüber, dass Er die Macht hatte, so etwas zu tun, mit blossen Worten einen ganzen Baum verdorren zu lassen. Ihre entsprechende Frage erlaubte es Ihm, ihnen eine wichtige Belehrung zu vermitteln, wie wir in den folgenden Versen sehen werden.
Vers 21
Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt und nicht zweifelt, so werdet ihr nicht allein das mit dem Feigenbaum Geschehene tun, sondern wenn ihr auch zu diesem Berg sagen werdet: Hebe dich empor und wirf dich ins Meer!, so wird es geschehen. Mt 21,21
Die Jünger fragten nicht, weshalb der Herr Jesus den Feigenbaum verflucht hatte. Sie waren vielmehr mit der Frage beschäftigt, wie, also durch welche Macht, der Herr Jesus einen ganzen Feigenbaum mit einem einzigen Wort verdorren lassen konnte. Natürlich, Er war und ist der Sohn Gottes, der alle Macht hat und alles vermag. Aber Er war hier als Mensch. Deshalb konnte Er ihnen erklären, dass auch sie solche Wunder – und sogar noch mehr! – wirken konnten.
Die Grundvoraussetzung ist der Glaube, das Vertrauen auf Gott; das Gegenteil davon ist der Zweifel. Wo dieses Vertrauen vorhanden ist, kann sogar einem Berg geboten werden, sich ins Meer zu stürzen. Die zweite Voraussetzung, die der Herr Jesus nicht ausdrücklich erwähnt, aber in Seinem ganzen Sein tagtäglich vorgelebt hat, ist die uneingeschränkte Abhängigkeit von Gott. Niemand kann einfach aus einer eigenen Laune heraus einem Berg gebieten, sich ins Meer zu stürzen, und dann erwarten, dass es geschehen werde. Wenn es aber Gott gefallen sollte, Sich durch eine solche Tat zu verherrlichen, wird Er es dem von Ihm dazu bestimmten Menschen aufs Herz legen, so zu beten. Der Mensch wird dem Berg den Befehl geben und Gott wird den Berg ins Meer stürzen. Johannes beschreibt es so: «Dies ist die Zuversicht, die wir zu ihm haben, dass er uns hört, wenn wir etwas nach seinem Willen bitten» (1.Joh 5,14). Er erklärt dann weiter, dass Gebetserhörungen der Beweis dafür sind, dass wir nach dem Willen Gottes (und nicht nach unserem eigenen Willen) gebetet haben. Er selbst fragte den Herrn Jesus einmal, ob er Feuer auf ein Dort niederregnen lassen solle, das den Herrn Jesus abgelehnt hatte; der HERR verwehrte es ihm (Lk 9,54.55). Er hätte sich auf den Kopf stellen können, aber niemals wäre Feuer vom Himmel auf dieses Dorf gefallen, selbst wenn sein Glaube noch so stark gewesen wäre. Doch in naher Zukunft werden zwei Zeugen für Gott auftreten, die die Macht haben werden, mit Feuer aus ihrem Mund ihre Feinde zu verzehren (Offb 11,4). Diese beispielhafte Gegenüberstellung zeigt, dass wir die Zuversicht einer Gebetserhörung nur haben können, wenn wir in Abhängigkeit von Gott bzw. im Willen Gottes beten. So hat es der Herr Jesus selbst vorgemacht.
Vers 22
Und alles, was immer ihr im Gebet glaubend begehrt, werdet ihr empfangen. Mt 21,22
Nur zu gern würden wir diese Aussage des Herrn Jesus ganz für sich allein nehmen (quasi aus der Bibel ausschneiden) und dann so verstehen, wie wir es gern hätten! Wir könnten uns einreden, dass wir alles haben könnten. Doch wir müssen wissen, «dass keine Weissagung der Schrift von eigener Auslegung ist» (2.Petr 1,20). Das Wort Gottes kann nur richtig verstanden werden, wenn es immer so vollständig wie möglich in die Auslegung miteinbezogen wird. Mt 21,22 gibt uns keinen Freipass zu wünschen, was irgend wir wollen, und zu meinen, wir müssten es dann auch erhalten. Im Johannes-Evangelium finden wir gleich viermal die Aussage des Herrn Jesus, dass unsere Bitten erhört würden, also ganz ähnlich wie hier in Mt 21,22, aber in allen vier Aussagen geht es darum, dass wir in Seinem Namen bitten (Joh 14,13.14; 15,16; 16,23). Damit ist nicht einfach eine leere Floskel gemeint, sondern eine Haltung.
Rechtlich gesehen ist es möglich, dass eine Person sich bei Geschäften durch eine andere Person vertreten lässt. Der Vertreter handelt im Namen der vertretenen Person. Seine Unterschrift wird also wie die Unterschrift des Vertretenen gewertet. Der Vertreter handelt aber auch im Interesse des Vertretenen. Hierin liegt die Grenze seiner Vertretungsbefugnis. Er kann zwar grundsätzlich frei im Namen des Vertretenen schalten und walten, wie er will, aber seine Vertretungsvollmacht ist begrenzt auf jene Handlungen, die im Interesse des Vertretenen liegen. Genauso verhält es sich bei uns Christen. Wir können im Namen des Herrn Jesus bitten, d.h. so vor den Vater in den Himmeln treten, wie der Herr Jesus selbst. Aber der Vater wird nur jene Bitten erhören, die im Interesse des Herrn Jesus liegen, also jene Bitten, die Er selbst so vor den Vater bringen würde. In Seinem Namen zu bitten bedeutet also, so zu bitten, wie Er bitten würde. Und wir wissen, dass Er Sich als Mensch völlig vom Vater abhängig gemacht hat. Er hat nie etwas für Sich selbst erbeten. Seine Gedanken und Wünsche drehten sich immer um die Ehre und Verherrlichung des Vaters in den Himmeln. Weil es eine völlige Übereinstimmung zwischen Ihm und dem Vater gab, wurden all Seine Bitten ausnahmslos erhört.
Das ist der Schlüssel zu Gebeten, die erhört werden. Damit haben wir aber auch gleich eine weitere falsche Lehre ausgehebelt, die schon viel Schaden in der Christenheit angerichtet hat. Man hat nämlich behauptet, die Betonung liege nicht auf: «in meinem Namen», sondern vielmehr auf: «glaubend». Man müsse nur stark genug glauben, dann werde das Gebet erhört. So kann man natürlich alle Schwierigkeiten vermeintlich beseitigen, denn wenn ein Gebet nicht erhört wird, ist es sehr einfach zu sagen, der Betende habe halt nicht stark genug geglaubt. O, wie viel Not haben solche Behauptungen schon mit sich gebracht! Natürlich muss man glauben, aber der Glaube ist keine eigene Energiequelle, die unterschiedlich stark sein kann, sondern vielmehr ein Stromkabel, das man an die einzig wahre Energiequelle, an Gott, anschliesst. Es geht nicht darum, wie viel Glaubenskraft man in sich selbst aufbringen kann (denn was können wir aus uns selbst heraus schon bewirken?!), sondern vielmehr darum, ob wir im Vertrauen zum Vater kommen oder nicht.
Vers 23
Und als er in den Tempel kam, traten, als er lehrte, die Hohen Priester und die Ältesten des Volkes zu ihm und sprachen: In welcher Vollmacht tust du diese Dinge? Und wer hat dir diese Vollmacht gegeben? Mt 21,23
Die religiösen Führer des Volkes waren die ganze Zeit, in der der Herr Jesus öffentlich gelehrt und gewirkt hatte, unfähig gewesen, Ihm inhaltlich die Stirn zu bieten, denn alles, was Er sagte und tat, war in völliger Übereinstimmung mit dem Willen des Vaters in den Himmeln und daher durch und durch vollkommen. Wenn sie Ihm eine Falle stellen wollten, mussten sie nicht etwa darauf warten, dass Er etwas Schlechtes tun würde, sondern vielmehr, dass Er etwas Gutes tun würde. Einmal warteten sie nur darauf, dass Er an einem Sabbat heilen würde!
Schon damals war wohl längst bekannt, dass man einen Gegner, dem man inhaltlich nichts entgegen zu setzen hat, mundtot machen kann, indem man nicht ad argumentam, sondern ad personam zielt, sich also nicht gegen die Inhalte und Argumente, sondern direkt gegen die Person richtet. Kann man das Ansehen einer Person nachhaltig schädigen, ist es völlig egal, wie gut und wahr das ist, was die Person sagt; niemand kauft es ihr mehr ab. Die ganze Zeit hindurch hatten die religiösen Führer Israels in diesem Sinne gegen die Person des Herrn Jesus «geschossen». Nur war Er so dermassen integer, dass selbst diese unfairen Angriffe wirkungslos an Ihm abprallten.
Und doch wussten sich diese schäbigen Neider nicht anders zu helfen, als es immer und immer wieder zu versuchen. Als Er im Tempel lehrte, traten sie nicht Seiner Lehre entgegen, sondern Ihm selbst, indem sie Seine Bevollmächtigung in Frage stellten. Die Frage war unfair und zudem überflüssig, denn jeder, der Augen und Ohren hatte, musste wissen, dass der Herr Jesus nur im Auftrag Gottes so lehren und handeln konnte, wie Er es tat. Doch die religiösen Führer wollten Ihn blossstellen. Sie wollten Ihn dazu bringen zuzugeben, dass Er von keinem der angesehenen Rabbis gesandt worden war, also kein menschliches «Empfehlungsschreiben» vorweisen konnte. So hätten sie behaupten können, Er sei ein Einzelgänger, ein Revoluzzer.
Vers 24
Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Auch ich will euch ein Wort fragen, und wenn ihr es mir sagt, so werde auch ich euch sagen, in welcher Vollmacht ich diese Dinge tue. Mt 21,24
Der Herr Jesus war nicht mehr länger bereit, jede Frage dieser so verbohrten religiösen Führer einfach so zu beantworten. Wie oft hatte Er ihnen gesagt und bewiesen, woher Er Seine Vollmacht hatte! Doch sie wollten nicht hören, sie wollten es nicht wahrhaben. Der HERR ist sehr geduldig und langmütig, weitaus mehr, als wir es je sein könnten. Aber auch Seine Geduld hat ihre Grenzen. Er wird sich nie zum Hampelmann machen, wird nie einfach immer und immer wieder unsere Spielchen mitspielen. Wenn wir wiederholt nicht auf Ihn hören wollen, wenn wir Ihn wiederholt nicht ernst nehmen wollen, dann wird Er Sich von uns zurückziehen und uns uns selbst überlassen. Wir meinen dann, wir seien endlich frei, aber in Tat und Wahrheit ist ein solcher Zustand das Schlimmste, was uns zustossen kann, denn wir werden uns garantiert selbst zugrunde richten, wenn der HERR nicht eingreift. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Der Herr Jesus bot den religiösen Führern an, ihre Frage zu beantworten, wenn sie zuerst Seine Frage beantworten würden. Ein fairer Deal! Doch wir werden sehen, dass Seine Frage eine blossstellende war. Die Führer hätten ganz grundsätzlich Farbe bekennen müssen. Waren sie dazu bereit? Wenn ja, dann war auch Er bereit, nochmals zu erklären, woher Er Seine Vollmacht hatte.
Vers 25
Woher war die Taufe des Johannes? Vom Himmel oder von Menschen? Sie aber überlegten bei sich selbst und sprachen: Wenn wir sagen: vom Himmel, so wird er zu uns sagen: Warum habt ihr ihm denn nicht geglaubt? Mt 21,25
Die Frage des Herrn Jesus war – intellektuell gesehen – sehr einfach zu beantworten. Die meisten Fragen des HERRN sind leicht zu beantworten. Die Schwierigkeit besteht darin, dass uns die richtige Antwort auf die Frage nicht passt! Hatte Johannes der Täufer im Auftrag Gottes oder aus eigenem Antrieb gehandelt? Als religiöse Führer mussten die Angesprochenen doch wohl in der Lage sein, das richtig zu beurteilen. Und wenn sie das nicht beurteilen konnten, wie wollten sie dann beurteilen, woher der Herr Jesus Seine Vollmacht hatte?
Wir sehen, dass die religiösen Führer das Werk von Johannes – ebenso wie jenes unseres Herrn Jesus – abgetan und verworfen hatten. Sonst hätten sie ja geglaubt und sich taufen lassen. Wenn sie offen gewesen wären, hätten sie unumwunden geantwortet: «Von Menschen!» Die andere Antwort («vom Himmel») hätte nämlich im Widerspruch zu ihrem Verhalten gestanden. Sie hätten sich die Anschlussfrage gefallen lassen müssen: «Warum habt ihr ihm denn nicht geglaubt?» Diese Frage hätten sie nicht beantworten können.
Vers 26
Wenn wir aber sagen: von Menschen, so haben wir die Volksmenge zu fürchten, denn alle halten Johannes für einen Propheten. Mt 21,26
Am liebsten hätten die religiösen Führer gesagt, dass Johannes der Täufer im Eigendünkel und nicht in einem göttlichen Auftrag gehandelt habe, denn davon waren sie ja ganz offensichtlich überzeugt. Sonst hätten sie sich taufen lassen. Doch diese Heuchler wagten es nicht, zu ihren Überzeugungen zu stehen, denn sie fürchteten die Volksmenge!
Wie viele sogenannte religiöse Führer ticken heute noch genau gleich wie jene Heuchler! Verschiedene Freikirchen betreiben fast schon professionelle «Marktforschung», um sich möglichst dem Mehrheitsgeschmack anzupassen und so möglichst viele Menschen anzulocken. Ihre Führer sind keine Hirten von Schafen, sondern Unterhalter für Böcke. Die evangelisch-reformierte Landeskirche wirft alle fundamentalen Wahrheiten von Bord, um möglichst viele Menschen erreichen zu können. Doch Menschen wenden sich den Kirchen zu, weil sie Orientierung suchen, nicht jemanden, der ihnen einfach nach dem Maul redet. Die Strategie wird nicht aufgehen und die nach wie vor stark sinkenden Mitgliederzahlen bestätigen das.
Das Hauptproblem ist aber, dass diese Menschen sich eine Aufgabe anmassen, für die sie keine Autorität von Gott haben. Entsprechend schlecht führen sie ihr Werk aus. Sie schaden anderen, sie verunehren Gott und sie ziehen ein schweres Gericht auf sich. Was der HERR bereits den Hirten Israels zurufen musste, muss Er auch den «christlichen» Hirten zurufen: «Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? Die Milch geniesst ihr, und mit der Wolle kleidet ihr euch, das fette Vieh schlachtet ihr – die Herde weidet ihr nicht. Die Schwachen habt ihr nicht gestärkt und das Kranke nicht geheilt und das Gebrochene nicht verbunden und das Versprengte nicht zurückgebracht und das Verlorene nicht gesucht, sondern mit Härte habt ihr über sie geherrscht und mit Gewalt. Und sie zerstreuten sich, weil sie ohne Hirten waren, und wurden allen Tieren des Feldes zum Frass» (Hes 34,2–5).
Vers 27
Und sie antworteten Jesus und sprachen: Wir wissen es nicht. Da sagte auch er zu ihnen: So sage auch ich euch nicht, in welcher Vollmacht ich diese Dinge tue. Mt 21,27
Die religiösen Führer konnten bzw. wollten die Frage des Herrn Jesus nicht beantworten, weil sie ihre innere Haltung nicht offenbaren wollten. Natürlich hätte es keinen guten Eindruck hinterlassen, wenn sie geradeheraus erklärt hätten, dass sie die Antwort verweigerten. Deshalb behaupteten sie, sie wüssten es nicht. Sie besassen nicht einmal den Mut zu erklären, dass sie die Frage nicht beantworten wollten!
Doch wie peinlich war es für sie als religiöse Führer Israels, dass sie (angeblich) unfähig waren zu beurteilen, ob Johannes der Täufer im göttlichen Auftrag gehandelt hatte! Im Grunde bedeutete ihr: «Wir wissen es nicht», dass sie nicht in der Lage waren, ein Urteil über geistliche Dinge zu fällen; sie disqualifizierten sich damit selbst. Der Herr Jesus, der ihre Heuchelei selbstverständlich durchschaute, erklärte deshalb kurzerhand, dass Er ihnen ihre Frage auch nicht beantworten werde. Das war so treffend! In Wahrheit spiegelte Er sie, denn Er entgegenete ihre Weigerung mit einer angemessenen Gegen-Weigerung. Und von aussen betrachtet war Seine Weigerung die richtige Reaktion auf ihre Erklärung, sie seien nicht in der Lage, die Frage nach der Bevollmächtigung von Johannes zu beantworten. Denn wie hätten sie dann die Frage nach Seiner Bevollmächtigung beantworten können?
Damit nahm der Herr Jesus, wie wir in den folgenden Versen sehen werden, die Leitung der Diskussion an Sich, denn Er begann nun, in verschiedenen Gleichnissen zu den religiösen Führern zu sprechen und ihnen Fragen zu stellen. Sie mussten damit quasi offen legen, ob sie überhaupt bevollmächtigt waren.
Vers 28
Was meint ihr aber hierzu? Ein Mensch hatte zwei Kinder, und er trat hin zu dem ersten und sprach: Kind, geh heute hin, arbeite im Weinberg! Mt 21,28
Nun begann unser hochgelobter HERR, die religiösen Führer zu befragen und ihnen auf den Zahn zu fühlen. Seine Fragen verlangten nicht nach einer intellektuellen Lösung, sondern nach einer Antwort des Gewissens, wie wir sogleich sehen werden. Die nun folgende Reihe von Gleichnissen und Fragen zielte darauf ab, ein letztes Mal die verhärteten Gewissen dieser religiösen Heuchler zu erreichen. Ach, geliebter Herr Jesus! Wie bewundernswert sind Deine Langmut und Deine Geduld! Bis zum letzten Atemzug hast Du für Menschen gekämpft, die Dich abgelehnt haben und die es nicht verdient haben, dass Du Dich so sehr um sie bemüht hast! Und genauso hast Du Dich um mich bemüht, der ich nicht nach Dir gefragt hatte!
Vers 29
Der aber antwortete und sprach: Ich will nicht. Danach aber gereute es ihn, und er ging hin. Mt 21,29
Der Herr Jesus erzählte den religiösen Führern Israels das folgende Gleichnis: Ein Vater hatte zwei Söhne. Er bat den ersten, im Weinberg zu arbeiten. Der aber antwortete, dass er nicht wolle. Später reute es ihn. Er ging hin und arbeitete für seinen Vater im Weinberg. Ein solches Verhalten kennen wohl die meisten von uns aus ihrem eigenen Leben. Man wird mit etwas konfrontiert, das man als unangenehm empfindet, und reagiert entsprechend abweisend. Dennoch macht man sich weiter so seine Gedanken. Man nimmt eine andere Sichtweise ein, fragt nicht mehr nach den eigenen Wünschen, sondern danach, wie die Sache aus der Sicht des anderen aussehe, und merkt, dass der eigene Einsatz, der gefordert wäre, viel kleiner als der Nutzen ist, den der andere hätte. So geben wir uns einen Ruck und entscheiden uns um. Eine gute Sache!
Der Reformator Martin Luther soll einmal in einem anderen Zusammenhang gesagt haben, wir könnten nicht verhindern, dass die Vögel über unserem Kopf kreisen; aber wir könnten sie daran hindern, ein Nest in unseren Haaren zu bauen. Er bezog sich dabei auf Begierden und Sünden. Ja, wir alle kennen Begierden, die immer wieder einmal in uns aufkommen. Das sind Regungen unserer alten, verdorbenen Natur, die wir nicht verhindern können. Die entscheidende Frage ist, was wir damit machen. Gehen wir diesen Begierden nach oder verurteilen wir sie? Sinngemäss gilt dasselbe auch in Bezug auf die Frage, ob wir bereit sind, Gutes zu tun, wenn uns das etwas kostet. Es ist durchaus normal, dass unsere erste Reaktion ablehnend ausfällt, denn so ist unsere alte Natur. Bleiben wir dabei oder sind wir bereit, die Sache vor dem HERRN nochmals zu überdenken?
Vers 30
Und er trat hin zu dem zweiten und sprach ebenso. Der aber antwortete und sprach: Ich gehe, Herr; und er ging nicht. Mt 21,30
Es gibt aber auch den umgekehrten Fall, den wir im zweiten Sohn vorgestellt finden: Aus einer blossen Gemütsregung heraus verpflichten wir uns mit Worten zu etwas, das wir später bereuen und doch nicht tun wollen. So oft versäumen wir es, die Kosten zu überschlagen, und so oft suchen wir später danach, uns aus einer unliebsamen Verpflichtung zu befreien. Dieses Phänomen ist so häufig anzutreffen, dass in Ps 15 ein Mensch dafür ausgezeichnet wird, wenn er das, was er gelobt hat, auch hält: «Er hat zu seinem Schaden geschworen und ändert es nicht» (Ps 15,4).
Beide Söhne im Gleichnis des Herrn Jesus haben vorschnell gesprochen. Der eine hat vorschnell abgewehrt, der andere vorschnell zugesagt. Das deutet an, dass wir alle dazu neigen, vorschnell zu sprechen. Durch Jakobus fordert der HERR uns deshalb auf: «Ihr wisst doch, meine geliebten Brüder: Jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn!» (Jak 1,19). Wir sollten die Bitte Davids zu unserer eigenen machen: «Bestelle, HERR, eine Wache für meinen Wund! Wache über die Tür meiner Lippen!» (Ps 141,3).
Der zweite Sohn hatte ein schönes Bekenntnis, das aber nichts wert war. Er nannte seinen Vater «Herr» und er erklärte sich bereit, den Willen des Vaters zu tun, d.h. im Weinberg des Vaters zu arbeiten. Viele Menschen nennen Jesus Christus ihren «Herrn» und viele Menschen sagen, dass sie Ihm dienen wollen. So schön ein solches Bekenntnis ist, so wenig Wert hat es für sich allein. «Kinder, lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern in Tat und Wahrheit» (1.Joh 3,18). Unser gewohnheitsmässiges Verhalten und unsere Taten müssen zeigen, ob wir es auch wirklich so meinen.
Vers 31
Wer von den beiden hat den Willen des Vaters getan? Sie sagen: Der erste. Jesus spricht zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch, dass die Zöllner und die Huren euch vorangehen in das Reich Gottes. Mt 21,31
Wer von den beiden Söhnen hat den Willen des Vaters getan? Die Antwort auf diese Frage ist einfach: Es ist natürlich jener, der tatsächlich im Weinberg gearbeitet hat. Der andere hat es nur gesagt, aber nicht getan. Die religiösen Führer Israels konnten die Frage des Herrn Jesus selbstverständlich problemlos beantworten. Die Schwierigkeit der Frage lag nicht darin, dass sie intellektuell besonders anfoderungsreich gewesen wäre, sondern vielmehr darin, dass sie das Gewissen in einer unangenehmen Art ansprach.
Das Gleichnis war erfunden und die religiösen Führer wussten zunächst wohl nicht, worauf der Herr Jesus hinauswollte, weshalb sie die Frage viel einfacher als etwa jene nach dem Auftrag von Johannes dem Täufer beantworten konnten. Doch nun kam der Bezug zu ihnen: Der Herr Jesus hatte von zwei Kindern gesprochen und nun sprach Er von zwei Gruppen von Menschen, nämlich einerseits von den religiösen Führern und andererseits von den Zöllnern und Huren – den mit Abstand verachtetsten Leuten in Israel.
Zöllner und Huren wurden nicht ohne Grund verachtet. Sie lebten ein unmoralisches Leben in Sünde. Aber doch hatten sie dem Ruf von Johannes dem Täufer Folge geleistet, wie wir im nächsten Vers lesen werden. Sie hatten zuerst den Willen Gottes nicht tun wollen, sich dann aber umentschieden. Die religiösen Führer dagegen, die sich so viel auf ihre selbst erfundene Form von Gottesfurcht einbildeten, hatten dem Ruf Gottes keine Folge geleistet. Sie hatten quasi erklärt, den Willen Gottes tun zu wollen, sich dann aber anders entschieden. Deshalb werden ihnen die Zöllner und Huren, die Busse getan haben, vorangehen.
Vers 32
Denn Johannes kam zu euch im Weg der Gerechtigkeit, und ihr glaubtet ihm nicht; die Zöllner aber und die Huren glaubten ihm; euch aber, als ihr es saht, gereute es auch danach nicht, sodass ihr ihm geglaubt hättet. Mt 21,32
Der Herr Jesus betonte, dass Johannes im Weg der Gerechtigkeit zu den Juden gekommen war. Sie hätten ihm glauben sollen. Worin hatte der Auftrag des Johannes bestanden? Er hatte die Israeliten zur Umkehr aufgerufen, um sie für die Ankunft des lange ersehnten Erlösers vorzubereiten. Jeder musste sich ganz persönlich fragen, ob er sein bisheriges Leben mit oder ohne Gott geführt hatte. Die Zöllner und Huren, die so offensichtlich gottlos gelebt hatten, die mit ihrem Leben so klar gezeigt hatten, dass sie Nein zu Gott gesagt hatten, taten Busse, d.h. sie bereuten ihr verpfuschtes Leben und kehrten um zu Gott. Sie waren wie der Sohn, der letztlich doch in den Weinberg ging, um dort für den Vater zu arbeiten. Die religiösen Führer dagegen meinten, bei ihnen sei alles in bester Ordnung. Sie waren hochmütig und arrogant. Sie liessen die Predigt des Johannes nicht auf ihre Herzen wirken; sie prüften sich nicht selbst im Lichte des Wortes Gottes, sondern sie taten die Predigt als ein Produkt eines Sektierers ab. Sie bekannten zwar, dass sie Gott dienen wollten, aber sie waren nicht bereit, den Willen Gottes zu tun. Sie hatten Ja zum Vater gesagt, waren aber nicht in den Weinberg gegangen, um dort für den Vater zu arbeiten.
Wie steht es bei uns? Der Weg des Glaubens besteht nicht darin, bei religiösen Anlässen mitzumachen, fromme Übungen zu verrichten und ein anständiges Leben zu führen. Obwohl all diese Dinge zum Glaubensleben gehören, bilden sie doch nicht den eigentlichen Kern. Ein geflügeltes Wort bringt es auf den Punkt: Nur weil jemand jede Woche bei McDonald’s isst, ist er noch lange kein Big Mac; nur weil jemand jeden Sonntag einen Gottesdienst besucht, ist er noch lange kein Christ. Das Christenleben ist eine Beziehung. Sein Kern besteht in der direkten Gemeinschaft zwischen dem Mensch und Gott. Es ist wesentlich gekennzeichnet von Liebe und Gehorsam, was Hand in Hand geht: «Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer aber mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden; und ich werde ihn lieben und mich selbst ihm offenbaren» (Joh 14,21). Leider gibt es viele, die sich «Christ» nennen, aber keine solche von liebevollem Gehorsam geprägte, echte Beziehung zum Vater in den Himmeln führen. Sie sind keine Christen; sie nennen sich nur so. Sie sagen Ja zum Vater, gehen aber nicht in den Weinberg.
Vers 33
Hört ein anderes Gleichnis: Es war ein Hausherr, der einen Weinberg pflanzte und einen Zaun darum setzte und eine Kelter darin grub und einen Turm baute; und er verpachtete ihn an Weingärtner und reiste ausser Landes. Mt 21,33
Die religiösen Führer waren nun gewiss aufgeschreckt, nachdem der Herr Jesus sie in Seinem ersten Gleichnis des Ungehorsams gegenüber Gott bezichtigt hatte. Sie mussten damit rechnen, dass auch dieses zweite Gleichnis auf sie gemünzt war. Und wie musste die Einleitung sie, die die Bibel (vom Kopf her, nicht mit dem Herzen) so gut kannten, treffen! Das Gleichnis handelt vom Besitzer eines Weinberges, der perfekt angelegt ist, mit Zaun, Kelter und Turm – allem drum und dran. Denn bereits Jesaja hatte etwa 700 Jahre früher ein solches Gleichnis weitergegeben, um das Volk aufzurütteln:
Singen will ich von meinem Freund, das Lied meines Liebsten von seinem Weinberg: Einen Weinberg hatte mein Freund auf einem fetten Hügel. Und er grub ihn um und säuberte ihn von Steinen und bepflanzte ihn mit Edelreben. Er baute einen Turm in seine Mitte und hieb auch eine Kelterkufe darin aus. Dann hoffte er, dass er Trauben brachte. Doch er brachte schlechte Beeren. Und nun, Bewohner von Jerusalem und Männer von Juda, richtet doch zwischen mir und meinem Weinberg! Was war an meinem Weinberg noch zu tun, und ich hätte es nicht an ihm getan? Warum habe ich erwartet, dass er Trauben bringe, und er brachte schlechte Beeren? Nun, so will ich euch denn mitteilen, was ich mit meinem Weinberg tun werde: Seinen Zaun will ich entfernen, dass er abgeweidet wird, seine Mauer niederreissen, dass er zertreten wird. Ich werde ihn zur Wüstenei machen. Er soll nicht beschnitten und nicht behackt werden, in Dornen und Disteln soll er aufgehen. Und ich will den Wolken befehlen, dass sie keinen Regen auf ihn regnen lassen. Denn der Weinberg des HERRN der Heerscharen ist das Haus Israel, und die Männer von Juda sind die Pflanzung seiner Lust. Und er wartete auf Rechtsspruch, und siehe da: Rechtsbruch; auf Gerechtigkeit, und siehe da: Geschrei über Schlechtigkeit. Jes 5,1–7
Der Herr Jesus ergänzte das Gleichnis jedoch noch um ein vielsagendes Detail: Der Herr des Weinberges reiste ausser Landes. Der Prophet Jesaja hatte zu einer Zeit gelebt, in der die Herrlichkeit des HERRN im Tempel zu Jerusalem noch anwesend gewesen war. Bald darauf hatte die Herrlichkeit das Haus verlassen. Der Herr des Weinberges war ausser Landes gereist. Die Juden waren deportiert worden. Sie waren wieder in das Land zurückgekehrt, sie hatten wieder einen Tempel gebaut, aber die Herrlichkeit des HERRN war nicht mehr zurückgekehrt. Der Herr des Weinberges war ausser Landes. Das Gleichnis war direkt auf die Juden in der Zeit des Herrn Jesus gemünzt und die religiösen Führer hätten das bereits beim Hören dieser Einleitung begreifen müssen.
Vers 34
Als aber die Zeit der Früchte nahte, sandte er seine Knechte zu den Weingärtnern, um seine Früchte zu empfangen. Mt 21,34
Der Herr des Weinberges hatte sich um alles gekümmmert, alles auf eigene Kosten installiert. Dann hatte er den Weinberg aber Pächtern überlassen, die sich in der Zeit seiner Abwesenheit darum kümmern sollten. Die Pächter konnten die Trauben für sich ernten und so vom Ertrag des Weinberges profitieren. Das ist ein Wesensmerkmal eines Pachtvertrages. Aber sie schuldeten dem Herrn des Weinberges natürlich einen Pachtzins, der hier in diesem Gleichnis des Herrn Jesus in der Form eines Teils des Ertrages zu leisten war. Der Herr des Weinberges war allerdings immer noch abwesend. Also sandte er seine Knechte zu den Weingärtnern, um seine Früchte zu empfangen.
Der HERR suchte bei Israel, Seinem Weinberg, nach Frucht, d.h. nach Wesensmerkmalen, die Ihm wohlgefällig sind. Doch es war wie beim Feigenbaum: Viele Blätter, aber keine Frucht für den HERRN. Da war viel Umtriebigkeit, viel religiöser Eifer, aber nicht jene Frucht, die der HERR gesucht hat, denn die Ihm wohlgefällige Frucht ist «Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit» (Gal 5,22.23). Davon war in Israel nichts zu finden. Das wusste der HERR natürlich. Doch den Israeliten war es nicht bewusst. Deshalb sandte Er Seine Knechte, die Propheten, zu Seinem Volk, um es daran zu erinnern, dass es Ihm etwas schuldig war. Der Dienst der Propheten war immer ermahnender Art. Propheten standen auf, wenn Israel neben der Spur war. Der wohl grösste Prophet, Elia, wirkte zur Zeit Ahabs, des bösesten Königs, der je in Israel regiert hat. Das Auftreten eines Propheten war also nie etwas Angenehmes. Treffend verglich es der Herr Jesus in Seinem Gleichnis mit Knechten, die von den Pächtern einen Teil des mühsam erwirtschafteten Ertrages für den Herrn des Weinberges forderten.
Vers 35
Und die Weingärtner nahmen seine Knechte, einen schlugen sie, einen anderen töteten sie, einen anderen steinigten sie. Mt 21,35
Als die Zeit der Abrechnung gekommen war, zeigten die Weingärtner ihren wahren, bösen Charakter. Sie wollten dem Herrn des Weinberges durchaus nicht das geben, was ihm zustand. Sie liessen seine Knechte mit leeren Händen zurückkehren. Nein, sie taten noch mehr als das! Sie schlugen die Knechte und, als ob das noch nicht genug gewesen wäre, töteten und steinigten sie sogar! Wir wissen aus der Heiligen Schrift, dass beispielsweise Jeremia nur knapp mit dem Leben davon kam, während einer seiner Kollegen aus der damaligen Zeit von den Dienern des bösen Königs über Juda gefasst und umgebracht wurde. Der Überlieferung zufolge haben die Juden Jeremia später auch getötet. Jesaja soll zersägt worden sein. Elia wurde bis aufs Blut verfolgt. Viele weitere, weniger bekannte Propheten sind von den Israeliten umgebracht worden. Stephanus musste die Juden vorwurfsvoll fragen: «Welchen der Propheten haben eure Väter nicht verfolgt?» (Apg 7,52). Der Herr Jesus erklärte den Juden, dass der HERR alles Blut der Propheten, das sie bzw. ihre Väter vergossen hatten, von ihnen fordern werde, «von dem Blut Abels an bis zu dem Blut des Secharja, der zwischen dem Altar und dem Haus umkam» (Lk 11,51).
Vers 36
Wiederum sandte er andere Knechte, mehr als die ersten; und sie taten ihnen ebenso. Mt 21,36
Es war nicht so, dass die Weingärtner einmal einen Fehler gemacht hätten, auch wenn das schon schlimm genug gewesen wäre. Nein, der Herr des Weinberges sandte weitere Knechte, noch mehr als beim ersten Mal, aber jedes Mal reagierten die Weingärtner gleich: Sie schlugen, töteten und steinigten die Knechte. Das Volk Israel ist nicht einmal für einen kurzen Moment vom Weg abgekommen, wie es bspw. beim König David geschehen war. Nein, Ablehnung gegenüber Gottes Wegen war die Grundhaltung der Israeliten! Das ist sehr ernst.
Natürlich ist Sünde immer Sünde und nie zu verharmlosen. Aber es gibt Abstufungen. Es gibt unterschiedlich schwere Sünden und es gibt einen gewaltigen Unterschied bezüglich der Grundhaltung, die jemand gegenüber Sünde einnimmt. Beim König David sehen wir, dass er grundsätzlich den HERRN liebte und den Weg des HERRN gehen wollte. Das hat ihn ganz generell ausgezeichnet. Wohl ist er mehrfach in seinem Leben schlimm gefallen, aber diese Situationen gehörten nicht gewissermassen fahrplanmässig zu seinem Lebensweg, sondern sie waren mehr wie Zugunglücke. Beim König Saul war es genau umgekehrt. Grundsätzlich ging er seinen eigenen Weg. Nur ausnahmsweise gab er sich völlig dem Willen des HERRN hin. Wie sieht es bei uns aus? Was ist unsere Grundhaltung gegenüber dem Willen Gottes für unser Leben?
Vers 37
Zuletzt aber sandte er seinen Sohn zu ihnen, indem er sagte: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen! Mt 21,37
Die Weingärtner hatten jeden einzelnen Knecht des Herrn des Weinberges schlecht behandelt. Lag es daran, dass sie keinen Respekt vor den Knechten hatten? Hatten sie denn Respekt vor dem Herrn des Weinberges selbst? Ein letzter, der grösste Test sollte diese Frage klären. Der Herr des Weinberges sandte seinen eigenen Sohn zu den Weingärtnern. Deren Haltung gegenüber dem Sohn sollte völlig offenbar machen, wie ihre Haltung gegenüber dem Herrn des Weinberges selbst war. «Jeder, der den Sohn leugnet, hat auch den Vater nicht; wer den Sohn bekennt, hat auch den Vater» (1.Joh 2,23); «damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. Wer den Sohn nicht ehrt, ehrt den Vater nicht, der ihn gesandt hat» (Joh 5,23). Das gilt auch heute noch. Mit vielen Menschen kann man ganz gut über Gott sprechen. Aber sobald der Name unseres Herrn Jesus Christus fällt, nehmen viele eine ablehnende Haltung an. Damit zeigen sie, dass sie auch den Vater in den Himmeln ablehnen. Man kann nicht Gott lieben und Seinen Sohn verachten. Wer behauptet, das sei möglich, folgt einem anderen Gott, aber nicht dem wahren Gott, wie Er Sich im Sohn und in Seinem Wort offenbart hat, nach.
Vers 38
Als aber die Weingärtner den Sohn sahen, sprachen sie untereinander: Dieser ist der Erbe. Kommt, lasst uns ihn töten und sein Erbe in Besitz nehmen! Mt 21,38
Der Herr Jesus sagte einmal: «Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richtet, sondern dass die Welt durch ihn gerettet wird» (Joh 3,17). Und doch war Sein Kommen ein Gericht: «Dies aber ist das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen haben die Finsternis mehr geliebt als das Licht, denn ihre Werke waren böse» (Joh 3,19). Was stimmt nun? Beides! Das in Joh 3,19 mit «Gericht» übersetzte Wort ist «krisis», was im Kern den Gedanken zum Ausdruck bringt, dass eine Sache völlig offenbar wird, sodass sie beurteilt werden kann. Ja, der Herr Jesus ist nicht als Richter in diese Welt gekommen (das steht noch aus), sondern als Retter. Aber Er war und ist das wahre, göttliche Licht, das alles beleuchtet. Sein Kommen hat zur Folge gehabt, dass alle, die Ihm begegnet sind, Farbe bekennen mussten. Insbesondere die religiösen Führer der Juden mussten zeigen, wie es um ihre Frömmigkeit bestellt war – nämlich sehr schlecht!
Im Gleichnis zeigten die Weingärtner beim Kommen des Sohnes, wie sie wirklich gewickelt waren. Sie wollten den Weinberg für sich allein haben und dem Herrn des Weinberges nicht das geben, was ihm rechtmässig zustand. Für sie war das Kommen des Sohnes nicht der letzte, ernste Aufruf, sich endlich richtig zu verhalten, wie es eigentlich gedacht war, sondern vielmehr eine Gelegenheit, (vermeintlich) das zu sichern, was sie schon lange geplant hatten. Sie sahen den Sohn kommen und schon bevor er bei ihnen war, fassten sie den Beschluss ihn zu töten, wie es einst die Brüder Josephs getan hatten. Wie böse! Diese Weingärtner waren durch und durch verdorben.
Vers 39
Und sie nahmen ihn, warfen ihn zum Weinberg hinaus und töteten ihn. Mt 21,39
Leider blieb es nicht «nur» bei einer bösen Absicht. Die Weingärtner nahmen den Sohn des Herrn des Weinberges, warfen ihn zum Weinberg hinaus und töteten ihn. Sie machten ihre Bosheit voll. Der Herr Jesus erzählte dieses Gleichnis in der sogenannten «Karwoche», also in den letzten Tagen vor Seiner Kreuzigung. Er wusste genau, was Ihn erwartete! Er war der wahre Sohn des wahren göttlichen Weinberges (Israel), gesandt vom Vater in den Himmeln als Prüfstein für die religiösen Führer Israels. Wie würden sie mit Ihm verfahren? Er wusste, dass sie Ihn aus Jerusalem hinauswerfen und töten würden!
Jerusalem war damals das religiöse Zentrum Israels. Die Juden hatten es nach ihrer Rückkehr aus Babel wieder aufgebaut. Der Götzendienst, der vor der Wegführung nach Babel so ein grosses Problem in Israel gewesen war, war kein Thema mehr. Die Pharisäer, gewissermassen die Vorfahren der heutigen (ultra-) orthodoxen Juden, versuchten, ihr Leben bis ins kleinste Details – zum Teil mit geradezu absurden Vorschriften – an den Geboten Gottes auszurichten. Da war viel religiöse Aktivität in Jerusalem, aber keine Frucht für Gott. Der Weinberg sah perfekt gepflegt aus, aber das Herz Gottes konnte dort nichts finden, das seinem Begehren entsprochen hätte. Im Gegenteil! Für Seinen über alles geliebten Sohn gab es da keinen Platz. Er wurde hinausgeworfen. Welchen Wert kann ein religiöses System haben, in dem der Herr Jesus Christus keinen Platz hat?
Diese Frage muss auch uns beschäftigen. Heute gibt es viele verschiedene christlich-religiöse Systeme, von kleinen Gemeinden und Sekten bis hin zu gewaltig grossen Staatskirchen. Manche Systeme stehen in einem offensichtlichen Gegensatz zu Gottes Wort, manche erscheinen zumindest sehr bibeltreu oder sind es auch wirklich. Doch was ist das Entscheidende, das einem solchen System wahren Wert bei Gott geben kann? Es ist die Einstellung der Menschen zum Herrn Jesus Christus. Hat Er Platz? Hat Er den wichtigsten Platz? Dreht sich der Gottesdienst zentral um Ihn? Hat Er allein das Bestimmungsrecht? Kann Er leiten durch den Heiligen Geist? Das sind entscheidende Fragen. Ein System, das Ihm nicht den wichtigsten, zentralen Platz einräumt, kann niemals die Zustimmung Gottes haben. Bezüglich eines solchen Systems werden wir aufgerufen: «Deshalb lasst uns zu ihm hinausgehen, ausserhalb des Lagers, und seine Schmach tragen!» (Hebr 13,13).
Vers 40
Wenn nun der Herr des Weinbergs kommt, was wird er jenen Weingärtnern tun? Mt 21,40
Die Weingärtner hatten sich gesagt, dass sie den Weinberg definitiv an sich reissen könnten, wenn sie nur den Erben, den Sohn des Herrn des Weinberges, umbrächten. Dieser Gedanke war natürlich nicht zu Ende gedacht, denn da war ja noch immer der Herr des Weinberges selbst, den sie in ihre Rechnung hätten mit einbeziehen müssen. Würde er ihnen das einfach so durchgehen lassen? Oder würde er selbst kommen, um die Sache zu regeln?
Der Herr Jesus beantwortete die Frage nicht selbst, sondern liess die religiösen Führer der Juden eine Antwort auf die Frage finden. Wenn sie die Weingärtner gewesen wären, womit hätten sie rechnen müssen? Der Herr Jesus wollte, dass sie die Frage selbst bewegten, um sich die Konsequenzen eines solchen Handelns vor Augen zu führen. Sie standen im Begriff, dassselbe zu tun, und sie sollten die vollständige Rechnung machen. Welche Gnade! Der Herr Jesus appellierte an ihre Herzen, wie es kein anderer hätte tun können, aber wir wissen aus der Geschichte, dass die Herzen bereits so verhärtet waren, dass selbst dies nichts mehr nützte. Ach, wehe dem Menschen, der seinen eigenen Weg geht!
Vers 41
Sie sagen zu ihm: Er wird jene Übeltäter übel umbringen, und den Weinberg wird er an andere Weingärtner verpachten, die ihm die Früchte abgeben werden zu ihrer Zeit. Mt 21,41
Die religiösen Führer der Juden konnten die Sache, die vermeintlich nicht sie selbst betraf, problemlos beurteilen. Sie erkannten die Bosheit der Weingärtner im Gleichnis und sprachen ihnen ein hartes Urteil. Ihres Erachtens wäre es richtig gewesen, wenn der Herr des Weinberges jene Übeltäter nicht nur getötet, sondern übel umgebracht hätte. Doch konnten sie die Sache auch so objektiv beurteilen, wenn es um sie selbst ging? Das ist die grosse Frage.
Der König David war nach einem massiven Fehltritt immer noch in der Lage, einem bösen Mann aus einem Gleichnis ein hartes Urteil zu sprechen. Doch wie muss es ihn getroffen haben, als der Prophet Nathan ihm sagte, dass er dieser Mann sei, dass er sich selbst das Urteil gesprochen habe! Dieser Schlag war heilsam für David. Er kehrte zum HERRN um, wovon der Psalm 51 ein wunderschönes Zeugnis gibt. Haben die religiösen Führer der Juden in einer ganz ähnlichen Situation gleich reagiert? Haben sie sich auch von ihrem falschen Weg abbringen lassen? Die folgenden Verse werden es zeigen.
Die Frage geht aber auch an uns selbst. Wir sind ohne Weiteres in der Lage, Dinge zu beurteilen, die uns selbst nicht betreffen. Uns fällt es leicht, ein Urteil über andere Menschen zu sprechen, das in aller Regel eher zu hart als zu mild ausfällt. Aber in Bezug auf uns selbst haben wir alle blinde Flecken. Wir sind ganz offensichtlich nicht fähig, uns selbst objektiv zu beurteilen. Wir benötigen dazu Korrektur von aussen, sei es durch Mitmenschen oder durch das Wort Gottes. Die entscheidende Frage ist nicht, ob wir so etwas für uns nötig haben, denn das haben wir eindeutig. Die entscheidende Frage ist, wie wir darauf reagieren. Lassen wir uns ermahnen und korrigieren oder bleiben wir auf unserem eigensinnigen Weg? Sind wir wie David oder wie die religiösen Führer zur Zeit Jesu?
Vers 42
Jesus spricht zu ihnen: Habt ihr nie in den Schriften gelesen: «Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden; von dem Herrn her ist er dies geworden, und er ist wunderbar in unseren Augen»? Mt 21,42
Nun legte der Herr Jesus den religiösen Führern der Juden offen, worauf das Gleichnis, das Er erzählt hatte, anspielte. Er stellte einen Bezug zu den Schriften (ein typischer Ausdruck für das Alte Testament) her. Diese sprachen nämlich von einem Stein, der von den Bauleuten verworfen, vom HERRN her aber zum Eckstein bestimmt war. Der Eckstein ist der wichtigste Stein im Hausbau, denn er ist der erste Stein, der auf das Fundament gelegt wird, und damit definiert er die Position von mindestens zwei Mauern. Bezugnehmend auf das Gleichnis von den bösen Weingärtnern entspricht der Eckstein dem Sohn des Herrn des Weinberges, denn dieser war vom Herrn des Weinberges zum Erben bestimmt, von den bösen Weingärtnern aber verworfen worden. Es muss sich um den von den Juden damals schon lange ersehnten Messias handeln. Die Bauleute und die Weingärtner haben eine verantwortliche Position; es handelt sich also um die religiösen Führer im Volk, die quasi den Weinberg bewirtschaften und pflegen respektive den Bau des Reiches Gottes überwachen. «Bauleute» war übrigens ein damals bekannter Ausdruck für die Schriftgelehrten, die mit ihren Auslegungen der Heiligen Schrift die Leute des Volkes «auferbauen» sollten. Bereits jetzt musste diesen Führern also klar sein, dass das Gleichnis von ihnen sprach. Aber der Herr Jesus sollte diesen Punkt noch deutlicher machen, wie wir in den folgenden Versen sehen werden.
Vers 43
Deswegen sage ich euch: Das Reich Gottes wird von euch weggenommen und einer Nation gegeben werden, die seine Früchte bringen wird. Mt 21,43
Jetzt offenbarte der Herr Jesus die volle, traurige Wahrheit, dass Israel beiseite gesetzt werde. So lange hatte der HERR in Israel nach Früchten gesucht, aber es war vergeblich. Er hatte so viele Propheten gesandt; man hatte sie ignoriert, gefoltert oder getötet. Als Letztes hatte Er Seinen eigenen Sohn gesandt; sie hatten beschlossen, Ihn zu töten. Nun hatten sie sich selbst das Urteil gesprochen: Der Herr des Weinberges würde sie, die Übeltäter, übel umbringen und den Weinberg anderen geben, die Ihm Seine Frucht geben werden. Israel hätte das Zentrum des Königreiches Gottes auf dieser Erde sein sollen, aber das war so nicht möglich. Der Herr setzte dieses Volk beiseite und begann kurz nach Seiner Auferstehung, ein neues Volk zu bilden, das Ihm Seine Frucht geben sollte, nämlich die Kirche. Die Juden verstanden das, was der Herr Jesus ihnen hier ankündigte, ganz genau. Sie konnten nie sagen, sie hätten es nicht gewusst. Sie wussten es nur zu genau!
Und wir? Sollen wir uns nun rühmen, weil uns die Segnungen zuteil geworden sind? Das sei ferne! Die Christenheit kann die Segnungen genauso verlieren wie Israel. Ja, sie ist sogar auf dem besten Weg dahin. Es reicht nicht, christlich zu heissen oder christlich erzogen zu sein. Die entscheidende Frage, die jeder für sich persönlich beantworten muss, lautet: Wie stehe ich zum Herrn Jesus Christus? Lebe ich mein eigenes Leben oder ist mir bewusst, dass ich nur das verwalte, was Er mir anvertraut hat? Ist mir bewusst, dass ich Ihm Rechenschaft schulde? Lebe ich so, dass ich mich guten Gewissens einmal vor Ihm werde verantworten können?
Vers 44
Und wer auf diesen Stein fällt, wird zerschmettert werden; aber auf wen er fallen wird, den wird er zermalmen. Mt 21,44
Es gab bzw. gibt einen Stein, der vor Gott kostbar und wertvoll, aber von den Bauleuten verworfen worden ist. Dieser eine Stein ist der entscheidende Stein, der Eckstein, aber zugleich auch der Stein, an dem sich das Schicksal jedes Menschen entscheiden wird. Dieser Stein ist der Herr Jesus Christus. Wer «ungebremst» auf Ihn prallt, wird zerschmettert werden. Auf wen Er fällt, den wird Er zermalmen. Kein Mensch kann so, wie er ist, dem Herrn Jesus als Richter begegnen und bestehen. Der Herr Jesus ist absolut gut, Er ist heilig und gerecht. Böses kann Er nicht dulden, nicht in Seiner Gegenwart ertragen. Weil niemand von uns absolut gut ist, weil wir alle Böses an uns haben, wird uns die direkte Begegnung mit dem Herrn Jesus zerschmettern oder zermalmen. Als Petrus einmal erlebte, wie unendlich gut der Herr Jesus ist, fiel er zu Seinen Füssen und bat Ihn, wegzugehen, «denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr» (Lk 5,8). Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen, aber wir kommen nicht an dieser Begegnung mit Ihm vorbei. Er wird auf uns fallen oder wir auf Ihn. Beides wird böse für uns enden.
Das war die ernste, ja feierliche Warnung, die der Herr Jesus diesen bösen Menschen gab, die gerade drauf und dran waren, Ihn zu töten. Sie sollten sich der Konsequenzen ihres Handelns bewusst sein. Wir müssen uns auch bewusst sein, dass wir eines Tages volle Rechenschaft über unser ganzes Leben werden ablegen müssen. Sind wir bereit? Werden wir bestehen?
Die gute Nachricht ist, dass es eine Möglichkeit zur Rettung gibt. Der Stein ist noch «in Bewegung». Unser Schicksal ist noch nicht definitiv besiegelt. Wir haben die Möglichkeit, uns an den Stein zu klammern, uns nicht (noch) weiter von Ihm zu entfernen, um dann böse auf ihn zu prallen, sondern umzukehren und ihn aktiv zu suchen. Ja, der Herr Jesus wird einmal unser aller Richter sein, aber noch hat Er nicht auf dem Richterstuhl Platz genommen. Noch können wir Ihn als unseren Retter kennenlernen. Noch können wir Ihn um Vergebung bitten und Heilung, Schutz sowie Rettung bei Ihm suchen. Wir werden all das finden! Er stösst niemanden hinaus! Jetzt ist noch die Zeit, gerettet zu werden. Morgen wird es vielleicht schon zu spät sein.
Vers 45
Und als die Hohen Priester und die Pharisäer seine Gleichnisse gehört hatten, erkannten sie, dass er von ihnen redete. Mt 21,45
Die Zuhörer, die religiösen Führer der Juden, verstanden sehr gut, was der Herr Jesus sagte. Sie erkannten, dass Er von ihnen redete. Sie konnten also die Anwendung machen, d.h. verstehen, dass die Gleichnisse von ihnen sprachen und nicht nur ihre Handlungen, sondern auch ihre Motive aufdeckten. Das war eine Erleuchtung. Sie wurden so nämlich in das göttliche Licht gestellt und dabei völlig durchleuchtet. Sie konnten erkennen und verstehen, worum es ging. Die alles entscheidende Frage lautete nun, was sie mit dieser Erkenntnis anstellen würden.
Ein Mensch kann erkennen und verstehen, dass Wasser gut ist und dass er Wasser trinken muss, um seinen Durst zu löschen und weiterzuleben. Ein Mensch kann das sogar so gut verstehen, dass er das anderen Menschen erklären und eine überzeugende Begründung dafür liefern kann. Ein Mensch kann alles über Wasser wissen. Aber all das nützt nichts, wenn er nicht selber trinkt. Genauso kann ein Mensch alles über die rettende Botschaft von Jesus Christus wissen, diese Botschaft intellektuell erfassen, verstehen und nachvollziehen, ja sogar anderen Menschen davon erzählen, wie wichtig diese Botschaft ist, aber das alles nützt ihm nichts, wenn er nicht selbst sein ganzes Vertrauen auf den Herrn Jesus Christus setzt. Die religiösen Führder der Juden hatten den völligen Durchblick, aber das nützte ihnen nichts, weil sie nicht auf das, was sie verstanden hatten, reagierten. Im Gegenteil: Der nächste Vers wird klar machen, dass sie die Botschaft, die sie so gut verstanden hatten, voll und ganz ablehnten!
Vers 46
Und als sie ihn zu greifen suchten, fürchteten sie die Volksmengen, denn sie hielten ihn für einen Propheten. Mt 21,46
Am liebsten hätten die religiösen Führer der Juden den Herrn Jesus sofort ergriffen und beseitigt. So sehr lehnten sie Ihn und Seine Botschaft ab! Doch zugleich fürchteten sie die Volksmengen, die den Herrn Jesus für einen Propheten hielten. Nur die Angst vor unliebsamen Konsequenzen hinderte die religiösen Führer noch für einen Moment daran, den Urheber des Lebens, den Herrn der Herrlichkeit umzubringen. Welch eine niedrige und traurige Herzenshaltung offenbarte sich hier.
Für uns ist das allerdings heilsam. Diese Männer waren gläubig und fromm. Sie widmeten ihr ganzes Leben dem Gottesdienst, dem Studium der Heiligen Schriften und religiösen Übungen. Aber bezüglich des alles entscheidenden Punktes lagen sie völlig falsch: Sie lehnten Den ab, der als einzige Grundlage für ihre Annahme bei Gott in Frage kommen konnten. Nur der Herr Jesus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater als nur durch Ihn (Joh 14,6). Prüfen wir uns selbst! Wir mögen religiös und gläubig sein, ein anständiges Leben führen und von vielen respektiert oder gar bewundert werden für unsere Frömmigkeit. Doch wie stehen wir zur Person Jesus Christus? Geniesst Er unsere Zuneigung, streben wir nach Gemeinschaft mit Ihm? Oder lehnen wir Ihn innerlich ab? Das und nur das ist die Frage, an der sich alles entscheidet.