Bibelkommentare

Erklärungen zur Bibel

 

Matthäus 22

Vers 1

Und Jesus begann und redete wieder in Gleichnissen zu ihnen und sprach: Mt 22,1

Der Herr Jesus hatte erst ein Gleichnis erzählt, aber die Juden hätten Ihn bereits getötet, wenn sie nicht die Volksmengen gefürchtet hätten. Wir wissen auch, dass dem Herrn Jesus Seine Verwerfung durch Sein eigenes Volk schon längst bekannt war. Und doch hörte Er bis zuletzt nicht auf, zu den Herzen und Gewissen dieser verhärteten Menschen zu reden, die Ihn so sehr ablehnten! Er fuhr fort und präsentierte ein weiteres, sehr vielsagendes Gleichnis, nämlich jenes vom Hochzeitsmahl für den Sohn. Wir werden sehen, dass dieses Gleichnis wiederum die inneren Motive des Volkes offenlegte, zugleich aber auch einen beeindruckend genauen prophetischen Ausblick auf die bald kommenden Ereignisse gab.

Vers 2

Mit dem Reich der Himmel ist es wie mit einem König, der seinem Sohn die Hochzeit bereitete. Mt 22,2

Auch in diesem Gleichnis geht es um das Königreich der Himmel, also um den Herrschaftsbereich Gottes auf dieser Erde. Wir verbinden den Begriff instinktiv mit der christlichen Zeit, aber tatsächlich war es dieses Reich, das die Juden erwarteten, das Reich, in dem der Messias stellvertretend für Gott im Himmel über die Erde regiert. In diesem Königreich gibt es natürlich einen König, das ist Gott. Hier im Gleichnis hat der König einen Sohn. Wie vielsagend für diese religiösen Führer, die gerade diese Tatsache leugneten!

Das Gleichnis dreht sich um ein ganz besonderes Ereignis, nämlich um die Hochzeit des Sohnes. Wir werden nichts über die Braut erfahren, die bei uns jeweils so zentral im Mittelpunkt des Geschehens steht. Bei dieser Hochzeit in diesem Gleichnis geht es um den Sohn. Er spielt die Hauptrolle. Das Fest wird zu seinen Ehren veranstaltet. Der Vater will den Sohn gross machen und in den Mittelpunkt stellen. Seine Freude ruht auf ihm und er will, dass alle den Sohn in jener Pracht und Herrlichkeit sehen, die ihm zusteht und mit der der Vater ihn sieht.

Vers 3

Und er sandte seine Knechte aus, um die Eingeladenen zur Hochzeit zu rufen; und sie wollten nicht kommen. Mt 22,3

Der Vater hatte einen bestimmten Tag vorgesehen, an dem er seinen Sohn verherrlichen wollte, im Gleichnis den Tag der Hochzeit des Sohnes. Natürlich gab es Leute, die zu dieser Hochzeit eingeladen waren. Das sind die Juden gewesen, denn sie hatten bis zum Kommen des Herrn Jesus eine besondere Beziehung zu Gott gepflegt; sie waren ihm besonders nahe gestanden. Man würde denken, dass die Einladung zu einem Hochzeitsfest grosse Freude auslösen würde, dass die geladenen Gäste in Scharen und mit Freuden antanzen würden. Aber nein! Die Eingeladenen wollten nicht kommen! In einem parallelen Gleichnis, das wir im Lukas-Evangelium finden, erfahren wir von verschiedenen Ausreden, die vorgebracht wurden (vgl. Lk 14,18–20). Aber hier lesen wir nichts von solchen Ausreden, sondern nur vom wahren Grund: Sie wollten nicht! Wie deutlich hat sich das in den wenigen Jahren gezeigt, die der Herr Jesus öffentlich in Israel gewirkt hat! Das Königreich der Himmel war nahe gekommen, Sein Tag stand unmittelbar bevor, aber die Juden wollten nicht.

Vers 4

Wiederum sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt den Eingeladenen: Siehe, mein Mahl habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh sind geschlachtet, und alles ist bereit. Kommt zur Hochzeit! Mt 22,4

Welche Gnade zeigte der König im Gleichnis! Die geladenen Gäste hatten seine Einladung ausgeschlagen – eine bodenlose Frechheit! Doch er sandte nochmals andere Knechte aus und liess den Geladenen ausrichten, dass das Mahl bereitet sei, dass die Ochsen und das Mastvieh geschlachtet seien und dass alles bereit sei.

Wenn wir die zwei Einladungen vergleichen und auf die Geschichte Israels anwenden, können wir nur über die Genauigkeit des Wortes Gottes staunen. Der Herr Jesus hatte Seinen öffentlichen Dienst in Jerusalem im Alter von etwa 30 Jahren begonnen. Seine Predigt hatte darin bestanden, die Juden zur Umkehr aufzurufen und ihnen zu sagen, dass das Königreich Gottes nahe gekommen war. Er sandte Seine Jünger mit dieser Botschaft aus (vgl. Mt 10); sie waren die Knechte, die die geladenen Gäste zum ersten Mal zur Hochzeit riefen. Doch die Gäste wollten nicht kommen. Sie verwarfen ihren Messias-König und nagelten Ihn an ein Kreuz. Doch genau da wurden die Vorbereitungen für die Hochzeit abgeschlossen. Da wurden Gottes Ochsen und Mastvieh geschlachtet, da wurde das eine, wahre Schlachtopfer dargebracht, das für die Hochzeitsfeier zwingend dargebracht werden musste. Welche Gnade! Nach der Auferstehung, der Himmelfahrt und der Ausgiessung des Heiligen Geistes an Pfingsten sandte der HERR Seine Knechte erneut zu den geladenen Gästen, zu Israel. Die Jünger wirkten zunächst nur in Jerusalem. Sie konnten nun sagen, dass alles bereit sei. Diese Tür war für die Juden bis zur Steinigung von Stephanus geöffnet, wie wir noch sehen werden.

Vers 5

Sie aber kümmerten sich nicht darum und gingen weg, der eine auf seinen Acker, der andere an seinen Handel. Mt 22,5

Die Reaktion der meisten Juden entsprach jener, mit denen auch heute noch die meisten Menschen auf das Evangelium, auf die gute Botschaft Gottes von der Erlösung durch den Herrn Jesus Christus, reagieren, nämlich Gleichgültigkeit. Die Juden waren mit ihren eigenen Dingen beschäftigt, mit ihrem Acker oder mit ihrem Handel. Das war für sie weitaus wichtiger als das Heil ihrer Seelen. Heute geht es den meisten Menschen (noch) gut, fast zu gut. Sie sind mit ihren eigenen Dingen beschäftigt und ganz zufrieden, weil sie alles haben, was sie brauchen, und noch weitaus mehr. Wenn man mit ihnen über den HERRN sprechen will, sagen sie meistens, dass sie das nicht bräuchten. Sie wollen nichts verlieren. Was sie hier und jetzt in der Hand haben, ist für sie wichtiger als das, was einmal kommen mag. Stellen wir uns das einmal vor! Der HERR hat alles gegeben, was Er geben konnte, und die Menschen kümmern sich nicht darum! Schrecklich!

Vers 6

Die Übrigen aber ergriffen seine Knechte, misshandelten und töteten sie. Mt 22,6

Während die meisten geladenen Gäste gegenüber der Einladung des Königs zur Hochzeit seines Sohnes gleichgültig blieben, obwohl sie mit einem solchen Nachdruck wiederholt worden war, sprachen andere stark darauf an – aber nicht positiv, sondern äusserst negativ. Sie ergriffen die Knechte des Königs, misshandelten sie und töteten sie sogar. Das muss man sich einmal vorstellen: Knechte des Königs laden zur Hochzeit des Prinzen ein und werden deswegen umgebracht! Was muss das für ein Volk sein!

Doch genau so handelten die Juden: Sie verwarfen ihren Messias-König. Sie sorgten dafür, dass Er an ein Kreuz genagelt und umgebracht wurde. Nachdem diese ihre Bosheit aber nicht das wohlverdiente, harte Gericht nach sich gezogen, sondern vielmehr eine Tür für die Gnade Gottes geöffnet hatte, verwarfen sie ihren rechtmässigen König erneut. Die meisten von ihnen gaben nichts auf die mit Nachdruck wiederholte Aufforderung zur Umkehr. Einige von ihnen wurden durch die Predigt des Evangeliums von Jesus Christus zu Wut und Bosheit gereizt. Der Hass auf den Herrn Jesus und Seine Anhänger gipfelte schliesslich in der Steinigung des treuen Dieners Stephanus. Diese war zugleich ein Dammbruch, der eine Welle der Verfolgung der Christen durch die Juden bis aufs Blut nach sich zog. Gewiss war Saulus von Tarsis nicht der Einzige, der «Drohung und Mord schnaubte» (Apg 9,1).

Auch wenn sich das Gleichnis vom Hochzeitsmahl auf die Juden bezieht, hat es doch auch uns so Einiges zu sagen. Auch heute noch reagieren die meisten Menschen gleichgültig auf die Predigt des Evangeliums. Das war schon immer so und das wird auch so bleiben. Selbst zu den «christlichsten» Zeiten Europas war die grosse Masse der Menschen gleichgültig gegenüber Gott und dem Herrn Jesus Christus; man machte einfach aus traditionellen Gründen, unter gesellschaftlichem Druck oder teilweise sogar aus Zwang mit und gab sich «christlich». Klösterliche Dokumente aus dem siebten Jahrhundert nach Christus belegen allerdings beispielsweise, welche Schweinereien und Perversionen schon damals in den Klöstern gang und gäbe waren. Die Menschen ändern sich nicht. Sie sind immer dieselben, ob sie sich nun «christlich», atheistisch oder sonstwie geben. Nebst den Gleichgültigen gibt es aber auch die Aggressiven; auch diese hat es zu allen Zeiten gegeben. Allerdings gehen Schätzungen davon aus, dass im letzten Jahrhundert weltweit mehr Christen wegen ihres Glaubens umgebracht worden sind als in all den Jahrhunderten davor zusammen. Hauptsächliche Treiber waren der Islam und der Kommunismus.

Vers 7

Der König aber wurde zornig und sandte seine Truppen aus, brachte jene Mörder um und steckte ihre Stadt in Brand. Mt 22,7

Wie sollte der König auf eine solche Kampfansage, auf eine solch offene Rebellion reagieren? Mit aller Schärfe! Wir neigen oft dazu, die Gnade Gottes zu überstrapazieren. Man muss für alles Verständnis und Nachsicht haben – und Gott soll das gefälligst auch so halten. Doch der HERR ist heilig und gerecht. Ja, Er ist langmütig und gnädig, aber Er hält keineswegs für schuldlos den Schuldigen. Sünde, Rebellion fordert Ihn heraus und zwar auf eine Weise, wie ein Sprung von einem Turm ohne Seil und Fallschirm die Schwerkraft herausfordert. Gott kann gar nicht Sünde übersehen! Die grosse Lüge im lasch gewordenen Christentum lautet, dass am Ende schon alles gut kommen werde, dass Gott ein Auge oder gar beide zudrücken werde und dass man leben könne, wie man wolle. Alles gut! Aber das entspringt nur unserem Wunschdenken. Die Wahrheit ist, dass jede noch so kleine Sünde gerichtet, verurteilt und gesühnt werden wird. Die Wahrheit ist, dass wir einmal vor Gott stehen und auf tausend nicht eins werden antworten können. Die Wahrheit ist, dass der Herr Jesus, den wir uns so oft als einen sandalentragenden Gutmenschen vorstellen, Menschen ohne Pardon in die ewige Verdammnis senden wird.

Die Juden meinten, sie könnten mit dem Herrn Jesus Christus tun, was sie wollten. Aber sie irrten sich sehr! Im Gleichnis sandte der König seine Truppen aus, brachte jene Mörder um und steckte ihre Stadt in Brand. Aus der Geschichte wissen wir, dass die Römer Jerusalem kurze Zeit nach der Kreuzigung des Herrn Jesus Christus belagerten, eroberten und in Brand steckten. Weit über eine Million Juden wurden getötet! Der Tempel wurde komplett zerstört, die Stadt ein Raub der Flammen. Die Juden waren gewarnt, aber sie wollten nicht hören. Also mussten sie die Suppe, die sie sich selbst eingebrockt hatten, bis zum letzten Bissen auslöffeln.

Wie sieht es bei uns aus? Denken wir, wir könnten mit Gott Spielchen spielen? Denken wir, dass man das alles nicht so ernst und genau nehmen müsse? Denken wir, dass am Ende schon irgendwie alles gut kommen werde? Das Handeln Gottes in der Geschichte der Menschheit lehrt uns, dass dies ein Trugschluss ist.

Vers 8

Dann sagt er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Eingeladenen waren nicht würdig. Mt 22,8

Von Seiten des Königs wäre alles bereit gewesen. Nichts hat gefehlt. Aber die Eingeladenen wollten nicht kommen; sie waren nicht würdig. «Denn so spricht der Herr, HERR, der Heilige Israels: Durch Umkehr und durch Ruhe werdet ihr gerettet. In Stillsein und in Vertrauen ist eure Stärke. Aber ihr habt nicht gewollt» (Jes 30,15). Israel kann dem HERRN keinen Vorwurf machen. Es lag nicht an Ihm, sondern am Volk. Sie, die Israeliten, haben nicht gewollt. So lange hatten die Israeliten auf ihren Messias und auf Sein Reich gewartet, aber nun, da Er da war, passte Er ihnen nicht und sie verwarfen Ihn. Deshalb wurden sie auf die Seite gestellt. Der HERR führte Seinen Plan für Israel nicht fort. Er nahm ihr Nein voll und ganz ernst; sie mussten die Konsequenzen tragen.

Auch für uns gilt: Der HERR ist langmütig und gnädig. Er zwingt uns zu nichts. Aber wir können keine Spielchen mit Ihm spielen. Wenn wir Ihn und Seine Wege ablehnen, werden wir uns selbst Schaden zufügen. Unsere Entscheidungen haben Konsequenzen!

Vers 9

So geht nun hin auf die Kreuzwege der Landstrassen, und so viele immer ihr finden werdet, ladet zur Hochzeit ein. Mt 22,9

Die geladenen Gäste, die Israeliten, waren nicht würdig. Weshalb? Weil sie die Einladung ausschlugen. Der Gedanke, ein Mensch könne in Bezug auf Gott würdig bzw. würdiger als andere sein, ist der Bibel völlig fremd. Von Natur aus sind wir alle unwürdig. Niemand von uns hat es verdient, zur Hochzeit geladen zu werden, niemand von uns hat es verdient, in den Himmel aufgenommen zu werden, und niemand von uns kann sich einen Platz im Himmel erarbeiten. Doch wir werden alle eingeladen, wie gerade der heutige Vers zeigt. Die Israeliten waren einfach deshalb «würdig», weil es Gott gefiel, sie als Erstes einzuladen. Es war Seine Wahl, nicht ihr Verdienst. Indem sie diese Einladen ausschlugen, wurden sie «unwürdig». Das ist der springende Punkt.

Nun geht die Einladung an einen weiteren Kreis und zwar an den denkbar weitesten Kreis von Menschen. Die Knechte sollten nämlich einfach alle möglichen Leute sammeln, denen sie gerade so begegneten. Diese Leute waren nicht besonders qualifiziert. Das zeigt uns, dass das Evangelium, die gute Botschaft von der rettenden Gnade Gottes, an alle Nationen, an alle Menschen ausgehen sollte. Der Herr Jesus hatte Seinen Jüngern gesagt: «Ihr werdet meine Zeugen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde» (Apg 1,8). Die Jünger hatten aber zuerst nur in Jerusalem und nur zu Juden gepredigt. Nach der Steinigung von Stephanus brach eine Welle der Verfolgung über die Jünger hinein, die viele aus Jerusalem vertrieb. Sogleich finden wir einen Bericht darüber, wie Philippus in Samaria gepredigt und wie sich kurz darauf ein Äthiopier bekehrt hat. Wenige Verse später ist die Rede von Jüngern in Damaskus. Der weitere Verlauf der Apostelgeschichte belehrt uns darüber, wie das Evangelium nach Europa gekommen ist. Ja, die Einladung ging nun an alle Menschen. Gottes Gnadenangebot gilt jedem von uns!

Vers 10

Und jene Knechte gingen aus auf die Landstrassen und brachten alle zusammen, die sie fanden, Böse wie Gute. Und der Hochzeitssaal wurde voll von Gästen. Mt 22,10

Wie gross ist Gottes Gnade! Die Knechte brachten alle möglichen Menschen zusammen und die Heilige Schrift legt einen Nachdruck darauf, dass es nicht nur die Guten waren, sondern «Böse wie Gute». Gottes Gnadenangebot gilt jedem einzelnen Menschen! Kein Mensch ist unwürdig, keiner zu schlecht, keiner zu böse. Der Hochzeitssaal wird sich mit Gästen füllen und wir werden gewiss überrascht davon sein, wen wir da alles antreffen werden.

Vers 11

Als aber der König hereinkam, die Gäste zu besehen, sah er dort einen Menschen, der nicht mit einem Hochzeitskleid bekleidet war. Mt 22,11

Das Gleichnis nimmt nun eine unerwartete Wendung. Wir haben gesehen, dass der König, nachdem die Geladenen seine Einladung ausgeschlagen hatten, einfach alle Menschen von den Strassen sammeln liess. Sie kamen in Scharen, Gute wie Böse, bunt gemischt. Wir würden erwarten, dass niemand von ihnen mit einem Hochzeitskleid bekleidet war, denn sie waren ja direkt von der Strasse aufgegabelt worden. Im Gleichnis wird aber die Betonung auf einen Menschen gelegt, der kein Hochzeitskleid trug. Es scheint, dass im Gegensatz dazu die allermeisten Gäste mit einem Hochzeitskleid bekleidet waren. Doch woher sollten sie diese Kleidung haben?

Auf diese Frage gibt es nur zwei mögliche Antworten: Entweder hatten die Leute sich selbst so ein Kleid besorgt oder aber sie hatten vom König ein angemessenes Kleid erhalten. Für beide Möglichkeiten können Bibelstellen angeführt werden. So heisst es etwa von der Braut des Lammes in Offb 19,8, «dass sie sich kleidete in feine Leinwand, glänzend, rein; denn die feine Leinwand sind die gerechten Taten der Heiligen». In Gal 3,27 heisst es dagegen: «Ihr alle, die ihr auf Christus getauft worden seid, ihr habt Christus angezogen». Passend dazu heisst es in Jes 61,10: «Freuen, ja, freuen will ich mich in dem HERRN! Jubeln soll meine Seele in meinem Gott! Denn er hat mich bekleidet mit Kleidern des Heils, den Mantel der Gerechtigkeit mir umgetan». Spricht das Hochzeitskleid im Gleichnis nun von den gerechten Taten der Heiligen oder vom Mantel der Gerechtigkeit, den Gott uns anzieht?

Typisch für Gleichnisse ist, dass sie einen zentralen Kerngedanken vermitteln. Anders als Allegorien, die zwar auch etwas bildlich veranschaulichen sollen, bei denen aber jedes Detail seine eigene Botschaft vermittelt (ein bekanntes Beispiel dafür ist «Die Pilgerreise» von John Bunyan), liefert uns ein Gleichnis nicht einen bunten Strauss von Gedanken. Es zielt vielmehr darauf ab, uns eine wichtige Lektion zu geben. Der Kerngedanke des Gleichnisses vom Hochzeitsmahl ist der Wechsel der Wege Gottes mit den Menschen. Der HERR will Seinen Sohn ehren. Israel war das auserwählte Volk, das dafür das besondere Publikum bilden sollte, aber es hat sich geweigert. Als Nation wurde das Volk beiseite gestellt; die Gnade Gottes wandte sich allen anderen Menschen, Bösen wie Guten, zu. Das könnte uns nun aber zum falschen Schluss führen, dass es letztlich nur entscheidend sei, zur richtigen Gruppe zu gehören, was der klaren biblischen Belehrung widersprechen würde. Teilhaben am Hochzeitsfest (nicht am wahren Hochzeitsfest, sondern an jenem im Gleichnis!) können grundsätzlich alle Menschen, aber die Teilnahme kommt nur aus Gnade, nicht durch eigene Verdienste zustande. Die Einladung wird «geschenkt» und der Einzelne steht in der Verantwortung, sie anzunehmen. Sie ist gerade nicht auf die Zugehörigkeit zu irgendeiner Gruppe oder auf eine besondere Ehrwürdigkeit der einzelnen Person (durch eigene Verdienste etc.) beschränkt, sondern sie richtet sich an alle, wo sie gerade sind, selbst wenn sie auf den Landstrassen unterwegs sind, an Böse wie Gute. Wir finden hier also den Kerngedanken, der auch in Röm 11,11 zu finden ist: «Durch ihren Fall ist den Nationen das Heil geworden».

Und doch ist die Verantwortung des Einzelnen nicht ausgeschlossen. Wenn Israel als Nation den Herrn Jesus nicht verworfen hätte, wenn Israel als Nation also nicht hätte beiseite gestellt werden müssen, dann hätte das Hochzeitsmahl im Gleichnis im Kreis der Geladenen stattgefunden. Das hätte aber nicht bedeutet, dass einfach jeder Einzelne, der ein leiblicher Nachkomme Abrahams, Isaaks und Jakobs ist, «automatisch» würdig gewesen wäre, am Fest teilzunehmen. Jeder Einzelne wäre vom König geprüft worden. Worauf? Auf seine Werke und Verdienste? Nein! Davon spricht dieses Gleichnis nicht. Entscheidend wäre der Glaube des Einzelnen gewesen. Und genau derselbe Grundsatz gilt auch jetzt, da Israel beiseite gestellt ist und durch eine Nicht-Nation zur Eifersucht gereizt wird. Der Ruf geht an alle und viele machen mit. Es gibt etwa zwei Milliarden Menschen, die sich Christen nennen und damit den Anspruch erheben, an der Hochzeitsfeier teilzunehmen, aber nicht alle tragen ein Hochzeitskleid. Es reicht nicht, ein Nachkomme von Christen oder christlich getauft zu sein. Man muss der Einladung persönlich folgen und das zur Verfügung gestellte Kleid anziehen. Die Gnade Gottes wird durch persönlichen Glauben in Anspruch genommen; so wird man bekleidet mit den Kleidern des Heils, mit dem Mantel der Gerechtigkeit. «Indem ich nicht meine Gerechtigkeit habe, die aus dem Gesetz ist, sondern die durch den Glauben an Christus, die Gerechtigkeit aus Gott aufgrund des Glaubens» (Phil 3,9).

Der Hochzeitsgast, von dem unser Vers spricht, hat die von Gott dargereichten Kleider ausgeschlagen. Er fand, dass er so, wie er war, an der Hochzeit teilnehmen dürfe. Was für ein Trugschluss! Leider unterliegen sehr viele Menschen, gerade in christlich geprägten Ländern, diesem Trugschluss. Sie meinen, Gott nehme es nicht so genau; sie seien gut genug für den Himmel. Deshalb schlagen sie die Kleider des Heils aus. Sie erscheinen ohne passendes Gewand an der Hochzeitsfeier.

Wie erwähnt sprechen andere Stellen von unseren Taten als Christens, von unserer Verantwortung und von den Konsequenzen unseres Handelns. Es wird einmal auch ein «echtes» Hochzeitsfest geben. Aber von diesen Dingen spricht dieses Gleichnis nicht. Man muss das sauber auseinander halten.

w

Vers 12

Und er spricht zu ihm: Freund, wie bist du hier hereingekommen, da du kein Hochzeitskleid hast? Er aber verstummte. Mt 22,12

Der König richtet sich nun an diesen Gast ohne Hochzeitskleid. Er fragt ihn, wie er hier heringekommen sei, so ganz ohne Hochzeitskleid. Der Gast kann nichts erwidern. Er verstummt. Wie oft haben Menschen eine viel zu hohe Meinung von sich selbst! Doch wenn sie einmal vor dem HERRN stehen, werden sie auf tausend nicht eins antworten können (Hiob 9,3). Der HERR stellt die Fragen und Er beurteilt, was wichtig und was richtig ist. Der Gast an der Hochzeitsfeier mochte sich viele Überlegungen gemacht haben, aber er konnte die Frage des Königs nicht beantworten. Er wusste genau, dass er nichts anderes vorbringen musste.

Wie sieht es mit uns aus? Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht (Hebr 9,27). Sind wir bereit, vor Gott Rechenschaft abzulegen? Was werden wir tun, was werden wir sagen, wenn wir vor Ihm stehen? Wissen wir das? Wir treiben so viel Vorsorge – für unsere Gesundheit, für das Alter, für dieses und für jenes, aber nicht für unsere ewige Seele. Dabei ist die Sache äusserst ernst. Wir werden einmal vor Gott stehen und Rechenschaft ablegen müssen. Sich dem unvorbereitet zu stellen ist eine ausgesprochene Dummheit!

Vers 13

Da sprach der König zu den Dienern: Bindet ihm Füsse und Hände, und werft ihn hinaus in die äussere Finsternis; da wird das Weinen und das Zähneknirschen sein. Mt 22,13

Der Mann, der zwar über eine Einladung zur Hochzeit verfügte, aber ohne Hochzeitskleid erschienen war, wurde gewaltsam vom Fest entfernt, ja sogar gebunden und in die äussere Finsternis geworfen, wo das Weinen und das Zähneknirschen sein wird! Wie jetzt? War er nicht eingeladen? Doch! Er hatte die gute Botschaft, das Evangelium (im Gleichnis: die Einladung zum Hochzeitsfest), gehört und er war ihr gefolgt. Genügt das etwa nicht? Nein, denn er hatte die einzige Bedingung, die der König aufgestellt hatte, missachtet. Er hätte das ihm zur Verfügung gestellte Kleid, das einzige Kleid, das ihn zur Teilnahme befähigen konnte, annehmen müssen. Er hätte das Gnadenangebot im Glauben ergreifen müssen und nicht nach eigenem Gutdünken, zu eigenen Bedingungen. Viele Menschen werden einfach Christen genannt, weil ihre Vorfahren Christen waren, weil sie in einem christlich geprägten Land aufgewachsen sind oder weil sie seit Geburt einer christlichen Kirche angehören. Es gibt aber auch viele Menschen, die tatsächlich einen gewissen Bezug zum christlichen Glauben haben. Sie versuchen, ein mehr oder weniger anständiges Leben zu führen, gewisse religiöse Pflichten zu erfüllen etc. Sie weben gewissermassen an einem eigenen Hochzeitskleid. Sie haben alle den Ruf gehört, aber sie wollen auf ihrem eigenen Weg, mit ihrem eigenen Kleid an der Hochzeitsfeier teilnehmen. Für diese Leute wird es einmal ein böses Erwachen geben. Sie werden sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, dass sie das vom König dargereichte Kleid ausgeschlagen haben und dass ihr Kleid nicht zu einer Teilnahme am Hochzeitsfest legitimiert. Sie werden in der äusseren Finsternis, getrennt vom Licht, getrennt von Gott, ewige Qualen leiden müssen. Der nächste Vers wird das zusammenfassen und ganz klar machen.

Vers 14

Denn viele sind Berufene, wenige aber Auserwählte. Mt 22,14

Worum geht es im Gleichnis vom Hochzeitsmahl? Es geht darum, dass der Vater Seinem Sohn zu Ehren ein grosses Fest bereiten will, zu dessen Teilnahme viele berufen sind. Zuerst sind da die geladenen Gäste. Jeder von ihnen hat den Ruf zur Hochzeitsfeier erhalten; jeder von ihnen ist berufen. Doch sie wollen dem Ruf nicht folgen, ihrer Berufung nicht gerecht werden. Israel als Nation hat sein grosses Vorrecht verspielt. Statt ins Tausendjährige Friedensreich wurde die Nation in eine mittlerweile bald 2000 Jahre andauernde Zeit der Zerstörung und Verfolgung geführt. Damit ist nichts über das Schicksal des einzelnen Juden gesagt. Während der Zeit der Berufung Israels war nicht automatisch jeder Israelit persönlich errettet; während der Zeit der Verwerfung Israels ist nicht automatisch jeder Israelit persönlich verdammt. Es geht nur um das Schicksal der Nation als Ganzes.

Nach Israel sind alle möglichen Menschen berufen worden, Böse wie Gute, gewissermassen jeder, dem man gerade unterwegs begegnet ist. Der Kreis der Berufenen hat sich also stark erweitert. Nun sind wahrlich Viele Berufene! Nicht alle, aber doch ziemlich viele sind diesem Ruf gefolgt. Rund zwei Milliarden Menschen nennen sich heute Christen, was bedeutet, dass sie zumindest von sich behaupten, sie seien dem Ruf gefolgt. Sind sie alle errettet? Nein, denn wie die Berufung Israels nicht automatisch jeden einzelnen Israeliten persönlich errettet hat, errettet auch die christliche Berufung nicht automatisch jeden einzelnen Menschen, an den sie ergeht. Es geht auch hier nur um den Kreis der Adressaten als Ganzes, nicht um den Einzelnen. Der Einzelne steht in der persönlichen Verantwortung, was er aus dieser Berufung macht. Nimmt er sie im Glauben an? Zieht er das ihm dargereichte Hochzeitsgewand an? Oder erscheint er auf einem anderen Boden vor Gott? Das ist die grosse Frage.

Wenn ein Mensch in der Wüste zu einer Quelle geführt wird, wenn dieser Mensch sogar erkennt und versteht, dass es das Richtige wäre, vom Quellwasser zu trinken, um nicht zu verdursten, ja selbst wenn dieser Mensch anderen Menschen erklärt, wie nützlich und gut das Quellwasser sei und wie nötig es sei, davon zu trinken, dann nützt das alles diesem Menschen rein gar nichts, wenn er nicht selbst vom Wasser trinkt. Es gibt Menschen, die den Kern des christlichen Glaubens erfasst und verstanden haben, die der christlichen Lehre intellektuell zustimmen und die sogar anderen Menschen erklären, was es bedeutet, ein Christ zu sein. Aber sie haben die Gnade, die Gott ihnen darreicht, selbst nicht im Glauben erfasst. Sie haben ihr Vertrauen nicht allein auf den Herrn Jesus Christus gesetzt. Sie vertrauen auf ihren Verstand, auf ihr religiöses Pflichtbewusstsein, auf ihren moralischen Standard und ähnliches, aber nicht auf den Herrn Jesus Christus. Sie haben das Hochzeitskleid nicht angezogen. Ihnen nützt es nichts, dass sie berufen worden sind. Sie gehen dennoch auf ewig verloren.

Viele sind Berufene, weniger aber Auserwählte. Nur wer sein Vertrauen auf den Herrn Jesus Christus setzt, auf Ihn allein, nur wer das Hochzeitskleid anzieht, nur wer wirklich akzeptiert, dass er allein zu Gottes Bedingungen vor Gott treten kann, ist auch wirklich berechtigt, an der Hochzeitsfeier teilzunehmen, d.h. in die ewige Herrlichkeit einzugehen. Solche Menschen werden quasi rückblickend feststellen, dass sie schon vor der Erschaffung des Universums, vor der Grundlegung der Welt, von Gott auserwählt worden sind, zur Schar der Erlösten zu gehören. Das bedeutet nicht, dass die anderen dazu auserwählt wären, verloren zu gehen, denn Gott bestimmt niemanden zur Verdammnis. Nein, der Gedanke ist, dass jeder, der die Gnade Gottes im Glauben ergreift, die feste Gewissheit und Zuversicht haben darf, dass es nicht allein von ihm selbst abhängt, sondern dass Gott Sein volles Ja dazu gegeben hat – und das schon in der längst zurückliegenden Ewigkeit!

Vers 15

Dann gingen die Pharisäer hin und hielten Rat, wie sie ihn bei einem Ausspruch fangen könnten. Mt 22,15

Der Herr Jesus hatte insbesondere die religiösen Führer Israels mit dem Gleichnis vom Hochzeitsmahl ernst davor gewarnt, die Einladung Gottes auszuschlagen. Die Ablehnung der Einladung hatte den Tod der Geladenen und die Zerstörung ihrer Stadt zur Folge. Die Juden riskierten also ihr Leben und die Zukunft ihrer Stadt, einschliesslich des Tempels. Was war nun die Reaktion auf diese ernste Warnung? Diese verhärteten Männer hielten Rat, wie sie den Herrn Jesus bei einem Ausspruch fangen könnten! Sie lehnten Ihn so völlig ab, dass sie nur noch daran denken konnten, Ihm eine Falle zu stellen, Ihn zu verurteilen und Ihn dann umzubringen. O, des Menschen Wille kann so ein starkes Bollwerk sein, dass nichts ihn beeinflussen kann! Der HERR selbst hatte direkt zu den Herzen dieser Menschen gesprochen, aber selbst das liess sie unberührt. Und wie viele sind ihrem Beispiel gefolgt! Wie viele Menschen haben ihre eigenen Wege eingeschlagen, wie viele Menschen haben alle Warnungen ignoriert, wie viele Menschen sind mit festen Überzeugungen und grosser Entschlossenheit den Weg des Verderbens bis in den Abgrund gegangen! Tun wir es ihnen nicht gleich! Verschliessen wir niemals unser Herz vor Gottes Sprechen!

Vers 16

Und sie senden ihre Jünger mit den Herodianern zu ihm und sagen: Lehrer, wir wissen, dass du wahrhaftig bist und den Weg Gottes in Wahrheit lehrst und dich um niemand kümmerst, denn du siehst nicht auf die Person der Menschen. Mt 22,16

Der Hass der Schriftgelehrten auf den Herrn Jesus ging so weit, dass sie sogar eine Allianz mit den Herodianern eingingen. Die Herodianer waren Anhänger des Herodes, sehr liberal und wenig in den jüdischen Traditionen verwurzelt; die Schriftgelehrten waren äusserst konservativ und folglich genau anders herum eingestellt. Die beiden Gruppen konnten sich nicht ausstehen. Aber wenn es darum ging, den unliebsamen Prediger loszuwerden, legten sie ihre Differenzen beiseite und machten gemeinsame Sache. Der Hass auf den Herrn Jesus muss also weitaus grösser gewesen sein als der Hass auf die jeweils andere Gruppe.

Diese Leute wollten dem Herrn Jesus also eine Falle in der Form einer Fangfrage stellen. Eine Falle braucht einen Köder und hier war der Köder ein heuchlerisches Kompliment. Diese Leute traten zum Herrn Jesus, redeten Ihn als Lehrer an und sagten Ihm, sie wüssten, dass Er wahrhaftig sei, den Weg Gottes in Wahrheit lehre und sich nicht von menschlichen Meinungen beeinflussen lasse. Sie meinten das nicht ernst, denn sie waren vom Gegenteil überzeugt. Aber alles, was sie sagten, war wahr. Der Herr Jesus war wirklich wahrhaftig; Er lehrte den Weg Gottes in Wahrheit; Er liess sich von Menschen nicht davon abbringen. Diese Heuchler bekannten mit dem Mund die volle Wahrheit, aber ihre Herzen waren weit entfernt! Wie tragisch!

Vers 17

Sage uns nun, was denkst du: Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu geben, oder nicht? Mt 22,17

Die Falle, die dem Herrn Jesus gestellt wurde, war ausgeklügelt – sehr ausgeklügelt! Hätte der HERR die Frage bejaht, hätten die Pharisäer Ihn als einen Landesverräter bezeichnet, der gemeinsame Sache mit der Besatzungsmacht mache. Hätte Er verneint, hätten die Herodianer Ihn als einen Rebellen, einen Aufständigen bezeichnet, der eine Gefahr für die Besatzungsmacht darstelle. Nun verstehen wir auch, weshalb sich die Schriftgelehrten und die Herodianer hierfür zusammen getan haben, denn nur indem sie gemeinsam diese Frage stellten, konnten sie den Herrn Jesus in die Ecke drängen. Die Konstellation macht aber auch deutlich, dass es ihnen nicht im Entferntesten darum gegangen ist, eine Antwort auf eine Frage zu erhalten, die sie quälte. Sie hatten keine schlaflosen Nächte deswegen. Die Pharisäer waren überzeugt, dass sie dem Kaiser keine Steuer zahlen sollten; die Herodianer waren überzeugt, dass die Steuer geschuldet war. Die Frage diente nur als Anknüpfungspunkt für ein Vorgehen gegen den Herrn Jesus.

Auch uns werden manchmal solche Fragen gestellt. Der Fragesteller ist nicht wirklich an der Antwort auf die Frage interessiert, sondern vielmehr daran, uns lächerlich zu machen oder blosszustellen. Ein und dieselbe Frage kann dabei in einem Fall ein ernstes Anliegen und in einem anderen Fall nur eine Farce sein. Eine Person wird gequält von einer Frage, die sie einfach nicht beantworten kann, eine andere Person stellt dieselbe Frage nur zum Vorwand. Es braucht Weisheit von oben für das richtige Vorgehen in jedem einzelnen Fall. Ein schönes Beispiel für eine schlagfertige Antwort ist im Büchlein «Jesus, unser Schicksal» von Wilhelm Busch zu finden. Pfarrer Busch machte einmal einen Krankenbesuch bei einem jungen Mann, der sich bei einem Unfall schwere Verletzungen zugezogen hatte. Im Spitalzimmer waren Freunde des jungen Mannes. Einer von ihnen fragte Wilhelm Busch, woher denn Kain seine Frauen gehabt habe. Da fragte Wilhelm Busch zurück, ob der junge Mann wegen dieser Frage schlaflose Nächte habe, was dieser natürlich verneinte. Daraufhin entgegnete Pfarrer Busch: «Sehen Sie, ich habe nur Zeit, um Fragen zu beantworten, die schlaflose Nächte verursachen!»

Vers 18

Da aber Jesus ihre Bosheit erkannte, sprach er: Was versucht ihr mich, Heuchler? Mt 22,18

Wer will dem Herrn Jesus Christus etwas vormachen? Er erkannte die Bosheit der Fragenden, Er erkannte ihre Heuchelei und Er erkannte, dass sie Ihn versuchen wollten. Sie waren komplett entlarvt. Ihre Schmeichelei und ihre ausgeklügelte Taktik hatten gar nichts genutzt. Egal, in welcher Beziehung wir momentan zum Herrn Jesus Christus stehen, wenn wir vor Ihn treten, sollten wir es aufrichtig tun. Heuchelei nützt nichts, sondern schadet nur. In jenem Fall, den wir hier gerade betrachten, hat Sich der HERR zwar in Gnade auf die Frage eingelassen und diese beantwortet, aber das gibt uns keinen Freipass, es jenen Heuchlern gleich zu tun. Die beste, ja die einzig richtige Strategie besteht immer darin, gegenüber dem HERRN so offen und echt wie nur irgend möglich zu sein.

Vers 19

Zeigt mir die Steuermünze! Sie aber überreichten ihm einen Denar. Mt 22,19

Wie sehr ist unser HERR zu loben! Er liess Sich nicht nur in Gnade darauf ein, eine heuchlerische, nicht ernst gemeinte Frage zu beantworten und damit die Gewissen sowohl der Schriftgelehrten als auch der Herodianer zu erreichen, sondern Er zeigte noch etwas viel Tieferes: «Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, dass er, da er reich war, um euretwillen arm wurde, damit ihr durch seine Armut reich wurdet» (2.Kor 8,9); «der in Gestalt Gottes war und es nicht für einen Raub hielt, Gott gleich zu sein» (Phil 2,6). Als ewiger Sohn Gottes war Er unendlich reich, Gott gleich, der Schöpfer des Universums, der Herrscher über alle Dinge. Doch Er hielt nicht um jeden Preis fest, sodass Er es geraubt hätte, wenn es Ihm nicht schon gehört hätte. Nein, Er wurde arm, wurde ein Mensch, nahm Knechtsgestalt an, um uns den Zugang zum Vater in den Himmel zu eröffnen! Als Mensch hätte Er ein König sein können, aber Er wurde der Sohn einer verarmten Familie, die als Reinigungsopfer nach der Geburt nur gerade zwei Tauben opfern konnte. Er liess es zu, auf dem Feld geboren und in die Futterkrippe von Vieh gelegt zu werden. Er hatte keinen Ort, an dem Er Sein Haupt hätte hinlegen können, und ganz offensichtlich besass Er nicht einmal eine einzige Münze. Er musste Sich eine Münze von jemand anders zeigen, einen Denar überreichen lassen! So arm ist Er um unseretwillen geworden, damit wir reich werden können. Wie hoch ist Er zu loben!

Vers 20

Und er spricht zu ihnen: Wessen Bild und Aufschrift ist das? Mt 22,20

Zur Erinnerung: Die Pharisäer hatten sich mit den Herodianern zusammengetan, um dem Herrn Jesus eine Frage zu stellen, die eigentlich nur falsch beantwortet werden konnte, nämlich ob es erlaubt sei, dem Kaiser Steuer zu geben. Hätte der Herr Jesus die Frage bejaht, hätten die Pharisäer Ihn als einen Verräter der Nation bezeichnet; hätte Er verneint, hätten die Herodianer Ihn als einen Aufrührer angeschwärzt. Aber unser hochgelobter HERR sah keinerlei Schwierigkeit darin, diese Fangfrage zu beantworten und dabei den Spiess umzudrehen. Die Pharisäer und die Herodianer wollten Ihn anklagen? Er gab ihnen eine Antwort, die ihre Gewissen treffen musste!

Dafür liess Er Sich eine offizielle Münze zeigen. Geld war und ist immer noch eine ganz besondere Sache, denn im Unterschied zu allem anderen, das wir besitzen, kann Geld niemals uns selbst gehören. Es gehört dem Staat. Während wir unser sonstiges Eigentum beschädigen oder gar zerstören können, ist es nicht nur nicht erlaubt, sondern sogar strafbar, Geld zu beschädigen. Schon zur Zeit, als unser HERR als Mensch hier gelebt hat, waren die Münzen mit dem Bild und der Aufschrift ihres rechtmässigen Eigentümers geprägt. Die Gegenfrage unseres HERRN, wessen Bild und Aufschrift die Münze trug, die man Ihm zeigte, zielte also darauf ab, den Pharisäern und den Herodianern bewusst zu machen, dass das Geld, das sie für ihre alltäglichen Geschäfte nutzten, dem Kaiser von Rom gehörte.

Vers 21

Sie sagen zu ihm: Des Kaisers. Da spricht er zu ihnen: Gebt denn dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. Mt 22,21

Die Fragesteller müssen auf die Gegenfrage des Herrn Jesus hin zugeben, dass das Geld, das sie für ihren Alltag benötigten, dem Kaiser von Rom gehörte. Wie muss dieses Bekenntnis den Nationalstolz der Pharisäer getroffen haben! Sie wollten gerne die Elite der führenden Nation sein, aber sie hatten nicht einmal mehr ihre eigene Währung. Bei jedem Geschäft wurden sie daran erinnert, dass sie unter der Herrschaft Roms standen. Sie hätten gerne den Herrn Jesus angeschwärzt und behauptet, Er setze Sich nicht für das Wohl Israels ein, weil Er dafür plädiere, dem Kaiser Steuern zu zahlen, aber sie mussten sich kleinlaut vor der für alle offenbaren Tatsache beugen, dass der Kaiser der rechtmässige Herrscher über Israel war. Bittere Pille! Sie kannten die Schriften des Alten Testamentes und sie mussten wissen, dass es ihr eigenes Versagen gewesen ist, das sie in diese Situation gebracht hatte.

Die Antwort unseres hochgelobten Herrn Jesus auf die Fangfrage beinhaltet einen für alle Zeiten und Menschen wichtigen Grundsatz, nämlich: Wir sollen niemandem etwas schuldig bleiben (vgl. Röm 13,7.8). Zuallererst schulden wir Gott das, was Ihm als unserem Schöpfer und Erhalter zusteht. Doch wie sollen wir lernen, Gottes Autorität über uns zu anerkennen und Ihm zu gehorchen, da wir Ihn doch nicht sehen können? Das ist möglich, wenn wir lernen, jene anderen Autoritäten anzuerkennen, die der HERR über uns gesetzt hat, nämlich unsere Eltern, unsere Arbeitgeber, unsere Regierung. Wenn der HERR es in Seiner unendlichen Weisheit so geführt hat, dass wir eine Regierung über uns haben, die wir eigentlich nicht gutheissen und akzeptieren können, dann sollen wir doch anerkennen, dass der HERR diese Regierung eingesetzt hat und dass wir ihr deshalb das schulden, was ihr rechtmässig zusteht. Wahre Christen sind keine Rebellen oder Aufständige; sie lästern nicht über die Regierung und sie sabotieren sie nicht. Sie gehorchen und erfüllen ihre Bürgerpflichten – ganz einfach deshalb, weil sie wissen, dass sie dies letztlich dem HERRN schuldig sind. «Erweist allen Ehre; liebt die Bruderschaft; fürchtet Gott; ehrt den König!» (1.Petr 2,17).

Vers 22

Und als sie das hörten, wunderten sie sich und liessen ihn und gingen weg. Mt 22,22

Die Schriftgelehrten hatten gedacht, sie könnten den Herrn Jesus in eine Falle locken. Doch Er entging nicht nur ihrer Falle, sondern überführte sie – sowohl bezüglich ihres Irrtums als auch bezüglich ihres Gewissens. Die Israeliten schuldeten dem Kaiser von Rom die Steuer, weil er der rechtmässige Herrscher über Israel war. Natürlich war das nicht jene Situation, von der die Israeliten schon so lange geträumt hatten. Aber es waren Gottes Wege gewesen, die da hinein geführt hatten und das mussten die Schriftgelehrten wissen. Die Israeliten waren Gott während Jahrhunderten ungehorsam gewesen. Deshalb hatte der HERR sie aus dem Land geworfen. Die Juden durften später zurückkehren, aber wieder waren sie ungehorsam. Als die Schriftgelehrten den Herrn Jesus versuchen wollten, hatte der HERR bereits seit rund 400 Jahren nicht mehr zum Volk gesprochen! Die Juden wussten um diese Tatsache und sie waren deshalb betrübt. Wollten sie nun weiter Aufständische sein? Wollten sie weiter eigene Wege gehen? Wollten sie sich weiter gegen Gottes Wege auflehnen? Wohin würde sie das noch führen? Sie mussten wissen, dass die Probleme nur noch grösser und schlimmer werden würden, wenn sie so fortfahren sollten. Also blieb ihnen für den Moment nichts anderes übrig als zu akzeptieren, dass sie dem Kaiser von Rom die Steuer und Gott unbedingten Gehorsam schuldeten. Ihre Gewissen waren erreicht, aber sie gingen weg. Tragisch!

Wie steht es mit uns? Wohin haben uns unsere Wege geführt? Sind wir da, wo wir sein sollten, oder sind wir da, wo wir uns selbst hin manövriert haben? Wir können in diesem Leben auf dieser Erde viel erreichen, uns ein schönes, behagliches Nest bauen. Aber wir werden immer einen Verlust, ein Manko fühlen, wenn wir eigene Wege gegangen sind, den Willen Gottes ignoriert haben. Wenn uns das bewusst wird, haben wir (jederzeit!) zwei Möglichkeiten: Entweder geben wir unseren Widerstand auf, beugen uns unter die mächtige, gütige Hand Gottes und lassen uns von Ihm führen oder aber wir setzen unseren eigensinnigen Weg fort und versuchen, unsere Situation selbst zu verbessern. Die Juden mussten akzeptieren, dass Rom das Sagen hatte, aber sie versuchten zu verhindern, dass die Römer Jerusalem vernichteten: «Wenn wir ihn so lassen, werden alle an ihn glauben, und die Römer werden kommen und unsere Stadt wie auch unsere Nation wegnehmen» (Joh 11,48). Also fassten sie den Beschluss, Jesus zu beseitigen. Genau damit besiegelten sie aber ihr Gericht; was sie zu verhindern versucht hatten, traf ein. Hätten sie ihren Widerstand gegen Gott aufgegeben, hätten sie ihre Stadt gerettet. So ist es auch bei uns. Wir können nicht verhindern, was der HERR für uns vorgesehen hat; wir können es nur schlimmer für uns selbst machen, wenn wir uns wehren. Geben wir unseren Widerstand auf, werden wir hingegen Gutes sehen.

Vers 23

An jenem Tag kamen Sadduzäer zu ihm, die da sagen, es gebe keine Auferstehung; und sie fragten ihn Mt 22,23

Die Pharisäer waren mit ihrem Vorhaben, dem Herrn Jesus eine Falle zu stellen, gescheitert. Nun versuchten es ihre «Konkurrenten», die Sadduzäer. Ach, der Mensch kann sich von Natur aus einfach nicht mit der Person und den Wegen Gottes anfreunden! Was Gott ist und was Er tut, stösst bei den Menschen grundsätzlich auf Ablehnung. Der Herr Jesus konnte Sein göttliches Werk nicht in Ruhe tun. Er wurde immer und immer wieder mit Fangfragen, Verleumdungen und Ablehnungen konfrontiert.

Die Sadduzäer waren eine religiöse Gruppe in Israel. Wie die Pharisäer besassen sie viel Einfluss. Ihre Überzeugungen waren aber sehr von jenen der Pharisäer verschieden. Die Pharisäer waren sehr konservativ. Sie glaubten an die göttliche Inspiration der Heiligen Schrift, aber das war ihnen nicht genug. Sie entwickelten ein ganzes System von zusätzlichen verbindlichen Vorschriften, das jede Abweichung von den göttlichen Geboten verhindern sollten. Sie fügten also der Bibel etwas hinzu. Weil diese Hinzufügung menschlichen Ursprungs war, verfehlte es seinen Zweck; es brachte die Menschen dazu, das Wort Gottes regelmässig (den Überlieferungen der Pharisäer zuliebe) zu übertreten. Die Sadduzäer hingegen waren sehr liberal und materialistisch gesinnt. Sie glaubten, nur die fünf Bücher Mose seien göttlich inspiriert. Sie nahmen also etwas von der Bibel weg. Sie waren sehr reich, sie leugneten alles Übernatürliche und sie machten die göttliche Botschaft dadurch zu einer reinen Moralsache. Wir können die Pharisäer mit der römisch-katholischen Kirche vergleichen, die ihre eigenen Schriften neben jene der Bibel gestellt hat; die Sadduzäer entsprechen der evangelisch-reformierten Kirche, die die volle göttliche Inspiration der Bibel leugnet und sich darauf konzentriert, moralische Regeln für unser Zusammenleben zu definieren. Beide Richtungen sind gleichermassen falsch.

Auch die Sadduzäer wollten keine Frage stellen, für die sie schon lange vergeblich eine Antwort gesucht hatten, denn sie waren in ihrer Überzeugung bereits längst festgefahren. Wir werden sehen, dass es um eine Frage bezüglich der Auferstehung ging, doch gleich in unserem Vers wird klargestellt, dass die Sadduzäer davon überzeugt waren, es gebe keine Auferstehung. Wie soll der HERR aber zu uns sprechen, wenn wir sowieso nicht hören werden, weil wir uns unsere Meinung schon längst selbst gebildet haben?

Vers 24

und sprachen: Lehrer, Mose hat gesagt: Wenn jemand stirbt und keine Kinder hat, so soll sein Bruder seine Frau heiraten und soll seinem Bruder Nachkommenschaft erwecken. Mt 22,24

Die Sadduzäer hatten sich (meinten sie) eine ebenso unbeantwortbare Frage wie die Pharisäer ausgedacht. Sie hatten ein Fallbeispiel erfunden, das die Unsinnigkeit eines Glaubens an die Auferstehung zeigen sollte. Sie lehnten sich an die Bibel an und beriefen sich auf ein göttliches Gebot, aber ihre Prämisse, ihre Grundannahme war falsch. Sie glaubten nämlich nur an das in der Bibel, was sie mit ihrem Verstand erfassen und einordnen konnten. Wir haben damit hier ein Paradebeispiel dafür vor uns, wie komplett falsch jemand biblische Aussagen auslegen kann. Es genügt eben nicht, die Bibel zu kennen. Der Heilige Geist muss das richtige Verständnis geben. Das wiederum erfordert den Glauben an Jesus Christus, das unbedingte Vertrauen auf Gott.

← Kapitel 21 Kapitel 22