Matthäus 3
Vers 1
In jenen Tagen aber kommt Johannes der Täufer und predigt in der Wüste von Judäa Mt 3,1
Während wir im Lukas-Evangelium eine relativ lange Ausführung darüber finden, wie Johannes der Täufer schon vor Geburt für seinen Dienst zubereitet worden ist, schweigt sich das Matthäus-Evangelium komplett darüber aus. Er wird ohne Umschweife direkt als der mit einem ganz besonderen Dienst betraute Prediger und Prophet eingeführt. Das passt zum Charakter der verschiedenen Evangelien, denn Lukas ist immer sehr an den Menschen und am Menschlichen interessiert gewesen, was ja auch einen guten Arzt auszeichnen sollte; Matthäus war es dagegen ein Hauptanliegen, die Ankunft des Messias und Königs für Israel anzukündigen. Da hält man sich nicht lange bei den Dienern auf. Der Blick ist stets auf den König gerichtet und der Diener ist nur insofern von Bedeutung, als sein Dienst mit der Person des Königs in einem direkten Zusammenhang steht. Dennoch werden wir später noch feststellen, dass dieser besondere Diener vom Herrn Jesus (im Matthäus-Evangelium) ausserordentlich ausgezeichnet und geehrt worden ist.
Vers 2
und spricht: Tut Busse! Denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen. Mt 3,2
Die Predigt von Johannes dem Täufer war in ihrem Kern sehr einfach und knapp: «Tut Busse! Denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen». Aber jedes Wort hatte ein besonderes Gewicht! «Busse tun» bedeutet umzukehren, aber in einem sehr umfassenden Sinne. Der Ausdruck beinhaltet ein «Umsinnen» bzw. ein Umdenken. Es geht darum, die eigene Sichtweise, das eigene Urteil über sich selbst, über Gott etc. durch die Sichtweise Gottes, das Urteil Gottes über mich, über Ihn etc. zu ersetzen, die eigene Wahrheit gegen die Wahrheit Gottes einzutauschen. Der Ausdruck beinhaltet aber auch eine echte Reue, eine tiefe Trauer darüber, was man neu über sich erkannt hat, nämlich dass man gesündigt hat und – schlimmer noch! – dass man ein Sünder ist. In diesem Sinne beinhaltet die Busse einen inneren Zerbruch vor Gott. Drittens beinhaltet der Ausdruck auch eine äusserliche Reaktion, eine Änderung der Gewohnheiten und des Verhaltens: Man hört auf, das Böse zu tun, und beginnt, Gutes zu tun. Wir sehen also, dass der Ausdruck «Busse tun» sehr vielschichtig und umfassend in seiner Bedeutung ist. Wenn wir die Predigten studieren, die uns in der Apostelgeschichte überliefert worden sind, stellen wir fest, dass in Predigten, die sich an die Juden richteten, mehr die Busse und in Predigten, die sich an die übrigen Nationen richteten, mehr der Glaube an Gott betont wurden. Für eine echte Bekehrung braucht es beides, aber bei den Juden wurde gewissermassen der Glaube an den einen wahren Gott – den Gott der Väter – vorausgesetzt, weshalb besonders die Busse im Vordergrund stehen musste; bei den Heiden mussten die Prediger dagegen davon ausgehen, dass diese noch gar nichts über den einen wahren Gott wussten und folglich auch nicht an Ihn – persönlich! – glauben konnten und deshalb in erster Linie aufgerufen werden mussten, an Ihn zu glauben. Die Busse würde dann umgehend folgen.
Wir stellen fest, dass die Predigt von Johannes dem Täufer kein vollständiges Evangelium enthalten hat. Kein Wort über den Herrn Jesus Christus, kein Wort über das Kreuz. Ja, wie denn auch? Der Herr Jesus hatte Sich noch nicht offenbart und das Werk am Kreuz war noch nicht vollbracht! Wenn wir über das Evangelium sprechen, dann müssen wir verschiedene «Schattierungen» unterscheiden. Im Kern gibt es natürlich nur ein Evangelium. «Wenn aber auch wir oder ein Engel aus dem Himmel euch etwas als Evangelium entgegen dem verkündigten, was wir euch als Evangelium verkündigt haben: Er sei verflucht! Wie wir früher gesagt haben, so sage ich auch jetzt wieder: Wenn jemand euch etwas als Evangelium verkündigt entgegen dem, was ihr empfangen habt: Er sei verflucht!» (Gal 1,8.9). Die grosse Errungenschaft der Reformation im 16. Jahrhundert ist es gewesen, den Kern des Evangeliums heraus zu kristallisieren, nämlich dass Gott der HERR aus reiner Gnade (sola gratia) Menschen durch das Werk Christi (solus Christus) mittels des Glaubens (sola fide) errettet nach den Heiligen Schriften (sola scriptura) zu Seiner eigenen Verherrlichung (soli Deo gloria). Wir können die ganze Bibel durchgehen, von Adam bis zum letzten Menschen, der ganz am Ende der Offenbarung aufgerufen wird, sich retten zu lassen, und wir werden immer diesen Kern des Evangeliums vorfinden. Es gab nie und es wird nie einen anderen Weg geben. Aber die Ausprägung verändert sich über die Zeit hinweg, denn vor dem Kreuz konnte das Kreuz nicht gepredigt werden. Von Adam bis zu Johannes dem Täufer, wenn man so will, musste vorausblickend eine Errettung gepredigt werden, deren Kerngehalt noch nicht vollständig entfaltet werden konnte. Jetzt leben wir in der Fülle der Zeit, in einem Zeitabschnitt, wo alle wesentlichen Gedanken Gottes völlig entfaltet und offenbart sind, sodass wir die umfassendste und herrlichste Version des Evangeliums predigen können, das Geheimnis der Gottseligkeit, nämlich dass Der, der Fleisch geworden ist, gerechtfertigt ist im Geist, gesehen von den Engeln, gepredigt unter den Nationen, geglaubt in der Welt, aufgenommen in Herrlichkeit. Werden die Christen einmal von dieser Erde entfernt sein, wird wieder eine «abgeschwächte» Version des Evangeliums gepredigt werden, das in der Offenbarung das «ewige Evangelium» genannt wird, was sagen will, dass es gewissermassen ein «Minimal-Evangelium» mit nur den allerwichtigsten Punkten sein und in seinem Kern lauten wird: «Fürchtet Gott und gebt ihm Ehre! Denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen. Und betet den an, der den Himmel und die Erde und Meer und Wasserquellen gemacht hat!» (Offb 14,7).
Auch Johannes der Täufer hat nicht das «volle» Evangelium gepredigt, denn noch hatte Israel seinen Messias nicht verworfen, noch hat – aus menschlicher Sicht – die Möglichkeit bestanden, dass Israel kollektiv Busse tun, den Messias Jesus annehmen und von Ihm direkt in den Segen des Tausendjährigen Friedensreiches auf dieser Erde geführt würde. Das «Reich der Himmel», hebräisch Malchut Schamaim, eigentlich das Königreich der Himmel (hebr. Malchut ist verwandt mit Melech = König; gr. basileia ist verwandt mit basileus = König), war ein bekannter jüdischer Ausdruck, der die typische jüdische Hoffnung zum Ausdruck brachte, nämlich dass Gott Sein eigenes Königreich auf dieser Erde aufrichten werde. Obwohl es das Königreich der Himmel genannt wurde, hat es in seiner ursprünglichen Form keine himmlische Hoffnung beinhaltet. Man muss wissen, dass die Juden den Eigennamen Gottes – JHVH – bis auf eine Ausnahme, die mit der Zerstörung des Tempels dahinfiel, niemals ausgesprochen haben. Beim Vorlesen aus den Heiligen Schriften haben sie den Eigennamen durch andere Ausdrücke ersetzt, meist mit Adonai (Herr, Gebieter). Teilweise haben sie auch andere Ausdrücke verwendet, unter anderem «die Himmel» – in Anlehnung an Dan 4,23, wo es heisst, dass «die Himmel» herrschen oder regieren. Das Königreich der Himmel ist also das Königreich Gottes. Die Juden haben dieses Königreich erwartet. Nun war es nahe gekommen. Das war der Kern der Predigt des Johannes und so hat auch der Herr Jesus zunächst gepredigt. Wir werden später noch feststellen, dass diese Predigt ein Ende gefunden hat und durch eine andere Predigt ersetzt worden ist, nämlich sobald die Juden völlig offenbart hatten, dass sie den Messias Jesus nicht akzeptieren wollten.
Vers 3
Denn dieser ist der, von dem durch den Propheten Jesaja geredet ist, der spricht: »Stimme eines Rufenden in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht gerade seine Pfade!« Mt 3,3
Johannes der Täufer war ein wahrer Prophet. Sein Prophetendienst war aber in dreifacher Hinsicht etwas ganz Besonderes: Erstens war er bereits prophetisch angekündigt worden, wie das Zitat von Jes 40,3 in Mt 3,3 zeigt. Alle anderen Propheten waren von Gott berufen worden und dann unvermittelt aufgetreten. Elia, Elisa, Jesaja, Jeremia, Hesekiel, Daniel und alle anderen waren nicht angekündigt worden, sondern unerwartet als Propheten angetreten. Johannes der Täufer war dagegen Jahrhunderte vor seinem Auftreten angekündigt worden – nicht nur von Jesaja, sondern auch von Maleachi, wie wir später noch sehen werden. Zweitens trat er nach einer fast unerträglich langen Zeit des Schweigens auf. Der HERR hatte jahrhundertelang immer wieder durch Propheten zu Seinem Volk gesprochen, aber dieses wollte einfach nicht hören. Deshalb hörte Er mit Maleachi, der etwa 400 Jahre vor Christus wirkte, auf zu reden. 400 Jahre des Schweigens! Die Juden haben das tief empfunden. Aber dann, nach 400 Jahren, trat Johannes auf. Endlich sprach Gott wieder zu Seinem Volk! Drittens war Johannes der Täufer der einzige Prophet, der mit seinem Dienst direkt in die Erfüllung der Verheissungen leiten durfte. Es gehörte nämlich zwingend zum Dienst eines echten Propheten, entweder hauptsächlich oder aber unter anderem auf den Messias hinzuweisen. Den Propheten war dabei jeweils bewusst, dass sie von einer fern in der Zukunft liegenden Zeit sprachen, wie es Petrus so schön in seinem ersten Brief ausdrückt:
Im Hinblick auf diese Rettung suchten und forschten Propheten, die über die an euch erwiesene Gnade weissagten. Sie forschten, auf welche oder auf was für eine Zeit der Geist Christi, der in ihnen war, hindeutete, als er die auf Christus zukommenden Leiden und die Herrlichkeiten danach vorher bezeugte. Ihnen wurde es offenbart, dass sie nicht sich selbst, sondern euch dienten im Blick auf das, was euch jetzt verkündet worden ist durch die, welche euch das Evangelium verkündigt haben im Heiligen Geist, der vom Himmel gesandt ist, in welche Dinge Engel hineinzuschauen begehren. 1.Petr 1,10–12
Nur Johannes dem Täufer war es vergönnt, diese Kernbotschaft unmittelbar erfüllt zu sehen. Sein Dienst war der Wegbereiter-Dienst, der Dienst, der von der Verheissung direkt in die Erfüllung führte.
Vers 4
Er aber, Johannes, hatte seine Kleidung von Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Lenden; seine Speise aber waren Heuschrecken und wilder Honig. Mt 3,4
Wir haben im vorangehenden Vers gesehen, was Johannes aus göttlicher Sicht gewesen ist, nämlich der grösste aller Propheten, was uns in einem späteren Kapitel nochmals ausdrücklich – aus dem Mund des Herrn Jesus selbst – bestätigt werden wird. Nun folgt die Beschreibung dessen, was Johannes aus menschlicher Sicht gewesen ist, das heisst wie die Menschen ihn wahrgenommen haben. Der Mensch kann nur das Äusserliche beurteilen, die Erscheinung, das Verhalten etc. Das Herz eines anderen Menschen ist seiner Beurteilung entzogen – ja, er vermag nicht einmal, sein eigenes Herz richtig zu beurteilen, «denn arglistig ist das Herz, mehr als alles, und verdorben ist es; wer mag es kennen?» (Jer 17,9). «Der HERR sieht nicht auf das, worauf der Mensch sieht. Denn der Mensch sieht auf das, was vor Augen ist, aber der HERR sieht auf das Herz» (1.Sam 16,7). Aus menschlicher Sicht war Johannes der Täufer keine besondere Erscheinung, und wenn seine Erscheinung besonders gewesen wäre, dann wohl besonders abstossend.
Seine Kleidung war aus Kamelhaaren gefertigt, wobei man wissen muss, dass das Kamel kein reines Tier nach den Vorschriften des Gesetzes ist. Zusammengehalten wurde dieser Fellrock von einem einfachen ledernen Gürtel. Die Kleidung hätte nicht einfacher und unscheinbarer sein können. Denken wir beispielsweise an die Priester in Israel (nicht an den Hohenpriester, sondern an die übrigen Priester), dann stellen wir einen riesigen Unterschied fest. Auch die Kleidung der Priester in Israel war sehr schlicht gehalten, aber doch stand sie in einem gewaltigen Gegensatz zur Kleidung von Johannes: Die Priester trugen Gewänder aus feinem, weissen Leinen (Byssus), die von einem kunstvoll gewebten und mit Goldfäden durchsetzten Gürtel zusammengehalten wurden. So einfach diese Kleidung war, so fein und rein war doch ihre Ausstrahlung. Bei Johannes war dagegen alles rauh.
Die Speise von Johannes war durchaus rein, also koscher, denn den Israeliten war es vom Gesetz her erlaubt, Heuschrecken zu verzehren. Honig war natürlich ebenso koscher. Aber wie karg war diese Ernährung! Die Heuschrecken und der Honig konnten gerade einmal den gröbsten Hunger stillen und die grundlegenden Stoffe für den Leib bieten, aber mehr nicht. Zudem liegen Heuschrecken und Honig nicht einfach in der Gegend herum. Die Heuschrecken müssen gejagt und erlegt werden. Der Honig wird von den Bienen verteidigt. Die Beschaffung dieser Nahrung war also schon mit grossen Entbehrungen verbunden. Aber beides spricht von Kraft, von Energie. Das wesentliche Merkmal, das in Bezug auf Heuschrecken bei der Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Tieren genannt wird, sind die kräftigen Unterschenkel bzw. Sprungbeine (vgl. 3.Mose 11,21). Und Honig ist pure Energie. Er setzt sich grösstenteils aus bereits gespaltenem Zucker zusammen, also aus Kohlenhydraten, die direkt ins Blut gehen und sofort als Energie zur Verfügung stehen.
Johannes lebte also sehr enthaltsam (asketisch), aber er war ein sehr energischer Mann. Er lebte nur vom Notwendigsten, von Geburt an als Nasir (vgl. 4.Mose 6), um Gott völlig zur Verfügung zu stehen. Die Menschen konnten von Natur aus nichts an ihm finden, aber von ihm ging eine so gewaltige moralische Kraft aus, dass er als einsame Stimme eines Rufenden in der Wüste ganz Judäa zu sich bringen konnte. Dieser Mann brannte lichterloh für den HERRN, und dieses Feuer wurde in der Stadt gesehen und zog die Leute an. Was für ein Mann muss das gewesen sein!
Vers 5
Da ging zu ihm hinaus Jerusalem und ganz Judäa und die ganze Umgegend des Jordan; Mt 3,5
Wie konnte ein Mann, der alleine in der Wüste lebte, sich nur vom Notwendigsten ernährte, nur die einfachste Kleidung trug und rein gar nichts besass, ganz Jerusalem, ganz Judäa und die ganze Umgegend des Jordan zu sich ziehen? Wenn man heute Menschen mit dem Evangelium erreichen will, dann wird ein gewaltiger logistischer Aufwand betrieben. Da fliesst das Geld in Strömen, da werden ganze Organisationen aufgebaut, da wird jahrelang auf einen Tag oder auf eine Woche hingearbeitet, kurz: da werden alle nur denkbaren Hebel in Bewegung gesetzt. Die Ergebnisse sind dann oft ernüchternd. Johannes der Täufer hatte gar nichts, keine finanziellen Mittel, keinen einzigen Helfer, einfach nichts. Aber er erreichte Zehntausende! Jemand (A.W. Tozer) hat einmal treffend gesagt: «Wenn der Heilige Geist Sich von der neutestamentlichen Kirche zurückgezogen hätte, wäre 95 Prozent von dem, was diese Christen taten, weggefallen, und jeder hätte den Unterschied bemerkt; aber wenn der Heilige Geist Sich von der heutigen Kirche zurückziehen würde, würde 95 Prozent von dem, was wir tun, weiterlaufen, und niemand würde einen Unterschied bemerken». Johannes der Täufer war von Geburt an völlig Gott geweiht; der Heilige Geist war auf ihm. Er brannte lichterloh für den HERRN und dieses Feuer konnte nicht verborgen bleiben. Jemand (Leonard Ravenhill) hat in diesem Zusammenhang einmal ganz treffend bemerkt: Feuer muss nicht beworben werden. Es zieht die Leute automatisch an. Von Augustinus stammt das folgende Zitat: «In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst … Nur wer selbst brennt, kann Feuer in anderen entfachen». Und genau daran krankt die heutige Kirche. Noch nie in der ganzen Kirchengeschichte standen uns so viele Mittel zur Verfügung – und noch nie in der ganzen Kirchengeschichte haben wir so wenig bewegt. Wir müssen endlich verstehen, dass wir nicht noch mehr Mittel einsetzen, sondern dass wir vielmehr wieder lernen müssen, einfach das zu tun, was der Heilige Geist wirken will, uns Ihm völlig zur Verfügung zu stellen! Würden wir endlich aufwachen und uns wieder neu heiligen, uns vom Bösen, von der Welt absondern, könnte es nochmals eine Erweckung geben. Wir müssen dazu nicht leben wie Johannes der Täufer, aber wir sollten uns in geistlich-moralischer Hinsicht an ihm orientieren.
Vers 6
und sie wurden von ihm im Jordanfluss getauft, indem sie ihre Sünden bekannten. Mt 3,6
Was für uns irgendwie selbstverständlich klingt, nämlich dass man sich einmal taufen lässt, war für die Juden damals etwas Unerhörtes. Proselyten, also Fremdlinge, die zum Judentum übertreten wollten, wurden getauft, aber sicher nicht solche, die von Geburt an Israeliten bzw. Juden waren! Wir werden in den folgenden Versen sehen, dass Johannes der Täufer genau diesen Punkt ansprach: «Meint nicht, bei euch selbst zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater!» (Mt 3,9). Die Juden hielten sehr viel auf ihre Abstammung; sie meinten, das sei das Entscheidende. Aber Johannes der Täufer und auch der Herr Jesus wiesen von Beginn weg darauf hin, dass ihnen allen noch etwas für den Eingang in das Reich der Himmel fehlte: Sie mussten Busse tun und ihre Sünden bekennen. Sie mussten zu Gott umkehren, wie wir bei der Betrachtung eines früheren Verses gesehen haben.
Die Taufe mit Wasser im Jordan zeigte dann öffentlich an, dass man sich von der Allgemeinheit der Juden trennte, dass man dem etablierten System Adieu sagte, dass man bereit war, alles aufzugeben, um mit Gott wieder ins Reine zu kommen. Die Taufe spricht eigentlich immer von einem Herrschaftswechsel. Die christliche Taufe zeigt, dass man sich auf die Seite des von der Welt verworfenen und gekreuzigten Christus Jesus stellt. Das ist nicht die volle Bedeutung der Taufe, aber ein ganz wesentlicher Kern. Klar ist, dass die Taufe nicht rettet. Sie ist nur ein Symbol, mit dem etwas zum Ausdruck gebracht werden soll, was eine Wahrheit im Herzen sein sollte. Leider muss man davon ausgehen, dass von den rund zwei Milliarden christlich getauften Menschen nur die Allerwenigstens wirklich Busse getan, ihre Sünden bekannt und ihr Vertrauen allein auf den Herrn Jesus gesetzt haben. Ohne diese Wahrheit im Innern ist die Taufe bedeutungslos. Sie nützt nichts. Ja, es könnte sogar sein, dass sie einem Menschen später einmal zum Verhängnis wird! Sich als Christ auszugeben, ohne es zu sein, ist eine schwere Sünde, für die Gott einmal Rechenschaft fordern wird. Da müssen wir fast schon dankbar dafür sein, dass die meisten zu Unrecht getauften Menschen als Kleinkinder getauft wurden, wo sie noch nichts dafür konnten.
Vers 7
Als er aber viele der Pharisäer und Sadduzäer zu seiner Taufe kommen sah, sprach er zu ihnen: Otternbrut! Wer hat euch gewiesen, dem kommenden Zorn zu entfliehen? Mt 3,7
Die meisten Leute, die kamen, um sich von Johannes im Jordan taufen zu lassen, waren offensichtliche Sünder, wie etwa Zöllner, die mit den verhassten Römern kooperierten und ihre eigenen Landsleute betrogen, um zu Reichtum zu kommen, oder Huren, die den kostbaren Körper, den der HERR ihnen gegeben hatte, verscherbelten, um zu Geld zu kommen. Da erstaunt es, dass Pharisäer und Sadduzäer, hoch angesehene, religiöse Juden, zu Johannes an den Jordan kamen. Aber ach! Sie wollten sich nicht etwa taufen lassen, weil sie ihre Sündhaftigkeit erkannt hätten, sondern vielmehr beschauten sie die Sache nur – wohl in einer verächtlichen, herablassenden Weise –, um zu untersuchen, ob man vielleicht offiziell gegen Johannes vorgehen sollte. Sie waren sich sicher, dass sie ein Gott wohlgefälliges Leben führten, aber Johannes entlarvte ihren Irrtum ohne jede Umschweife.
Er bezeichnete sie als Otternbrut, als Kinder der Schlange. Das war ein Frontalangriff! Der Herr Jesus hat das später einmal aufgegriffen und noch deutlicher zum Ausdruck gebracht: «Ihr seid aus dem Vater, dem Teufel, und die Begierden eures Vaters wollt ihr tun. Jener war ein Menschenmörder von Anfang an und stand nicht in der Wahrheit, weil keine Wahrheit in ihm ist. Wenn er die Lüge redet, so redet er aus seinem Eigenen, denn er ist ein Lügner und der Vater derselben» (Joh 8,44). Sie meinten, sie würden Gott dienen, aber in Wahrheit dienten sie dem Teufel! Was für ein verhängnisvoller Irrtum!
Wir dürfen nicht meinen, Johannes der Täufer und der Herr Jesus hätten diese führenden Juden einfach so hart angegangen, weil sie zeigen wollten, dass auch sie hart sein konnten. Nein, sie versuchten, in diese verhärteten Herzen vorzudringen, um diese verlorenen Menschen zu erreichen. Um ein Loch in einen Felsen zu bohren, braucht es einen harten Metallbohrer. Johannes zeigte mit den im vor uns liegenden Vers wiedergegebenen Worten direkt auf, dass sie sich nicht auf ihre Abstammung berufen konnten, dass sie dem Teufel dienten, ohne es zu merken, und dass für sie nicht der Segen des kommenden Reiches Gottes, sondern der Zorn wartete. Ach, hätten sie sich diese Worte doch ins Gewissen und in das Herz dringen lassen! Dann hätten sie ihr Leben gerettet. Die Mehrheit dieser vornehmen, religiösen Juden hat sich leider verhärtet, aber Gott sei Dank! Selbst unter diesen Männern gab es einige Wenige, die von Gott in mächtiger Weise errettet wurden! Was bei Menschen unmöglich ist, ist möglich bei Gott. Ihm sind keine Grenzen gesetzt!
Vers 8
Bringt nun der Busse würdige Frucht; Mt 3,8
Wir haben uns bereits an einer früheren Stelle damit beschäftigt, was «Busse» bedeutet. Dabei haben wir festgestellt, dass es sich bei der Busse in erster Linie um einen inneren Vorgang handelt. Ob ich im Sinne der Bibel echt Busse getan habe, ist eine Frage, die nur ich und Gott beantworten können. Niemand anders kann das wirklich beurteilen, weil niemand Einblick in mein Herz hat (vgl. 1.Sam 16,7). Aber andererseits ist die wahre Busse auch nichts Abgehobenes, Eingebildetes oder Mysthisches. Sie ist eine geistliche Realität. Deshalb wird sie sich über früher oder später in meinem Leben, in meinem Wandel, in meinem Verhalten bemerkbar machen. Wer Busse getan hat, wird der Busse würdige Frucht bringen, das ist ein geistliches Gesetz. Was ist mit dieser würdigen Frucht gemeint? Viele verstehen darunter irgendwelche grossen Taten oder bestimmten Werke, aber das ist nicht das, was die Bibel unter Frucht versteht. Ein Vergleich kann das vielleicht veranschaulichen: In meinem Garten steht ein Baum, den jemand vor langer Zeit gepflanzt hat. Wenn ich wissen will, was für ein Baum das ist, muss ich nicht darauf warten, dass er einmal etwas ganz Ungewöhnliches tut, im Herbst blüht oder im Frühjahr Frucht trägt, drei Meter zur Seite springt, sich verneigt oder was weiss ich. Nein, ich muss diesen Baum einfach beobachten. Ist es ein Obstbaum, wird er irgendwann Früchte tragen. Diese Früchte kann ich betrachten und verkosten. Sicher werde ich das Aussehen und den Geschmack erkennen. Und dann weiss ich, was für ein Baum das ist. Und so ähnlich verhält es sich auch mit uns Menschen. Der Herr Jesus hat einmal gesagt, dass sich in unserem normalen Verhalten zeigt, was in unseren Herzen wohnt. Von Natur aus sind das Dinge wie Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsche Zeugnisse, Lästerungen (Mt 15,19). Wer sich normalerweise, wesensmässig so verhält, von dem müssen wir annehmen, dass er keine Busse getan hat. Wenn sich aber über eine gewisse Zeit hinweg zeigt, dass sich das Verhalten eines Menschen grundlegend geändert hat, dass Zornausbrüche seltener werden, dass da eine neue Hilfsbereitschaft zu beobachten ist oder eine nicht zuvor bekannte Milde, dass nicht mehr alle Unreinheit mit Gier ausgeübt wird etc., dann besteht ein Grund zur Annahme, dass dieser Mensch echt Busse getan haben könnte. Jedenfalls sind es nicht unsere (einzelnen) Taten, sondern unser Verhalten als Ganzes, das als der Busse würdige Frucht hervorgebracht wird – und zwar durch den Heiligen Geist. Für uns ist das im Zusammenleben eine Hilfe, um uns gegenseitig etwas einschätzen zu können. Manchmal kann der Eindruck aber auch täuschen; vor Gott zählt die Wahrheit im Herzen. Den Pharisäern und Sadduzäern konnte Johannes diesen Befehl aber vorwurfsvoll erteilen, weil bei ihnen, zumindest bei den meisten, völlig klar war, dass sie weit davon entfernt waren, Busse zu tun.
Vers 9
und meint nicht, bei euch selbst zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater! Denn ich sage euch, dass Gott dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken vermag. Mt 3,9
Die Juden waren überzeugt, dass sie sich auf ihre Abstammung – Abraham, Isaak und Jakob – etwas einbilden könnten. Natürlich war es etwas Besonderes, zum auserwählten Volk Gottes zu gehören. Das wird auch im Neuen Testament nicht etwa in Abrede gestellt: «Was ist nun der Vorzug des Juden oder was der Nutzen der Beschneidung? Viel in jeder Hinsicht. Denn zuerst sind ihnen die Aussprüche Gottes anvertraut worden» (Röm 3,1.2). Aber das bedeutete nicht, dass jeder Mensch, der «zufällig» als ein Nachkomme von Jakob geboren worden ist, automatisch gerettet gewesen wäre oder auch nur besonders gut vor Gott dagestanden hätte. Die Juden waren auserwählt als Kollektiv, was bedeutet, dass Gott mit dem Volk insgesamt besondere Pläne verfolgte und noch weiter verfolgen wird. Aber sie waren nicht auserwählt als Individuen, als einzelne Menschen. Für sie führte genau derselbe Weg zur Rettung wie für jeden anderen Menschen auch, nämlich durch Glauben und Busse, wie wir bereits gesehen haben. Auch diese Wahrheit wird u.a. im Römerbrief klar entfaltet: «Denn nicht der ist ein Jude, der es äusserlich ist, noch ist die äusserliche Beschneidung⟩im Fleisch Beschneidung; sondern der ist ein Jude, der es innerlich ist, und Beschneidung ist die des Herzens, im Geist, nicht im Buchstaben. Sein Lob kommt nicht von Menschen, sondern von Gott» (Röm 2,28.29). Denn: «Siehe, du hast Gefallen an Wahrheit im Innern» (Ps 51,8), nicht an Äusserlichkeiten.
Wir mögen vielleicht denken, dass uns das nicht viel zu sagen hat, weil wir ja keine Juden sind und deshalb nicht in Gefahr stehen, uns auf unsere Abstammung von den Vätern Abraham, Isaak und Jakob etwas einzubilden. Dieser Eindruck täuscht, denn wir neigen zu denselben Denkmustern. Wie viele Millionen Menschen gibt es, die meinen, vor Gott zähle es etwas, dass sie zu einer offiziellen Kirche gehören, getauft worden sind, als Kinder an verschiedenen Ritualen teilgenommen respektive Sakramente empfangen haben und auch jetzt noch einen gewissen (sehr losen) Bezug zur Kirche aufweisen! Sie bilden sich auf ihre «christliche Abstammung» etwas ein! Es schmerzt im Herzen, dies zu schreiben, aber es wird einmal sehr, sehr viele «Christen» geben, die mit Schrecken feststellen werden, dass sie keine wahren Kinder Gottes sind und dass es nun zu spät ist, daran etwas zu ändern. Sie standen dem rettenden Glauben so nahe, aber haben den entscheidenden Schritt nie getan. Das wird schrecklich sein.
Vers 10
Schon ist aber die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum nun, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Mt 3,10
Um klar zu machen, dass sich eine echte Busse in entsprechenden Taten respektive in einer entsprechenden Veränderung des Verhaltens zeigen muss, hat Johannes der Täufer den Vergleich mit Früchten an einem Baum gemacht (Mt 3,8). Diesen Vergleich greift er nochmals auf, um einen zweiten Gedanken daran anzuknüpfen, nämlich die Antwort auf die Frage, was denn geschieht, wenn ein Baum keine gute Frucht bringt. Wenn ein Obstbauer einen Apfelbaum pflanzt, dann erwartet er, dass dieser Baum nach einer gewissen Zeit Äpfel produziert. Ist diese Erwartung unberechtigt? Der Bauer will nicht sehen, wie der Apfelbaum Luftsprünge oder sonst etwas völlig Unnatürliches vollführt, er erwartet keine Kirschen und keine Birnen, sondern einfach das, was der Natur des Apfelbaums beziehungsweise dem bereits in der Schöpfung etablierten Prinzip entspricht (vgl. 1.Mose 1,11.12). Sicherlich wird er dem Baum jene Zeit einräumen, die dieser braucht, um sich zu etablieren. Gerade bei grösseren Bäumen ist bekannt, dass sie in den ersten Jahren alle Energie für ein starkes Wachstum benötigen und kaum Früchte produzieren; die Ertragsphase setzt manchmal erst nach fünf oder mehr Jahren ein. Ist aber der Baum soweit ausgewachsen, fehlt es ihm an nichts und bringt er trotzdem keine Frucht, was soll ein vernünftiger Obstbauer dann tun? Es wäre unwirtschaftlich, den Baum, mit dem offensichtlich etwas Grundlegendes nicht stimmt, einfach stehen zu lassen, denn der Platz, den dieser braucht, könnte für einen ertragreichen Baum genutzt werden. Unter Umständen muss sogar damit gerechnet werden, dass der Baum krank sein und damit weitere Bäume gefährden könnte. Also wird die Axt angelegt, der Baum wird abgehauen und ins Feuer geworfen.
Genauso verhielt es sich damals mit dem Volk Israel: Der HERR hatte es als Sein irdisches Volk auserwählt, um durch dieses Volk allen anderen Nationen sowohl Seine Güte als auch Seine Weisheit, Seine Gerechtigkeit etc. zu zeigen. Die Menschen sollten das Volk Israel beobachten und zum Schluss kommen, dass der Gott Israels ein wahrhaft guter, heiliger und gerechter Gott ist. Das sind die Früchte gewesen, die der HERR völlig zu Recht erwartet hat, denn schliesslich hatte Er für beste Bedingungen gesorgt:
Singen will ich von meinem Freund, das Lied meines Liebsten von seinem Weinberg: Einen Weinberg hatte mein Freund auf einem fetten Hügel. Und er grub ihn um und säuberte ihn von Steinen und bepflanzte ihn mit Edelreben. Er baute einen Turm in seine Mitte und hieb auch eine Kelterkufe darin aus. Dann hoffte er, dass er Trauben brachte. Doch er brachte schlechte Beeren. Und nun, Bewohner von Jerusalem und Männer von Juda, richtet doch zwischen mir und meinem Weinberg! Was war an meinem Weinberg noch zu tun, und ich hätte es nicht an ihm getan? Warum habe ich erwartet, dass er Trauben bringe, und er brachte schlechte Beeren? Jes 5,1–4
Was war noch zu tun? Der HERR hatte alles Denkbare getan. Man kann Ihm keinen Vorwurf dafür machen, dass der Weinberg Israel keine guten Früchte gebracht hat. Die Weinstöcke waren verdorben, mit ihnen stimmte etwas ganz Grundlegendes nicht. Viele hundert Jahre lang hatte der HERR Sich um diesen Weinberg gekümmert, aber es änderte sich nichts. Nun war die Axt an die Wurzel gelegt. Für Israel war der entscheidende Moment gekommen. Noch ein allerletztes Mal würde der HERR nach Frucht suchen, prüfen, wie sich Israel zu Seinem Sohn stellen würde. Hätten sie Ihn dankbar und mit der Ihm gebührenden Ehrerbietung empfangen, hätte der HERR weiter mit Israel gehandelt. Aber sie haben Ihn von Beginn weg verworfen, hatten keinen Platz für Ihn, kein Interesse an Ihm. In Mt 21,33–41 finden wir ein weiteres Gleichnis über einen Weinberg, das uns zeigt, dass Israel nicht einfach nur auf der ganzen Linie versagt hat, sondern dass es (bzw. seine religiösen Führer) in ausgesprochener Bosheit gehandelt hat. Das Matthäus-Evangelium zeigt uns in aller Deutlichkeit den letzten Test durch das Auftreten des Messias, die Reaktion Israels und das Abhauen des Baumes.
Wir müssen bedenken, dass das Volk Israel einen Beispielcharakter hat, dass der HERR an diesem Volk beispielhaft Sein Handeln mit den Menschen insgesamt gezeigt hat. Was in Bezug auf Israel gilt, gilt in der Übertragung für die ganze Menschheit. Der HERR hat eine wunderbare Erde geschaffen, auf dieser Erde ein kleines Paradies eingerichtet und den Menschen da hinein gesetzt. Der Mensch hatte alles, was er sich nur wünschen konnte. Würde er die erwartete Frucht des schlichten Gehorsams erbringen? Nein, er hat versagt! Aber damit nicht genug! Seit dem Sündenfall hat der HERR nichts unversucht gelassen, um die Menschen wieder zurecht zu bringen. Doch nie hat Er jene Frucht vorgefunden, die Er zu Recht erwartet hat. Der letzte Test für Israel war zugleich auch der letzte Test für die ganze Menschheit, für das Geschlecht des ersten Adam: Wie würde die Menschheit auf die grösste und herrlichste Offenbarung Gottes reagieren? Ach, sie haben Seinen Sohn der Liebe verworfen und gekreuzigt! Die Inschrift auf dem Kreuz war in drei Sprachen verfasst, nämlich in Hebräisch, Griechisch und Latein (Joh 19,20), was zeigt, dass sowohl die religiöse (hebräisch) als auch die gebildete (griechisch) und die politische (Latein) Führerschaft der Welt den HERRN verworfen hat. Das Kreuz zeigt, dass der Mensch Gott selbst dann, wenn Er Sich bis in die tiefsten Tiefen hinunter neigt, um den im kotigen Schlamm untergehenden Menschen zu retten, ins Angesicht speit. Das Kreuz zeigt die vollkommene Verdorbenheit der menschlichen Natur. Es hat ein für alle Mal klar gemacht, dass die Axt an das ganze Geschlecht Adams gelegt werden muss.
Vers 11
Ich zwar taufe euch mit Wasser zur Busse; der aber nach mir kommt, ist stärker als ich, dessen Sandalen zu tragen ich nicht würdig bin; er wird euch mit Heiligem Geist und Feuer taufen; Mt 3,11
Johannes der Täufer bezeugte von Beginn seines Dienstes weg klar und deutlich, dass er nicht der Messias, sondern dessen Vorbote oder Herold war. Obwohl er und der Herr Jesus insgesamt wohl nur wenig direkten persönlichen Kontakt pflegten, war ihre Beziehung von einer wunderbaren gegenseitigen Wertschätzung gekennzeichnet: Johannes sagte von sich, dass er nicht würdig sei, auch nur die Sandalen des Herrn Jesus zu tragen; der Herr Jesus sagte später: «Unter den von Frauen Geborenen ist kein Grösserer aufgestanden als Johannes der Täufer» (Mt 11,11).
Wenn wir schon von Johannes dem Täufer sprechen, dann müssen wir uns auch etwas näher mit der Taufe des Johannes beschäftigen, die er selbst in der vor uns liegenden Stelle erwähnt und in einen Kontrast setzt zu dem, was noch kommen sollte. Die Taufe des Johannes war nicht eine christliche Taufe! Alles, was typisch christlich ist, konnte sich erst nach der endgültigen Verherrlichung des Herrn Jesus – genauer: ab Pfingsten – entfalten. Wir lesen noch am Ende von Apg 1, wie die Jünger das Los geworfen haben, was so typisch jüdisch ist, wie etwas nur sein kann. Gleich in Apg 2 folgt die Erfüllung des Tages der Pfingsten und von da an lesen wir nichts mehr von Losen oder dergleichen. Die von Petrus in Apg 2 erwähnte Taufe ist die erste christliche Taufe, die je durchgeführt worden ist, obwohl es durchaus sein könnte, dass den Beteiligten das damals noch gar nicht wirklich bewusst gewesen ist. Johannes der Täufer taufte jedenfalls ausschliesslich Juden, um diese für die Ankunft des für Israel verheissenen Messias vorzubereiten. Mit jener Taufe, die in den Augen der religiösen Juden ein Anstoss war, wie wir bereits erwähnt haben, zeigten die Juden, dass sie Busse tun, von ihren verkehrten Wegen umkehren und sich reinigen wollten, um bereit zu sein für die Ankunft des Messias.
Natürlich ist die Kernbedeutung der Taufe zu allen Zeiten immer dieselbe gewesen, nämlich das Anzeigen eines Herrschaftswechsels respektive eine Trennung von einem System, zu dem man bisher gehört hatte, und der Beitritt zu einem neuen System. Mit der Taufe des Johannes trennten sich einzelne Juden vom etablierten Judentum, um sich gleichzeitig zu jenen zu gesellen, die – als Überrest aus Israel – den Messias erwarteten. Mit der christlichen Taufe trennten sich zunächst vor allem Juden komplett vom Judentum, um von nun an zum Christentum zu gehören. Später trennten sich dann auch Heiden von ihren bisherigen Bindungen, um sich auf die Seite des verworfenen Christus zu stellen. Wir müssen uns hier kurz halten; die lehrmässigen Ausführungen zur Taufe finden sich in den neutestamentlichen Briefen, insbesondere in Röm 6. Man tut jedenfalls gut daran, zwischen den verschiedenen Arten von Taufe zu unterscheiden, denn dadurch können Missverständnisse und Verwirrrung leicht vermieden werden.
Der nach Johannes dem Täufer kommende Messias sollte mit Feuer und Heiligem Geist taufen. Was bedeutet das? Wasser und Feuer sprechen, gerade dann, wenn sie gemeinsam erwähnt werden, von Gericht. Sehr anschaulich ist da beispielsweise die folgende Stelle: «Wenn du durchs Wasser gehst, ich bin bei dir, und durch Ströme, sie werden dich nicht überfluten. Wenn du durchs Feuer gehst, wirst du nicht versengt werden, und die Flamme wird dich nicht verbrennen» (Jes 43,2). Wasser wie auch Feuer reinigt von Verschmutzungen. Johannes taufte nur mit Wasser. Seine Taufe konnte lediglich ein äusserliches Symbol sein, einen Menschen äusserlich abwaschen. Sie konnte also keine Rettung bewirken. Was der Mensch wirklich benötigt, ist eine Reinigung im Innern. Diese erfolgt nicht durch Wasser, sondern durch Feuer. In der Bibel gibt es dazu ein sehr anschauliches Bild, nämlich den Sauerteig, wir können auch sagen Hefe. Gibt man Hefe in eine Mischung aus Mehl und Wasser, beginnt die Hefe, die Stärke im Mehl aufzuspalten und in Kohlendioxid und Alkohol umzuwandeln. Diesen Prozess kann man nicht mehr stoppen. Die Hefe macht immer weiter und weiter, bis alles völlig vergärt ist – und sie selbst abstirbt. So wirkt die in uns allen wohnende Sünde: Sie nimmt immer mehr Raum ein, produziert immer weiter Sünden und bringt uns letztlich um. Aber es gibt eine Möglichkeit, die Aktivität von Hefe bzw. Sauerteig zu stoppen: Man muss den Teig dem Feuer (der Hitze) aussetzen. Schiebt man den Teig rechtzeitig in den Ofen, kann man ihn «retten» und wenig später ein wohlschmeckendes Brot aus dem Ofen ziehen. Nur die kleineren und grösseren Blasen im Brotteig erinnern dann noch daran, dass da einmal Sauerteig am Werk gewesen ist. Wenn wir nun ganz kurz einen Blick auf die Anordnungen zum Pfingstfest, das eines der sieben grossen jüdischen Feste gewesen ist, werfen, stellen wir mit Verwunderung fest, dass dort zwei gesäuerte Brote vor dem HERRN dargestellt werden sollten (3.Mose 23,17). Zu keiner anderen Gelegenheit durften dem HERRN gesäuerte Brote dargebracht werden! Die Brote mussten immer ungesäuert sein. Wieso diese grosse Ausnahme? Das erklärt Apg 2, wo ausdrücklich die Erfüllung des Tages der Pfingsten beschrieben wird: Da waren einige Jünger in einem Raum beisammen, in denen nach wie vor die Sünde wirkte, treue Juden, aber eben immer noch Sünder. Aber dann kam der Heilige Geist auf sie herab! Und wie geschah das? «Und es erschienen ihnen zerteilte Zungen wie von Feuer, und sie setzten sich auf jeden Einzelnen von ihnen» (Apg 2,3). Feuer! Durch den Heiligen Geist wurden diese «gesäuerten Brote» gebacken, damit man sie anschliessend als geheiligt dem HERRN darstellen konnte! Das war die sogenannte Geistestaufe, mit der damals zum ersten Mal Menschen zum Leib Christi, zur ekklesia (die Herausgerufene; die Gemeinde oder Versammlung), hinzugefügt wurden. So erfüllte sich also, was Johannes der Täufer angekündigt hatte: Der Herr Jesus hat diesen ganz besonderen Segenskanal eröffnet, damit Menschen in Feuer und Heiligem Geist getauft werden konnten.
Vers 12
seine Worfschaufel ist in seiner Hand, und er wird seine Tenne durch und durch reinigen und seinen Weizen in die Scheune sammeln, die Spreu aber wird er mit unauslöschlichem Feuer verbrennen. Mt 3,12
Die Predigt von Johannes dem Täufer schliesst mit einem anschaulichen Vergleich: Bei der Weizenernte müssen die wertvollen Weizenkörner von der wertlosen Spreu getrennt werden. Das geschah damals auf den Tennen. Das sind Plätze, wo ständig ein Wind geht. Mit einer speziellen Schaufel, der Worfschaufel, worfelte man die geernteten Ähren, was bedeutet, dass man sie in die Luft warf. Der Wind trug die wertlose Spreu davon; die schweren Weizenkörner fielen dagegen gerade wieder nach unten. Das Volk Israel wurde von Johannes mit gesammelten Ähren verglichen, die auf der Tenne liegen. Der Messias wird kommen; die Worfschaufel ist bereits in seiner Hand. Er selbst wird zwischen Spreu und Weizen trennen. Der Weizen wird in die Scheune gesammelt, was bedeutet, dass die wahren Gläubigen in Israel – leider nur ein kleiner Überrest! – in die Herrlichkeit des Tausendjährigen Reiches eingehen wird. Die Spreu, also jene Israeliten, die keine echte Glaubensbeziehung zu Gott haben, werden nicht nur den Segen des Tausendjährigen Reiches verpassen, sondern in der ewigen Qual der Hölle landen, wovon das unauslöschliche Feuer spricht. Wie ernst ist das! In der Übertragung gilt das auch für die Christenheit als Ganzes, die sich zusammensetzt aus einem kleinen Kern von echten Gläubigen und einem weitaus grösseren Teil von solchen, die nur dem Namen nach Christen sind. Der Moment wird kommen, wo der HERR die wahren Gläubigen zu Sich nehmen wird; für die übrigen ist das unauslöschliche Feuer vorgesehen.
Vers 13
Dann kommt Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, um sich von ihm taufen zu lassen. Mt 3,13
Wer waren die Menschen, die zu Johannes gingen, um sich von ihm taufen zu lassen? Und weshalb wollten sich diese Menschen taufen lassen? Es waren Sünder, Zöllner und Huren, die mit ihren Sünden brechen und das durch die Taufe öffentlich zeigen wollen. Aus der Sicht der religiösen Juden war es der Abschaum von Israel, der sich da im Jordan taufen liess. Eines Tages mischte sich der Herr Jesus unter diese Menge. Noch war Er nicht öffentlich aufgetreten. Das natürliche Auge konnte keinen Unterschied zwischen Ihm und den übrigen Täuflingen erkennen. Aus der geistlichen Sicht war es aber etwas Ungeheuerliches, was da geschah: Er sollte zusammen mit Sündern getauft werden? Unmöglich! Wir werden in den folgenden Versen sehen, dass Johannes der Täufer geistliche Einsicht besass und entsprechend reagierte.
Vers 14
Johannes aber wollte es nicht zulassen und sagte zu ihm: Ich müsste von dir getauft werden und du kommst zu mir? Mt 3,14
Diese Worte von Johannes zeigen deutlich, dass die Taufe ein Ausdruck der Busse war, dass also Sünder kamen, um von ihren verkehrten Wegen umzukehren und das öffentlich zu bekennen. Denn Johannes wusste, dass der Herr Jesus absolut sündlos war und deshalb keinesfalls eine Taufe nötig hatte; er wusste auch, dass er – trotz seines aussergewöhnlichen und heiligen Lebens von Kindheit an – ein Sünder war, der die göttliche Vergebung nötig hatte. Wenn schon, dann hätte der Herr Jesus ihn taufen müssen, nicht umgekehrt!
Vers 15
Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt so sein! Denn so gehört es sich für uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da lässt er ihn. Mt 3,15
Schon bei dieser Gelegenheit zeigte der Herr Jesus ganz klar, dass Er Sich nur von einem Grundsatz leiten liess, den wir so schön ausgedrückt in Hebr 10,7 finden: «Da sprach ich: Siehe, ich komme – in der Buchrolle steht von mir geschrieben –, um deinen Willen, o Gott, zu tun». Der Vater hatte Ihm aufgetragen, Sich taufen zu lassen, also liess Er Sich taufen. Nichts und niemand konnte Ihn davon abhalten, weder die heilige Scheu von Johannes dem Täufer noch die lästerlichen Gedanken der Beobachtenden, die Ihn zu Unrecht als einen Sünder aburteilten, als hätte Er wie die andern Sünder eine Taufe «nötig». Auch Johannes der Täufer zeichnete sich durch einen schönen Gehorsam aus: Kaum hatte Er den Befehl des HERRN erhalten, war er bereit, seine Vorurteile beiseite zu legen und zu tun, was Ihm aufgetragen worden war. Zeichnet uns dieselbe Bereitschaft aus, den Willen des HERRN ohne Einschränkungen zu tun?
Aber wieso sollte der Herr Jesus überhaupt getauft werden? Er hatte doch nun wirklich – als Einziger! – weder Busse noch Taufe nötig! Seine Taufe war kein öffentliches Bekenntnis über eine Busse, die Er getan hätte, sondern vielmehr eine gnädige Herablassung, ein Zeichen, dass Er Sich bedingungslos auf die Seite derer stellte, die bereit waren, ihre Schuld vor Gott (auch öffentlich) zu bekennen. In den Kommentaren wird oft vom «Überrest Israels» gesprochen. Damit ist Folgendes gemeint: Gott hat Israel als ganze Nation auserwählt, um mit diesem Volk besondere Wege zu gehen. Jeder Israelit, der je geboren worden ist, gehört zu dieser auserwählten Nation, aber das bedeutet nicht, dass er selbst ganz persönlich «automatisch» von Geburt an zum ewigen Leben bestimmt wäre. Solche Gedanken sind leider gerade bei uns noch oft verbreitet, denn nicht wenige Leute denken, wenn ein Mensch nach seiner Geburt «christlich» getauft wird, sei bereits der entscheidende Schritt zu seiner Rettung getan; der weitere Lebenslauf sei dann nur noch dafür entscheidend, ob respektive wie lange ein solcher Mensch eine allfällige Schuld im («reinigenden») «Fegefeuer» abtragen müsse, bevor er definitiv in die ewige Herrlichkeit eingehe. Die Bibel lehrt dagegen ganz klar, dass niemand je von Geburt an das ewige Leben «in der Tasche» gehabt hat! In Israel gab und gibt es also Menschen, die zwar zum Volk Gottes gehören, aber keine echte Glaubensbeziehung zu Gott und deshalb auch kein ewiges Leben haben, sondern auf ewig verloren gehen werden, und es gab und gibt Menschen, die im Lauf ihres Lebens zum lebendigen Glauben an Gott gekommen und damit errettet worden sind. Diese (wenigen) treuen, gläubigen Israeliten machen nur einen Bruchteil des gesamten Volkes aus, aber sie sind es, die am Ende dieses Zeitalters übrig bleiben und in das Friedensreich des Messias eingehen werden, während die übrigen, gottlosen Israeliten in der Grossen Drangsal ums Leben kommen werden (vgl. Sach 13,8). Sie werden also den «Überrest» aus Israel bilden, der den Messias Jesus bei Seiner Wiederkunft begrüssen wird. So ähnlich wird es auch mit der Christenheit sein, denn diese umfasst nicht nur die echten Christen, die eine lebendige Glaubensbeziehung zu Gott haben, sondern auch – nicht zu diesem himmlischen Volk gehörende – Menschen, die sich Christen nennen, es aber nicht sind. Diesen wird ihr christlicher «Anstrich» später einmal nichts nützen, sondern er wird ihnen im Gegenteil eher noch zum Verhängnis werden, weil sie sich etwas angemasst haben, ohne es wirklich zu sein. Jeder, der irgendwie mit dem christlichen Glauben liebäugelt oder etwas religiös ist, sollte sich daher ernsthaft fragen, zu welchem Teil der Christenheit er gehört: Hast Du neues Leben aus Gott empfangen? Ruht Dein Vertrauen allein auf Jesus Christus oder auch (zumindest teilweise) auf Deinen eigenen Verdiensten? Hast Du Busse getan, vor Gott Deine Schuld bekannt, sie bereut und Dein Leben geändert? Oder ist die Religion bzw. der christliche Glaube einfach ein «netter» Zusatz in Deinem Leben? Das sind ernste Fragen, die man nicht leichtfertig beantworten sollte!
Der Herr Jesus machte Sich durch die Taufe eins mit dem Überrest Israels. Er stellte Sich völlig auf ihre Seite, identifizierte Sich mit ihnen. Das ist eine gewaltige, gnädige Herablassung! Diese Identifikation finden wir auch in den Psalmen; sie ist sogar ein wichtiger Schlüssel für das richtige Verständnis der Psalmen. Beispielhaft sei hier der Psalm 41 angeführt:
Ich sprach: HERR, sei mir gnädig! Heile meine Seele, denn ich habe gegen dich gesündigt. Meine Feinde reden Böses gegen mich: »Wann wird er sterben und sein Name verloren gehen?« Und wenn einer kommt, um mich zu sehen, redet Falsches sein Herz, er sammelt sich Schlechtes; er geht hinaus, draussen sagt er es. Vereint gegen mich flüstern all meine Hasser; gegen mich ersinnen sie mir Böses: »Verderben ist über ihn ausgegossen; und der da liegt, wird nicht wieder aufstehen.« Selbst mein Freund, auf den ich vertraute, der mein Brot ass, hat die Ferse gegen mich erhoben. Du aber, HERR, sei mir gnädig und richte mich auf, dass ich es ihnen vergelte! Daran erkenne ich, dass du Gefallen an mir hast, dass mein Feind nicht über mich jauchzt. Ps 41,5–12
Spricht hier der Messias oder der Überrest? Es muss der Überrest sein, denn der Messias könnte unmöglich sagen: «denn ich habe gegen dich gesündigt» (Ps 41,5)! Praktisch alles, was in diesen Versen steht, ist passend für Worte, die gläubige Israeliten sprechen könnten – ausser Vers 10, wo ganz eindeutig der Verrat von Judas Iskariot erwähnt wird. Der Herr Jesus selbst hat das bestätigt, indem Er diesen Vers zitiert und auf Sich bezogen hat: «Ich rede nicht von euch allen, ich weiss, welche ich erwählt habe; aber damit die Schrift erfüllt wird: Der mit mir das Brot isst, hat seine Ferse gegen mich aufgehoben» (Joh 13,8). Ja, dann spricht der Psalm 41 doch nicht vom Überrest, sondern vom Messias? Nein! Beides ist darin enthalten! Es sind die Worte des Überrestes, aber der Messias stimmt gewissermassen – aus eigener schmerzlicher Erfahrung; o, welch Gnade! – in den Schmerzgesang ein, um zu zeigen, dass Er völlig mitfühlen kann und auch völlig mitfühlt, dass ihre Schmerzen auch Seine Schmerzen sind, dass Er an ihrer Seite steht. «In all ihrer Bedrängnis war er bedrängt» (Jes 63,9) – wer kann das fassen?
Vers 16
Und als Jesus getauft war, stieg er sogleich aus dem Wasser herauf; und siehe, die Himmel wurden ihm geöffnet, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und auf sich kommen. Mt 3,16
Der Herr Jesus liess Sich herab, Sich eins zu machen mit dem Überrest aus Israel, aber die Himmel konnten unmöglich schweigen und zulassen, dass bei den Menschen der falsche Eindruck entstand, Er sei auch ein Sünder wie die anderen, die sich hatten taufen lassen. Also wurden Ihm die Himmel geöffnet und der Geist Gottes kam sichtbar in der Form einer Taube auf Ihn. Die Taube ist ein reiner Vogel, also koscher nach dem Gesetz, und ihre Erscheinung ist ein Sinnbild für Reinheit und Frieden. Als der Heilige Geist später, am Tag der Pfingsten, auf die Jünger kam, kam Er in der Form von Feuerflammen (Apg 2,3), denn Er konnte nicht Wohnung in den Jüngern nehmen, ohne die in ihnen wohnende Sünde zu richten. Es wäre unpassend gewesen, wenn Er in der Form einer Taube auf die Jünger gekommen wäre, denn wenn der Heilige Geist in einem Menschen Wohnung nimmt, dann kehrt nicht Frieden ein, sondern Krieg. Von diesem Tag an beginnt der Kampf zwischen Fleisch und Geist im Gläubigen (vgl. Gal 5,17). Genauso unpassend wäre es aber gewesen, wenn der Heilige Geist in der Form von Feuer auf den Herrn Jesus gekommen wäre, denn bei Ihm war alles in völliger Übereinstimmung mit Gottes Wesen; da gab es gar nichts «aufzuräumen» respektive zu verbrennen!
Vers 17
Und siehe, eine Stimme kommt aus den Himmeln, welche spricht: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe. Mt 3,17
Während der Heilige Geist wie eine Taube auf den Herrn Jesus kam, erging eine Stimme aus dem Himmel: Der Vater bezeugte allen Umstehenden, dass dies Sein Sohn war, Sein geliebter Sohn, an dem Er Wohlgefallen gefunden habe. So eiferten sowohl der Geist als auch der Vater für die Ehre des Sohnes. Niemand sollte denken, hier lasse sich ein weiterer Sünder taufen! Der ganze öffentliche Dienst des Herrn Jesus, der einen Zeitraum von etwa dreieinhalb Jahren umfasste, war gewissermassen eingerahmt in dieses Zeugnis, denn bevor Er begann öffentlich zu wirken, erging dieses Wort aus dem Himmel, wie es der vor uns liegende Vers zeigt, und unmittelbar, bevor Er nach Jerusalem ging, wo Er nach wenigen Tagen gekreuzigt wurde, erging nochmals dasselbe Wort, und zwar auf dem sogenannten Berg der Verklärung (vgl. Mt 17,5).
Ein zweiter Punkt muss hier noch erwähnt werden. Leider gibt es viele Menschen, die die Dreieinheit Gottes anzweifeln. Als Argument bringen sie oft vor, dass dieser Ausdruck nirgends in der Bibel vorkomme. Das stimmt zwar; den Ausdruck «Dreieinheit» sucht man in der Bibel vergeblich. Aber die Bibel bezeugt das Ding an sich ganz klar. Beispielhaft seien hier nur je ein Vers aus dem Alten und aus dem Neuen Testament angeführt, die klar und deutlich bezeugen, dass es nur einen Gott gibt: «Höre, Israel: Der HERR, unser Gott, ist ein HERR!» (5.Mose 6,4); «denn Gott ist einer, und einer ist Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Christus Jesus» (1.Tim 2,5). Und doch haben wir hier in Mt 3,16.17 drei Personen vor uns, nämlich den Vater in den Himmeln, den Sohn Gottes und den Heiligen Geist. Die Bibel spricht also einerseits von einer einzigen Gottheit und andererseits von drei Personen innerhalb dieser Gottheit. Das ist nichts anderes als das, was wir die Dreieinheit (oder etwas altertümlicher: die Dreifaltigkeit) Gottes nennen.