Matthäus 4
Vers 1
Dann wurde Jesus von dem Geist in die Wüste hinaufgeführt, um von dem Teufel versucht zu werden; Mt 4,1
Was für den oberflächlichen Leser eine blosse Einführung in ein neues Thema zu sein scheint, erschliesst dem eifrigen Bibelforscher mehrere kostbare Wahrheiten: Der Herr Jesus war gerade mit dem Heiligen Geist «gesalbt» worden. Von Mutterleib an war Er der Heilige, Derjenige, der vom Heiligen Geist gezeugt worden war, aber bei der Taufe kam der Heilige Geist zusätzlich noch auf Ihn. Ein schönes Bild davon bietet uns das Speisopfer, das aus einem Teig entstand, der Öl enthielt und zusätzlich mit Öl bestrichen wurde. Das Kommen des Heiligen Geistes auf den Herrn Jesus läutete den öffentlichen Dienst ein, der, wie wir hier lesen, ganz entscheidend davon geprägt war, dass der Herr Jesus Sich vom Heiligen Geist leiten liess. Wenn wir uns mit dem Leben des Herrn beschäftigen, stellen wir fest, dass Er zwar alle Gebote des Gesetzes für Israel einhielt, dass dies aber nie die Richtlinie für Sein Leben gewesen ist. Nein, Er liess sich nicht von Regeln, sondern vom Heiligen Geist leiten! Wohin Er ging, was Er tat, was Er sagte, was Er dachte, sogar was Er fühlte, war alles geleitet vom Heiligen Geist. Und weil der Geist auch der Gesetzgeber war, gehörte die Erfüllung des Gesetzes wie selbstverständlich dazu, ohne dass diesem Punkt eine besondere Beachtung hätte geschenkt werden müssen. So sollte es auch in unserem Leben sein. Wir sollten geleitet sein vom Heiligen Geist und nicht von irgendwelchen Regeln.
Der Geist führte den Herrn Jesus erstaunlicherweise nicht in die nächste Stadt, sondern in die Wüste. Der Herr Jesus stand kurz davor, Seinen öffentlichen Dienst zu beginnen, aber Gott lässt Seine Diener nicht öffentlich auftreten, bevor Er sie im Verborgenen zubereitet und geprüft hat. Paulus war beispielsweise sofort nach seiner Bekehrung fähig, beeindruckende Predigten zu halten. Kein Wunder! Man darf durchaus annehmen, dass er als übereifriger Pharisäer mehr oder weniger das ganze Alte Testament auswendig kannte. Zudem war er der einzige Apostel, der den Herrn Jesus nicht auf der Erde, sondern im Himmel gesehen hatte, was bedeutet, dass er von Beginn weg eine ganz besondere Offenbarung erhalten hatte, die seinen ganzen späteren Dienst massgebend prägen sollte. Und dennoch verschwand er zuerst einmal für ganze drei Jahre «in der Versenkung». Drei Jahre hielt er sich in der Wüste von Arabien auf. Erst dann kehrte er zurück, um seinen öffentlichen Dienst zu beginnen. Beim Herrn Jesus war es natürlich anders, weil Er keine Belehrung in der Stille benötigte. Die Wüste war nur dazu da, Ihn zu erproben.
Nun mag man sich fragen, weshalb hier die Rede von einer Erprobung durch Gott ist, denn es heisst in Mt 4,1 ja nicht, dass der Herr Jesus in der Wüste von Gott erprobt werden sollte, sondern vielmehr, dass Er dort vom Teufel versucht werden sollte. Das geht eben beides Hand in Hand. Der Teufel setzte von Beginn weg alles daran, die grosse Mission des Herrn zu vereiteln, Ihn zu Fall zu bringen und Gott zu beschämen. Reine Bosheit und vollendeter Hass auf seinen Schöpfer trieben ihn an. Aber genau das machte ihn für Gott so berechenbar. Der Herr konnte ihn problemlos für Seine eigenen Zwecke «missbrauchen», um die Vortrefflichkeit des Sohnes zur Schau zu stellen. Denken wir einmal an Hiob! In den beiden ersten Kapiteln des Buches Hiob ist es Gott der Herr, der den Mann Hiob gegenüber dem Satan zur Sprache bringt! Natürlich wusste Er genau, was Er damit beim Teufel auslösen würde. Und tatsächlich: Sofort wollte der Satan dieses Zeugnis kaputt machen! Der Herr liess es zu. Der Satan führte Böses im Schild, aber der Herr benutzte das, um (unter anderem) aller Welt zu beweisen, wie tief und unerschütterlich der Glaube Hiobs gewesen ist. Wider Willen führte der Satan also nichts weiter als einen Botenauftrag für den Herrn aus. So war es auch bei der Versuchung des Herrn Jesus in der Wüste.
Vers 2
und als er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn danach. Mt 4,2
Der Herr Jesus wurde nicht sofort, kaum war Er in der Wüste angekommen, vom Teufel versucht. Es war zwar alles bereit für die Erprobung, aber der Teufel wartete zuerst einmal zu. Er hat Zeit. Das sollten wir unbedingt im Hinterkopf behalten! Denn auch in Bezug auf uns wartet er oft zu, bis die perfekte Gelegenheit kommt, bis er uns ganz sicher in die Falle tappen lassen kann. Erst wenn er in Kürze aus dem Himmel geworfen sein wird, wird er die Fassung verlieren und in blindem Zorn wüten, weil er dann wissen wird, dass ihm nur noch wenig Zeit bleibt. Bis dahin sitzt er gewissermassen am längeren Hebel. Er kann zuwarten und gute Gelegenheiten abpassen. Wiegen wir uns deshalb nie in falscher Sicherheit!
Der Herr Jesus war vom Geist Gottes in die Wüste geführt worden. Dort leitete Ihn der Geist an, zu fasten, d.h. auf Nahrung zu verzichten und die Zeit dem Gebet zu widmen. In den Evangelien finden wir verschiedene Hinweise darauf, dass der Herr Jesus nicht einen Bissen zu Sich genommen hat, der Ihm nicht vom Vater gereicht worden wäre. Wenn er also 40 Tage und Nächte nichts essen sollte, dann ass Er 40 Tage und Nächte nichts. Aber Er war als Mensch in dieser Erprobung! Nach dieser langen Zeit hungerte Ihn. Und das war nun genau die Gelegenheit, die der Teufel abgewartet hatte, wie wir in den folgenden Versen sehen werden.
Nur noch ein Wort zur Szene: Wir haben hier gewissermassen den perfekten Gegensatz zur Versuchung im Garten Eden vor uns. Im Garten Eden wurde der erste Adam, der erste Mensch erprobt. Er war unschuldig und ihm fehlte es an gar nichts. Er hatte alles, was das Herz nur begehren konnte. Die Umstände waren ideal. Aber er fiel! Der letzte Adam, der zweite Mensch, Christus, befand sich auf dem Schauplatz der Sünde, in der Wüste und in einem Zustand völliger körperlicher Erschöpfung. Ihm fehlte das zum Überleben Notwendigste, nämlich jedwede Nahrung. Er war so ausgelaugt, wie ein Mensch nur ausgelaugt sein kann. Aber Er fiel nicht! Gott sei Dank! Gepriesen sei Sein Name in alle Ewigkeit!
Vers 3
Und der Versucher trat zu ihm hin und sprach: Wenn du Gottes Sohn bist, so sprich, dass diese Steine Brote werden! Mt 4,3
O, diese alte Schlange, dieser fiese Drache, dieser elende Versucher! Er ist ein Menschenmörder von Anfang an und der Vater der Lüge! Jedes Wort, das aus seinem Mund hervorgeht, zielt darauf ab, Gott schlecht zu machen und Menschen zu töten! Wie hat der alte Feind zugewartet, um den Menschen Jesus Christus in einer Seiner schwächsten Stunde – geschwächt von 40 Tagen Fasten – in die Falle zu führen! Sein Vorschlag, die erste Versuchung, war vermeintlich völlig harmlos: Der Herr Jesus sollte doch Steine zu Brot machen und essen. Was wäre schon dabei gewesen? War es nicht Sein gutes Recht, nach 40 Tagen und Nächten endlich etwas zu essen? Und wäre Brot so verkehrt gewesen? Das schlichteste Nahrungsmittel, das man sich denken kann? Aber doch sehen wir auch eine wahrhaft teuflische Gesinnung hinter diesem Vorschlag, denn der Satan reizte den Herrn Jesus zusätzlich, indem er ganz subtil Seine Gottheit in Frage stellte: «Bist Du wirklich der Sohn Gottes? Zeige es! Beweise es!» Teuflische, satanische Versuchung! Hatte es der Herr Jesus nötig, auch nur irgendjemandem zu beweisen, dass Er Gottes Sohn ist? Natürlich nicht! Er ist es – und der Vater weiss es, das ist alles, was zählt.
Vers 4
Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben: »Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jedem Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht.« Mt 4,4
Wie vollkommen ist der Herr! Er wollte selbst nach 40 Tagen voller Entbehrung nicht einen Bissen essen, der nicht aus der Hand des Vaters in den Himmeln kam! Er vertraute nicht zu 90% und auch nicht zu 99,9%, sondern zu 100% dem Vater – ja, Er hatte Sich als Mensch völlig auf den Vater geworfen! Wenn der Vater Ihm etwas gab – egal, was! –, nahm Er es als gut an; wenn der Vater Ihm etwas vorenthielt, nahm Er auch das als gut an. Wie steht es mit uns? Vertrauen wir Gott? Oder muss Er uns zum Beispiel jeden Seiner Schritte ganz genau in einer für uns verständlichen Weise erklären, damit wir Ihm (ein bisschen) vertrauen? Beten wir, dass Seine Absichten für uns zur vollen Entfaltung kommen, auf dass Er Sich selbst in unserem Leben verherrlichen kann, oder beten wir, dass Er doch dies und das für uns tun, diesen und jenen Umstand für uns ändern möge? Hätten wir in der Situation des Herrn Jesus gebetet, dass Er uns doch endlich Brot geben möchte, oder hätten wir geduldig auf Sein Eingreifen gewartet? Ach, wir weisen oft nur einen kleinen Glauben, ein unvollkommenes Vertrauen auf!
Als Gott der HERR hätte der Herr Jesus in jener Situation mit dem Teufel tun können, was Er wollte. Aber Er setzte Sich als Mensch dieser Erprobung aus. Er sei gepriesen! Denn dadurch können wir lernen, wie wir als (schwache) Menschen dem Teufel widerstehen können. Wir haben nur eine Waffe – und das ist nicht unser Verstand und auch nicht unsere Disziplin bzw. Willenskraft, sondern das Wort Gottes. Je besser wir das Wort Gottes, die Bibel, kennen, umso mehr Widerstand können wir bieten. Eva kannte das Wort Gottes nicht wirklich. Sie erkannte zwar, dass der Teufel das Gebot Gottes verdreht hatte, aber sie war nicht fähig, das göttliche Wort richtig wiederzugeben. In jenem Moment wusste der Teufel, dass er gewonnen hatte. Beim Herrn Jesus war es völlig anders: Er kannte das Wort Gottes nicht nur auswendig, sondern Er liebte etwas, es war Seine Lebensgrundlage! Deshalb zitierte Er auch diesen vielsagenden Vers aus dem fünften Buch Mose, wonach das wahre Leben nicht von Brot, sondern von jedem Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht, kommt. Haben wir diese Wertschätzung für jedes Wort der Bibel?
Vers 5
Darauf nimmt der Teufel ihn mit in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels Mt 4,5
Der Herr Jesus hatte als Mensch gerade einen gewaltigen Sieg über den Teufel errungen. Gab der Satan nun auf? Nein! Er änderte seine Strategie und startete gleich einen zweiten Angriff. So geht er auch gegen uns vor. Wenn wir einmal widerstanden haben, sollten wir uns nicht auf unserem Sieg ausruhen, sondern uns für den nächsten Angriff rüsten, der ganz anders daherkommen wird. Es gibt Christen, die in völliger Ruhe leben, weil sie kein «lohnendes» Angriffsziel für den Teufel sind. Sie leben wie die Welt, machen es sich bequem und kämpfen nicht den guten Kampf des Glaubens in den himmlischen Örtern. Solche Christen sind dem Teufel kein Dorn im Auge, sondern vielmehr eine willkommene (unfreiwillige) Unterstützung für seine bösen Absichten. Aber Christen, die im Gebet verharren, die das Wort Gottes hochhalten und sich vom HERRN gebrauchen lassen, sind dem Satan zuwider. Solche müssen mit ständigen Angriffen rechnen.
Es ist bezeichnend, dass Jerusalem hier die «heilige» Stadt genannt wird. Das war sie auch, denn Gott hatte sie Sich als Stätte für Seinen irdischen Tempel erwählt. Im Verlauf des Evangeliums und der weiteren Schriften des Neuen Testamentes wird sich die göttliche Beschreibung dieser besonderen Stadt aber grundlegend verändern. In Mt 23,37 wird Jerusalem als die Stadt bezeichnet, «die da tötet die Propheten und steinigt, die zu ihr gesandt sind». Im Folgevers spricht der Herr Jesus nicht über das Haus Seines Vaters, sondern über «euer Haus». Und in Offb 11,8 heisst es dann gar von «der grossen Stadt, die, geistlich gesprochen, Sodom und Ägypten heisst, wo auch ihr Herr gekreuzigt wurde». Aber noch hatte Jerusalem den Messias nicht verworfen, noch war es die heilige Stadt Gottes mit dem Tempel, auf dessen Zinne der Satan nun den Herrn stellte. Beachten wir auch die Demut des Herrn Jesus, der Sich vom Teufel mitnehmen liess, wohin dieser ihn führen wollte!
Vers 6
und spricht zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so wirf dich hinab! Denn es steht geschrieben: »Er wird seinen Engeln über dir befehlen, und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du nicht etwa deinen Fuss an einen Stein stösst.« Mt 4,6
Diese Versuchung war doppelt perfide: Offenbar waren die Juden in den Jahrhunderten davor auf die Idee gekommen, der Messias werde sich dadurch zu erkennen geben, dass Er Sich von der Zinne des Tempels werfe und den Sturz unbeschadet überstehe. Diese Idee hat zwar keinerlei Grundlage in der Heiligen Schrift, aber doch wäre das genau die Tat gewesen, die dem «Geschmack» des Publikums am besten entsprochen hätte. Wäre der Herr Jesus der Messias nach dem Gusto des Volkes gewesen, hätte Er vielleicht dieses «Wunder» vollbracht, aber – Gott sei Lob und Dank! – Er war der Messias nach dem Herzen Gottes. Er war vielleicht nicht das, was wir uns gewünscht oder vorgestellt haben, aber Er war das, was wir brauchten. Die zweite Gemeinheit war das Zitat aus Psalm 91. Der Teufel kann sich sehr fromm stellen. Wir haben vielleicht die Vorstellung, dass er Kirchen meide, dass er mit Weihwasser vertrieben werden könne etc. Tatsache ist aber, dass er Religion liebt. Religion ist seine Erfindung, denn Religion ist nichts anderes als ein untauglicher Gegenentwurf zum rettenden Glauben. Religion gibt vor, den Menschen zu Gott und zum Heil zu führen, während sie ihn in Wirklichkeit davon abhält. Religion ist eine der gemeinsten und wirkungsvollsten Erfindungen des Teufels. Und das alles gilt leider auch für die christliche Religion, denn es gibt so etwas wie ein Christentum ohne Christus. Der christliche Glaube ist: Man ergreift im Vertrauen auf Gottes Wort das einzige Rettungsseil, das von Gott in Gnade zugeworfen wird; man lässt sich von Gott retten. Christliche Religion sieht ähnlich aus, ist aber etwas ganz anderes: Die Menschen halten sich an gewisse Regeln, befolgen Rituale und versuchen so, sich selbst zu retten. Meidet der Teufel das Weihwasser? Natürlich nicht! Es ist nur Wasser! Man kann nicht Dinge beseelen, weihen oder mit Superkräften ausstatten! Aber was der Teufel wirklich meidet, was ihm echt zuwider ist, das ist die Verkündigung des reinen Wortes Gottes in der Kraft des Heiligen Geistes, die Predigt, die Jesus Christus in den Mittelpunkt stellt und den Zuhörern gross macht! Doch wo findet man so etwas heutzutage noch?
Beim etwas weiter vorne gezogenen Vergleich mit der Versuchung Evas im Garten wurde bereits erwähnt, dass der Teufel das Wort Gottes verdreht. Damals im Garten Eden hatte er unterstellt, Gott hätte alle Früchte verboten. Hier unterstellte er, Gott hätte in Seinem Wort verheissen, sogar willentliche Stürze in den Tod zu verhindern. Schlägt man die Stelle nach, so stellt man fest, dass der Teufel auch damals falsch zitiert hat, denn es heisst in Psalm 91: «Denn er bietet seine Engel für dich auf, dich zu bewahren auf allen deinen Wegen. Auf den Händen tragen sie dich, damit du deinen Fuss nicht an einen Stein stösst» (Ps 91,11.12). Die zitierte Verheissung gilt für die Wege, auf denen der Messias gehen sollte, nicht für mutwillige Flugversuche! Anders als bei Eva nahm das Wort Gottes – jedes Strichlein davon! – im Herzen des Herrn Jesus einen grossen Raum ein. Er kannte es wie kein Zweiter, Er liebte es wie kein Zweiter – Er konnte nicht irregeführt werden. Wenn auch wir dem Teufel widerstehen wollen, dann reicht es nicht, das Wort Gottes ungefähr ein bisschen zu kennen. Wir müssen genau wissen, was darin steht, und wir müssen vor allem eine echte Liebe zu allem haben, was Gott gesagt hat.
Vers 7
Jesus sprach zu ihm: Wiederum steht geschrieben: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.« Mt 4,7
Der Herr Jesus liess Sich gar nicht gross auf eine Diskussion mit dem Satan ein. Er hielt ihm keinen Vortrag darüber, was wirklich in Psalm 91 steht, sondern konterte in aller Schlichtheit mit einem anderen Vers, der den wahren Punkt der Diskussion traf. Der Satan wollte ihn verführen, Gott herauszufordern, etwas Unsinniges zu tun und sich dann durch ein göttliches Eingreifen retten zu lassen. Das wäre aber ein ganz krasser Missbrauch der Verheissung in Psalm 91 gewesen. Der Vater hatte dem Sohn, hat aber auch uns gewisse Verheissungen gegeben, einen gewissen Schutz versprochen. Diese Verheissungen sollen uns Trost, Zuversicht und Frieden spenden. Wenn die ganze Welt gegen uns tobt, sollen wir uns fest und sicher in der Hand Gottes wissen. Der bekannte Erweckungsprediger Whitefield soll einmal, nachdem ihn ein wütender Mob auf eine Predigt hin hatte mitten auf der Strasse umbringen wollen, in sein Tagebuch geschrieben haben, es sei fast unglaublich, wie unsterblich die Auserwählten seien, solange Gott sie noch nicht abberufen wolle. Das trifft es auf den Punkt. Die Verheissungen Gottes sollen uns also anspornen, unsere Verantwortung in unserem Leben wahrzunehmen, denn nur weil Gott uns Seinen Schutz verheissen hat, können wir überhaupt die Zuversicht haben, dass unsere Anstrengungen von Erfolg gekrönt sein werden! Missbrauchen wir die Verheissungen, um unsere Verantwortung von uns zu werfen, die Zügel schleifen zu lassen und Gott herauszufordern, werden wir bald zu spüren bekommen, dass Er treu und gerecht ist, dass Er immer gemäss Seinem Wesen handelt und dass Er Sich nicht spotten lässt. Der Herr Jesus wusste das nur zu gut, weshalb es für Ihn auf keinen Fall in Frage kam, Sich auf die «Mutprobe» des Teufels einzulassen. Ja, Er musste niemandem etwas beweisen! Wie wunderbar! Auch wir würden ruhiger und gottgemässer leben, wenn wir aufhören würden, ständig um unseren Ruf bei Menschen besorgt zu sein.
Vers 8
Wiederum nimmt der Teufel ihn mit auf einen sehr hohen Berg und zeigt ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit Mt 4,8
Die zweite Versuchung des Herrn Jesus war gescheitert, der Teufel setzte sogleich ein drittes Mal an. Wie willig liess der Mensch gewordene HERR der Herrlichkeit Sich von der alten Schlange, dem Drachen, dem Teufel, hierhin und dorthin führen! Was für eine Herablassung, was für eine Demut! Der «sehr hohe Berg», auf den Er Sich nun führen liess, steht wohl stellvertretend für einen himmlischen Ort, denn es gibt keinen Berg, von dem aus man alle Königreiche des Kosmos (ganz wörtlich übersetzt) sehen könnte. Wie dem auch sei, dem Herrn Jesus wurde auf einen Blick alles gezeigt, wonach ein Mensch begehren könnte, nämlich alle Königreiche in ihrer ganzen Pracht, von ihrer herrlichsten Seite gezeigt. Wie viele Menschen hat es in der Geschichte dieser Welt gegeben, die alles gegeben hätten, um nur einen Teil davon besitzen zu können!
Wir haben übrigens in den drei Versuchungen eine Parallele zur Versuchung von Eva im Garten Eden und eine Parallele zu 1.Joh 2,16 vor uns, wo es heisst: «Denn alles, was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches und die Begierde der Augen und der Hochmut des Lebens, ist nicht vom Vater, sondern ist von der Welt». Das sind die drei grossen Schwachpunkte, die wir haben:
- Die Lust des Fleisches = der Wunsch, etwas zu haben;
- die Lust der Augen = der Wunsch, etwas zu sehen;
- der Hochmut des Lebens = der Wunsch, etwas zu sein.
Im Garten Eden sah Eva den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, sie betrachtete die Früchte, sah, wie schön sie aussahen, und das fesselte ihren Blick. Ihre Augen konnten sich gar nicht satt sehen. Das war die Lust der Augen, die Begierde der Augen, der falsche Blick, der falsche Begehrlichkeiten weckte. Aber da war noch mehr! Sie hörte auf die Stimme der Schlange, die ihr zuflüsterte, sie werde sein wie Gott, erkennend Gutes und Böses. Der Hochmut des Lebens ergriff von ihr Besitz! Sie wollte so sein wie Gott. Dann sahen die Früchte auch noch so lecker aus, so köstlich, dass sie sie unbedingt haben wollte – die Lust des Fleisches. Der dreifache Angriff war zu viel für Eva. Sie fiel in Sünde. Beim Herrn Jesus hatte die dreifache Strategie des Teufels dagegen keinen Erfolg. Obwohl Er alle Königreiche des Kosmos und ihre Herrlichkeit sah (die Lust der Augen), obwohl Ihn so sehr hungerte und Er diesen Hunger ganz einfach hätte stillen können (die Lust des Fleisches) und obwohl Er mit einem Bibelwort gereizt wurde, allen Juden nach deren Gusto zu beweisen, dass Er der Messias war (der Hochmut des Lebens), blieb Er Seinem Gott und Vater treu. Wie erhaben ist Er als Mensch auf dieser Erde gewesen!
Vers 9
und sprach zu ihm: Dies alles will ich dir geben, wenn du niederfallen und mich anbeten willst. Mt 4,9
Der Herr Jesus war und ist der Erbe aller Dinge. Wie konnte der Teufel Ihm alle Königreiche des Kosmos anbieten? Die Antwort auf diese Frage ist beschämend – für uns! Nachdem Gott der HERR alles erschaffen hatte, vertraute Er die Schöpfung Adam und damit dem Menschengeschlecht an. Adam wurde gewissermassen zum Fürsten oder anders gesagt zum Verwalter der Schöpfung eingesetzt. Das konnte er aber nur in Abhängigkeit von Gott sein, denn seine Autorität über die Schöpfung war eine von Gottes Autorität abgeleitete. Als er auf den Teufel hörte und in Sünde fiel, verlor er seine erhabene Stellung; zugleich unterwarf er sich gewissermassen dem Teufel, denn er vertraute ihm ja in jenem Moment mehr als Gott. Dem Teufel ist es dadurch gelungen, sich zwischen Gott und das Menschengeschlecht zu zwängen. Gott liess es zu, um die Menschen fühlen zu lassen, ob es besser sei, Ihm zu dienen oder dem Teufel zu dienen. So wurde der Teufel zum Fürst (Joh 12,31) und zum Gott (2.Kor 4,4) dieser Welt. Für eine bestimmte Zeit kann er effektiv über alles verfügen und beispielsweise die Herrschaft über ein Land geben, wem er will. Daher konnte er auch dem Herrn Jesus alle Königreiche des Kosmos anbieten. In der Parallelstelle (Lk 4,5) sind es alle Königreiche der oikumene, das heisst des bewohnten Festlandes respektive des Römischen Imperiums, was ein Hinweis darauf ist, dass der Satan damals (durch den Kaiser) über das Römische Imperium regiert hat, wie er früher schon über Babel (vgl. Jes 14) und über Tyrus (vgl. Hes 28) regiert hatte. Der Herr Jesus hätte «nur» vor ihm niederfallen und ihn anbeten müssen. O, wie viele Menschen haben sich schon auf diesen Kuhhandel eingelassen! Sie alle wurden vom Satan betrogen, denn er ist ein Lügner, ja der Vater der Lüge, und ein Menschenmörder von Anfang an! Für eine kurze, hohle Zeit des Erfolgs haben diese Menschen ihre Seelen verkauft und viel zu teuer bezahlt!
Vers 10
Da spricht Jesus zu ihm: Geh hinweg, Satan! Denn es steht geschrieben: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen.« Mt 4,10
Unser geliebter Herr Jesus Christus war taub für die Verlockungen des Teufels. Der Satan mochte anbieten, was er wollte, die Bedingung, die er stellte, war für den Herrn Jesus unverhandelbar. Niemals würde Er Seine Knie vor jemand anders als vor Gott beugen! Wie bewundernswert ist Seine Treue zum Vater in den Himmeln! Vielleicht denken wir, dass dies die einfachste Prüfung gewesen sei, denn selbst wir würden ja niemals Götzen oder gar den Teufel anbeten … Aber ist es nicht bezeichnend, dass der Apostel Johannes seinen ersten Brief mit den folgenden Worten schliesst? «Kinder, hütet euch vor den Götzen!» (1.Joh 5,21). Weshalb diese Warnung, wenn wir gar nicht in der Gefahr stehen, Götzen anzubeten? Was ist denn überhaupt ein Götze? In der allgemeinsten Weise ausgedrückt ist ein Götze etwas, das unsere Zuneigungen gefangen nimmt, das sich einen Platz in unserem Herzen sichert. Der bekannteste Götze der heutigen Zeit ist der Mammon, der Götze der Geldliebe. Habgier wird in der Bibel als Götzendienst bezeichnet (Kol 3,5). Die Sucht nach Ruhm, Macht, Genuss etc. ist ebenfalls Götzendienst. Man könnte noch vieles mehr nennen. Der springende Punkt ist, dass der Teufel versucht, einen Teil unserer Zuneigung zum Herrn Jesus abzuziehen und auf etwas anderes zu lenken. Wir haben nur dann kein Problem mit Götzen, wenn Christus unser Alles ist. Jemand hat einmal gesagt, was auch unsere Haltung sein sollte: «Wenn ich wählen müsste zwischen dem Himmel und all seiner Herrlichkeit und Christus, ich würde Christus wählen». Wir haben nicht erst ein Problem, wenn unser Herz für etwas anderes statt Christus schlägt, sondern schon dann, wenn es für Christus und etwas anderes schlägt.
Vers 11
Dann verlässt ihn der Teufel, und siehe, Engel kamen herbei und dienten ihm. Mt 4,11
Drei Angriffe hatte der Teufel unternommen, auf die drei typischen Schwachpunkte – die Lust der Augen, die Lust des Fleisches und den Hochmut des Lebens – hatte er abgezielt, aber dreimal hatte der Herr Jesus mit dem lebendigen und wirksamen Wort Gottes gekontert, das schärfer ist als jedes zweischneidige Schwert (Hebr 4,12). Der Herr Jesus hatte den Kampf nicht als Gott, sondern als Mensch gewonnen. Auch wir können die Angriffe des Teufels erfolgreich abwehren, wenn wir mit dem Wort Gottes, mit der Bibel kontern: «Unterwerft euch nun Gott! Widersteht aber dem Teufel! Und er wird von euch fliehen» (Jak 4,7).
Erstaunlich ist, dass alle drei Verse, die der Herr Jesus angeführt hat, aus dem fünften Buch Mose stammen, das auch Deuteronomium – «zweites Gesetz» – genannt und in der Bibelkritik als überflüssige Wiederholung von Inhalten aus den ersten vier Büchern Mose angesehen wird. Was Menschen als «unnötigen Ballast» ansehen, war das Mittel der Wahl für den HERRN, um den Teufel in die Flucht zu schlagen! Die Weisheit Gottes ist wahrlich weit über die sogenannte Weisheit der Menschen erhaben! Der hebräische Name für das fünfte Buch Mose ist «Devarim» – «Worte». Die hebräischen Namen der fünf Bücher Mose leiten sich jeweils von den ersten Worten des Textes ab. So heisst bspw. das erste Buch Mose «Bereschit» – «im Anfang» –, weil der göttlich inspirierte Text bekanntermassen mit: «Im Anfang schuf Gott …» beginnt. Der Beginn des fünften Buches Mose lautet: «Dies sind die Worte …». Die Bezeichnung «Worte» ist treffend, denn das fünfte Buch Mose ist das Buch des Gehorsams; es enthält ernste Ermahnungen («Worte») an das Volk Israel, das damals unmittelbar vor dem Eintritt in das verheissene Land stand. Der Herr Jesus hat dem gewissermassen Sein Siegel aufgedrückt, als Er als der gehorsame Mensch diese Worte zitiert hat, um dem Teufel zu widerstehen.
Nun hatte Er also allen Versuchungen widerstanden. Sollte Gott Ihn hungernd in der Wüste zurücklassen! Natürlich nicht! Nachdem Er unter anderem darauf verzichtet hatte, sich aus Steinen Brot zu machen, sandte der Vater Engel, die dem Herrn Jesus dienten! Gewiss erfuhr der Sohn da eine Pflege und Fürsorge, die das, was Er Sich selbst als Mensch genommen hätte, bei weitem überstiegen! Diese Zuversicht dürfen wir ebenfalls haben: Wenn wir hie und da gewisse Entbehrungen hinnehmen müssen, dürfen wir zuversichtlich sein, dass der Vater in den Himmeln unsere «Verluste» überreichlich kompensieren wird.
Vers 12
Als er aber gehört hatte, dass Johannes überliefert worden war, ging er weg nach Galiläa; Mt 4,12
Während der Zeit, in der der Herr Jesus von Gott in der Wüste erprobt und zubereitet wurde, muss Johannes der Täufer verhaftet worden sein. Die beiden Männer haben nie Seite an Seite gedient; Johannes war wirklich ein Vorläufer, der den Weg für den Messias Jesus bereitet und dann seinen öffentlichen Dienst (zwangsweise) eingestellt hat. Er selbst hatte jedoch einmal gesagt: «Er muss wachsen, ich aber abnehmen» (Joh 3,30), nachdem seine Jünger sich beklagt hatten, dass immer mehr Leute dem Herrn Jesus und nicht Johannes nachfolgten. Sein Wille stand also in völliger Übereinstimmung mit dem Willen Gottes. Über die Umstände seiner Verhaftung und über sein weiteres Schicksal erfahren wir hier nichts; der Evangelist Matthäus wird erst später darauf zu sprechen kommen.
Johannes der Täufer hatte östlich von Jerusalem gedient, ungefähr dort, wo der Jordan in das Tote Meer fliesst, also in Judäa. Die Bewohner dieses verbliebenen «Kerngebietes» von Israel hatten den Boten des Messias verworfen: Die führenden Juden missbilligten seinen Dienst, die politischen Machthaber liessen ihn ins Gefängnis werfen. Judäa war offensichtlich nicht bereit, seinen Messias willkommen zu heissen – ein Gedanke, der sich ganz deutlich durch das ganze Matthäus-Evangelium hindurchzieht. Der Herr Jesus begann Seinen öffentlichen Dienst deshalb nicht in Judäa, sondern Er ging weg nach Norden, bis nach Galiläa. Damals war das Land Israel in die drei Provinzen Judäa im Süden, Samaria in der Mitte und Galiläa im Norden aufgeteilt. Der Name Galiläa leitet sich ab vom hebräischen Wort «galil», das mit «Kreis» oder «Bezirk» übersetzt werden kann. Der Ausdruck kommt unter anderem in Jes 8,23 (bzw. Jes 9,1 – je nach Übersetzung) vor, wo es heisst: «Doch nicht bleibt das Dunkel über dem, der von der Finsternis bedrängt ist. Wie die frühere Zeit dem Land Sebulon und dem Land Naphtali Schmach gebracht hat, so bringt die spätere den Weg am Meer, das Land jenseits des Jordan und den Kreis der Nationen zu Ehren». Der «Kreis der Nationen» ist der spätere Bezirk Galiläa. Wir werden später sehen, dass sich mit dem Beginn des öffentlichen Dienstes des Herrn Jesus in Galiläa – statt in Judäa – weitere Verheissungen erfüllt haben.
Vers 13
und er verliess Nazareth und kam und wohnte in Kapernaum, das am See liegt, in dem Gebiet von Sebulon und Naphtali; Mt 4,13
In Galiläa gab es einen Ort, mit dem der Herr Jesus zuvor besonders verbunden gewesen war, nämlich Nazareth, wo Er aufgewachsen war. Offenbar kehrte Er zuerst kurz dorthin zurück, verliess den Ort aber sogleich wieder und zog weiter nach Kapernaum. «Kafr Nahum» ist übersetzt das Dorf des Trostes oder des Trösters. Der Name sollte Programm werden, denn von dort aus begann der öffentliche Dienst unseres Herrn. Aber mehr noch: Dort wohnte Er für längere Zeit, sodass Kapernaum in Mt 9,1 sogar Seine «eigene Stadt» genannt wird, also die Stadt, mit der Er ganz besonders verbunden war. So gesehen war Kapernaum – mit seinen beiden Nachbarstädten Chorazin und Bethsaida – ganz besonders privilegiert, was aber auch bedeutet, dass es ganz besonders verantwortlich war, die gottgemässe Reaktion auf die göttliche Gnade zu geben, worauf in Mt 11,20ff. näher eingegangen wird.
Vers 14
damit erfüllt wurde, was durch den Propheten Jesaja geredet worden ist, der sagt: Mt 4,14
Im Leben des Herrn Jesus gab es gar nichts, das Er einfach so entschieden hätte. Als Mensch machte Er Sich völlig von Gott abhängig. Da gab es keine Spur von Eigenwille, absolut gar nichts, das nicht mit Gott dem HERRN abgesprochen gewesen wäre! Man könnte meinen, Er sei aus diesem oder jenem Grund von Nazareth nach Kapernaum gezogen, aber es gab nur einen Grund für diese Entscheidung: Der Vater in den Himmeln wollte es so. Viele hundert Jahre früher hatte Er bereits durch den Propheten Jesaja angekündigt, dass das Licht des Messias in jener Gegend erstmals aufleuchten sollte, in der Kapernaum lag. Also führte Er nun den Sohn an jenen Ort, um Seine Ankündigung in die Tat umzusetzen – und der Sohn gehorchte ohne jede Einschränkung!
Vers 15
»Land Sebulon und Land Naphtali, gegen den See hin, jenseits des Jordan, Galiläa der Nationen: Mt 4,15
Hier beginnt nun ein Zitat aus dem Buch Jesaja, eine Verheissung, die sich mit der Wohnsitznahme des Messias in Kapernaum und dem Beginn Seines öffentlichen Dienstes dort erfüllen sollte. Die Stelle ist in Jes 8,23 und Jes 9,1 zu finden. Das Original beginnt wie folgt: «Doch nicht bleibt das Dunkel über dem, der von der Finsternis bedrängt ist. Wie die frühere Zeit dem Land Sebulon und dem Land Naphtali Schmach gebracht hat, so bringt die spätere den Weg am Meer, das Land jenseits des Jordan und den Kreis der Nationen zu Ehren» (Jes 8,23). Wir haben hier drei geographische Angaben: Der Weg am Meer ist in etwa das, was wir heute den Gazastreifen nennen, das Land jenseits des Jordan ist das Gebiet jener zweieinhalb Stämme, die sich nicht im guten Land, sondern ausserhalb davon, eben jenseits des Jordan, niedergelassen haben, und der Kreis der Nationen ist das, was im Neuen Testament Galiläa genannt wird. Diese drei Gebiete hatten eine besondere Schmach erlitten: Der Weg am Meer war entgegen dem Befehl Gottes immer in der Hand der Philister geblieben, die den Israeliten wiederholt schwere und schmerzliche Niederlagen zugefügt haben. Das Land jenseits des Jordan wurde als erstes von Feinden eingenommen und in die Gefangenschaft weggeführt. Von jenem Teil des Volkes Israel, das innerhalb des von Gott verheissenen Landes lebte, war der Kreis der Nationen bzw. das Galiläa der Nationen das erste Gebiet, das in die Hände der Assyrer fiel (2.Kön 15,29). Doch gerade diesen drei geschmähten Gebieten wollte der HERR Sich besonders zuwenden, wie wir im nächsten Vers (Mt 4,16; Jes 9,1) lesen werden! Denn Er wendet Sich den Menschen in Gnade zu, in einer unverdienten Gunst, die ihre Ursache allein bei Ihm findet, nicht aufgrund von etwas, das im Menschen zu finden wäre. Er kümmert Sich um das Schwache, um das Verachtete, um das Demütige.
Vers 16
Das Volk, das in Finsternis sass, hat ein grosses Licht gesehen, und denen, die im Land und Schatten des Todes sassen, ist Licht aufgegangen.« Mt 4,16
O, in welch trauriger Situation befand sich das Gebiet Galiläa! Es gehörte nicht nur zu jenen drei Landstrichen, die eine besondere Schmach erlitten hatten, sondern – viel schlimmer! – es war ein Land und Schatten des Todes, das in Finsternis gehüllt war. Die Menschen tappten im Dunkeln; sie konnten den Weg des Lebens nicht finden. Orientierungslos irrten sie umher, bis sie schliesslich den Tod fanden. Ja, der Tod hing wie ein dunkler Schatten beständig über jenem Land. Aber ist es nicht auch bei uns so? Als man in der sogenannten Reformation ganz grundlegende biblische Wahrheiten wieder neu entdeckt hatte, die davor jahrhundertelang unter einer falschen kirchlichen Theologie begraben gewesen waren, rief man erleichtert aus: post tenebras lux – nach der Finsternis Licht! Viele hundert Jahre lang war insbesondere Westeuropa vom hellen Licht der Bibel erleuchtet. Der Weg zum Leben war für alle bekannt (der Herr Jesus ist der Weg und das Leben!). Aber heute müssen wir bekennen: post lucem tenebrae – nach dem Licht Finsternis! Nicht Gott hat uns verlassen, sondern wir haben uns als Gesellschaft von Ihm losgelöst, sind Gott-los geworden. Aber wenn man dem Licht den Rücken kehrt, wenn man das Licht aus einem Raum ausschliesst, dann bleibt nur noch die Abwesenheit von Licht – Finsternis. Wir verlieren die Orientierung, was sich so bezeichnend darin zeigt, dass wir uns (nach Jahrtausenden) plötzlich nicht einmal mehr bei ganz grundlegenden Tatsachen sicher sind, ob es überhaupt eine objektive Wahrheit gibt oder ob alles nur eine Einbildung ist respektive ob jeder einfach in seiner eigenen Realität lebt, ob das Leben überhaupt einen Sinn hat oder ob alles nur ein Produkt des Zufalls ist, ob es so etwas wie Mann und Frau gibt oder ob es in Wirklichkeit 16 oder mehr Geschlechter gibt etc. Der moralische Niedergang, die moralische Finsternis folgt auf dem Fersen. Wir sitzen heute wieder in Finsternis, im Land und Schatten des Todes. Doch Gott sei Dank! Er lässt Sein Licht weiter strahlen und auch heute noch geht Sein Licht immer wieder neu in einzelnen Herzen auf. So, wie der Herr Jesus damals in das Leben jener armen Leute in Kapernaum und Umgebung getreten ist, tritt Er heute noch in das Leben von Männern, Frauen und Kindern, um sie in Sein wunderbares Licht und zum ewigen Leben zu führen.
Vers 17
Von da an begann Jesus zu predigen und zu sagen: Tut Busse, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen! Mt 4,17
Nun war der grosse Moment gekommen: In der Fülle der Zeit sandte Gott Seinen Sohn, geboren von einer Frau, geboren unter Gesetz (Gal 4,4), dann rüstete Er Ihn im Verborgenen 30 Jahre zu und schliesslich erprobte Er Ihn 40 Tage in der Wüste, um Ihn als den vollkommenen Diener zu erweisen. So vorbereitet konnte das Licht nun in voller Kraft aufstrahlen. Der Herr Jesus ging an den Ort, den der Vater Ihm zeigte, und begann zu predigen. Die Zeit Seines öffentlichen Auftretens und Dienens war endlich gekommen! «Wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Einzigen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit» (Joh 1,14). Was war der Inhalt Seiner Predigt? Genau dasselbe, was Johannes der Täufer bereits gepredigt hatte: Die Juden sollten Busse tun, also radikal umkehren zu Gott, denn das von ihnen schon so lange ersehnte Königreich Gottes war nun in der Person des seit Urzeiten verheissenen König-Messias nahe gekommen. Der König war da und Er war bereit, die Königsherrschaft anzutreten und aufzurichten. Welchen Empfang würden sie Ihm bieten? Waren sie bereit, in den Segen des verheissenen messianischen Friedensreiches eingeführt zu werden?
Vers 18
Als er aber am See von Galiläa entlangging, sah er zwei Brüder: Simon, genannt Petrus, und Andreas, seinen Bruder, die ein Netz in den See warfen, denn sie waren Fischer. Mt 4,18
Es gab zwar eine grosse Sache, die der Herr Jesus ganz allein tun musste und die auch nur Er allein tun konnte, nämlich die Sühnung unserer Sünden am Kreuz. Aber im Übrigen hat Er Seinen Dienst zu Lebzeiten nie allein ausgeübt. Von Beginn weg hat Er Jünger um Sich geschart. Ein Jünger ist ein Schüler, wobei man damals mehr vom Leben und Verhalten als von den Worten des Lehrers lernte, weshalb man einen Jünger als jemand bezeichnen kann, der sich in einer bestimmten Lebens-Schule befindet. Die ersten zwei Jünger, die Er berief, waren nicht die auserlesensten Schriftgelehrten und nicht einmal Schüler der Pharisäer, sondern einfache Fischer, die im Zeitpunkt ihrer Berufung gerade mit Fischen beschäftigt waren. Später einmal sollten sich die Mitglieder des Hohen Rates der Juden darüber wundern, dass diese «ungelehrten und ungebildeten Leute» (Apg 4,13) so voll göttlicher Weisheit waren. Diesbezüglich denken wir selbst heute noch oft falsch: Wir meinen, ein Diener Gottes müsse ganz besondere Voraussetzungen mitbringen, mindestens eine Bibelschule absolviert haben, sich von allen gewöhnlichen Pflichten des Alltags abgewendet und völlig dem Dienst geweiht haben, um etwas im Namen Gottes bewegen zu können. Tatsache ist aber, dass wir uns nicht zufällig an jenem Platz und in jenen Umständen befinden, wie sie gerade sind, wenn wir von Gott berufen werden. Er selbst hat uns in ein bestimmtes Land, in eine bestimmte Zeit, in eine bestimmte Familie und Verwandtschaft, an einen bestimmten Arbeitsplatz und in eine bestimmte Nachbarschaft gesetzt, weil es Ihm gefallen hat, genau dort durch uns zu wirken! Ja, wir sollen uns völlig Gott weihen, wenn wir Ihm dienen wollen! Aber das bedeutet nicht, dass wir unsere Arbeitsstelle aufgeben etc., sondern in erster Linie, dass wir beginnen, alles, was wir den ganzen Tag hindurch zu tun haben, für Ihn zu tun. Wir sollen unsere Familie für Ihn lieben, wir sollen uns für Ihn um unsere Familie kümmern, wir sollen unsere ganz gewöhnliche Arbeit in der Welt ausführen, als würden wir sie für Ihn tun, usw. Simon und Andreas mussten zwar ihren Fischerberuf tatsächlich aufgeben und auch von uns werden einige in einen Dienst berufen werden, der sie zwingen wird, ihren Broterwerb aufzugeben, aber sie sollten weiter «fischen», wie wir im folgenden Vers sehen werden. Der HERR knüpfte am Natürlichen an. Bei Ihm gibt es nicht diese künstliche Trennung zwischen «Geistlichem» und «Irdischem» im Leben eines Gläubigen, wie wir sie leider so oft machen, denn nach Seinem Willen soll ein Gläubiger durch und durch geistlich sein, selbst wenn er ganz gewöhnlichen irdischen Beschäftigungen nachgeht.
Vers 19
Und er spricht zu ihnen: Kommt, mir nach! Und ich werde euch zu Menschenfischern machen. Mt 4,19
Der Ruf: «Kommt, folgt mir nach» war der typische Ausdruck, mit dem ein Rabbi (Lehrer) einen Jünger (Schüler) in die Nachfolge («Schul- und Lebensunterricht») berief. Wir wissen aus Joh 1, dass der Herr Jesus Simon und Andreas bereits einige Zeit kannte, bevor Er sie in die Nachfolge berief. Als Gott hatte Er natürlich schon längst gewusst, welche zwölf Männer Er berufen werde, aber als Mensch liess Er Sich gewissermassen Zeit, um zumindest einige der Jünger besser kennenzulernen, bevor Er sie berief. In Lk 6,12.13 wird uns sogar berichtet, dass Er eine ganze Nacht hindurch betete, bevor Er die Zwölf aus Seinen Jüngern auswählte. Als Mensch machte Er Sich also völlig vom Vater in den Himmeln abhängig! Der Ruf in die Nachfolge war, wie bereits erwähnt worden ist, nicht einfach eine Aufforderung, einen besonderen Schulunterricht zu geniessen. Lehrer und Schüler bildeten eine Art Lebensgemeinschaft, denn die Schüler sollten ja nicht nur durch Worte, sondern durch das Verhalten, durch den Lebenswandel des Lehrers unterwiesen werden. Wer ein Jünger eines Rabbi werden wollte, musste also – zumindet für längere Zeit – alles stehen und liegen lassen.
Aus «Fisch-Fischern» sollten nun Menschenfischer werden. Das Gleichnis vom Schleppnetz in Mt 13 wird genauer zeigen, was damit gemeint ist. Im Kern geht es darum, möglichst viele Menschen zusammen und von einer gewissen Umgebung (Wasser; das Völkermeer oder die Welt) in eine ganz andere Umgebung (Gefässe; örtliche Versammlung als Ausprägung der einen universalen Versammlung) zu bringen. Wir stellen uns das so romantisch vor, sollten aber beachten, dass Fische nicht darauf warten, gefangen zu werden. Und ganz sicher entspricht es nicht der Natur eines Fisches, aus dem Wasser herausgefischt zu werden, denn das Wasser ist sein Lebenselement und ausserhalb des Wassers ist er dem Tod geweiht. Auch die Menschen warten nicht darauf, dass jemand sie «fängt» und aus der Welt herausbringt, wo sie – geistlich – sterben sollen, um dann – geistlich – in Neuheit des Lebens wieder aufzuerstehen. Das muss uns bewusst sein. Wir müssen mit Widerstand rechnen, wir müssen viel Arbeit und Weisheit investieren, wenn wir gute «Menschenfischer» sein sollen. Aber andererseits gibt uns der Herr ja nicht einfach einen Auftrag, um uns dann selbst «wursteln» zu lassen. Nein, es ist wie bei Simon, Andreas und den anderen Jüngern: Sie durften direkt vom perfekten Vorbild lernen.
Vers 20
Sie aber verliessen sogleich die Netze und folgten ihm nach. Mt 4,20
Simon und Andreas folgten dem Ruf des Herrn Jesus sofort und ohne jede Einschränkung. Sie liessen sogleich alles stehen und liegen und folgten Ihm nach. Natürlich bedeutete das nicht, dass sie ihre Familien im Stich gelassen hätten, denn wir werden an einer anderen Stelle noch davon lesen, wie der Herr Jesus Sich um die Schwiegermutter von Simon Petrus kümmerte; der Kontakt zur Familie blieb also erhalten. Manchmal missbrauchen die Menschen einen angeblichen Ruf des HERRN, um sich aus all ihren irdischen Verpflichtungen herauszustehlen. Da ist einer im Beruf gescheitert und beschliesst, nun ein Missionar zu werden, und dort ist einer damit überfordert, ein guter Ehemann und Vater zu sein, und beschliesst, sich nun allein in einem fernen Land vom HERRN einsetzen zu lassen. Aber so handelt der HERR nicht. Er arbeitet zwar mit dem Schwachen, aber wir müssen zuerst im Kleinen treu sein, uns im Kleinen bewähren, bevor Er uns Grösseres anvertrauen kann. Bewähre Dich in Deiner irdischen Arbeit, bewähre Dich im Umgang mit Deiner Familie, dann wird der HERR Dir Grösseres anvertrauen. Simon Petrus wurde beispielsweise nicht von seinen Pflichten gegenüber seiner Familie «befreit», aber er sollte sozusagen seinen Beruf wechseln. Bis dahin war er ein «Fisch-Fischer» gewesen, nun sollte er ein Menschenfischer werden.
Obwohl der Ruf des HERRN aber zunächst «nur» einen Berufswechsel beinhaltete, war das ein grosser Schritt. Diesen Schritt taten Simon und Andreas ohne zu zögern und ohne jede Einschränkung. Wie können wir uns dieses Verhalten erklären? Die Antwort auf diese Frage ist nur in der Person des Herrn Jesus Christus zu finden. Er musste so einen gewaltigen Eindruck auf diese beiden Männer gemacht haben, Seine Person musste so unvergleichlich anziehend sein, dass sie bereit waren, alles stehen und liegen zu lassen, um bei Ihm zu sein. Das ist das Geheimnis des wahren Christenlebens: Die Kraft für die Nachfolge entspringt der Anziehung der Person Christi. Je anziehender Er Selbst für uns ist, je mehr unser Herz für Ihn schlägt, umso entschiedener werden wir unser Glaubensleben führen.
Vers 21
Und als er von dort weiterging, sah er zwei andere Brüder: Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und Johannes, seinen Bruder, im Boot mit ihrem Vater Zebedäus, wie sie ihre Netze ausbesserten; und er rief sie. Mt 4,21
Der Herr Jesus verlor keine Zeit. Nun, da der Moment gekommen war, berief Er in rascher Folge und zielstrebig jene, die in den nächsten drei, dreieinhalb Jahren zu Seinem engsten Kreis gehören sollten. Gerade hatte Er Simon Petrus und Andreas vom Fischen weg in die Nachfolge berufen, nun berief Er zwei weitere Brüder, nämlich die beiden Söhne des Zebedäus, Johannes und Jakobus. Simon und Andreas hatten noch die Netze ausgeworfen; Johannes und Jakobus besserten die Netze bereits aus. Die Berufung dieser vier Jünger geschah also früh am Morgen, denn gefischt wird in der Nacht und die Netze werden anschliessend ausgebessert. Wenn man sich einmal darauf achtet, ist es erstaunlich, wie viele wichtige Dinge in der Bibel ausdrücklich an einem frühen Morgen geschehen sind. «Frühmorgens» ist eine ganz besonders gesegnete Zeit. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Wenn wir aus dem Schlaf erwachen, sind unsere Gedanken noch völlig frei, nicht an die bereits erlebten Eindrücke oder an die anstehenden Aufgaben gebunden. Erwachen wir früh genug, bleibt uns auch genug Zeit für die Gemeinschaft mit unserem Herrn, die wir dann in Ruhe und Frieden geniessen dürfen. Die Israeliten sollten das Manna, die himmlische Speise, die zugleich vom Herrn Jesus und von der Heiligen Schrift spricht, frühmorgens einsammeln, denn sobald die Hitze des Tages anbrach, zerschmolz es (2.Mose 16,21). Wir sollten es ebenso halten.
Wenn wir noch kurz einen Blick auf die beiden eher im Vordergrund stehenden Jünger werfen, nämlich Simon Petrus und Johannes, dann ist es interessant zu sehen, dass ihr geistlicher Dienst eine Parallele zu jener Tätigkeit aufwies, der sie gerade in jenem Moment nachgingen, als sie berufen wurden: Petrus war dabei, die letzten Netze auszuwerfen und zu fischen. Später sollte er allen Gruppen von Menschen die Tür zum Reich der Himmel öffnen und – gerade zu Beginn des christlichen Zeitalters – grosse «Fischzüge» durchführen, wovon die ersten Kapitel der Apostelgeschichte so eindrücklich berichten. Die Schriften von Johannes sind – anfangend von seinem Evangelium bis hin zur Offenbarung – immer auch eine Kampfschrift gegen die sogenannte «Gnosis». Das Wort bedeutet eigentlich «Erkenntnis», aber es ist gerade im ersten Jahrhundert auch ein Inbegriff für eine gefährliche Geistesströmung gewesen, die stark von der heidnisch-griechischen Philosophie mit deren Verachtung für alles Irdisch-Materielle geprägt gewesen ist und die von Anfang an einen teuflischen Einfluss auf die christliche Lehre ausgeübt hat. Ein bekanntes Beispiel für eine offenkundige Irrlehre, die letztlich auf diese Gnosis zurückgeht, ist etwa das Zölibat. Johannes hat sehr deutlich und entschieden gegen diese «Gnosis» angeschrieben und ist damit sein ganzes Dienstleben hindurch bestrebt gewesen, die Netze auszubessern. Der Zusammenhang zwischen der gewöhnlichen Tätigkeit, der diese beiden Männer im Zeitpunkt ihrer Berufung nachgegangen sind, und dem Inhalt ihres geistlichen Dienstes ist für uns ein Hinweis darauf, dass nicht nur unsere geistlichen Fähigkeiten oder Gnadengaben, sondern auch unser geistlicher Dienst am Natürlich-Irdischen anknüpft, also bei unseren natürlichen Fähigkeiten und Begabungen sowie bei unseren natürlich-irdischen Pflichten und Aufgaben. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn der HERR hat uns ja nicht zufällig in jene Umstände gestellt, in denen wir uns nun einmal befinden, und Er hat uns auch nicht zufällig mit ganz bestimmten Eigenschaften und Fähigkeiten ausgestattet. Stellt man sich also die Frage, welchen Dienst man für den HERRN ausüben sollte, dann muss man also in aller Regel nicht in weiten Fernen suchen; man sollte sich zunächst einmal am Naheliegenden orientieren.
Vers 22
Sie aber verliessen sogleich das Boot und ihren Vater und folgten ihm nach. Mt 4,22
Auch Jakobus und Johannes kannten den Herrn Jesus bereits. Sie mussten ebenso von Seiner Person angezogen sein wie Simon Petrus und Andreas, denn auch sie verliessen sogleich ihr Boot und noch dazu ihren Vater, der gerade mit ihnen die Netze ausbesserte, um dem Herrn Jesus nachzufolgen. Glückselig, wer mit einer solchen entschiedenen Bereitschaft auf einen Ruf des HERRN reagiert!
Vers 23
Und er zog in ganz Galiläa umher, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium des Reiches und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen unter dem Volk. Mt 4,23
Der öffentliche Dienst des Herrn Jesus begann in Galiläa, der verachteten Gegend weit im Norden von Judäa, was deshalb so passend ist, weil der Herr von Beginn weg von der religiösen Führerschaft der Juden verworfen wurde, wie wir bereits im Zusammenhang mit Seiner Geburt gesehen haben. Der Dienst des Herrn war hauptsächlich ein Dienst im Wort: Er lehrte in den Synagogen, das heisst Er erklärte den Juden die wahre Bedeutung der Schriften des Alten Testamentes, und Er predigte das Evangelium des Reiches, das ist die gute Botschaft davon, dass das Königreich Gottes nun – in Seiner Person – nahe gekommen war. Zwar tat Er auch viele aussergewöhnliche Wundertaten, aber die Wunder standen nie im Mittelpunkt Seines Dienstes. Nicht selten wies Er Menschen, an denen Er im kleinen Kreis ein Wunder getan hatte, auf, das Wunder für sich zu behalten und nicht in der Öffentlichkeit breit zu schlagen (eine Aufforderung, die in aller Regel ignoriert und missachtet wurde). Er war nicht gekommen, um eine grosse Show zu bieten, um die Sensationslust der Menschen zu befriedigen oder eine aus dieser Sensationslust entspringende Bewunderung Seiner Person zu schüren, sondern vielmehr, um das Wort Gottes in aller Deutlichkeit und Klarheit zu predigen. Viele, die sich Seine Diener genannt haben, haben sich genau umgekehrt verhalten und damit nicht nur Ihren Herrn ein Stück weit verleugnet, sondern auch grossen Schaden bei vielen angerichtet, die sie verführt haben. Wir müssen auch bedenken, dass der Herr Jesus mit dem Anspruch aufgetreten ist, das Königreich der Himmel zu den Juden zu bringen, also das Tausendjährige Friedensreich anbrechen zu lassen. Für diese besondere Zeit – nicht für unsere Zeit! – war in den Schriften des Alten Testamentes ein irdisch-materieller Segen mit Wohlstand, Gesundheit und Frieden verheissen. Als «Unterpfand» dafür, dass dieses Segensreich nun wirklich nahe gekommen war, brachte der Herr Jesus einen «Vorgeschmack» dieses Segens zu den Menschen, indem Er jede Krankheit und jedes Gebrechen heilte. Das gehört nicht zu unserer Verkündigung des Evangeliums, auch wenn der Herr sicherlich heute noch aussergewöhnliche und übernatürliche Heilungen schenkt, denn wir verkündigen nicht eine irdisch-israelitische Hoffnung, nicht den baldigen Anbruch des Königreichs der Himmel, sondern eine himmlische Berufung mit geistlichen Segnungen.
Vers 24
Und die Kunde von ihm ging hinaus in das ganze Syrien; und sie brachten zu ihm alle Leidenden, die mit mancherlei Krankheiten und Qualen behaftet waren, und Besessene und Anfallskranke und Gelähmte; und er heilte sie. Mt 4,24
Rasch verbreitete sich die Nachricht, dass da in Galiläa ein ganz besonderer Mann aufgetreten war. Wir haben im vorangehenden Vers gelesen, dass der Herr Jesus vor allem gepredigt und diese Predigt mit einem «Vorgeschmack» vom Segen des Tausendjährigen Reiches untermauert hatte. Doch offenbar wurde Er nicht als der Prediger aus Galiläa, sondern als ein Wunderheiler bekannt, denn die Reaktion der Menschen bestand nicht darin, zu Ihm zu kommen, zu Seinen Füssen zu sitzen und von Ihm zu lernen (vgl. Lk 10,39), sondern sie brachten ihre Kranken zu Ihm. Dass der Evangelist Matthäus diesen Aspekt betont, ist typisch für sein Evangelium. Immer wieder sehen wir den Herrn Jesus in Vollmacht und Erhabenheit tätig, wie es nur der verheissene Messias sein konnte, immer wieder sehen wir Massen von Menschen, die zu Ihm strömen, um Wunder zu sehen oder zu erleben, und immer wieder stellen wir fest, dass sich kaum jemand für Ihn selbst, für Seine Person oder wenigstens für Seine Botschaft interessiert hat. Die Menschen profitierten gerne von Ihm, aber Ihn selbst wollten sie nicht haben. Das Evangelium nach Matthäus zeigt uns nicht nur den König, sondern auch den von Seinem eigenen Volk Verworfenen. Innige persönliche Beziehungen, wie sie beispielsweise in den Evangelien nach Lukas und Johannes beschrieben werden (man denke nur an die Geschwister Lazarus, Maria und Martha), haben im Evangelium nach Matthäus keinen Raum; die Beschreibung dieser Beziehungen wäre auch fehl am Platz, denn sie würde die Kernbotschaft des Evangeliums, dass der verheissene Messias-König gekommen, aber verworfen worden ist, beeinträchtigen. In Seiner Weisheit hat Gott der HERR allen Dingen genau den richtigen Platz zugewiesen.
Vers 25
Und es folgten ihm grosse Volksmengen von Galiläa und dem Zehnstädtegebiet und Jerusalem und Judäa und von jenseits des Jordan. Mt 4,25
Der Herr Jesus wird manchmal als ein Wanderprediger bezeichnet, weil Sein öffentlicher Dienst durch Seine Predigten geprägt war und weil Er Sich nicht bleibend an einem Ort aufgehalten hat, sondern von Stadt zu Stadt gezogen ist. Wer Ihm nicht nur für kurze, sondern für längere Zeit zuhören wollte, musste gezwungenermassen mitziehen, Ihm nachfolgen. Der vor uns liegende Vers zeigt, dass Er nicht nur, wie wir es uns manchmal fälschlicherweise vorstellen, mit Seinen zwölf Jüngern durch die Gegend gezogen ist, sondern dass Er viele Nachfolger hatte. Die meisten kamen zwar nur, um ein Wunder zu sehen oder geheilt zu werden, aber einige – nicht wenige – zogen mit Ihm mit. In einem vorbildlichen Sinne entspricht das unserer heutigen Zeit: Der Herr Jesus befindet Sich ausserhalb all dessen, was wir kennen, wo wir uns zuhause fühlen. Wenn wir bei Ihm sein wollen, müssen wir das (in einem geistlichen Sinne) verlassen und zu Ihm hinausgehen, Ihm nachfolgen. Doch nicht nur jene, die echt und bleibend bei Ihm sein wollen, folgen Ihm nach, sondern auch viele andere, die im Grunde nicht Ihn selbst und die Gemeinschaft mit Ihm, sondern bloss irgendetwas anderes suchen, das sie in Seiner Nähe zu finden hoffen. Das Problem der unechten Nachfolger zieht sich ebenso wie ein roter Faden durch das Evangelium nach Matthäus wie das Problem der Verwerfung des Messias durch Israel. Dabei müssen wir nicht allein an Judas denken. Der Herr Jesus hat das Thema immer wieder aufgegriffen. Gerade die Gleichnisse in Mt 13 zeigen klar die Vermischung von Echtem und Unechtem, das den Charakter des Königreichs der Himmel in der heutigen Phase prägen sollte.