Bibelkommentare

Erklärungen zur Bibel

 

Matthäus 5

Vers 1

Als er aber die Volksmengen sah, stieg er auf den Berg; und als er sich gesetzt hatte, traten seine Jünger zu ihm. Mt 5,1

Die Kapitel 5–7 im Matthäusevangelium enthalten die sogenannte Bergpredigt. Der Inhalt dieser Predigt ist die Verfassung des Reiches der Himmel genannt worden, weil er die grundlegenden Prinzipien enthält, die in diesem Königreich gelten. Die Bergpredigt steht aber nicht für sich allein; sie ist vielmehr eingebettet in die gesamte biblische Offenbarung, wo sie genau jenen Platz einnimmt, den Gott der HERR ihr zugewiesen hat. Viele haben den grossen Fehler gemacht, die Bergpredigt gewissermassen aus der Bibel heraus zu schneiden und für sich allein als Regel für ihr persönliches Leben oder für die Gesellschaft zu machen. Das kann nur schief gehen. Der vor uns liegende Vers zeigt bereits, dass der Herr Jesus zwar so gesprochen hat, dass die grossen Volksmengen es hören konnten, dass Er Sich aber ausschliesslich an Seine Jünger gewandt hat. Die Bergpredigt ist also kein Programm zur Verbesserung der Gesellschaft oder zur Verbesserung des eigenen Ichs. Weder die Gesellschaft noch unser Ego sind in der Lage, sich an diesem göttlichen Massstab zu orientieren.

Die Bergpredigt ist aber auch nicht die Verfassung der christlichen Gemeinde, der ekklesia, über die der Herr Jesus nur zweimal ganz kurz gesprochen hat. Das Geheimnis der christlichen Gemeinde wurde erst nach der vollständigen Verherrlichung des Herrn Jesus offenbart, und zwar in erster Linie dem spezifisch dazu berufenen Apostel Paulus. In den vorhergehenden Ausführungen ist bereits darauf hingewiesen worden, dass das Königreich der Himmel nichts Neues gewesen ist, das der Herr Jesus eingeführt hätte. Die Juden hatten dieses Reich schon seit Jahrhunderten erwartet. Es ist in einem Wort die unmittelbare und uneingeschränkte Herrschaft Gottes auf dieser Erde (nicht im Himmel). Dieses Reich war nun nahe gekommen, aber in diesem Reich galten andere Regeln, als die Juden meinten. Der Herr Jesus vervollständigte die alttestamentliche Offenbarung und korrigierte viele falsche Ansichten, die sich unter den Juden durch falsche Lehre etabliert hatten. In erster Linie richtet sich die Bergpredigt also an die Juden. Es geht um den neuen Bund, den der HERR mit Israel schliessen wird.

Durch den Ungehorsam der Juden respektive durch die Verwerfung des Messias konnte der alttestamentliche Plan aber – menschlich gesprochen – nicht wie erwartet umgesetzt werden. Das Reich war nahe gekommen, aber der König wurde verworfen. Dadurch wurde eine (menschlich unerwartete) Zwischenphase eingeschaltet, in der das Königreich zwar angebrochen, der König aber abwesend ist. Die Juden sind wegen ihrer grossen Sünde vorerst weitgehend ausgeschlossen von der Teilhabe an diesem Reich. An ihrer Statt wurden die übrigen Nationen eingeladen, Teilhaber zu werden. Die Untertanen, die eine wilde Mischung aus Juden und Heiden, aus Gläubigen und Ungläubigen und überhaupt aus allen Sorten von Menschen sind, organisieren sich selbst während der Zeit, bis der König zurückkehrt. All diese Gedanken, die hier nur kurz angerissen sind, werden in unserem Evangelium noch ausführlicher entfaltet werden. Hier soll nur der Blick dafür geschärft werden, dass die Bergpredigt nicht die Fülle der christlichen Offenbarung enthält. Man darf das Königreich der Himmel nicht mit der christlichen Gemeinde verwechseln. Zwar besteht eine weitgehende Überlappung zwischen diesen beiden Gegenständen, aber sie sind nicht identisch. Viele falsche Bibelauslegungen sind darauf zurückzuführen, dass man hier nicht sauber unterschieden hat.

Vers 2

Und er öffnete seinen Mund, lehrte sie und sprach: Mt 5,2

Wer sind «sie»? Nach den allgemein anerkannten Regeln der Grammatik können damit nur die Jünger sein, denn sie sind die (im Vers davor) zuletzt genannten Personen. Wir werden später noch ganz deutlich sehen, dass Sich der Herr Jesus nur an die Jünger und nicht in einer allgemeinen Weise an die grossen Volksmengen gewandt haben kann, denn in Mt 5,20 heisst es: «Denn ich sage euch: Wenn nicht eure Gerechtigkeit die der Schriftgelehrten und Pharisäer weit übertrifft, so werdet ihr keinesfalls in das Reich der Himmel hineinkommen». Das zeigt den geforderten Standard für den Eingang in das Reich und zugleich, dass sich die Worte Jesu nur an Jünger, an Nachfolger richten konnten, denn es ist offenbar, dass die Welt im Allgemeinen diesem Standard nicht einmal ansatzweise genügen kann. Das ist noch nie der Fall gewesen, das ist jetzt nicht der Fall und das wird nie der Fall sein.

Bereits im Kommentar zu Mt 5,1 wurde erwähnt, dass die Jünger hier als Juden angesprochen wurden. Ein Vergleich zwischen den Belehrungen in der Bergpredigt und der voll entfalteten Lehre in den Briefen des Neuen Testamentes zeigt sofort, dass wir hier noch nicht die volle christliche Offenbarung vor uns haben. Wir befinden uns noch im Nebel, haben die Nebelgrenze noch nicht überschritten und die Bergspitze noch nicht ganz erreicht. Dieser Umstand hat einige Ausleger zur Aussage veranlasst, die Bergpredigt gehe uns Christen nichts an, weil sie sich ja an Juden und nicht an uns richte. Das geht allerdings zu weit! Erstens belehrt uns die Bergpredigt in einer ganz allgemeinen Weise über die Moral Gottes, d.h. darüber, was in Seinen Augen moralisch richtig oder falsch ist. Und die Moral Gottes ändert sich nie! Viele Aussagen in der Bergpredigt sind absolut zeitlos. Zudem stehen sie im Einklang mit der übrigen Offenbarung des Alten und Neuen Testamentes, weshalb wir die göttliche Harmonie der Heiligen Schrift zerstören würden, wenn wir die Bergpredigt ignorieren würden. Zweitens richtet sich zwar tatsächlich nicht jedes Wort in der Bibel direkt an uns, aber ausnahmslos alles ist für uns geschrieben worden! Ein Beispiel soll zeigen, was damit gemeint ist: Im dritten Buch Mose ist unter anderem die Rede von einem Sündopfer, also von einem Tier, das auf eine ganz bestimmte Art geschlachtet und Gott dargebracht werden musste, wann immer ein Israelit gesündigt hatte. Offensichtlich richten sich diese Vorschriften nicht an uns, sondern exklusiv an die Israeliten unter dem Alten Bund respektive an die Leviten und Priester, denn diese waren gehalten, die Sündopfer nach den göttlichen Vorschriften darzubringen. Diese Anordnungen sind wie ein Brief, der in einem Couvert steckt, auf dem als Adressat «Jeder Israelit unter dem Alten Bund» aufgeführt ist. Bist Du ein Israelit unter dem Alten Bund? Nein? Dann ist dieser Brief nicht an Dich adressiert.

In 2.Tim 3,16.17 heisst es allerdings: «Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes vollkommen ist, für jedes gute Werk ausgerüstet». Nur die Heilige Schrift, nur die Bibel, kann den Menschen Gottes vollkommen und für jedes gute Werk geschickt machen, nichts anderes. Wir brauchen also für unseren Glaubensweg nichts mehr als die Heilige Schrift. Die Bibel genügt vollständig. Die Reformatoren haben diesen Punkt mit «sola scriptura» – nur die Heilige Schrift übertitelt. Aber wir benötigen auch nichts weniger als die (ganze) Bibel! Wenn wir vollkommen und zu jedem guten Werk völlig geschickt sein wollen, dürfen wir kein einziges Wort der Bibel ignorieren! Das gilt gerade auch für das Alte Testament, das unter vielen Christen trotz 2.Tim 3,16.17; Röm 15,4; 1.Kor 10,6 und 1.Kor 10,11 so stiefmütterlich behandelt wird. Unser grosses Vorrecht, aber auch unsere heilige Pflicht ist es, beispielsweise in den Anordnungen über das Sündopfer danach zu forschen, was Gott der HERR mit jenen Ausführungen, die sich zwar nicht direkt an uns richten, aber für uns niedergeschrieben worden sind, uns sagen will. Und tatsächlich können wir eine ganze Fülle von geistlichen Belehrungen daraus ziehen. An dieser Stelle sei nur so viel gesagt, dass uns das Sündopfer einen von mehreren Aspekten des grossen Werks des Herrn Jesus Christus am Kreuz auf Golgatha detailliert erklärt und versinnbildlicht. Dasselbe gilt natürlich sinngemäss auch für die Bergpredigt, weshalb es fatal wäre, wenn wir sie ignorieren würden.

Drittens haben wir als Christen zwar eine himmlische Berufung, die erst einmal nichts mit den irdisch-materiellen Verheissungen an Israel zu tun hat. Aber wir sind auch zu Teilhabern und Dienern des Neuen Bundes (für Israel) geworden, wie es bspw. in 2.Kor 3,6 heisst. Das bedeutet, dass wir – quasi als «Bonus» – auch in den Segen des neuen Bundes eingeführt werden. Hier ist nicht der Ort dafür, aber würde man in den entsprechenden Stellen im Alten Testament (z.B. Jer 31) nachforschen, welches die Segnungen des neuen Bundes für Israel sind, würde man feststellen, dass da eine weitgehende Überlappung mit den christlichen Segnungen besteht. Dann heisst es bspw. in 2.Tim 2,12 auch, dass wir einmal mit dem Herrn Jesus mitherrschen werden. Zusammenfassend könnte man sagen, dass wir gewissermassen mit einem Bein auf der rein himmlischen Grundlage und mit einem Bein im Königreich der Himmel stehen. Die Prinzipien, die in jenem Reich gelten, betreffen damit also auch uns ganz direkt. Wir würden also auch aus diesem Grund einen sehr grossen Fehler begehen, wenn wir behaupten würden, die Bergpredigt, die Verfassung, das Grundgesetz für das Königreich der Himmel, gehe uns nichts an!

Vers 3

Glückselig die Armen im Geist, denn ihrer ist das Reich der Himmel. Mt 5,3

Was für eine Eröffnung! Einst hatte Mose vom Berg Sinai das Gesetz Gottes verkündigt: «Du sollst … Du sollst … Du sollst … !» In Gal 3,10 wird das wie folgt zusammengefasst: «Denn alle, die aus Gesetzeswerken sind, die sind unter dem Fluch; denn es steht geschrieben: ‹Verflucht ist jeder, der nicht bleibt in allem, was im Buch des Gesetzes geschrieben ist, um es zu tun!›» Was der Herr Jesus dagegen als Offenbarung Gottes vom Berg her verkündigte, war völlig anders, und das zeigt sich nur schon darin, dass die Bergpredigt mit mehreren Seligpreisungen beginnt. In 2.Kor 3 werden der alte und der neue Bund (für Israel) einander wie folgt gegenüber gestellt: «Wenn aber schon der Dienst des Todes, mit Buchstaben in Steine eingegraben, in Herrlichkeit geschah, sodass die Söhne Israel nicht fest in das Angesicht Moses schauen konnten wegen der Herrlichkeit seines Angesichts, die doch verging, wie wird nicht vielmehr der Dienst des Geistes in Herrlichkeit bestehen?» (2.Kor 3,7.8). Der Gottesdienst unter Gesetz wird als ein «Dienst des Todes» bezeichnet! Aber wieso? Weil das Gesetz keine Kraft hatte, die Menschen zum Leben zu führen. Es konnte nur (aber immerhin!) aufzeigen, wie weit der Ist-Zustand der Menschen vom Soll-Zustand entfernt war; «durchs Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde» (Röm 3,20), aber keine Kraft, die Sünde zu überwinden. Und doch hatte jene Zeit in Herrlichkeit begonnen, denn Mose strahlte so sehr von der Herrlichkeit Gottes, dass er sein Angesicht mit einer Decke verhüllen musste, wann immer er unter den Israeliten war. Wie viel herrlicher ist nun aber die Offenbarung Gottes in der Person Jesu Christi! «Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Einzigen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit» (Joh 1,14).

Was bedeutet aber «glückselig»? Der Ausdruck beschreibt ein tiefes Glück, einen anhaltenden Zustand von Glücklichkeit, der völlig unabhängig von äusseren Umständen ist. Glückseligkeit ist die höchste und zugleich tiefste Form von Glück, im Grunde das, wonach wir alle suchen. Die erste Seligpreisung, die wir hier vor uns haben, macht klar, dass die Glückseligkeit mit dem Eingang in das Königreich der Himmel zusammenhängt. Wer sich ein wenig im Alten Testament auskennt, weiss, dass das Königreich der Himmel, das Tausendjährige Friedensreich unter der Herrschaft des Messias Jesus, eine Fülle von Segen über diese Erde bringen wird. Es liegt auf der Hand, dass Menschen, die gewissermassen andauernd in jenem Segensstrom schwimmen werden, anhaltend glücklich sein werden. Aber wer ist würdig, wer ist passend für den Eingang in das Königreich der Himmel? Es sind Menschen mit einer ganz bestimmten Herzenshaltung. Den ersten von mehreren Punkten haben wir hier vor uns: Sie müssen arm im Geist sein. Das ist nicht dasselbe wie «arm an Geist», was eine Minderintelligenz oder sogar eine Geistesgestörtheit bezeichnen würde. Arm im Geist sind Menschen, die in ihrem Geist, also mit der uns Menschen eigenen Fähigkeit zu höherem Denken, erkannt haben, dass sie arm vor Gott sind, dass sie Ihm nichts geben noch bieten können. Wir stehen vor Ihm wie Bettler, schuldig, mittellos, bankrott. Nur wollen das leider viele Menschen nicht einsehen. Sie finden sich selbst gut, sie berufen sich auf angeblich gute Werke, die sie getan haben etc. Dadurch verschliessen sie sich der Gnade Gottes, die definitionsgemäss nur an dem anknüpfen kann, was Er ist, und niemals an dem, was wir sind. Wer hingegen seinen wahren Zustand der Armut vor Gott erkannt hat, der ist passend für den Eingang in das Reich der Himmel. Bedenken wir, dass der Herr Jesus hier zu Juden sprach, die sich viel auf ihre Stellung als Volk Gottes einbildeten! Sie hielten sich für reicher als alle anderen Völker, aber sie mussten erkennen, dass sie vor Gott mausbeinarm waren, sonst würden sie nie in das verheissene Tausendjährige Reich eingehen!

Vers 4

Glückselig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. Mt 5,4

Wieso sprach der Herr Jesus, wenn Er über die «Bewohner» des kommenden Segensreiches sprach, ausgerechnet die Trauernden an? Dass man «arm im Geist» sein muss, um empfänglich für die Gnade Gottes zu sein, wie es im vorangehenden Vers heisst, ist ja noch nachvollziehbar, denn es zeigt, dass man nur durch Gottes Gnade und nicht durch eigene Verdienste in das Reich eingehen kann. Aber was hat Trauer mit dem Eingang ins Reich zu tun? Nun, hier ist eine ganz bestimmte Form der Trauer gemeint. Wenn wir unser grosses Vorbild – den Herrn Jesus Christus – betrachten, stellen wir fest, dass Er zwar nicht von einer Schwermütigkeit oder gar Depressivität geprägt gewesen ist, dass sich Sein Charakter aber doch durch eine gewisse Ernsthaftigkeit und Gefasstheit ausgezeichnet hat, die in den Evangelien immer wieder angetönt oder ausdrücklich erwähnt wird. Das hatte damit zu tun, dass Er Sich auf diesem Schauplatz der Sünde bewegte und als Mensch gewissermassen aus nächster Nähe miterleben musste, was die Sünde mit uns Menschen macht, wie sie uns zerstört und letztlich umbringt, wie viel Elend und Leid sie tagtäglich über diese Erde bringt etc. Der Charakter des Herrn Jesus war zwar von einer tiefen Freude, von einer echten Glückseligkeit, geprägt, aber es gibt keine Stelle, die Ihn als ausgesprochen fröhlich, heiter oder ausgelassen beschreiben würde. Und genau das ist in Mt 5,4 gemeint: eine andauernde Trauer oder Traurigkeit darüber, dass hier auf der Erde alles im Argen liegt. Im Buch Prediger heisst es:

Besser, ins Haus der Trauer zu gehen, als ins Haus des Gastmahls zu gehen; denn jenes ist das Ende aller Menschen, und der Lebende nimmt es sich zu Herzen. – Besser Verdruss als Lachen; denn bei traurigem Gesicht ist das Herz in rechter Verfassung. – Das Herz der Weisen ist im Haus der Trauer, das Herz der Toren aber im Haus der Freude. Pred 7,2–4

Es gibt Leute, deren Lebenssinn sich darin erschöpft, die Dinge dieser Welt zu geniessen. Diese Menschen ziehen gewissermassen von Gasthaus zu Gasthaus, von Lachen zu Heiterkeit, von Friede und Freude zu Eierkuchen. Sie verschliessen ihre Augen vor allem, was in ihrem eigenen Leben und in ihrer Umgebung nicht in Ordnung ist, und sie sind darauf bedacht, sich alles rein zu ziehen, was das Leben ihnen an Gutem bieten kann. Sie sind geprägt von dieser Haltung, die in 1.Kor 15,32 so treffend mit einem Zitat beschrieben wird: «Lasst uns essen und trinken, denn morgen sterben wir!» – diese Menschen verschliessen ihre Augen vor dem Ernst des Lebens, vor den echten Problemen und damit leider auch vor der Lösung für alle Probleme. Sie wollen nicht einsehen, dass sie ein grosses Problem haben, dass sie verloren sind. Und wer nicht wahrhaben will, dass er verloren ist, der wird auch keine Notwendigkeit erkennen, sich retten zu lassen.

Die «Trauernden» sind das Gegenstück zu diesen Menschen. Sie sind nicht besonders schwermütig oder miesepetrig, sondern einfach nüchtern und gefasst. Sie können sich auch an den Dingen dieses Lebens erfreuen, heiter sein und lachen, das spielt keine Rolle, aber sie sind sich bewusst, dass dieses Leben eben nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen ist. Sie haben ein Verständnis von den echten Problemen in ihrem Leben und in dieser Welt, sie merken, dass etwas ganz grundlegend nicht in Ordnung ist, sie trauern über das Elend und das Leid auf dieser Erde, die Gott einst so wunderbar erschaffen hat. Sie sehnen sich nach einer echten Veränderung. Und diese echte Veränderung wird kommen, aber nur in der Person des Herrn Jesus Christus. Erst wenn Er das Szepter übernimmt, wird sich das Schicksal der Menschheit und der Erde wirklich zum Guten wenden. Alle anderen, vorherigen Bemühungen werden scheitern.

Echte Christen im Sinne der Bibel dürfen diesen Segen des Trostes bereits jetzt kennen und in Besitz nehmen, denn nach Eph 1,3 sind wir «gesegnet mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus». Sicherlich bleiben wir ernst und gefasst, trauern wir weiterhin über den Zustand der Menschen um uns herum und über all das, was so schrecklich falsch läuft in dieser Welt, aber wir müssen nicht länger von Trauer bzw. Traurigkeit geprägt sein und als Trauernde umhergehen, weil wir bereits jetzt das gefunden und in Besitz genommen haben, was für Israel noch in der Zukunft liegt, nämlich den göttlichen Trost. Deshalb heisst es bspw. in Phil 4: «Freuet euch allezeit! Wiederum will ich sagen: Freuet euch! Lasst eure Milde kundwerden allen Menschen; der HERR ist nahe. Seid um nichts besorgt, sondern in allem lasst durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen kundwerden vor Gott, und der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure Herzen und euren Sinn bewahren in Christus Jesus». Amen!

Vers 5

Glückselig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben. Mt 5,5

Das Königreich, das der Herr Jesus als nahe gekommen predigte, wird zwar das Königreich der Himmel genannt, aber es ist kein Königreich im Himmel, sondern ein Königreich auf der Erde. Eine der ganz grundlegenden Verheissungen ist der Besitz des Landes Israel, und zwar in einer gewaltigen Ausdehnung. «Die Himmel» steht als Ersatzbegriff für den unausgesprochenen Namen Gottes (JHVH); es geht also um das Königreich Gottes auf dieser Erde und damit um eine Sache, die schon längst bekannt war und von den Juden erwartet wurde. Nun war der König gekommen, nun erklärte Er die Bedingungen für die Aufrichtung dieses lange ersehnten Reiches. Doch wer wird das Land erben? Jeder Nachkomme von Jakob? Jeder, der irgendwie «zufällig» zu Israel gehört? Nein, man muss eine gewisse Herzenshaltung einnehmen, Busse tun, den Messias im Glauben annehmen, sanftmütig sein. Es ist eine Sache des Herzens!

Vers 6

Glückselig, die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten, denn sie werden gesättigt werden. Mt 5,6

In einer Welt, in der so vieles so schrecklich verkehrt läuft, in der das Recht überall gebeugt wird, in der Ungerechtigkeit regiert, ist diese Verheissung des Herrn Jesus vielleicht eine der schönsten: Er wird eine uneingeschränkte Herrschaft von Recht und Gerechtigkeit einführen. Ja, Sein Thron hat Recht und Gerechtigkeit als Grundlage, auf dem er steht (Ps 97,2)! Und Sein Wort sagt, dass ein ungerechter Thron niemals auf Dauer Bestand haben kann, während eine gerechte Regierung sich letztlich ohne Ende auf immer und ewig erstrecken wird (Spr 16,12; 29,14). Nur muss uns bewusst sein, dass die Herrschaft des Herrn Jesus nicht eine Gerechtigkeit nach unseren Vorstellungen, sondern eine göttlich vollkommene Gerechtigkeit mit sich bringen wird. Der Mensch, der ständig über andere schimpft und meint, man müsse bei jenen mal tüchtig aufräumen, damit er endlich zu seinem Recht komme, wird wohl eine ordentliche Enttäuschung erleben, weil er feststellen wird, dass der HERR auch seine Ungerechtigkeit heimsuchen wird. Nein, das Wort des Herrn richtet sich nich an solche selbstgerechten Pharisäer, sondern an jene, die wirklich unter der Ungerechtigkeit leiden. Gemeint sind Menschen, denen nicht nur diese oder jene Ungerechtigkeit, sondern die Ungerechtigkeit an sich so zu Herzen geht, dass sie wie verdursten und verhungern, solange dieser elende Zustand nicht beseitigt wird. Ihnen gilt die Verheissung, dass sie gesättigt werden. Das, wonach sie sich so lange gesehnt haben, wird endlich kommen!

Vers 7

Glückselig die Barmherzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit widerfahren. Mt 5,7

Hier haben wir einen der grossen und grundlegenden Prinzipien in der Regierung Gottes vor uns. Man kann bezüglich des Handeln Gottes im Allgemeinen unterscheiden (nicht trennen!) zwischen den Wegen der Gnade und den Regierungswegen. Gottes Handeln ist durch und durch von Gnade gekennzeichnet, aber diese Gnade zeigt sich teilweise – gerade bezogen auf Seine echten Kinder – in Erziehungsmassnahmen und Züchtigungen, die manchmal sehr strenge Züge annehmen können. Obwohl der Gläubige eingehüllt ist in Gnade, gilt doch, dass er für sein Handeln verantwortlich ist und dass er ernten muss, was er gesät hat (Gal 6,7). Wenn ein Gläubiger sich überall nur das Beste für sich abgreift, andere hart behandelt und sich nicht um Gottes Wort schert, weil er ja «unter Gnade ist» (in Tat und Wahrheit aber die Gnade in Ausschweifung verkehrt!), dann wird Gott der HERR ihn irgendwann auch hart anfassen, ihn die Konsequenzen seines verkehrten Handelns spüren lassen, ihm seinen Eigensinn austreiben und ihn mit Zwang dahin bringen, seinen Himmlischen Vater in seinem Verhalten zu ehren. Wer weise ist, lässt es nicht so weit kommen. Einer von mehreren Schlüsseln dazu ist die Barmherzigkeit, das heisst Milde, Mitgefühl und Wohlwollen gegenüber den Nächsten. Der König David zeichnete sich fast durchwegs durch eine wunderbare und teils sehr erstaunliche Barmherzigkeit gegenüber seinen Nächsten – Freunden und Feinden! – aus. Deshalb liess der HERR auch ihm Barmherzigkeit zuteil werden. Wenn David einen Fehler begangen hatte, was leider mehrmals in seinem Leben vorkam, dann fasste der HERR ihn weniger hart an, als er andere Könige in ähnlichen Situationen anfasste. Wir können uns das vielleicht bildlich mit dem Formen von Ton etwas vor Augen führen: Weicher Ton kann leicht geformt werden, da braucht es nicht viel Druck. So lässt sich auch der barmherzige Gläubige leicht formen. Wird der Ton aber fester, braucht es mehr Druck; ist er gar völlig ausgehärtet, kann die Form des Gefässes nur noch geändert werden, wenn man es zerschlägt und von vorne beginnt.

Vers 8

Glückselig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Mt 5,8

Im Tausendjährigen Reich wird Gott Sich schauen lassen. Damals, als das Reich nahe gekommen war, hatte Er Sich bereits schauen lassen, wie wir in Joh 1,14 lesen können: «Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Einzigen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit». Aber jetzt ist Er abwesend, weshalb von uns gesagt werden muss: «Den ihr liebt, obgleich ihr ihn nicht gesehen habt; an den ihr glaubt, obwohl ihr ihn jetzt nicht seht» (1.Petr 1,8). Wenn Er aber zurückkehrt, werden wir Ihn sehen und damit auch Gott schauen. Man muss nämlich bedenken, dass niemand je Gott den Vater in Seiner völligen Göttlichkeit und Herrlichkeit sehen kann (1.Tim 6,16).

Diese Verheissung gilt jenen, die reinen Herzens sind. Da soll sich bitte niemand etwas vormachen! Es genügt nicht, ein anständiger Mensch mit guten Moralvorstellungen zu sein! Es genügt nicht, besser zu sein als der Nachbar! Nicht eine Reinheit nach menschlichen Vorstellungen, sondern nur eine Reinheit, die den göttlichen Ansprüchen genügt, kann den Zutritt in das Königreich verschaffen, wie das Gleichnis vom Hochzeitsmahl in Mt 22,1ff. so trefflich zeigt. Das ist eine Reinheit, die sich in keinem menschlichen Herzen vorfinden lässt (vgl. etwa Röm 3,10ff.), die nur von Gott verliehen werden kann. Wenn der Herr Jesus also ein reines Herz verlangt, dann sollten sich die Zuhörer Sorgen machen: Habe ich ein reines Herz? Kann ich in das Reich eingehen? Das sollte sie zur Erkenntnis führen, dass ein grundlegendes Problem den Zugang zu Gott hinderte, nämlich die – unbereinigte – Sünde. Ihre Sündennot hätte sie in die Arme Gottes treiben müssen, zur Busse führen müssen, die doch der Herr Jesus so betont predigte! Dort hätten sie alles gefunden, was nötig gewesen wäre. Aber sie wollten nicht! Wie steht es um uns? Sind wir mit eigenen Kleidern einer falschen eigenen Gerechtigkeit bekleidet oder haben wir das wirklich reine Kleid erhalten?

Vers 9

Glückselig die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes heissen. Mt 5,9

In 1.Kor 14,33 heisst es: «Denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens». Wenn Er der Gott des Friedens ist, dann müssen sich auch Seine Söhne durch eine ganz besondere Friedfertigkeit auszeichnen. Ja, mehr noch: Sie müssen Friedensstifter sein! Leider ist es für viele von uns schon eine grosse Herausforderung, einen bestehenden Frieden zu wahren, wozu wir durch Röm 12,18 aufgerufen sind. Aber wir sollten noch mehr sein: Wir sollten dort Frieden schaffen oder eben stiften können, wo noch kein Friede vorhanden ist. Das braucht viel Demut, Langmut, Milde und Güte. Normalerweise fehlt es uns an allen Eigenschaften, die wir zum Schlichten von Streit benötigen, wie es Spr 26,17 so anschaulich beschreibt: «Der packt einen Hund bei den Ohren, wer im Vorbeigehen sich über einen Streit ereifert, der ihn nichts angeht». Nur durch den Geist Gottes können wir uns über das Natürliche erheben!

Vers 10

Glückselig die um Gerechtigkeit willen Verfolgten, denn ihrer ist das Reich der Himmel. Mt 5,10

Die letzte Glückseligpreisung ist die ausführlichste; der Herr Jesus leitet gleich über in eine damit verbundene Belehrung. Als glückselig bezeichnet Er hier jene, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden. Das ist ein Gedanke, der auch im ersten Brief des Apostels Petrus nochmals aufgegriffen wird. Dort wird klar gestellt, dass es bei Gott einen gewaltigen Unterschied gibt zwischen Leid, das jemandem als Folge eines eigenen Fehlers zustösst, und Leid, das man – unberechtigt – erleidet, weil man sich an Gott und Sein Wort klammert. Aber wie kann das Festhalten an Gottes Wort denn in einer christlichen Gesellschaft wie der unseren Leid nach sich ziehen? Die Antwort ist einfach: Von Natur aus lehnt sich jeder Mensch gegen die Gebote Gottes auf. Das wird jetzt vielleicht gesamtgesellschaftlich gesehen immer offensichtlicher, aber es war schon immer so. Von Natur aus hasst auch jeder Mensch Gott, Gottes Gesandten (den Herrn Jesus) und Gottes Gnade. Auch das war schon zu allen Zeiten so. Gottes Gnade wird aber gerade von den religiösen Menschen ganz besonders gehasst. Die religiösen Juden waren federführend in der Verfolgung des Herrn Jesus und Seiner Apostel; die religiösen Namenschristen sind die schlimmsten Feinde der Gläubigen. Die römisch-katholische Kirche hat Schätzungen zufolge in etwa gleich viele Gläubige auf dem Gewissen wie der Kommunismus oder der Islam. Vor etwa zwei Jahren wurde in Deutschland ein Pastor wegen Volksverhetzung verurteilt; die Strafanzeige war von seiner eigenen (zur reformierten Landeskirche gehörenden) Kirchgemeinde erstattet worden. Wir können bis auf Kain zurück gehen, der weiss Gott kein Atheist, sondern ein religiöser Mensch war und trotzdem – nein: deswegen! – seinen eigenen Bruder Abel ermordete. Heute macht uns gläubigen Christen vielleicht der zunehmende Atheismus in unserer Gesellschaft Sorgen. Aber wirklich fürchten sollten wir vielmehr die religiösen Strömungen innerhalb der Christenheit! Man muss nicht viel von biblischer Prophetie verstehen, um zu erkennen, dass die grösste Verführung der Menschheit, die grösste Gefahr für echte Gläubige eine pseudo-christliche religiöse Strömung sein wird, die der Menschheit eine christliche Religion ohne Christus andrehen wird. Natürlich bereitet es uns Sorgen, dass unsere Gesellschaft ihr christliches Kostüm von sich wirft und nun ihr wahres, gottloses Gesicht zeigt, aber das ist erst ein Vorgeplänkel. Richtig ernst wird es, sobald der Wind sich in Richtung Religiosität drehen wird.

Vers 11

Glückselig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und alles Böse lügnerisch gegen euch reden werden um meinetwillen. Mt 5,11

Der Gläubige muss – und musste schon zu allen Zeiten – mit Schmähungen, Verfolgung und Verleumdung rechnen. Man muss nur mal ein wenig im Internet stöbern, was gottesfürchtigen Menschen, die sich vom HERRN haben gebrauchen lassen, so alles angedichtet wird. Was man so liest, ist teilweise richtig widerlich. Aber wenn die Menschen den Herrn Jesus auf diese Weise geschmäht und Ihn beispielsweise bezichtigt haben, Er sei von einem Dämon besessen oder Er sei ein Samariter, wieso sollte es Seinen Knechten besser ergehen? Doch nicht jede Schmähung, Verfolgung oder Verleumdung stellt einen Schritt auf dem Weg zur Glückseligkeit dar. Der springende Ausdruck im vor uns liegenden Vers ist: «um meinetwillen». Es gibt «Christen», die sich mit ausgewachsenen Hassreden gegen Minderheiten exponieren und als Reaktion darauf mit Schimpf und Schande bedeckt werden. Das ist nicht das, was der Herr Jesus gemeint hat. Im Internet kann man problemlos Ausschnitte aus «christlichen» Kundgebungen finden (gerade aus den USA), die so abstossend und gemein sind, dass es einem die Tränen in die Augen treibt. Wenn solche «Christen» geschmäht werden, ernten sie bloss, was sie gesät haben. Was der Herr Jesus in Mt 5,11 meint, sind in erster Linie einfach Menschen, die zu ihrem Glauben an Ihn stehen. Wenn beispielsweise jemand sich in der Unternehmung, in der er arbeitet, als Christ zu erkennen gibt und dann in der Folge von seinen Arbeitskollegen belächelt oder verspottet wird, darf dieser Christ wissen, dass der Himmel über ihn und seine Treue zu seinem Meister jubelt, dass er sich glückselig schätzen darf und dass ihm seine Treue dereinst überreichlich vergolten werden wird.

Vers 12

Freut euch und jubelt, denn euer Lohn ist gross in den Himmeln; denn ebenso haben sie die Propheten verfolgt, die vor euch waren. Mt 5,12

Der Blick des Glaubens ruht nicht auf der aktuellen Situation, sondern allein auf Gott. Deshalb kann ein Gläubiger auch in Zeiten schwerster Not und Bedrängnis (ohne blind oder taub für das aktuelle Elend zu sein!) jubeln, frohlocken und sich freuen, denn er weiss, dass all das bald vorüber gehen und einer immerwährenden Glückseligkeit in der unmittelbaren Gegenwart Gottes Platz machen wird. Der Gläubige weiss, dass Gott selbst ihm in Kürze die Tränen, die er jetzt vergiesst, abwischen wird und dass es dann nie wieder einen Grund zum Vergiessen von Tränen geben wird. Aber mehrt noch: Jedes Leid, das einem Gläubigen um des Namens des Herrn Jesus willen widerfährt, ist aus der Sicht des Glaubens nichts weiter als eine Investition, die eine gewaltige Rendite abwerfen wird. Man zahlt gewissermassen auf ein himmlisches Konto ein, wo das Guthaben mit schier unglaublich hohen Zinsen und Zinseszinsen vermehrt wird. Schliesslich darf das Gläubige an all die grossen Propheten aus vergangenen Zeiten denken und wissen, dass er, so klein er sich auch gerade fühlt, sich in ihre Reihe einordnen darf, weil der Herr Jesus selbst ihn dort einordnet!

Vers 13

Ihr seid das Salz der Erde; wenn aber das Salz fade geworden ist, womit soll es gesalzen werden? Es taugt zu nichts mehr, als hinausgeworfen und von den Menschen zertreten zu werden. Mt 5,13

Viele lesen: «Ihr sollt das Salz der Erde sein», aber das steht nicht in Mt 5,13. Was wir im vor uns liegenden Vers finden, ist eine Feststellung, eine Aussage über eine Tatsache, über etwas, das ist, nicht über etwas, das sein soll. Die Gläubigen, an die sich der Herr Jesus in Seiner Bergpredigt richtet, sind das Salz der Erde. Betreiben wir Wortklauberei? Nein! Man kann den Unterschied gar nicht stark genug betonen, denn gerade an einem solchen Unterschied kann man besonders gut veranschaulichen, was den Neuen vom Alten Bund unterscheidet (der Neue Bund wird zwar mit Israel geschlossen werden, aber wir Christen sind an seinen Segnungen und Verheissungen beteiligt, wie bereits früher aufgezeigt worden ist). Unter dem Alten Bund waren die Israeliten aufgefordert, einen Soll-Zustand zu erreichen. Das Gesetz sollte ihr Verhalten in bestimmte Bahnen lenken; hätte je ein Israelit diesen Soll-Zustand erreicht, wären ihm die Verheissungen des Alten Bundes gewiss gewesen. Nur hat das leider nie jemand geschafft. Weshalb? Weil niemand etwas werden kann, das er nicht ist! Wäre der Mensch von Natur aus gut und heilig, dann besässe er die Fähigkeit, heilig im Sinne des Gesetzes zu leben. Aber der Mensch ist in seinem Innersten verdorben und böse. Das Gesetz sollte an diesem Zustand nichts ändern, sondern diese Tatsache sichtbar machen: «Darum: Aus Gesetzeswerken wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden; denn durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde» (Röm 3,20). Kann ein Hund zu einem Adler werden oder fliegen? Natürlich nicht, das ist uns allen klar! Genauso wenig kann ein Mensch ein wahrhaftig Heiliger werden!

In Jer 31,33.34 heisst es vom Neuen Bund, den der HERR mit Israel schliessen wird: «Ich lege mein Gesetz in ihr Inneres und werde es auf ihr Herz schreiben. Und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein. Dann wird nicht mehr einer seinen Nächsten oder einer seinen Bruder lehren und sagen: Erkennt den HERRN! Denn sie alle werden mich erkennen von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Grössten, spricht der HERR». Wie gross ist der Unterschied zum Alten Bund! Der HERR selbst wird die Menschen verändern, ihnen eine neue Natur geben und das wird es ihnen ermöglichen, das zu sein, was sie vor Gott sein sollen – weil sie es bereits sein werden! Wenn der Alte Bund bildlich gesprochen von Hunden verlangt hat, wie Adler zu fliegen, was unmöglich ist, wird der Neue Bund aus Hunden Adler machen, für die es das Normalste der Welt ist, am Himmel zu fliegen. Bei uns Christen ist das mit unserer Bekehrung geschehen.

Wie könnten wir das Salz der Erde werden, wenn wir nicht bereits Salz wären? Aber wir sind das Salz der Erde! Der Christ ist nicht gerufen, etwas zu werden, das er nicht ist, sondern vielmehr, einfach (ganz praktisch) das auszuleben, was er bereits ist, unter anderem eben Salz. Salz hat viele wichtige und gute Eigenschaften. Eine davon ist, dass Salz Verderben aufhält. Man kann Fleisch in Salz einlegen und es so dauerhaft haltbar machen, während es ohne Salz verfaulen würde. Durch die Gläubigen der heutigen Zeit hält Gott das völlige Verderben noch zurück. Jeder von uns ist fähig, seinen Beitrag zu leisten, weil er von Gott dazu befähigt worden ist. Aber leider ist es auch möglich, dass jemand, der Salz ist, fade wird. Lot, der Neffe von Abraham, ist dafür ein anschauliches Beispiel. In 1.Mose 19 finden wir den erschütternden Bericht darüber, dass er absolut null Einfluss auf das Verderben in Sodom ausgeübt hat. Ja, er konnte nur mit Schimpf und Schande sein eigenes Leben knapp retten! Wie war es dazu gekommen? Er hatte sich mit den Sodomitern vermischt, wodurch das Salz gewissermassen so weit «verdünnt» worden ist, dass es keinen Einfluss mehr hatte. Das Salz war nutzlos geworden …

Salz, das fade geworden ist, kann nicht mehr gesalzen werden, um wieder salzig zu werden. Es taugt zu nichts mehr. Man wirft es weg, entweder in den Abfalleimer oder – früher, als es noch keine Abfalleimer gab – hinaus auf die Strasse, wo es von den Menschen zertreten wird, die auf der Strasse unterwegs sind. Das ist sehr ernst. Aber Achtung, diese Stelle spricht nicht davon, dass ein Gläubiger sein ewiges Heil verlieren könnte. Salz bleibt Salz, um bei der Bildsprache des Herrn Jesus zu bleiben. Hier geht es um die «Aussenwirkung». Jeder Gläubige hat seinen ganz eigenen Platz und Auftrag, den der HERR ihm zuweist. Bleibt er an seinem Platz und erfüllt er seine Aufgabe, wird er einen positiven Einfluss auf seine Umgebung haben. Verlässt er aber seinen Platz oder erfüllt er seine Aufgabe nicht, dann bleibt sein Leben ohne positiven Einfluss auf die Umgebung. Das ist der Kern der Belehrung. Doch wie verlässt ein Gläubiger seinen Platz oder wie versäumt er seine Aufgabe? Das geschieht, wenn er sich mit der Welt einlässt, wenn das Salz quasi vermischt wird. In einem solchen Zustand kann ein Gläubiger keinen positiven Einfluss mehr auf seine Umgebung ausüben und die Umgebung wird beginnen, einen negativen Einfluss auf den Gläuibigen auszuüben. Der Glaube wird von der Umgebung «zertreten». Auch das sehen wir bei Lot, auf den wir im Zusammenhang mit Mt 5,13 hingewiesen haben: Lot übte nicht nur keinen Einfluss auf die Sodomiter aus, sondern hatte durch die lange Zeit, während der er in Sodom gelebt hatte, ganz offensichtlich auch grossen moralischen Schaden erlitten, denn als die Sodomiter ihn bedrängten, war er ohne weiteres bereit, ihnen seine eigenen Töchter «zum Frass» vorzuwerfen, wohl wissend, dass die Sodomiter seine beiden Töchter zu Tode vergewaltigt hätten! Das muss man sich einmal vorstellen! Wir sehen an diesem Beispiel, dass nicht Lot das Denken der Sodomiter beeinflusst hat, sondern gerade umgekehrt! Und genau das ist mit Mt 5,13b gemeint.

Vers 14

Ihr seid das Licht der Welt; eine Stadt, die oben auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen sein. Mt 5,14

Die Jünger des Herrn Jesus Christus sind sowohl Salz als auch Licht. Die Aussage des Herrn in Bezug auf das Licht ist ebenso absolut wie jene bezüglich des Salzes: Wir sind Licht. Diese Aussage wird unter anderem in Phil 2,15 wiederholt, wo es heisst, wir seien «unbescholtene Kinder Gottes inmitten eines verdrehten und verkehrten Geschlechts, unter dem ihr leuchtet wie Himmelslichter in der Welt», ganz wörtlich übersetzt aber: Lichtträger oder Lampen. Eine Lampe strahlt kein eigenes Licht aus, sondern ist im Prinzip nichts anderes als ein geeignetes Gefäss für eine Lichtquelle, sei das nun eine Kerze oder eine Glühbirne. So ist es auch mit uns. Wir sind die geeigneten Gefässe, durch die das göttliche, himmlische Licht in diese finstere Welt getragen werden soll.«Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefässen, damit das Übermass der Kraft von Gott ist und nicht aus uns» (2.Kor 4,7). Eine von vielen faszinierenden Eigenschaften von Licht ist, dass man eine Lichtquelle umso besser wahrnimmt, je finsterer es in der Umgebung ist. In einer sehr dunklen Nacht kann man das glühende Ende einer Zigarette, an der gerade gezogen wird, noch aus über 100 Metern Entfernung sehen! Der Herr Jesus vergleicht die Jünger aber nicht mit einem Kerzlein oder dergleichen, sondern mit einer Stadt, die oben auf einem Berg liegt. Die erhöhte Position hat zur Folge, dass die ohnehin schon grosse Strahlungswirkung einer Stadt noch wesentlich verstärkt wird. Eine so erhöhte Stadt ist über sehr grosse Entfernungen zu sehen!

Vers 15

Man zündet auch nicht eine Lampe an und setzt sie unter den Scheffel, sondern auf das Lampengestell, und sie leuchtet allen, die im Hause sind. Mt 5,15

Gottes Gnade hat in jedem Gläubigen ein göttliches, hell strahlendes Licht entzündet. Es ist nicht unser Licht, das nun leuchtet, sondern Sein Licht – ein reines, unvergleichlich helles und strahlendes Licht. Dieses Licht soll in der finsteren Nacht der Welt leuchten, es soll Menschen anziehen, ihnen den Weg zum ewigen Heil anzeigen. Unsere Verantwortung ist es, dem Licht den rechten Platz in unserem Leben einzuräumen. Hätten wir in unserem ganzen Haus nur eine einzige Lichtquelle, würden wir sie gewiss so platzieren, dass wir das Licht optimal ausnutzen könnten. So muss es auch in unserem Leben sein. Alles, was die Strahlkraft des Lichtes mindern könnte, sollte aus dem Weg geräumt werden. Hiervon geben uns die Sonne und der Mond ein beeindruckendes Beispiel: Der Mond hat kein eigenes Licht, sondern er widerspiegelt das Licht der Sonne. Doch nur einmal pro Monat haben wir Vollmond, also einen Mond, der ungehindert und uneingeschränkt das Licht der Sonne widerspiegelt. Wieso strahlt der Mond nicht immer so, sondern oft nur teilweise und einmal pro Monat sogar überhaupt nicht? An den meisten Tagen im Monat steht die Erde zwischen dem Mond und der Sonne, sodass sie einen Schatten auf den Mond wirft. Wenn in unserem Herzen irdische, materielle Dinge einen zu grossen Raum einnehmen, verdunkeln sie ebenso das göttliche Licht, das in uns entzündet worden ist. Ein Gläubiger kann es sogar so weit treiben, dass er das göttliche Licht komplett vor seiner Umgebung abschirmt, sodass er dem Leermond oder jemandem gleicht, der seine einzige Lichtquelle unter einen grossen Kübel stellt, den Scheffel. «Scheffel» ist ein bestimmtes Hohlmass, ähnlich wie ein Liter. Im Altertum bezeichnete man die Gefässe, die eine bestimmte Menge von Inhalt fassen konnte, mit dem Namen der Fassmenge. «Scheffel» ist also sowohl eine Massangabe als auch ein Kübel, der einen Scheffel fasst. Das Nomen ist fast vollständig aus unserem Wortschatz verschwunden, aber das Verb wird hie und da noch gebraucht, nämlich als Ausdruck für eine habsüchtige, gierige Haltung. Wer Geld scheffelt, setzt alles daran, immer noch reicher zu werden. Seine Gier verdunkelt das göttliche Licht vollständig; er setzt den Scheffel über die Lampe. Das Problem dabei ist nicht der Reichtum an sich; für einige Gläubige hat der HERR durchaus ein Leben in grossem Wohlstand vorgesehen, damit sie etwa eine entsprechende Klasse von Menschen mit dem Evangelium erreichen können, die von ärmeren Geschwistern nicht erreicht werden könnten. Das Problem ist die Herzenshaltung: Auch ein Armer kann geldgierig sein und damit die Lampe unter den Scheffel setzen. Hüten wir uns davor, dem Herrn Jesus einen Teil des Ihm gehörenden Raumes in unserem Herzen zu stehlen, indem wir unser Herz an andere Dinge hängen!

Vers 16

So soll euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichen. Mt 5,16

Hier nun haben wir ein göttliches «Soll» vor uns: Weil wir Licht sind respektive Sein göttliches Licht in uns tragen, sollen wir entsprechend leuchten. Alles, was dieses Licht verdunkeln könnte, muss entfernt und beseitigt werden. Unser ganzes Verhalten soll durch die guten Werke, die Gott durch uns wirkt, geprägt sein, damit der Vater, der in den Himmeln ist, die Ihm gebührende Verherrlichung empfängt. Was ist damit gemeint? Wir können aus uns selbst heraus keine guten Werke tun. Wenn im Neuen Testament von Werken gesprochen wird, die ein Mensch aus sich selbst heraus produziert, werden diese als böse oder als tot bezeichnet (z.B. Joh 3,19; 7,7; Hebr 6,1; 9,14). Die wirklich guten Werke, also jene Taten, die Gott für gut befindet, sind Werke, die Er zuvor bereitet hat; es sind Seine Werke, aber Er will sie durch uns ausführen (Eph 2,10). Der Ruhm für ein solches Werk kann nicht uns – als «Werkzeug» –, sondern nur Ihm – als «Handwerker» – zufallen. Nun können wir als Gläubige sowohl gute als auch tote und sogar böse Werke vollbringen. Ist unser Leben ein wildes Mischmasch davon, dann ist unser Verhalten insgesamt nicht durch gute Werke geprägt, d.h. wenn die Menschen an uns denken, denken sie nicht in erster Linie an Gott, der so wunderbar durch uns wirkt. Das Licht ist getrübt und kann nicht ungehindert leuchten. Geprägt wird unser Verhalten dadurch, was wir gewohnheitsmässig tun. Suchen wir in allen Situationen des Lebens zuerst danach, Gott zu ehren und vor den Menschen zu verherrlichen, wird unser Verhalten von Seinen guten Werken geprägt sein und unser Licht leuchtet so vor den Menschen, wie Gott es will.

Vers 17

Meint nicht, dass ich gekommen sei, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Mt 5,17

Die Predigt des Herrn Jesus war in vielerlei Hinsicht völlig neuartig, ja geradezu revolutionär. Prediger in dem Sinne wie Er einer war, hatte es davor nicht gegeben, und die lehrmässigen Ausführungen der Schriftgelehrten hatten sich in aller Regel darauf beschränkt wiederzugeben, was frühere Schriftgelehrte zu einer Stelle aus der Heiligen Schrift gesagt hatten. So neuartig aber die Form war, so konsistent war der Inhalt mit dem, was Gott zu früheren Zeiten offenbart hatte. Der oberflächliche Zuhörer mochte wohl meinen, der Herr Jesus habe das Gesetz oder die Propheten – ein Sammelbegriff für die Schriften des Alten Testamentes – auflösen und durch etwas komplett Neues ersetzen wollten, aber das stimmte nicht! Bei Gott gibt es keinerlei Veränderung noch den Schatten eines Wechsels (Jak 1,17), weshalb das, was Er einmal gesagt hat, für ewig Bestand hat. Er meint, was Er sagt, und Er sagt, was Er meint! Die Bibel ist eine einzige, in sich stimmige und zu 100 Prozent konsistente Offenbarung Gottes, ein aus vielen Teilen bestehendes Meisterstück, ein Gesamtwerk. Was sich nicht zu 100 Prozent mit allem deckt, was in der Bibel offenbart worden ist, kommt nicht von Gott, sondern aus der eigenen Phantasie des Menschen oder – schlimmer noch! – direkt von unten. Viele Christen bekräftigen diese Wahrheit zwar mit ihren Lippen, strafen sie aber mit ihrem Verhalten Lügen, indem sie den Wert des Alten Testamentes relativieren oder nur selten in den Schriften des Alten Testamentes lesen respektive diese so behandeln, als wären sie mit dem Neuen Testament hinfällig und bedeutungslos geworden.

Der Herr Jesus war also nicht gekommen, um die frühere Offenbarung aufzulösen. Er war aber auch nicht gekommen, um das Alte Testament bloss zu bestätigen. Seine Mission bestand nicht darin, dem Alten Testament gewissermassen Sein göttlich-königliches Siegel aufzudrücken. Nein, Er war gekommen, um zu erfüllen, d.h. alles zur vollen Fülle zu bringen – nicht nur das Gesetz, sondern auch die Propheten. Wir haben hier einen Gedanken vor uns, dessen Wichtigkeit gar nicht überbetont werden kann, ein Prinzip, das einer der wichtigsten Schlüssel überhaupt zum richtigen Verständnis der Bibel ist. Das Alte Testament respektive die jüdische Bibel besteht nach jüdischer Tradition aus drei Teilen, nämlich der Torah («Belehrung», «Gesetz»; die fünf Bücher Mose), den Neviim («Propheten», einschliesslich den «geschichtlichen» Büchern wie Josua) und den Ketuvim («Schriften»; poetische Bücher wie Psalmen und Lied der Lieder). Aus den Anfangsbuchstaben kann man ein Akronym bilden: «Tanakh». Im Neuen Testament ist deshalb oft die Rede vom Gesetz und den Propheten, teilweise auch nur vom Gesetz (der erste Teil steht dann gewissermassen stellvertretend – pars pro toto – für das Ganze) oder ähnliches, wenn das Alte Testament gemeint ist. Manchmal wird Mt 5,17 so verstanden, dass der Herr Jesus gekommen sei, das Gesetz für Israel mit seinen etwas über 600 Geboten, das durch Mose am Sinai gegeben worden war, zu erfüllen, d.h. als erster und einziger Mensch überhaupt das ganze Gesetz zu halten. Das ist aber nicht die Kernaussage des Herrn Jesus, obwohl Er das tatsächlich getan hat. Wenn Er «nur» das gemeint hätte, hätte Er nicht von den Propheten gesprochen. Nein, was Er eigentlich meinte war dies: Er war gekommen, um die Offenbarung Gottes zur vollen Entfaltung zu bringen. Das Gesetz hatte auf Ihn hingewiesen, alle Propheten hatten von Ihm geweissagt, alles im Alten Testament wies direkt auf Ihn hin, wie ein einziger grosser Pfeil – und nun war Er hier, die vollste und grösste Offenbarung Gottes, die der Menschheit je gegeben worden ist. «Nachdem Gott vielfältig und auf vielerlei Weise ehemals zu den Vätern geredet hat in den Propheten, hat er am Ende dieser Tage zu uns geredet im Sohn, den er zum Erben aller Dinge eingesetzt hat, durch den er auch die Welten gemacht hat; er, der Ausstrahlung seiner Herrlichkeit und Abdruck seines Wesens ist» (Hebr 1,1–3); «Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Einzigen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit» (Joh 1,14). Damit halten wir einen der wichtigsten Schlüssel für das richtige Verständnis der Bibel überhaupt in der Hand: Die Bibel muss christozentrisch ausgelegt werden! Alles hängt zusammen mit der Person des Herrn Jesus Christus, weshalb in Joh 1 auch von Ihm als «dem Wort» gesprochen wird. Er ist das Wort Gottes. Wenn wir eine Bibelstelle studieren und nicht Ihn vor Augen haben, Ihn aus unseren Überlegungen ausschliessen, dann werden wir mit unserer Auslegung garantiert falsch liegen. Er ist die Fülle des Gesetzes und der Propheten, die Fülle der Offenbarung Gottes!

Vers 18

Denn wahrlich, ich sage euch: Bis der Himmel und die Erde vergehen, soll auch nicht ein Jota oder ein Strichlein von dem Gesetz vergehen, bis alles geschehen ist. Mt 5,18

So unveränderlich wie Gott selbst ist, so unveränderlich ist jedes einzelne Wort, das Er spricht. Wir wissen ja nur zu gut, dass alles einem ständigen Wandel unterworfen ist, einige Dinge mehr, andere weniger. Aber auch das, was uns als am beständigsten erscheint, wird irgendwann ein Ende haben und vergehen, denn einmal wird der Moment kommen, wo der HERR alles auf der Erde und im Universum auflösen wird, um etwas vollständig Neues zu schaffen. Aber Sein Wort bleibt! Er wird niemals etwas von dem, was Er gesagt hat, zurücknehmen oder relativieren! Heute gibt es leider sehr viele (auch echt gläubige, aber verführte) Christen, die die Auffassung vertreten, das Wort Gottes könne in Teilen seine Relevanz verlieren. So wird beispielsweise ein halbes Kapitel der Bibel (1.Kor 11,1–16) so behandelt, als hätte es uns in der heutigen Zeit nichts zu sagen, obwohl es sich um einen Teil eines Briefes im Neuen Testament und damit um die direkt an uns gerichtete apostolische Lehre handelt! Wie klar widerspricht eine solche Haltung dem, was der Herr Jesus gesagt hat! Seine Ausführungen sind eindeutig: Nicht einmal ein Jota – der kleinste Buchstabe im griechischen Alphabet, nicht mehr als ein kleiner senkrechter Strich – oder ein Strichlein soll vergehen, wobei mit «Strichlein» ein einziges kleines Detail eines Buchstabens gemeint ist. Man kann es nur nochmals wiederholen: Gott meint, was Er sagt, und Er sagt, was Er meint! Wer ist der Mensch, dass er auch nur ein Detail der göttlichen Offenbarung relativieren dürfte!

Vers 19

Wer nun eins dieser geringsten Gebote auflöst und so die Menschen lehrt, wird der Geringste heissen im Reich der Himmel; wer sie aber tut und lehrt, dieser wird gross heissen im Reich der Himmel. Mt 5,19

Da Gott kein einziges Seiner Worte je wieder zurücknehmen wird und da alle Seine Worte deshalb auf ewig Bestand haben werden, sollen wir uns auch entsprechend verhalten. Wie tun wir das? Indem wir mit unseren Lippen bekennen, dass jedes Wort Gottes wichtig und verbindlich ist? Nein, das genügt nicht! Wir müssen dem Wort Gottes gehorsam sein («wer sie aber tut»)! «Kinder, lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern in Tat und Wahrheit!» (1.Joh 3,18). Das ist die allerwichtigste Lektion.

Bedeutet das nun, dass wir als Christen doch dem Gesetz unterworfen sind, das der HERR durch Mose Seinem Volk Israel am Sinai gegeben hat? Nein. Wir halten zwar unbedingt daran fest, dass jenes Gesetz für immer Gültigkeit haben wird, aber wir halten genauso daran fest, dass jenes Gesetz einen fest bestimmten Geltungsbereich hat, zu dem wir als Christen nicht gehören. Ein Schweizer muss sich nicht an die Gesetze Deutschlands halten, sondern an die Schweizer Gesetze. Als Nicht-Israeliten sind wir nicht dem Gesetz für Israel unterstellt. Mehr noch: Als Christen sind wir der Welt, der Sünde und dem Gesetz gestorben; einem Gestorbenen hat das Gesetz aber nichts mehr zu sagen, was in Röm 7,1ff. ausführlich erklärt wird. Für weitergehende Ausführungen sei an dieser Stelle auf eine etwas längere Abhandlung verwiesen: Der Christ und das Gesetz (Tobias Bolt).

Böse Zungen könnten uns vorwerfen, dass dies ein «Trick» sei, mit dem wir uns vom Joch des Gesetzes befreien wollten. Aber das ist nicht der Fall, denn wir nehmen einfach ernst, was im Römer-Brief so ausführlich beschrieben wird. Zudem ehren wir das Gesetz Gottes, indem wir es wirklich – mitsamt seinem göttlich definierten Geltungsbereich – ernst nehmen und darüber hinaus danach streben, geistliche Belehrungen aus den göttlichen Anordnungen zu ziehen. Was ist damit gemeint? Auch wenn das Gesetz sich nicht direkt an uns richtet und wir deshalb unser Handeln nicht an den Geboten ausrichten müssen, verrät uns das Gesetz etwas darüber, wie Gott ist und wie der Mensch von Natur aus ist. Christen sollten das Gesetz also intensiv studieren – aber nicht, damit sie dann wissen, was sie zu tun und zu lassen haben, sondern um in der geistlichen Erkenntnis zu wachsen. Beispielsweise zeigen uns verschiedene Gebote ganz deutlich auf, dass Gott der HERR sehr um Waisen, Witwen, Fremde und Schwache besorgt ist. Das zeigt uns etwas von Seinem Herz. Wenn wir Ihm gefallen wollen, sollen wir ebenso ein Herz für die Schwächsten in unserer Gesellschaft haben und danach trachten, diesen tatkräftig zu helfen.

Man könnte natürlich weiter einwenden, dass dies nicht die Aussage von Mt 5,19 sei. Dieser Einwand ist berechtigt. Aber die Bergpredigt ist keine «rein christliche» Ordnung und schon gar nicht eine volle Offenbarung der christlichen Lehre, wie wir sie nur in den Briefen des Neuen Testamentes finden können. Man muss nur einmal die Bergpredigt mit bspw. dem Brief an die Epheser vergleichen! Die Luft, die man da gewissermassen einatmet, die Sphäre, in der man sich befindet, einfach alles ist sehr unterschiedlich! Im Epheserbrief atmet man reine Himmelsluft; die Bergpredigt hat einen unübersehbar irdischen Einschlag. Sie bezieht sich denn auch nicht auf die ekklesia, die Herausgerufene, die Kirche, sondern auf das Reich der Himmel, das wie bereits mehrfach ausführlich dargelegt einen deutlich weiteren Bereich umfasst. Beispielsweise werden gerade die Israeliten, die nach dem Ende der christlichen Zeit scharenweise zum Glauben kommen werden, in das Reich der Himmel eingehen. Als treue Israeliten werden sie natürlich das Gesetz Moses weiterhin befolgen. Sie werden in Offb 12,17 bezeichnet als jene, «welche die Gebote Gottes halten und das Zeugnis Jesu haben». Das ist keine Bezeichnung für Christen, denn Christen sind gerade nicht (und schon gar nicht primär!) dadurch gekennzeichnet, dass sie die Gebote Gottes halten, auch wenn sie effektiv einem weit höheren moralischen Standard entsprechen – doch nicht aus gesetzlicher Pflicht, sondern aus Liebe gegenüber Demjenigen, der sie zuerst geliebt hat. So bezeichnet Johannes sich am Anfang der Offenbarung zwar ganz ähnlich, aber eben doch anders als den, «der das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi bezeugt» (Offb 1,2).

Auch für die Israeliten wird die Frage, ob sie das Gesetz befolgen (und andere dazu anhalten, es ihnen gleich zu tun), nicht entscheidend für den Eingang in das Reich der Himmel sein. Auch sie können nur durch Gnade und Glauben Zulass finden. Aber ihre Position im Reich wird davon abhängen, mit welcher Treue und mit welchem Fleiss sie sich innerhalb jenes Bereiches bewegen werden. Das können und sollten wir direkt auf uns übertragen, denn als Christen gehören wir zwar einerseits zur ekklesia mit ihrer ewig-himmlischen Berufung und Segnung, andererseits aber auch zum Königreich der Himmel. In dieser Hinsicht bzw. in diesem Bereich ist entscheidend, mit welcher Treue wir dem Wort Gottes begegnen. Das wird einmal einen Unterschied machen!

Vers 20

Denn ich sage euch: Wenn nicht eure Gerechtigkeit die der Schriftgelehrten und Pharisäer weit übertrifft, so werdet ihr keinesfalls in das Reich der Himmel hineinkommen. Mt 5,20

Hier haben wir nun den Schlüsselvers der Bergpredigt vor uns. Was der Herr Jesus hier von Seinen Jüngern verlangt, ist keine kleine Sache. Die Schriftgelehrten und Pharisäer werden uns in den Evangelien zwar durchwegs in einem negativen Licht präsentiert, weil sie ihren Messias verworfen haben. Was aber ihre «Gerechtigkeit» respektive ihre Frömmigkeit in alltäglichen Dingen anbelangte, muss man ihnen durchaus Respekt zollen. So verzehnteten sie beispielsweise sogar die Küchenkräuter (Mt 23,23), was sehr treffend veranschaulicht, wie unglaublich genau sie es mit den göttlichen Geboten nehmen wollten. Der prahlerische Pharisäer, der in Lk 18 erwähnt wird, übertrieb nicht, als er sagte, dass er zweimal pro Woche faste (Lk 18,12). Der junge Oberste, der einmal mit dem Herrn Jesus sprach, konnte mit reinem Gewissen sagen, dass er alle Gebote von Jugend an gehalten hatte (Mk 10,20) – übrigens ein schönes Beispiel dafür, wie unzuverlässig selbst das feinste Gewissen ist! Nur das Wort Gottes kann uns wirklich in das göttliche Licht stellen, unsere Herzen und Nieren durchforschen. Jedenfalls wiesen die Schriftgelehrten und Pharisäer also einen hohen Grad an praktischer Gerechtigkeit auf. Aber dieser hohe Standard musste weit übertroffen werden, ansonsten würde man keinesfalls in das Königreich der Himmel hineinkommen! Das sind sehr deutliche und drastische Worte.

Das grosse Manko der Schriftgelehrten und Pharisäer war, dass sich ihre Gerechtigkeit in äusserlichen, kleinen Dingen erschöpfte. Sie mochten zwar die Küchenkräuter verzehnten (wofür der Herr Jesus ihnen Anerkennung zollte), aber sie versagten vollständig in Bezug auf die grundlegenden Dinge – Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Glaube (Mt 23,23). Gott der HERR erfreut sich aber in erster Linie nicht an frommen Gaben, sondern an der Wahrheit im Innern (Ps 51,8). Vor den Menschen mochten die Schriftgelehrten und Pharisäer wie Über-Heilige erscheinen, Gott konnten sie damit nicht beeindrucken, weil sie das, was Er in erster Linie bei ihnen suchte, nicht vorweisen konnten. Was diesen Schriftgelehrten und Pharisäern fehlte, wird jedem Israeliten im neuen Bund aus Gnade geschenkt werden:

Sondern das ist der Bund, den ich mit dem Haus Israel nach jenen Tagen schliessen werde, spricht der HERR: Ich lege mein Gesetz in ihr Inneres und werde es auf ihr Herz schreiben. Und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein. Dann wird nicht mehr einer seinen Nächsten oder einer seinen Bruder lehren und sagen: Erkennt den HERRN! Denn sie alle werden mich erkennen von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Grössten, spricht der HERR. Denn ich werde ihre Schuld vergeben und an ihre Sünde nicht mehr denken. Jer 31,33.34

Im neuen Bund wird jeder Israelit vollkommen gerecht gesprochen werden. Seiner Sünde wird nicht mehr gedacht werden. Aber mehr noch! Sein Herz wird verwandelt werden; das Gesetz wird direkt in sein Herz gelegt werden. Niemand wird mehr über die Wege Gottes belehrt werden müssen, sondern jeder wird sie kennen, weil er direkt von Gott unterwiesen werden wird. Das ist eine viel tiefere, viel weit gehendere Form von Gerechtigkeit, als sie die Pharisäer und die Schriftgelehrten je aufweisen konnten! Eigentlich hassten sie ja Gott, was sich in ihrem Hass gegen den Herrn Jesus deutlich zeigte. Aber im neuen Bund wird man Gott lieben – von Herzen lieben. An diesen Segnungen des neuen Bundes dürfen wir Christen bereits teilhaben, aber man muss klar betonen: Unsere Segnungen gehen viel, viel weiter! Mit uns schliesst der HERR keinen Bund; uns hat Er in Seine Familie aufgenommen! Wir können aber jedenfalls eine weit höhere Gerechtigkeit vorweisen als die Schriftgelehrten und Pharisäer – aber nicht, weil wir so viel bessere Menschen wären, sondern weil die Gnade Gottes so Grosses an uns getan hat.

Bleibt die grosse Frage: Zeigt sich das in unserem Verhalten? Wenn Gott der HERR so an unseren Herzen gewirkt hat, wenn Er uns die Fähigkeit verliehen hat, die Gerechtigkeit der Schriftgelehrten und Pharisäer wirklich bei weitem zu übertreffen, erkennt man das auch in unserem Alltag?

Vers 21

Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht töten; wer aber töten wird, der wird dem Gericht verfallen sein. Mt 5,21

Dieser und die nachfolgenden Verse dürfen nicht losgelöst von den vorangegangenen Versen gelesen werden! Der Herr Jesus hat gesagt, dass kein Jota und kein Strichlein vom Gesetz vergehen wird und dass Er nicht gekommen war, um das Gesetz aufzulösen. Und doch werden die Aussagen ab Mt 5,21 manchmal so gelesen, als hätte Er das Gesetz Moses abgeändert. Das hat Er nicht getan! Wenn wir genau lesen, was Er sagt, wenn Er wiedergibt, was «zu den Alten» gesagt worden war, stellen wir fest, dass Er nicht aus dem Alten Testament zitiert. Die Juden hatten damals bereits eine lange feststehende Auslegungstradition, den sogenannten Talmud («die Lehre»). Ursprünglich war der Talmud wohl eine Auslegung oder Kommentierung des Alten Testamentes gewesen, aber er hatte sich mit der Zeit immer mehr zu einem verbindlichen Verhaltenskodex entwickelt (wobei man, um ganz genau zu sein, darauf hinweisen muss, dass das nur für einen der zwei grossten Teile des Talmud galt; der andere Teil beinhaltete Legenden und Phantastereien). Und genau hier setzte der Herr Jesus an, indem Er die traditionelle Auslegung dort, wo sie falsch war, verwarf und durch die richtige Auslegung der Heiligen Schriften ersetzte.

Hier in Mt 5,21 haben wir nun die erste gewissermassen beispielhaft angeführte Verhaltensansweisung vor uns. In der Heiligen Schrift heisst es: «Du sollst nicht töten» (2.Mose 20,13). Die Rabbiner haben hinzugefügt, dass derjenige, der töten wird, dem Gericht verfallen sein wird. Das war ja vielleicht nicht unbedingt falsch, veränderte die göttliche Aussage aber doch – zumindest «gefühlt» – ganz wesentlich: Der HERR hatte gesagt, dass Töten verboten sei, gar nicht in Frage komme oder in Erwägung gezogen werden dürfe. Punkt! Die Rabbiner haben das in einem gewissen Sinne abgemildert, indem sie («gefühlt») ergänzt haben: «Und wenn Du es doch tust, muss man dann halt vor Gericht weitersehen». Aus einem absoluten «no go» haben sie eine Handlung gemacht, die negative Konsequenzen nach sich ziehen wird. Das ist das Kernproblem ihrer Auslegung. Schauen wir im nächsten Vers, was der Herr Jesus dazu gesagt hat!

Vers 22

Ich aber sage euch, dass jeder, der seinem Bruder zürnt, dem Gericht verfallen sein wird; wer aber zu seinem Bruder sagt: Raka!, dem Hohen Rat verfallen sein wird; wer aber sagt: Du Narr!, der Hölle des Feuers verfallen sein wird. Mt 5,22

Nie hätte es ein Schriftgelehrter gewagt, zu sagen: «Ich aber … !» Aber der Herr Jesus lehrte in Vollmacht. Er zeigte auf, dass man das Tötungsverbot keinesfalls abschwächen darf, sondern dass es nur die äusserste Grenze dessen bildete, was Gott der HERR für das Zusammenleben Seines Volkes tolerieren konnte. Denn Gott beschäftigt sich nicht in erster Linie mit unseren Taten, sondern mit unseren Herzen. Wenn wir Ihm wirklich gefallen wollen, dann müssen wir ebenfalls dort ansetzen. Das bedeutet, dass jede Wurzel im Herzen, aus der sich in letzter Konsequenz ein ausgewachsener Mord entwickeln könnte, streng verurteilen müssen. Zorn gegenüber einem Mitmenschen ist die Wurzel von Mord. Zorn im Herzen, selbst wenn er sich nicht nach aussen zeigt, darf nicht toleriert werden. Zürnen wir, sollten wir sofort zum Thron der Gnade stürmen. Der Herr Jesus zeigte also klar auf, dass bereits Zorn nicht tolerierbar ist.

Noch schlimmer wird es aber, wenn sich der Zorn in Beleidigungen äussert, wenn wir unseren Nächsten also beispielsweise als einen Dummkopf (aramäisch: Raka) bezeichnen. Viele Christen sind hier nicht klar. Sie sagen: «Sünde ist Sünde und Sünde ist immer schlimm!», aber Gottes Wort zeigt ganz deutlich auf, dass es Abstufungen im Schweregrad und Abstufungen im Gericht gibt. Wohl ist es wahr, dass die kleinste Sünde Gott mehr beleidigt, als uns die grösste Sünde betrübt. Sünde ist Sünde und Sünde ist immer verkehrt. Das gilt ganz grundsätzlich, aber Gott der HERR urteilt absolut gerecht. Schwerere Sünden ziehen ein schwereres Gericht nach sich. In den Worten des Herrn Jesus führt Zorn im Herzen zur Verurteilung durch ein Gericht, die Äusserung einer Beleidigung dagegen zur Verurteilung durch den Hohen Rat (das oberste Gericht in Israel; der sogenannte Sanhedrin bzw. griechisch-latinisiert Synedrium). Eine noch stärkere Beleidigung, auf die wir gleich noch einen näheren Blick werfen wollen, hat sogar die «Hölle des Feuers» zur Folge! Die «Hölle des Feuers» ist nichts anderes als die «feurige Hölle»; der Ausdruck ist ein Hebraismus, d.h. ein typisch hebräisches Wortgebilde. Die hebräische Sprache ist stark Nomen-basiert, was unter anderem bedeutet, dass teilweise Nomen als Adjektive benutzt werden, wie es eben hier der Fall ist: Die Hölle des Feuers ist die feurige Hölle. An einer anderen Stelle ist beispielsweise die Rede vom Wort Seiner Macht, was nichts anderes bedeutet als Sein mächtiges Wort. Oder der Sohn Seiner Liebe ist einfach Sein geliebter Sohn.

Wieso wird «Narr» so viel stärker gewichtet als «Raka»? Ein Raka ist ein Dummkopf, also jemand, der in seinem normalen Denken beeinträchtigt ist. Ein Narr ist dagegen – in der Sprache der Bibel – jemand, der in seinem Herzen beeinträchtigt ist, oder anders ausgedrückt ein Gottloser. Aus biblischer Sicht ist ein Narr jemand, der die Wahrheit nicht hören will, der sich bewusst gegen Gott auflehnt. Das können wir vielleicht nicht sofort nachvollziehen, weil wir den Ausdruck Narr heute üblicherweise anders gebrauchen. Man könnte hier also – in unserer Terminologie – lesen, dass ein Raka ein Idiot ist, während ein Narr ein Gottloser ist. Wirft man jemandem so etwas Krasses vor, hat man sehr ernste Konsequenzen zu fürchten.

Wir erkennen also bereits anhand dieses ersten Beispiels, und die anderen Beispiele werden das bestätigen, dass das Gesetz, das Gott der HERR Seinem Volk Israel am Sinai durch Mose gegeben hat, nur ein Zaun oder eine Leitplanke gewesen ist, also die Grenze zwischen dem, was gerade noch so tolerierbar, und dem, was inakzeptabel war. So gesehen ist der vom Gesetz geforderte moralische Massstab relativ tief (und trotzdem hat es nie ein Mensch geschafft, das zu halten!). Wenn Gott Sein ganzes Herz offenbart hätte, hätte Er von Israel viel mehr verlangt. Aber das Gesetz richtete sich an den sündigen, nicht den erneuerten Menschen, und deshalb musste der HERR Sich mit einem Minimalstandard begnügen. Wie verkehrt liegen wir als Christen, wenn wir behaupten, dass dies unsere Richtschnur für das Leben als Christ sei! Von uns fordert Gott sehr viel mehr!

Vers 23

Wenn du nun deine Gabe darbringst zu dem Altar und dich dort erinnerst, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, Mt 5,23

Auch wenn hier die einzelnen Verse des Matthäus-Evangeliums einzeln besprochen werden (und auch wenn der Verfasser aufgrund eines unzuverlässigen Gedächtnis teilweise heute nicht mehr weiss, was er gestern geschrieben hat), darf man die Verse grundsätzlich nie für sich allein auslegen. Sie stehen immer in einem gewissen Zusammenhang (Kontext), also in einem Abschnitt mit anderen Verse, in einem bestimmten Buch der Bibel etc. Wir haben uns gestern und vorgestern mit dem Tötungsverbot und mit der Wurzel des Mordes im Herzen, dem Zorn gegen den Bruder (oder: Nächsten), befasst. Gleich im Anschluss folgt ein vermeintlich anderes Thema, das aber bei genauer Betrachtung die Kehrseite des vorherigen Themas bildet. Es geht jetzt nicht darum, dass ich etwas gegen meinen Bruder (oder: Nächsten) hätte, sondern dass dieser etwas gegen mich hat. Der Herr Jesus äusserte sich nicht dazu, ob dieser Groll des Bruders (oder: Nächsten) berechtigt oder unberechtigt sei. Das spielte für Seine Ausführungen keine Rolle. Entscheidend ist hier nur, dass etwas zwischen mir und einem anderen Menschen steht. Kann ich in einer solchen Situation dem HERRN ungehindert und mit Freimütigkeit Anbetung darbringen? Kann ich ungetrübte Gemeinschaft mit dem HERRN geniessen, während mein Bruder (oder: Nächster) etwas gegen mich hat?

Vers 24

so lass deine Gabe dort vor dem Altar und geh vorher hin, versöhne dich mit deinem Bruder, und dann komm und bring deine Gabe dar! Mt 5,24

Wenn ein Bruder (oder: Nächster) etwas gegen mich hat, kann ich Gott dem Herrn nicht in Freimütigkeit anbeten. Wir kennen vielleicht die menschliche Seite des Problems: Wir hatten einen Streit, weil jemand uns – berechtigt oder unberechtigt – Vorwürfe gemacht hat. Jetzt sind wir wieder zuhause, aber der Streit will uns einfach nicht aus dem Kopf gehen. Ständig kreisen unsere Gedanken wieder dahin zurück, ständig geht uns durch den Kopf, was wir noch alles hätten sagen wollen etc. Natürlich können wir das alles Gott im Gebet darbringen, aber das wird dann keine Anbetung – keine Bewunderung Seiner Person –, sondern vielmehr ein Klagen, Bitten und Flehen sein. Aber das ist nur die menschliche Seite. Da gibt es auch eine geistliche Komponente. Gott der Herr akzeptiert als Anbetung nur, was aus reinem Herzen kommt. So heisst es beispielsweise: « Ich will nun, dass die Männer an jedem Ort beten, indem sie heilige Hände aufheben, ohne Zorn und zweifelnde Überlegung» (1.Tim 2,8). Natürlich kann unsere Anbetung nie jene Perfektion haben, die Seiner würdig ist, und natürlich entspringt der wahre Wert unserer Anbetung nicht dem, was wir bringen können, sondern dem, was der Herr Jesus getan hat. Aber wenn es handfeste Dinge wie einen Streit mit einem Nächsten gibt, von denen wir genau wissen, dass sie unsere Gemeinschaft mit Gott trüben, dann sollen wir zuerst in Ordnung bringen – und nachher Gott anbeten. Diese Aufforderung des Herrn Jesus ist also sehr leicht zu verstehen, aber leider sehr schwierig umzusetzen. Andererseits kann das ganz praktisch eine grosse Hilfe für das Führen eines Gott wohlgefälligen Lebens sein, denn wenn es wirklich unser Wunsch ist, in Gemeinschaft mit Gott zu stehen, wird uns das zwingen, alle möglichen Dinge jeweils möglichst rasch in Ordnung zu bringen.

Vers 25

Komm deinem Gegner schnell entgegen, während du mit ihm auf dem Weg bist! Damit nicht etwa der Gegner dich dem Richter überliefert und der Richter dem Diener und du ins Gefängnis geworfen wirst. Mt 5,25

Noch immer geht es um das Thema der Konflikte zwischen Menschen. Solche Konflikte können – manchmal unerwartet rasch – beängstigende Ausmasse annehmen und sogar vor einem Gericht enden, wo der Bruder (oder: Nächste), der etwas gegen uns hat, unser Gegner ist, der das Gericht dazu bringen will, uns zu strafen. Soviel an uns liegt, sollten wir es nie soweit kommen lassen. Im Verhältnis zu anderen Christen gilt der Grundsatz, dass wir uns nötigenfalls lieber übervorteilen (über das Ohr hauen) als auf einen Streit einlassen sollen (1.Kor 6,7). Ist ein Konflikt erst einmal eskaliert, besteht aber noch immer die Chance auf eine gütliche Einigung und einen echten Friedensschluss. Selbst auf dem Weg zum Gericht können wir noch einmal das Gespräch suchen. Bis zuletzt sollen wir alles daran setzen, Frieden mit denen zu schliessen, die zu unseren Gegnern geworden sind.

Und wie steht es zwischen uns und Gott? Haben wir Frieden mit Ihm? Echten Frieden? Jeder Mensch steht in Beziehung zu seinem Schöpfer, ob er das wahrhaben will oder nicht. Wie jede andere Beziehung auch bringt diese Beziehung Rechte und Pflichten mit sich. Was ist, wenn wir Gottes Rechte vernachlässigen oder gar mit Füssen treten? Was ist, wenn wir unseren Pflichten Ihm gegenüber nicht nachkommen? Das wird genauso zum Konflikt führen wie bei einer zwischenmenschlichen Beziehung! Wer ehrlich mit sich selbst ist, muss zugeben, dass er Gott eher als seinen Gegner denn als seinen Freund bezeichnen muss – nicht, weil Gott etwas gegen ihn hätte, sondern weil der Mensch sich durch seinen Ungehorsam und sein Verhalten gegenüber Gott zum Feind Gottes gemacht hat! Das klingt hart, aber die Bibel bezeichnet die Menschen als Feinde Gottes (Röm 5,10). Nun sind wir auf dem Weg zur Gerichtsverhandlung, denn es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben; danach aber das Gericht (Hebr 9,27). Jetzt haben wir noch die Möglichkeit, uns mit unserem Gegner auf dem Weg zu einigen, bevor wir dem Richter überliefert werden, der uns dem Diener überliefern und uns ins Gefängnis werfen wird. Tatsächlich bietet Gott uns die Hand zur Versöhnung an, denn Er selbst hat den grössten aller Schritte getan, den einzigen Schritt, der zur echten Versöhnung, zum echten Frieden mit Gott führen kann: «Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus, als wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist. Vielmehr nun, da wir jetzt durch sein Blut gerechtfertigt sind, werden wir durch ihn vom Zorn gerettet werden. Denn wenn wir, als wir Feinde waren, mit Gott versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes, so werden wir viel mehr, da wir versöhnt sind, durch sein Leben gerettet werden» (Röm 5,8–10).

Vers 26

Wahrlich, ich sage dir: Du wirst nicht von dort herauskommen, bis du auch die letzte Münze bezahlt hast. Mt 5,26

Wenn ein Konflikt nicht gütlich geregelt werden kann, wenn er vor Gericht endet und wenn das Gesetz unerbittlich in Gerechtigkeit auf den Streitfall angewendet wird, dann muss der Schuldner seine ganze Schuld bis zum letzten Rappen oder Cent abtragen. Deshalb soll er alles daran setzen, sich spätestens noch auf dem Weg zum Richter mit seinem Gegner zu einigen, wie wir im vorangegangenen Vers gelesen haben.

Beziehen wir diese ernsten Ausführungen nochmals auf unser Verhältnis zu Gott, könnten einige Leute vielleicht auf die Idee kommen, dass wir unsere Sündenschuld eben doch abtragen können, dass der zweite Tod im Feuersee, die Hölle, eben doch nicht für immer sei, oder dass die römisch-katholische Kirche richtig liegt, wenn sie behauptet, kirchlich Getaufte kämen nicht in die Hölle, sondern in das Fegefeuer, wo sie ihre Schuld abtragen und gereinigt werden, um anschliessend in die ewige Herrlichkeit einzugehen. Weder das Eine noch das Andere ist richtig. Wir finden in der Bibel keine einzige Aussage, die die Theorie des Fegefeuers stützen würde. Entsprechende Gedanken finden sich nur in den Apokryphen, die nicht zum göttlich inspirierten Text der Heiligen Schrift gehören. Der Herr Jesus selbst hat mehrfach klar und deutlich betont, dass die Hölle eine ewige Pein und Qual sein wird, ohne Ende, ohne Entrinnen, ohne Hoffnung. Schrecklich! Unvorstellbar schrecklich!

Das sollte uns nun zu denken geben. Wir neigen ja alle dazu, unsere Sünden und Verfehlungen eher zu verharmlosen. Vor Gott wiegt unsere Schuld aber so schwer, dass wir sie in alle Ewigkeit nicht vollständig abtragen können! Tag für Tag, Jahr für Jahr, Jahrtausend für Jahrtausend werden wir unsere Sünden büssen müssen – und unsere Schuld doch nicht abtragen können! Denn wäre sie irgendwann abgetragen, würden wir ja entlassen werden. Merken wir, wie völlig anders Gott der HERR über Sünde denkt als wir? Nun mag man sich fragen, wie es denn sein kann, dass der Herr Jesus in nur drei Stunden am Kreuz eine vollständige Sühnung für all jene erwirken konnte, die ihr Vertrauen völlig auf ihn setzen. Wie kann ein dreistündiges Leiden eine Schuld abtragen, die ansonsten bis in alle Ewigkeit nicht abgetragen werden könnte? O, wir können nur anbetend unsere Häupter neigen vor Dem, der so hoch erhaben und durch so tiefe Leiden gegangen ist! Der Herr Jesus ist in Seiner Person unendlich gross; Er konnte unendlich tief hinab in die sühnenden Leiden geführt werden und Er konnte diese in einer unendlichen Vollkommenheit durchleben, während Er selbst als Person vor dem Vater so unendlich kostbar war, dass Seine Gabe unaussprechlich gross gewesen ist. Was Er am Kreuz dargebracht hat, ist so unendlich gross gewesen, dass es in einer endlichen Zeit alle Schuld sühnen konnte; wir sind dagegen so begrenzt, dass wir bis in alle Unendlichkeit nicht dasselbe Gewicht auf die Waage legen können.

Vers 27

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen. Mt 5,27

Nun folgt die zweite Belehrung über die richtige Auslegung des Gesetzes, das Gott der HERR Seinem Volk Israel am Sinai durch Mose gegeben hat. Die erste Belehrung hat das sechste Gebot: «Du sollst nicht töten» (2.Mose 20,13) zum Gegenstand gehabt, diese zweite Belehrung hat das siebte Gebot zum Gegenstand: «Du sollst nicht ehebrechen» (2.Mose 20,14). Auch diesbezüglich hatten sich die Israeliten ein ausgeklügeltes System erdacht, das es ihnen – vermeintlich – erlaubte, die von Gott verordnete Einschränkung auf einen sehr kleinen Wirkungskreis zu beschränken. Man muss zwar anerkennen, dass das Volk Israel in seiner ganzen Geschichte einen hohen Standard bezüglich Ehebruch und Hurerei hochgehalten hat, aber leider ist es auch eine Tatsache, dass man in der Auslegung der Torah das Band der Ehe drastisch gelockert hat. Zur Zeit, als der Herr Jesus als Mensch über diese Erde gewandelt ist, war in weiten Kreisen der jüdischen Gesellschaft anerkannt, dass ein Mann seine Frau aus jedem nichtigen Grund entlassen und dann einfach eine andere Frau heiraten konnte. Dieses Thema wird in Mt 19 ausführlicher behandelt. So Gott will, werden wir uns bei der Kommentierung jener Stelle eingehender damit befassen können. Vordergründig wurde die Ehe in Israel also kaum je gebrochen, in Tat und Wahrheit führte die «Scheidungs- und Wiederverheiratungs-Inflation» aber dazu, dass man problemlos nacheinander verschiedene Geschlechtspartner haben konnte. Das Gebot Gottes wurde dadurch faktisch ausgehöhlt.

Vers 28

Ich aber sage euch, dass jeder, der eine Frau ansieht, sie zu begehren, schon Ehebruch mit ihr begangen hat in seinem Herzen. Mt 5,28

Hat der Herr Jesus mit Seinem: «Ich aber» das Gesetz Gottes aufgehoben oder abgeändert? Nein! Obwohl Er es (an dieser Stelle; vgl. aber Mt 19!) nicht ausdrücklich erwähnt hat, richtete sich Sein: «Ich aber» gegen die damals verbreitete Auslegung des Gesetzes. Das Gebot Gottes verbot seinem Wortlaut nach nur den vollzogenen Ehebruch, das heisst die ausgeführte Tat. Die Juden hatten es, wie bereits erwähnt, geschafft, dieses Gebot weitgehend auszuhöhlen. Ihre Auffassung war, dass das Gebot Gottes nicht gebrochen worden sei, solange sich nicht eine verheiratete Person mit einer unverheirateten geschlechtlich vereinigte. Ihre Auslegung lautete also: «Nur vollzogener Ehebruch ist verboten!» Diesen Missstand wollte der Herr Jesus korrigieren und indem Er das tat, verhalf Er dem – ewig unveränderlichen – Wort Gottes zum vollen Durchbruch, setzte Er das göttliche Gebot an den Platz, an den es wirklich gehörte.

Wie bei Mord beginnt das Problem des Ehebruchs nicht mit der Ausführung der Tat, sondern schon viel früher, nämlich im Herzen. Wer seinem Nächsten zürnt, ist den ersten Schritt hin zu einem Mord gegangen. Das klingt fast unglaublich, aber wenn wir einmal in Ruhe darüber nachsinnen, verstehen wir gewiss, wie das gemeint ist. Der Zorn im Herzen ist wie der Keimling einer Pflanze – etwas Kleines, Unscheinbares, aber doch alles enthaltend, was zur späteren ausgewachsenen Pflanze gehört. Legt man einen Apfelsamen in die Erde, wächst daraus ein kleines Pflänzchen mit nur zwei (Keim-) Blättern, das zunächst nur wenige Zentimeter gross ist. Aber in diesem kleinen Ding ist alles vorhanden, was zum viele Jahre später ausgewachsenen, mehrere Meter hohen Baum gehören wird. Auch mit dem Ehebruch verhält es sich so: Wenn jemand eine Frau ansieht, sie zu begehren, hat er eine Herzenshaltung an den Tag gelegt, die das volle Potential zu einem ausgewachsenen Ehebruch in sich trägt. Diese Begierde im Herzen ist das Grundproblem! Wir werden in den nächsten Versen gleich sehen, weshalb es wichtig ist, das zu wissen, damit wir uns praktisch rein und heilig halten können.

An dieser Stelle gehört aber noch ein Wort des Trostes, das sich in erster Linie an Männer richtet, die wohl häufiger über ihre Augen angefochten werden als Frauen. Vielleicht weiss ein Bruder kaum mehr, wo er hinschauen soll, wenn er durch die Stadt geht, weil da so viele knapp bekleidete Frauen zu sehen sind, die seine Blicke fesseln. Hat ein solcher Bruder, wenn er soundso viele Frauen gesehen hat, die ihm gefallen, soundso oft Ehebruch in seinem Herzen begangen? Nein! In Jak 1,15 heisst es: «Danach, wenn die Begierde empfangen hat, bringt sie Sünde hervor; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod». Die Begierde gehört – leider – zu unserem Wesen, denn durch die in unserem Fleisch (Körper) wohnende Sünde begehren wir, sind wir anfällig auf Versuchungen. Das war beim Herrn Jesus anders. Als der Satan Ihn versuchte, gab es in Seinem ganzen Wesen rein gar nichts, das auf diese Versuchungen hätte «anspringen» können. In uns wohnt aber ein Verbündeter des Teufels: Tritt er mit einer Versuchung von aussen an uns heran, ist da in uns etwas, das darauf «anspringt», das nur zu gerne der Versuchung nachgeben würde – die Begierde. Diese Begierde wohnt auch in einem wiedergeborenen Christ. Die Begierde entspringt der in uns wohnenden Sünde, aber sie ist für sich allein noch keine Sünde! Wenn ein Bruder auf einer Strasse eine unverschämt knapp angezogene und dazu noch hübsche Frau sieht und sich dann in ihm etwas regt, dann ist die Begierde geweckt – aber er hat noch nicht gesündigt. Aber jetzt kommt der entscheidende Moment! Wie reagiert er darauf? Lässt er den Blick weiter auf die Frau gerichtet, tastet er sie mit seinen Augen von oben bis unten ab, lässt er seiner Phantasie freien Lauf? Dann wird – nach Jak 1,15 – etwas «gezeugt»; die Begierde «empfängt». Dieses Etwas ist die Sünde. Wendet der Bruder dagegen seinen Blick ab und nimmt er die Gedanken, die sich ihm vielleicht aufdrängen wollen, gefangen unter den Gehorsam Christi (2.Kor 10,5), dann sündigt er nicht.

Vers 29

Wenn aber dein rechtes Auge dir Anstoss zur Sünde gibt, so reiss es aus und wirf es von dir! Denn es ist dir besser, dass eins deiner Glieder umkommt und nicht dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird. Mt 5,29

Wie kommt es dazu, dass wir sündigen? Wir haben gesehen, dass die in uns wohnende Macht der Sünde eine wichtige Rolle spielt, dass da in uns die Begierde schlummert, die nur zu gerne geweckt werden will. Der dafür notwendige Impuls kommt von aussen, durch den Körper. Für einen Alkoholiker kann es beispielsweise fatale Folgen haben, wenn er nur schon hört, wie irgendwo eine Bügelflasche ploppend geöffnet wird. Manchmal wird unsere Begierde durch einen Duft geweckt, manchmal durch einen Blick … Die Impulse können vielfältig sein. Folglich müssen wir stets auf der Hut sein. Die Warnungen des Herrn Jesus, von denen wir die erste vor uns haben, zeigen ganz drastisch, dass schon ein kleiner Impuls fatale Folgen haben kann. Oft ist es (viel) zu spät, wenn wir im letzten Moment noch die Notbremse ziehen wollen. Wenn wir ein Problem mit unseren Augen haben und uns zum Beispiel regelmässig pornographische Darstellungen anschauen, dann sollten wir uns auf die Suche nach jenen ersten Impulsen machen, die uns letztlich zu Fall bringen. Wo beginnt es jeweils? Was wird uns zum Verhängnis? Durchstöbern wir auf Instagram oder Facebook die beliebtesten Fotos (die wohl in der Regel viel weibliche Haut zeigen dürften – ist doch immer dasselbe!) und landen wir dann irgendwann auf Porno-Seiten? Dann sollten wir Instagram und Facebook meiden! Oder reicht es bereits, wenn wir uns hinter den Computer setzen? Landen wir jedesmal, wenn wir die Kiste anwerfen, am Ende auf einer Porno-Seite? Dann sollten wir den Computer so aufstellen, dass wir nur noch unter Beobachtung im Internet surfen können. Der Herr Jesus verlangt nicht, dass wir uns unsere Augen ausreissen, aber Er verlangt, dass wir absolut radikal gegen die Sünde vorgehen. «Radikal» kommt vom lateinischen Wort radix, das ist die Wurzel. Wir müssen bis zur Wurzel des Problems gehen und diese ausreissen; es reicht nicht, nur die Äste ein wenig zu stutzen!

Die Folgen von Sünde sind verheerend. Hier taucht zum ersten Mal in der Bibel das Wort «Hölle» (griechisch Gehenna, von hebräisch Gej Hinnom – Tal Hinnom) auf. Viele Stellen sprechen vom Totenreich (griechisch Hades, hebräisch Scheol), aber nur vergleichsweise wenige von der Hölle. Die Hölle ist der Ort der ewigen Qual. Sie wird als ein See beschrieben, der von Feuer und Schwefel brennt, wo die Qualen kein Ende nehmen werden (Offb 20,10.14.15). Sie ist bereitet für den Teufel und seine Dämonen (Mt 25,41), aber es werden auch Menschen dort landen. Schrecklich!

Vers 30

Und wenn deine rechte Hand dir Anstoss zur Sünde gibt, so hau sie ab und wirf sie von dir! Denn es ist dir besser, dass eins deiner Glieder umkommt und nicht dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird. Mt 5,30

Nicht nur, die Dinge, die wir sehen (Auge), sondern auch, die Dinge, die wir tun (Hand), und die Orte, an die wir gehen (Fuss), können uns gefährlich werden, kann Begierden wecken, kann uns zur Sünde verführen. Wir müssen sorgsam darüber wachen, wo wir uns aufhalten, womit wir uns beschäftigen und womit wir unsere Seele «füttern». Die in uns wohnende Begierde wartet nur darauf, Impulse zu erhalten, die sie nähren und anreizen! Ist diese Bestie einmal geweckt, werden wir sie nicht bändigen können. Das Geheimnis zum Sieg über die Sünde besteht darin, der Begierde gar nicht erst etwas zu geben, das sie stärkt.

Sind wir aufrichtig zu Gott umgekehrt, haben wir wirklich Busse getan und glauben wir daran, dass der Herr Jesus Christus an unserer Stelle für unsere Sünden gestorben ist, begraben wurde und am dritten Tag auferstanden ist, sind wir also durch eine neue Geburt echte Kinder Gottes geworden, dann wohnt in uns nicht mehr länger nur dieser böse Feind, die Sünde, sondern auch ein mächtiger Verbündeter, nämlich der Geist Gottes. Er kooperiert mit unserem Geist, um uns von innen nach aussen zu verwandeln nach dem Wohlgefallen und zum Preis der Herrlichkeit Gottes. Wie können wir uns Seine Kraft zu eigen machen? Wir müssen unserem Geist das zuführen, was der Geist Gottes nutzen kann, um unseren Geist zu stärken. Was ist das? Das Wort Gottes! Der Geist Gottes arbeitet immer Hand in Hand mit dem Wort Gottes. Das Wort Gottes ist das Werkzeug Seiner Wahl. Bereits Seinem irdischen Volk Israel hatte der HERR deshalb eingeschärft, das Wort Gottes auf allen Wegen (Fuss) und bei allen Verrichtungen (Hand) stets im Blick (Augen) zu haben:

Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollen in deinem Herzen sein. Und du sollst sie deinen Kindern einschärfen, und du sollst davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt und wenn du auf dem Weg gehst, wenn du dich hinlegst und wenn du aufstehst. Und du sollst sie als Zeichen auf deine Hand binden, und sie sollen als Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, und du sollst sie auf die Pfosten deines Hauses und an deine Tore schreiben. 5.Mose 6,6–9

Wir sollten es ebenso halten!

Vers 31

Es ist aber gesagt: Wer seine Frau entlassen will, gebe ihr einen Scheidebrief. Mt 5,31

Nun schliesst sich der Bogen, denn das Thema, von dem die letzten Verse gesprochen haben, ist Ehebruch. Hier führt der Herr Jesus nun die problematische Tradition an, mit der man zwar den äusserlichen Schein sexueller Reinheit wahren, aber trotzdem Ehebruch begehen konnte, nämlich die allzu lasche Ehescheidungspraxis in Israel. «Es ist gesagt» – aber nicht von Gott! Nirgendwo in der Bibel finden wir eine Stelle, wo geschrieben steht: «Wer seine Frau entlassen will, gebe ihr einen Scheidebrief». Der Scheidebrief wird (abgesehen von einigen prophetischen Aussprüchen, die hier nicht von Bedeutung sind) nur in 5.Mose 24 erwähnt. Dort steht aber nicht, dass man seiner Frau einen Scheidebrief geben solle, wenn man sie entlassen wolle. Man muss genau lesen! Es geht um Folgendes: Wenn ein Mann seine Frau entlässt und ihr den Scheidebrief gibt, die Frau nochmals heiratet, aber auch vom zweiten Mann entlassen wird, darf der erste Mann sie nicht wieder zurücknehmen. Die göttliche Anordnung beschränkt sich in diesem Zusammenhang also nur auf das Verbot einer Wiederherstellung der ersten Ehe nach einer Zweitehe. Die Entlassung und der Scheidebrief werden hier einfach als übliche Handlungsweisen angeführt, aber der HERR heisst diese Praxis nicht einmal im Ansatz gut! Niemals ist es Sein Wille gewesen, dass eine Ehe geschieden wird! Und keinesfalls kann man 5.Mose 24 so verstehen, dass der Mann der Frau einfach einen Scheidebrief ausstellen solle und dann sei alles in bester Ordnung! Diese Auslegung entspringt dem verdorbenen menschlichen Herzen und hat nichts mit Gottes Willen zu tun.

Vers 32

Ich aber sage euch: Jeder, der seine Frau entlassen wird, ausser aufgrund von Hurerei, macht, dass mit ihr Ehebruch begangen wird; und wer eine Entlassene heiratet, begeht Ehebruch. Mt 5,32

Das Problem der Entlassung und des Scheidebriefes liegt – kurz gesagt – darin, dass Gottes gute Schöpfungsordnung unterwandert wird, denn der Wille Gottes ist es, dass ein Mann und eine Frau eine verbindliche Beziehung eingehen, die ein ganzes Leben lang andauert, bis dass der Tod die beiden scheidet. Eine Ehescheidung ist ein vorzeitiger Beziehungsabbruch und deshalb an sich schon verkehrt. Zugleich öffnet sie aber die Tür für das eigentliche Hauptproblem: Die Ehegatten sind vermeintlich wieder frei, erneut zu heiraten. Sie gehen eine zweite eheliche Beziehung ein und verstossen damit gegen Gottes gute Schöpfungsordnung. In den Augen Gottes steht die Sache in einem solchen Fall gleich wie bei einem Ehebruch. Es spielt keine Rolle, ob wir gewisse Formalien einhalten, damit (vermeintlich) alles seine Ordnung hat; Gott beurteilt die Sache an sich und nicht den Schein. Bei Ihm gibt es keinen Unterschied zwischen einem «gemeinen» und einem «formell abgesegneten» Ehebruch. Auf die Ausnahme («ausser aufgrund von Hurerei») wird, so Gott will und wir leben, bei der Besprechung des Kapitels 19 eingegangen.

Vers 33

Wiederum habt ihr gehört, dass zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht falsch schwören, du sollst aber dem Herrn deine Eide erfüllen. Mt 5,33

Das dritte Beispiel, das der Herr Jesus angeführt hat, um die wahre Auslegung des Gesetzes zu präsentieren, betrifft den Schwur. In Israel und wohl allgemein im Nahen Osten spielten Schwüre und Gelübde eine wichtige Rolle. Bis heute gibt es auch viele Christen, die regelmässig schwören oder Gelübde tun. Entspricht das dem Willen Gottes? Die Worte unseres Herrn Jesus werden es zeigen. Zunächst hat Er wieder die entsprechende Stelle aus dem alttestamentlichen Gesetz für Israel angeführt. In 3.Mose 19,12 heisst es: «Und ihr sollt bei meinem Namen nicht falsch schwören, dass du den Namen deines Gottes entweihst. Ich bin der HERR». Für die Israeliten war es also (zumindest) verboten, falsche, also unaufrichtige Schwüre zu leisten. Der natürliche Mensch leitet daraus mit seiner Logik ab, dass aufrichtige Schwüre erlaubt oder gar angemessen seien. Aber dieser Gedanke muss in diesem Gebot nicht zwingend enthalten sein. Zum «richtigen» Schwur sagt diese Stelle nichts. Bereits im Alten Testament weisen aber viele Stellen auf den Ernst eines Schwurs oder eines Gelübdes hin, denn der HERR hat klar gemacht, dass ein geleisteter Schwur oder ein geleistetes Gelübde unbedingt erfüllt werden muss. Der Prediger warnte beispielsweise vor einem übereilten Gelübde:

Sei nicht vorschnell mit deinem Mund, und dein Herz eile nicht, ein Wort vor Gott hervorzubringen! Denn Gott ist im Himmel, und du bist auf der Erde; darum seien deine Worte wenige.Denn bei viel Geschäftigkeit kommt der Traum und bei vielen Worten törichte Rede. – Wenn du Gott ein Gelübde ablegst, zögere nicht, es zu erfüllen! Denn er hat kein Gefallen an den Toren. Was du gelobst, erfülle! Besser, dass du nicht gelobst, als dass du gelobst und nicht erfüllst.Gestatte deinem Mund nicht, dass er dein Fleisch in Sünde bringt! Und sprich nicht vor dem Boten Gottes: Es war ein Versehen! Wozu soll Gott über deine Stimme zürnen und das Werk deiner Hände verderben? Pred 5,1–5

Die tragische Geschichte des Richters Jephtah (Ri 11,28ff.) zeigt uns, welche fatalen Folgen ein Gelübde haben kann. Wir müssen bedenken, was der Prediger erwähnt: Wir sind auf der Erde, Gott ist im Himmel. Wir haben gar nichts in der Hand; es steht nicht in unserer Macht, ein Gelübde zu erfüllen, und wenn wir noch so aufrichtig sind. Betrachtet man alle Stellen im Alten Testament, die sich zu Schwüren und Gelübden äussern, einmal unter diesem Gesichtspunkt, stellt man rasch fest, dass diese Stellen voller Warnungen sind.

Vers 34

Ich aber sage euch: Schwört überhaupt nicht! Weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Thron; Mt 5,34

Ein Überblick über alle Stellen im Alten Testament, die über Schwüre oder Gelübde sprechen, zeigt, dass Gott der HERR ernstlich vor dem Schwören und dem Leisten von Gelübden gewarnt hat. Die diesbezüglichen Gebote können wir von daher als einschränkende Regeln verstehen, die vor einem ausufernden Gebrauch von Schwüren und Gelübden abhalten sollten. Treibt man all das weiter auf die Spitze, kommt man zum Schluss, dass es am weisesten sei, überhaupt nicht zu schwören. Genau diese Auslegung des Gesetzes gab der Herr Jesus in der sogenannten Bergpredigt wieder: Man soll überhaupt nicht schwören! Aber Er beliess es nicht bei einer blossen Behauptung, sondern lieferte gut verständliche Gründe für diese Auslegung, von denen wir den ersten hier vor uns haben. Soll man beim Himmel schwören? Nein! Wir haben kein Anrecht auf einen Teil des Himmels, denn dieser ist Gottes Thron. Uns steht nichts am Himmel zu und deshalb können wir auch nichts davon als Unterpfand in die Waagschale werfen. Gott und der Himmel sind weit über uns erhaben, und das soll uns demütig machen. Können wir den Himmel in Bewegung setzen? Nein! Genauso wenig steht es in unserer Macht, einen Schwur oder ein Gelübde zu halten. Wir können noch so aufrichtig und bemüht sein, aber ohne Gottes Zutun werden wir nie einen Schwur oder ein Gelübde einhalten können. Deshalb sollen wir an das denken, was der Prediger gesagt hat: Gott ist im Himmel, wir sind auf der Erde. Tun wir nicht so, als hätten wir es in der Hand, einen Schwur oder ein Gelübde zu erfüllen! Verzichten wir darauf!

Vers 35

noch bei der Erde, denn sie ist seiner Füsse Schemel; noch bei Jerusalem, denn sie ist des grossen Königs Stadt; Mt 5,35

Jemand mag vielleicht einsehen, dass es vermessen wäre, beim Himmel zu schwören, weil das der Wohnort Gottes ist. Aber man könnte doch bei der Erde schwören, die ja unser Wohnort ist? Nein! Auch «die Erde ist des Herrn und ihre Fülle» (1.Kor 10,26). Alles hier gehört Gott! Jeder Berg, jeder Hügel, jedes Tal, jede Ebene, jeder Baum, jeder Strauch, jede Blume, jeder Grashalm, jedes Tier, jeder Kieselstein – alles ist Sein Eigentum. Wohl hat Er uns die Erde zur Verwaltung anvertraut, aber gehören tut sie Ihm allein! Wir können nicht bei der Erde schwören, weil sie uns nicht gehört. Aber wie steht es mit jener Stadt, von denen die Juden in besonderer Weise sagen können, es sei ihre Stadt? Nun, Jerusalem ist wie der Rest des Landes Israel dem Volk Israel als ein Erbteil gegeben worden, als ein ewiger Besitz, das ist wohl wahr. Aber es handelt sich dabei um ein «abgeleitetes» Eigentum, denn das Volk Israel ist das besondere «Erbteil» Gottes auf dieser Erde, das Volk, das Er Sich besonders für Sich auserwählt hat. Diesem Seinem Erbteil unter den Völkern hat Er ein besonderes Land und eine besondere Stadt gegeben, aber es ist nicht ihr Land und es ist nicht ihre Stadt, sondern es ist des grossen Königs Stadt.

Vers 36

noch sollst du bei deinem Haupt schwören, denn du kannst nicht ein Haar weiss oder schwarz machen. Mt 5,36

Aber wenigstens bei einem Teil unseres eigenen Körpers könnten wir doch schwören? Immerhin gehört der Körper doch uns, ist er doch ein Teil von uns selbst! Das mag wohl so sein, aber erstens gehört der Körper in erster Linie dem HERRN, denn Er hat ihn uns gegeben: «Einen Leib aber hast du mir bereitet» (Hebr 10,5), und zweitens haben wir nicht einmal über unseren Körper uneingeschränkte Kontrolle. Niemand von uns kann auch nur die Farbe eines einzigen Haares durch Willenskraft ändern! Niemand von uns kann seine Grösse verändern! Ja, viele von uns schaffen es doch nicht einmal, das Körpergewicht zu halten, obwohl wir dafür bloss etwas weniger Kalorien zuführen müssten! Und wenn ein kleines Bakterium oder Virus unser Immunsystem überlistet, liegen wir tage- oder wochenlang danieder. Man könnte noch viele Beispiele aufzählen, aber es ist wohl deutlich genug geworden, dass wir nicht einmal eine uneingeschränkte Kontrolle über unseren eigenen Körper haben. Wir sind anmassend, wenn wir denken, dass wir irgendwas selbst im Griff hätten. Und deshalb sind wir anmassend, wenn wir schwören oder ein Gelübde leisten. Wir übersteigen damit unsere Möglichkeiten und verhalten uns letztlich, als wären wir Gott, als könnten wir alles kontrollieren und so bewegen, dass wir unseren Schwur oder unser Gelübde halten könnten.

Vers 37

Es sei aber euer Wort Ja ein Ja, und Nein ein Nein! Was aber darüber hinausgeht, ist vom Bösen. Mt 5,37

Aus einem weiteren Grund ist es völlig unpassend, wenn ein Jünger des HERRN schwört. Denn wer schwört, gewichtet seine Worte unterschiedlich: Was mit einem Schwur besiegelt wird, hat eine andere, höhere Verbindlichkeit als das, was nicht beschworen wird. Jenen Menschen, die häufig schwören, kann man nicht trauen. Einem Nachfolger des Herrn Jesus sollte man dagegen blind vertrauen können. Wenn wir Ja sagen, soll es beim Ja bleiben, und wenn wir Nein sagen, soll es Nein bleiben. Das kann mitunter sehr schwierig werden, denn manchmal können die Ereignisse eine Wendung nehmen, die dazu führt, dass uns eine Zusicherung teuer zu stehen kommt. Bleiben wir dann, soweit es in unserer Macht steht, bei unserem Wort, freut sich der HERR: «HERR, wer darf in deinem Zelt weilen? Wer darf wohnen auf deinem heiligen Berg? 2Der rechtschaffen wandelt und Gerechtigkeit übt und Wahrheit redet in seinem Herzen […] Er hat zu seinem Schaden geschworen und ändert es nicht» (Ps 15,1–4).

Aber es bleibt dabei, dass wir mit Zusicherungen und Versprechungen sehr vorsichtig sein sollten, weil wir nicht Gott sind und weil wir deshalb nicht die Macht haben, unsere Versprechungen zu erfüllen. Wir sollten nur in Abhängigkeit von Gott ein Ja oder ein Nein von uns geben – und das Wort dann halten.

Vers 38

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Auge um Auge und Zahn um Zahn. Mt 5,38

Zuletzt folgt ein viertes Beispiel zur Auslegung des Gesetzes, das der HERR durch Mose Seinem Volk Israel am Sinai gegeben worden ist. Hier geht es um Schadenersatz bzw. um Vergeltung. In Seinem guten Gesetz ordnete Gott an, dass jeder, der einem anderen einen Schaden zufügen sollte, einen entsprechenden Ersatz schuldete. Der vollständige Wortlaut ist:

Falls aber ein weiterer Schaden entsteht, so sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fus um Fuss, Brandmal um Brandmal, Wunde um Wunde, Strieme um Strieme. Wenn jemand in das Auge seines Sklaven oder in das Auge seiner Sklavin schlägt und es zerstört, soll er ihn zur Entschädigung für sein Auge als Freien entlassen. Auch falls er den Zahn seines Sklaven oder den Zahn seiner Sklavin ausschlägt, soll er ihn zur Entschädigung für seinen Zahn als Freien entlassen. 2.Mose 21,23–27

Wer ein Stück Vieh totschlägt, soll es erstatten: Leben um Leben. Wenn jemand seinem Nächsten einen Schaden zufügt; wie er getan hat, so soll ihm getan werden: Bruch um Bruch, Auge um Auge, Zahn um Zahn; wie er einem Menschen einen Schaden zufügt, so soll ihm zugefügt werden. 3.Mose 34,18–20

Wie sind diese Stellen zu verstehen? Unser Sprachgebrauch zeigt, zu welcher Auslegung der natürliche Mensch neigt. Wenn wir als feststehenden Ausdruck sagen: «Auge um Auge!», dann wollen wir damit ausdrücken, dass wir (mindestens!) eine volle Vergeltung fordern. Man kann sich leicht vorstellen, wie es im Volk Israel zu und her gegangen ist: Da verursachte jemand einen Schaden und sofort forderte der Dritte unter Berufung auf das göttliche Gesetz vollen Schadenersatz. Sicher mag es Ausnahmen gegeben haben, aber in der Regel dürften die Schadenersatzforderungen notfalls mit gerichtlicher Gewalt durchgesetzt worden sein. Bei uns ist es ja auch nicht anders. Wir sind heute sogar schon so weit, dass jeder, dem irgendwas zustösst, meint, er habe von irgendwo her einen Anspruch auf Schadenersatz. Doch ist das die wahre Bedeutung dieser göttlichen Anordnung?

Vers 39

Ich aber sage euch: Widersteht nicht dem Bösen, sondern wenn jemand dich auf deine rechte Backe schlagen wird, dem biete auch die andere dar; Mt 5,39

Die Auslegung des Herrn Jesus macht klar, dass die edelste, Gott wohlgefälligste Art, auf eine Schädigung zu reagieren, darin besteht, den Schaden ohne Vergeltung und ohne eine Schadenersatzforderung hinzunehmen. Ja, wir sollen uns sogar lieber übervorteilen lassen, als dass wir unser Recht um jeden Preis durchsetzen! Aber dafür braucht es Glauben. Nur wer Gott dem Vater bedingungslos und uneingeschränkt vertraut, kann sich in Ruhe schädigen und übervorteilen lassen. Wer wenig Glauben hat, wird das Drängen verspüren, auf einen Ausgleich eines Schadens zu pochen. Es gibt Starke im Glauben und es gibt Schwache im Glauben. Völlig klar ist jedoch, dass wir die oben erwähnten Stellen im Alten Testament nicht als einen Ruf nach Vergeltung verstehen können, sondern dass die göttlichen Anordnungen von Beginn weg auf eine Begrenzung von Schadenersatzansprüchen abgezielt haben. Für ein Auge durfte und darf also keinesfalls mehr als ein Auge gefordert werden, für einen Zahn keinesfalls mehr als ein Zahn etc. Das ist gewissermassen der Startpunkt für jeden Jünger des Herrn Jesus bezüglich der eigenen Güter. Das Ziel in dieser Hinsicht wird vom Herrn Jesus im vor uns liegenden und in den nachfolgenden Versen klar definiert. Wir sollten uns nicht mit dem Minimalstandard (nicht mehr fordern, als recht ist) zufrieden geben, sondern uns nach der göttlichen Messlatte ausstrecken.

Vers 40

und dem, der mit dir vor Gericht gehen und dein Untergewand nehmen will, dem lass auch den Mantel! Mt 5,40

Als der Herr Jesus einmal darüber gesprochen hat, dass wir unseren Nächsten lieben sollen wie uns selbst, wurde Ihm die Frage gestellt, wer denn der Nächste sei. Der Mensch mag zwar manchmal den grossen göttlichen Wahrheiten begeistert zustimmen, aber in aller Regel tut er sich unendlcih schwer damit, diesen Wahrheiten entsprechend zu leben. Einer sagt vielleicht, dass er seine Frau mehr als alles andere liebe und dass er für sie in den Tod gehen würde, aber im grauen Alltag schafft er es nicht, sie respektvoll und liebevoll zu behandeln. Ein anderer behauptet, er würde all sein Geld ohne zu zögern hingeben, wenn Gott es ihm sagen würde, aber Tag für Tag geht er achtlos an Bettlern vorbei, ohne ihnen etwas zu geben. Der Herr Jesus kennt das menschliche Herz besser als jeder andere. Er wusste, dass es nicht genügt zu sagen, man solle sich nicht selbst Recht verschaffen, sondern lieber übervorteilen lassen. Deshalb nannte Er nicht den Grundsatz, sondern mehrere konkrete Beispiele: Wenn Dich jemand auf die Backe schlägt, halte auch die andere hin; wenn jemand Dir Dein Untergewand mit Gerichtsgewalt wegnehmen will, gib ihm das Untergewand und den Mantel dazu! Das sind Situationen und Reaktionen, die wir nachvollziehen können, die wir aus dem eigenen Leben kennen. Sind wir willens und fähig, das in die Tat umzusetzen?

Vers 41

Und wenn jemand dich zwingen wird, eine Meile zu gehen, mit dem geh zwei! Mt 5,41

Der Herr Jesus fügte gleich noch ein drittes konkretes Beispiel an, um zu zeigen, was es – ganz praktisch – bedeutet, nicht auf seinem Recht zu beharren, sondern sich lieber übervorteilen zu lassen. In diesem dritten Beispiel geht es darum, dass jemand von uns etwas verlangt, das wir dieser Person nicht schulden. Jemand will uns zwingen, eine Meile mit ihm zu gehen, aber es gibt keinerlei Verpflichtung von unserer Seite, das zu tun. Wie sollen wir uns verhalten? Wir sollen nicht nur eine, sondern zwei Meilen mit dieser Person gehen! Für unser Glaubensleben ist es wichtig, die grossen Grundsätze und Wahrheiten zu kennen, zu verstehen und zu lieben. Ich würde behaupten, dass man grosse Schwierigkeiten in seinem Christenleben haben wird, wenn man nicht richtig verstanden hat, wer man in Christo Jesu ist. Ja, viele der grossen Missstände in der Christenheit sind genau darauf zurückzuführen, dass man weder Gott noch sich selbst wirklich kennt, dass man nicht verstanden hat, worum es eigentlich geht, was unsere neue Stellung ist etc. Aber nur in jenen himmlischen Sphären zu schweben ist auch nicht das ganze Christenleben. Der Lauf des Glaubens ist etwas ganz praktisches, etwas, das sich im grauen Alltag zeigen und bewähren muss. Wir verpassen das wahre Christenleben, wenn wir uns nur mit den grossen Grundsätzen und Wahrheiten beschäftigen, es in unserem Leben aber an praktischer Nächstenliebe und Dienst für den HERRN im Alltag missen lassen. Es genügt also nicht, wenn wir die Wahrheit hochhalten, dass man sich im Zweifelsfall lieber übervorteilen lassen soll, aber im Alltag gibt es keine Situationen, in denen wir das so ausleben.

Vers 42

Gib dem, der dich bittet, und weise den nicht ab, der von dir borgen will! Mt 5,42

Nicht nur jenem, der uns zwingen oder übervorteilen will, sondern allgemein jedem, der uns bittet oder von uns borgen will, sollen wir geben, soweit es in unserer Macht steht. Haben wir denn etwas, von dem wir sagen könnten, es gehöre allein uns? Ist nicht alles, was wir sind und haben, ein Geschenk von dem Vater der Lichter, bei dem keine Veränderung ist noch der Schatten eines Wechsels? Sind wir nicht dankbar, dass Er uns jeden Tag neu so viele gute Gaben gibt, uns so reichlich segnet? Wie könnten wir dankbar aus Seiner Hand empfangen und gleichzeitig unsere Herzen vor unserem Nächsten verschliessen? Doch wirklich fähig, Ihm ähnlicher zu werden, sind wir nur, wenn wir Ihm völlig vertrauen. Nehmen wir einmal an, wir bräuchten unbedingt ein Auto, um zur Arbeit zu kommen. Wir bringen alles Geld, das wir uns in den letzten Jahren mühsam angespart haben, zu einem Autohändler und es reicht gerade knapp, um ein Auto zu kaufen. Glücklich fahren wir nach Hause. Am Abend klingelt es an der Tür. Ein Nachbar schildert uns verzweifelt, wie dringend er ein Auto braucht – dringender als wir. Jetzt stellt sich die grosse Frage: Borgen wir ihm unser Auto auf unbestimmte Zeit? Es gibt in dieser Situation tausend Vernunftgründe, die uns davon abhalten können. Wir könnten jeden einzelnen Nachbarn fragen und jeder würde uns bestätigen, dass es richtig sei, das Auto nicht auszuleihen. Aber wenn wir mit dem Auge des Glaubens einerseits diesen bedürftigen Nachbarn und andererseits die gütige Hand Gottes im Blick haben, werden wir das Auto ausleihen, die Türe schliessen, in unser Kämmerlein gehen und den HERRN bitten, uns doch bitte einen Ersatz zur Verfügung zu stellen, weil wir ja auch ein Auto brauchen. Je mehr wir Gott vertrauen, dass Er in allem für uns sorgen wird, umso leichter werden wir uns von unserem Auto trennen.

Vers 43

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Mt 5,43

In der Christenheit ist die Meinung weit verbreitet, Gott habe sich verändert, denn zur Zeit des Alten Testamentes sei Er zornig und böse gewesen und mit der Einführung des Neuen Testamentes sei Er gütig und lieb geworden. Sogar viele wiedergeborene Christen stehen dem Alten Testament skeptisch gegenüber. Man könnte nun Mt 5,43 als Beleg für diese Ansicht anführen: «Siehst Du, im Alten Testament heisst es, wir sollen unsere Feinde hassen; im Neuen Testament heisst es, wir sollen sie lieben!» Nur finden wir im ganzen Alten Testament nirgends eine solche Anordnung. Was wir im Alten Testament finden, ist dies: «Du sollst dich nicht rächen und den Kindern deines Volkes nichts nachtragen und sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ich bin der HERR» (3.Mose 19,18). Schon im Alten Testament hat Gott also eine uneingeschränkte, sehr weit gehende Nächstenliebe angeordnet, die wir gefühlsmässig wohl nicht im Alten, sondern im Neuen Testament suchen würden. Eine Anordnung zum Hass suchen wir hingegen vergebens. Extreme jüdische Strömungen haben diese Anordnung zum Wort Gottes hinzugesetzt. Diese religiösen Fanatiker zogen eine klare Linie zwischen Menschen, die sie als ihre Nächsten bezeichneten, und solchen, die nicht zu diesem exklusiven Kreis gehörten. So unterwanderten sie das Gebot Gottes, denn in Seinen Augen sind alle unsere Nächsten, mit denen wir zu tun haben – unabhängig von ihren religiösen Überzeugungen, ihrer Volks- und Rassenzugehörigkeit, ihrem sozialen Status etc. Die Wahrheit ist: Gott ist unveränderlich. Die Unveränderlichkeit Seines Wesens folgt zwingend daraus, dass Er ewig ist. Gäbe es in Seinem Wesen eine Veränderung, wäre da ein Ende und ein Anfang, was in Bezug auf Sein ewiges Wesen undenkbar ist. Der Gott des Alten Testamentes ist der Gott des Neuen Testamentes. Da gibt es keine Unterschiede und keine Veränderungen.

Vers 44

Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde, und betet für die, die euch verfolgen Mt 5,44

Wir haben gesehen, dass es im Alten Testament nirgends eine Aufforderung gibt, den Feind zu hassen. Das war eine Erfindung von jüdischen Fanatikern. Aber natürlich lag es – für jeden Menschen – nahe, seinen Feinden höchstens neutral zu begegnen. Wer könnte dagegen etwas einwenden? Der Herr Jesus! Seine Auslegung des alttestamentlichen Gebotes und damit die Erklärung, wie jenes Gebot wirklich zu verstehen ist, lautet, dass man seine Feinde lieben und für seine Verfolger beten soll. Viele denken, das sei etwas radikal Neues gewesen, aber schon im Alten Testament hiess es beispielsweise: «Wenn du das Rind deines Feindes oder seinen Esel umherirrend antriffst, sollst du sie ihm auf jeden Fall zurückbringen. Wenn du den Esel deines Hassers unter seiner Last zusammengebrochen siehst, dann lass ihn nicht ohne Beistand; du sollst ihn mit ihm zusammen aufrichten» (2.Mose 23,4.5). Der HERR forderte die Israeliten also auf, ihren Feinden Gutes zu tun, d.h. ihre Feinde zu lieben. Denn mit «Liebe» ist nicht einfach irgendeine Gefühlsregung gemeint, sondern tatkräftige Hilfe, wie geschrieben steht: «Kinder, lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern in Tat und Wahrheit!» (1.Joh 3,18).

Die etwas bibelfesteren Leser werden nun gewiss an die vielen Aussagen etwa in den Psalmen denken, wo nach Rache gerufen wird. Was ist denn damit? Diesbezüglich hat es tatsächlich eine Veränderung in den Wegen Gottes – nicht aber in Seinem Wesen! – gegeben. Wenn wir die Racheforderungen genau studieren, stellen wir fest, dass es die Rufe des gläubigen Teils von Israel und/oder des Messias sind, die sich nur höchst selten auf bestimmte Individuen beziehen (wo dies der Fall ist, stehen diese Einzelpersonen stellvertretend für einen bestimmten Typus Mensch) und die nicht in erster Linie auf persönliche Befriedigung durch Rache, sondern vielmehr auf die unbedingte Durchsetzung der göttlichen Gerechtigkeit abzielen. Kurz gesagt sind es Rufe nach Gottes Gerechtigkeit. Gott der HERR war schon immer, ist auch jetzt und wird immer gerecht sein. Das Neue Testament macht absolut klar, dass Seine Gerechtigkeit nicht verhandelbar ist und dass Er sie ohne jede Einschränkung aufrichten wird. Wer ein Auge für die heilsgeschichtlichen Wege des HERRN hat, wird nicht überrascht sein, in der Offenbarung des Johannes plötzlich wieder Rufe nach Rache und Gerechtigkeit zu finden, die dann zu ihrer Zeit auch erhört werden. Aktuell befinden wir uns aber in einer «Einschaltung» in den Wegen Gottes, wo der Plan zur Aufrichtung einer unerbittlichen Gerechtigkeit gewissermassen für einige Zeit pausiert ist. Der HERR hat eine (schon 2.000 Jahre dauernde!) Übergangszeit gewährt, in der Er Seine Gerechtigkeit im Allgemeinen noch nicht sofort durchsetzt, sondern den Menschen Zeit und Raum gibt, um Vergebung für ihre Sünden zu bitten – und diese Vergebung in Gnade zu erhalten. In der jetzigen Zeit steht also mehr die Gnade Gottes im Vordergrund, während zu anderen Zeiten mehr die Gerechtigkeit im Vordergrund steht, wobei man sagen muss, dass das der untaugliche Versuch ist, das wundersame Handeln Gottes mit menschlichen Worten zu umschreiben. Unsere Gebete heute sollen diesen Punkt zum Ausdruck bringen: Wir sollen jetzt nicht nach Gerechtigkeit rufen, sondern um Gnade flehen, denn dies ist der primäre Wille Gottes heute. Dies sollen wir im Wissen darum tun, dass bald die Zeit kommen wird, wo es (im Allgemeinen) keine Gnade, sondern nur noch ein furchtsames Erwarten des göttlichen Gerichtes geben wird.

Vers 45

damit ihr Söhne eures Vaters seid, der in den Himmeln ist! Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Mt 5,45

Wieso sollen die Gläubigen nun so weit gehen, ihre Feinde nicht nur nicht zu hassen, sondern (aktiv) zu lieben? Weil sie nur so den Charakter Gottes in dieser Zeit richtig darstellen! Vor Gott ist ausnahmslos jeder Mensch schuldig und darüber kann und wird Er niemals hinwegsehen. Aber Er nimmt auch Notiz von den Unterschieden; Er schert nicht alle Menschen über einen Kamm. Es gibt «Böse» und «Gute», «Gerechte» und «Ungerechte». Jeder Mensch wird einmal ganz individuell Rechenschaft über sein Leben abgeben müssen. Diese Zeit wird kommen. Aber jetzt ist sie noch nicht da. Jetzt befinden wir uns in einer Zeit des Aufschubes. Man kann es mit einem Menschen vergleichen, der eines schlimmen Verbrechens schuldig befunden und gerechterweise zum Tode verurteilt, aber noch nicht getötet worden ist, sondern in der Todeszelle sitzt und auf seine Hinrichtung wartet. Am Kreuz hat der Mensch gezeigt, was er von Gott hält. Dort ist alles völlig offenbar geworden und dort hat Gott gewissermassen das definitive Schuld- und Todesurteil über die Menschheit insgesamt und damit über jeden Menschen gesprochen. Jeder ist schuldig, keiner ist gerecht genug (Röm 3,23) und deshalb muss jeder hingerichtet werden (Röm 6,23). Die meisten Menschen wollen dieses Urteil leider nicht akzeptieren. Sie halten sich für unschuldig und für ungerecht verurteilt. Sie sitzen in der Todeszelle und wollen einfach nicht wahrhaben, dass ihre Bestrafung unmittelbar bevorsteht. Sie lassen sich weder vom drohenden Gericht noch von Gottes Güte, die ihnen den Aufenthalt in der Todeszelle erleichtert (Sonne und Regen sind notwendig für die Produktion von Nahrung), dazu leiten, das göttliche Urteil zu akzeptieren. Andere Menschen sehen dagegen irgendwann ein, dass sie tatsächlich schuldig sind und die ewige Strafe verdient haben. Sie wenden sich an die oberste Autorität – nicht, damit der Fall neu aufgerollt und das Urteil revidiert wird, sondern mit einem Begnadigungsgesuch. Sie räumen ein, dass sie zu Recht veruteilt worden sind, dass sie die Strafe verdient haben, aber sie bitten um unverdiente Begnadigung. Und sie werden erhört! Wann immer ein Sünder um Gnade fleht, wird Er erhört! In dieser Zeit heute will der HERR Sich durch Seine Gnade und Seine Langmut verherrlichen. Er lässt Tag für Tag unverdiente Güte über uns regnen, tut uns Gutes, obwohl wir Ihn hassen, schenkt uns Zeit und Raum zur Busse, damit wir uns noch rechtzeitig retten lassen. Später wird Er Sich durch Seine unerbittliche Gerechtigkeit verherrlichen. Aber jetzt ist noch nicht die Zeit. Deshalb sollen wir als Errettete es Ihm gleich tun und allen Menschen mit unverdienter Güte begegnen, ihnen durch unser Verhalten die Gnade Gottes vorstellen und schmackhaft machen. Es muss unser oberstes Ziel sein, dass sich noch so viele Menschen wie nur möglich retten lassen, bevor es zu spät ist. Nur dann schlagen unsere Herzen im Einklang mit dem Herzen des Vaters in den Himmeln.

Vers 46

Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, welchen Lohn habt ihr? Tun nicht auch die Zöllner dasselbe? Mt 5,46

Von Natur aus ist der Mensch durchaus fähig, Zuneigung und Liebe zu anderen Menschen zu empfinden. Nur sind diese Empfindungen oft an «Bedingungen» geknüpft, über die wir uns selbst vielleicht oft gar nicht im Klaren sind. Wenn wir einen Menschen lieben, dieser unsere Liebe aber mit Abweisung erwidert, dann wird es bald auch mit unserer Liebe zu diesem Menschen aus sein. Das ist völlig natürlich. Jenen Menschen, die uns Liebe erweisen, erweisen wir oft auch gerne Liebe. Auch das ist völlig natürlich. Sogar die Zöllner, die hier bewusst als unterste Kategorie Mensch, als Paradebeispiel für Sünder angeführt werden, verhalten sich so. Können wir uns selbst auf die Schulter klopfen, wenn wir uns so «lieb» verhalten, wie es Menschen von Natur aus tun, wie es sogar Zöllner und Sünder tun? Was ist denn daran Besonderes?

Vers 47

Und wenn ihr allein eure Brüder grüsst, was tut ihr Besonderes? Tun nicht auch die von den Nationen dasselbe? Mt 5,47

Was ist Besonderes daran, wenn wir zu jenen nett sind und mit jenen Gemeinschaft haben, die zu unserem «Club» gehören? Das ist unter Menschen völlig normal und folglich alles andere als aussergewöhnlich. Sogar die von den Nationen verhalten sich so. Wenn in einem solchen Zusammenhang von jenen aus den Nationen gesprochen wird, dann muss die Aussage aus der jüdischen Sicht verstanden werden. Das göttliche Gesetz räumte Israel eine Sonderstellung unter allen anderen Nationen ein und verpflichtete die Juden zugleich, sich von den übrigen Nationen abzusondern. Die Juden pflegten deshalb kaum Gemeinschaft mit Menschen aus anderen Nationen, was allerdings mit der Zeit auch dazu führte, dass sie schlecht von den übrigen Nationen dachten, überheblich wurden und auf die «Heiden» (Nichtjuden) herabsahen. Wenn der Herr Jesus also den Juden hier sagt, dass sogar jene aus den Nationen sich so und so verhalten, dann will Er damit – wie mit dem Verweis auf die Zöllner im vorhergehenden Vers – ausdrücken, dass sogar die (vermeintlichst) tiefste Stufe Mensch dieses oder jenes Verhalten an den Tag legt. Gerade der kombinierte Ausdruck «Heide und Zöllner» will damit zum Ausdruck bringen: Menschen, mit denen man gar nichts zu tun haben will.

Vers 48

Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist. Mt 5,48

Ein Jünger des Herrn Jesus ist nicht dazu berufen, ein netter, anständiger, «lieber» Mensch zu sein. Wir sind so oft mit uns zufrieden, wenn wir uns leicht positiv vom Durchschnitt abheben, aber das ist nicht das, was Gott von uns will. Wir sind dazu berufen, das Wesen Gottes zu widerspiegeln. Das grosse Vorbild für unser Leben muss der Herr Jesus Christus selbst sein. Von Ihm heisst es, dass Er die Ausstrahlung von Gottes Herrlichkeit und der Abdruck des Wesens Gottes gewesen ist (Hebr 1,3). Natürlich, Er ist Gott von Ewigkeit, aber als Mensch hat Er das auch völlig zum Ausdruck gebracht, indem Er das Wesen Gottes widerspiegelt und so gezeigt hat, wie Gott wirklich ist. Als Mensch ist der Herr Jesus die grösste Offenbarung gewesen, die Gott den Menschen je gegeben hat. Aber auch wir Jünger Jesu haben die göttliche Natur empfangen und den Heiligen Geist in uns wohnend. Gott ist nicht nur mit uns und für uns, sondern auch in uns. Und das soll in unserem Verhalten sichtbar werden. Der Herr Jesus ist Seinen erbittertsten Feinden mit einer unvergleichlichen Langmut, Geduld und Gnade begegnet. Er hat nie für Sich selbst gekämpft, sondern ausschliesslich für die Ehre des Vaters geeifert. Er ist jenen nachgegangen, die Ihm gar nichts zu bieten hatten. Er ist gekommen, um zu dienen und Sein Leben als Lösegeld zu geben für viele (Mk 10,45). Man könnte noch so viel mehr darüber schreiben, wie Er ist und wie Er als Mensch hier auf dieser Erde gelebt hat, aber es dürfte wohl klar genug geworden sein, dass wir nicht nur ein «gewöhnlich anständiges», sondern ein ungewöhnlich übernatürliches Verhalten an den Tag legen sollten, das die Menschen stutzig macht und sie nach Gott fragen lässt.

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