Bibelkommentare

Erklärungen zur Bibel

 

Matthäus 6

Vers 1

Habt acht auf eure Gerechtigkeit, dass ihr sie nicht vor den Menschen übt, um von ihnen gesehen zu werden! Sonst habt ihr keinen Lohn bei eurem Vater, der in den Himmeln ist. Mt 6,1

Wir haben nun gesehen, wie der Herr Jesus anhand von verschiedenen Beispielen aus dem Gesetz, das Gott der HERR Seinem Volk Israel durch Mose am Sinai gegeben hatte, deutlich gemacht hat, dass der Mensch nicht bereits dann gerecht vor Gott steht, wenn er sich äusserlich anständig verhält. Wir müssen verstehen, dass sich das Gesetz Moses an Sünder richtete, also an Menschen, die von Natur aus unfähig und auch unwillig waren, ein Gott wirklich wohlgefälliges Leben zu führen. Das Gesetz Moses forderte die Israeliten deshalb nicht auf, das zu sein, was Gott will, denn man kann nicht sein, was man nicht ist. Ein Apfelbaum kann sich anstrengen, so viel er will, er wird niemals ein Birnenbaum werden und niemals Birnen hervorbringen. Gott der HERR kam den Israeliten deshalb entgegen, indem Er ihnen bloss äusserliche Verhaltensregeln auferlegte. Doch auch diesem niedrigen Massstab konnte niemand genügen. Durch das Gesetz kommt Erkenntnis von Sünde (Röm 3,20); es zeigte den Israeliten, dass sie unfähig waren, sich gottgemäss zu verhalten, dass sie andauernd sündigten und (wenn sie geistliches Verständnis hatten) dass sie Sünder waren. Der Herr Jesus hat in Seiner Bergpredigt erklärt, dass der eigentliche Massstab der göttlichen Gerechtigkeit viel höher anzusetzen ist und dass man das Gesetz auch nie richtig verstehen kann, wenn man nicht versteht, dass es nur ein Minimalstandard für Sünder ist.

Man könnte meinen, dass ab Mt 6,1 ein neues Thema beginnt, aber das ist nicht der Fall. Es geht genau gleich weiter. Der Herr Jesus greift die drei grossen «Säulen» der jüdischen Frömmigkeit auf, nämlich das Almosengeben, das Beten und das Fasten, und Er erklärt anhand dieser drei typischen religiösen Handlungen, dass ein blosser äusserlicher Anschein nicht das ist, was Gott sucht. Nur steht hier ein anderer Teilaspekt im Vordergrund: Ging es vorher darum, dass wir Gott nicht beeindrucken können, wenn wir uns einfach so oder so verhalten (ohne dass eine entsprechende Wahrheit in unserem Innern zu finden wäre), geht es jetzt darum, dass wir keinen echten Gewinn haben, wenn wir uns darauf beschränken, Menschen zu beeindrucken. Die religiösen Juden hatten ausgeklügelte Strategien entwickelt, das, was Gott der HERR von ihnen forderte, so zu tun, dass sie ihre Mitmenschen beeindrucken konnten. Der Herr Jesus räumt damit radikal auf. Schon im vor uns liegenden ersten Vers steht ganz klar geschrieben, dass wir keinen Lohn beim himmlischen Vater haben, wenn wir unseren Lohn (unsere Anerkennung, unsere Bestätigung etc.) bei Menschen suchen. Zielen wir darauf ab, Menschen zu beeindrucken, wird Gott der HERR nicht beeindruckt sein. Dann können wir uns unsere religiöse Show auch von Beginn weg sparen.

Vers 2

Wenn du nun Almosen gibst, sollst du nicht vor dir her posaunen lassen, wie die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Menschen geehrt werden. Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn weg. Mt 6,2

In der Welt gilt der Grundsatz: «Tu Gutes und sprich darüber!» Dieser Grundsatz ist alles andere als neu, denn er entspringt dem Kern unseres Wesens. Wenn wir etwas geben, wollen wir auch etwas dafür haben! Wir erweisen denen Gutes, die uns Gutes erweisen, und wenn wir einmal grosszügig sein wollen, achten wir peinlich genau darauf, dass auch ja möglichst viele Menschen mitbekommen, wie gütig wir sind. Die Juden waren da keine Ausnahme. Sie hatten den Schatzkasten im Tempel offenbar so platziert, dass man seine Gaben möglichst publikumswirksam einwerfen konnte. Als Lohn für ihre Almosen, empfingen sie Ehre von den Menschen. Kurz und trocken bemerkt der Herr Jesus dazu, dass sie damit ihren Lohn schon weg haben. Sollte Gott der HERR ihnen noch weiteren Lohn geben? Wofür?

Vers 3

Wenn du aber Almosen gibst, so soll deine Linke nicht wissen, was deine Rechte tut; Mt 6,3

Almosen geben (Geld spenden) ist nicht verkehrt. Ganz im Gegenteil! «Einen fröhlichen Geber liebt Gott» (2.Kor 9,7). Aber es kommt – wie bei allem! – auf die richtige Motivation, auf die richtige Herzenshaltung an. Tue ich etwas, um später etwas zurück zu bekommen? Tue ich etwas, um gut da zu stehen? Oder tue ich etwas, um den HERRN zu erfreuen? Vielleicht bringt einer in der Ehe ein kleines Opfer, um seine Frau in einem Punkt zu schonen. Wenn er ihr dann einen stundenlangen Vortrag darüber hält, auf wie viel er ihr zuliebe (angeblich) verzichten muss, dann hat er seinen Lohn dahin, weil er darauf aus ist, sich vor seiner Frau gut darzustellen. Wenn es ihm aber (wirklich!) darum geht, den HERRN zu ehren und zu erfreuen, dann spielt es keine Rolle, ob die Frau die Verzichtshandlung überhaupt bemerkt, denn der Mann weiss ja, dass es der HERR gesehen und Sich darüber gefreut hat. Ein anderer hat es auf dem Herzen, sein letztes Geld für das Werk des HERRN zu spenden. Wenn er das Geld gibt und allen Umstehenden lang und breit erklärt, dass das nun wirklich sein allerletztes Geld sei, dann hat er seinen Lohn dahin. Wenn er das Geld still einlegt, als hätte er da gerade noch etwas im Portemonnaie gefunden, das er gar nicht brauche, weil es ihm nur darum geht, den Vater in den Himmeln zu erfreuen, ist das eine ganz andere Sache – obwohl die Tat ein und dieselbe ist! Das Motiv zählt! Wenn wir Geld geben, dann soll das eine Sache allein zwischen uns und dem himmlischen Vater sein. Dafür hat der Herr Jesus einen hyperbolischen Ausdruck geprägt, der zum Sprichwort geworden ist (Hyperbel = Stilmittel der Übertreibung): Die linke Hand soll nicht wissen bzw. mitbekommen, was die rechte Hand tut, wenn wir mit der rechten Hand Geld spenden.

Vers 4

damit dein Almosen im Verborgenen ist, und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten. Mt 6,4

Nicht nur das Geben von Almosen (Spenden), sondern jeder Dienst, den wir für den HERRN tun, ist zuallererst einmal eine Sache, die ganz exklusiv das Verhältnis zwischen uns und dem HERRN betrifft. Natürlich hat fast jeder Dienst eine klar erkennbare Aussenwirkung, natürlich bekommen die Menschen notwendigerweise mit, was wir tun, aber wenn es um unsere Motive geht, dann muss das in erster Linie etwas Persönliches zwischen uns und dem Vater in den Himmeln sein. Geht es uns um Ihn, um Seine Ehre, um Seine Verherrlichung, dann stimmt die Motivation; der Dienst ist wohlgefällig und angenehm vor Gott. Geht es uns um etwas anderes, wollen wir uns damit bei Gott etwas «erkaufen» oder wollen wir Anerkennung von den Menschen bekommen, dann stimmt die Motivation nicht; der Dienst ist hohl, leer und wertlos in den Augen Gottes – selbst wenn Er unsere Bemühungen nutzen kann, um Gutes zu tun. Ja, Er «missbraucht» sogar die Wut des Satans und den Grimm des gottlosen Menschen, um Seine Pläne und Ratschlüsse auszuführen, wie es Ihm gefällt! Aber das bedeutet selbstverständlich nicht, dass Er das, was der Teufel oder die gottlosen Menschen tun, als wohlgefällig und wertvoll erachten würde. Nicht die Handlung an sich ist also entscheidend, sondern das Motiv, der Beweggrund. Vielleicht auferlegt der HERR uns einen Dienst, den tatsächlich nie jemand zur Kenntnis nimmt. Wir mühen uns ein Leben lang ab und niemand bemerkt es. Das kann sehr frustrierend sein. Aber dann dürfen wir wissen, dass unser Vater im Verborgenen sieht, dass Er Sich freut und dass Er jede einzelne Handreichung – überreichlich! – vergelten wird.

Vers 5

Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, denn sie lieben es, in den Synagogen und an den Ecken der Strassen stehend zu beten, damit sie von den Menschen gesehen werden. Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn weg. Mt 6,5

Die religiösen Juden hatten sich nicht nur Möglichkeiten geschaffen, ihre Almosen möglichst publikumswirksam geben zu können, sie hatten auch eine Art «Vorzeige»-Gebet perfektioniert. Ihre Überlieferungen forderten zu bestimmten Tageszeiten bestimmte Gebete. Ein religiöser Jude wusste also ganz genau, dass er um soundsoviel Uhr ein Gebet zu sprechen hatte. Also konnte er seinen Tag so planen, dass er genau zu jener Uhrzeit «zufällig» noch mitten auf dem Marktplatz oder an sonst einem öffentlichen Ort war, selbstverständlich das Gebet doch nicht ausfallen lassen konnte und folglich mitten auf der Strasse beten «musste», sodass alle Leute es klar und deutlich sahen, wie «fromm» dieser Jude doch war. Solche Gebete zielten offensichtlich auf die Anerkennung von Menschen ab, die diese religiösen Juden ja auch bekamen. Also hatten sie ihren Lohn bereits dahin; von Gott mussten sie nichts mehr erwarten.

Vers 6

Wenn du aber betest, so geh in deine Kammer, und wenn du deine Tür geschlossen hast, bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist! Und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten. Mt 6,6

Ein echter Gläubiger sollte sich nicht wie ein frommer Jude verhalten. Das Gebet ist keine Gelegenheit, den Mitmenschen zu zeigen, wie unglaublich fromm man ist, sondern es ist ein persönliches Zwiegespräch zwischen dem Mensch und Gott. Nicht zufällig nennt der Herr Jesus Gott hier zum ersten Mal «deinen Vater». Die Juden kannten zwar einen Gottesnamen «Avinu» – «unser Vater», aber das war kein Ausdruck der Vertrautheit, sondern nur die Anerkennung der Tatsache, dass Er der Schöpfer aller Dinge, allen Lebens und damit auch aller Menschen ist, also gewissermassen der Vater aller Dinge (vgl. Jes 64,7). Niemals hätte ein Jude es aber gewagt, Gott «mein Vater» zu nennen! Das wäre eine ungeheuerliche Anmassung gewesen. Erst der Herr Jesus hat diese ganz neue Art von Beziehung zwischen Gott und dem einzelnen Mensch eingeführt – und auch nur Er konnte diese Art Beziehung einführen. Das persönliche Gebet ist nun der intimste Ausdruck dieser Vertrautheit, die intimste Art, diese besondere Beziehung zu pflegen. Dieser herrlichen Tatsache sollen wir Rechnung tragen, indem wir uns entsprechend zurückziehen. Es versteht sich von selbst, dass das Smartphone draussen bleibt und dass wir auch jede andere Form von Ablenkung ausser Sichtweite bringen. In der «Wüste», wo das Auge nichts findet, auf dem es ruhen könnte, können wir unseren Blick am einfachsten auf Gott richten.

Nur um nicht falsch verstanden zu werden: Natürlich gibt es auch Zeiten, in denen wir als Gemeinschaft zusammen beten sollen. Das gemeinschaftliche Gebet ist unglaublich wichtig und zugleich eine wunderbare Sache mit ganz besonderen Verheissungen. Aber dort geht es nicht darum, sich vor anderen zu präsentieren, sondern das Ziel ist vielmehr, dass wir zusammen stehen und gemeinsam wie ein Mann vor Gott treten, um die Anliegen, die Er uns aufs Herz legt, mit besonderem Nachdruck vor Ihm auszubreiten.

Vers 7

Wenn ihr aber betet, sollt ihr nicht plappern wie die von den Nationen; denn sie meinen, dass sie um ihres vielen Redens willen erhört werden. Mt 6,7

Worin liegt die wahre Kraft des Gebetes begründet? Heidnische Götzendiener meinen, sie müssten ihre Götzen mit besonderem Nachdruck anrufen. Das sehen wir sehr deutlich bei den Baalspriestern auf dem Berg Karmel:

Darauf riefen sie vom Morgen bis zum Mittag den Namen des Baal an: Baal, antworte uns! Aber da war kein Laut, keine Antwort. Und sie hüpften um den Altar, den man gemacht hatte. Und es geschah am Mittag, da verspottete Elia sie und sagte: Ruft mit lauter Stimme, denn er ist ja ein Gott! Er ist sicher in Gedanken, oder er ist austreten gegangen, oder er ist auf der Reise; vielleicht schläft er, dann wird er aufwachen. Da riefen sie mit lauter Stimme und ritzten sich, wie es bei ihnen Brauch war, mit Messern und mit Spiessen, bis das Blut an ihnen herabfloss. Und es geschah, als der Mittag vorüber war, da weissagten sie bis zur Zeit, da man das Speisopfer opfert; aber da war kein Laut, keine Antwort, kein Aufhorchen. 1.Kön 18,26–29

Leider meinen viele Christen, sie müssten es diesen Götzendienern gleichtun. Sie legen viel Wert auf ihre Gebete, auf ihre Anstrengungen, auf ihre Worte. Da gibt es Leute, die behaupten, je besser man die Gebetserhörung visualisiere, desto eher werde sie eintreffen, und dergleichen Unsinn mehr. Törichte Menschen! Was könnten wir schon bewegen? Wer sind wir überhaupt, was haben wir überhaupt in die Waagschale zu werfen? Nichts! Die Kraft liegt allein bei Gott. Er kann ein schwaches Gebet ebenso wie ein starkes, ein kurzes ebenso wie ein langes, ein leises ebenso wie ein lautes erhören. Ja, manchmal muss Er uns so sehr unter die Arme greifen, dass Sein Geist uns lediglich einen Seufzer aufs Herz legen kann, damit Gott dann dieses wortlose Gebet erhören kann (Röm 8,26)! Wie hat Elia gebetet, der zusammen mit den oben erwähnten Baalspriestern auf dem Karmel war?

HERR, Gott Abrahams, Isaaks und Israels! Heute soll man erkennen, dass du Gott in Israel bist und ich dein Knecht und dass ich nach deinem Wort das alles getan habe. Antworte mir, HERR, antworte mir, damit dieses Volk erkennt, dass du, HERR, der wahre Gott bist und dass du selbst ihr Herz wieder zurückgewandt hast! Da fiel Feuer vom HERRN herab und verzehrte das Brandopfer und das Holz und die Steine und die Erde; und das Wasser, das im Graben war, leckte es auf. 1.Kön 18,36–38

Das war ein einfaches, schlichtes, kurzes Gebet. Aber es richtete sich an die richtige Adresse und deshalb wurde es auf eine aufsehenerregende Weise sofort beantwortet. Wir dürfen genau denselben Adressat anrufen, der Sich nie verändert hat. Die Erhörung unserer Gebete hängt nicht davon ab, wie lange, wie schön formuliert oder wie nachdrücklich vorgebracht unsere Gebete sind, sondern allein davon, dass wir Gott den HERRN im Vertrauen darauf anrufen, dass Er unsere Gebete erhören kann und will.

Vers 8

Seid ihnen nun nicht gleich! Denn euer Vater weiss, was ihr benötigt, ehe ihr ihn bittet. Mt 6,8

Wenn wir beten, dann dürfen wir die wunderbare Zuversicht haben, dass Gott der Vater bereits weiss, was wir benötigen, bevor wir Ihn bitten. Ja, weshalb sollen wir dann überhaupt noch um etwas bitten? Nun, es geht nicht darum, dass wir mit unseren Gebeten Gott zu irgendetwas bewegen müssen. Das ist die heidnische, götzendienerische Vorstellung von Gebet. Für uns ist das Gebet ein Dialog, ein Zwiegespräch, Gemeinschaft, die wir mit unserem Vater in den Himmeln pflegen. Wir bringen zum Ausdruck, dass wir Gutes nur von Ihm erwarten und auch nur von Ihm erhalten wollen. Ihm gefällt es, wenn wir Ihn um das bitten, was Er uns sowieso geben will. In menschlichen Familien ist es ähnlich: Der Vater kann den Kindern einfach immer geben, was sie brauchen und sich wünschen. Das ist schön, aber irgendwie auch etwas fad. Wie oft machen wir deshalb mit unseren Kindern eine Art Spiel aus dem Schenken! Wir deuten etwas an, wecken die Neugier der Kinder und lassen uns dann – vermeintlich zögerlich – «weichklopfen» und überreden. Am Ende bekommen die Kinder, was sie sich gewünscht haben, aber wir hatten zuerst eine Menge Freude an der ganzen Geschichte. Natürlich spielt Gott mit uns keine Spielchen, aber auch Ihm geht es nicht darum, sich zu etwas bewegen zu lassen, sondern darum, dass wir Gemeinschaft mit Ihm pflegen.

Vers 9

Betet ihr nun so: Unser Vater, der du bist in den Himmeln, geheiligt werde dein Name; Mt 6,9

Nachdem der Herr Jesus in allgemeiner Weise erklärt hat, wie man beten soll, gibt Er ein Anschauungsbeispiel, das sogenannte Vaterunser. Dieses Gebet ist nicht dazu gedacht, immer wieder gedankenlos auswendig aufgesagt zu werden, wie es leider in vielen Kirchen Brauch ist, sondern es ist ein Prototyp, eine Art Grundstruktur, an der wir uns in unseren Gebeten orientieren können. Ein Ehemann wäre auch nicht sonderlich erfreut, wenn ihm seine Ehefrau jeden Abend mit demselben auswendig gelernten Sprüchlein sagen würde, wie toll sie ihn fände und wie sehr sie ihn liebe. So funktionieren Gespräche nun einmal nicht. Trotzdem kann es Situationen geben, wo es passend sein kann, das Vaterunser zu beten (aber dann bitte mit Herzblut!), und es kann sogar Situationen geben, wo wir so sehr in Not sind, dass wir nur noch ein auswendig gelerntes Gebet formulieren können. Nur sollte unser Standardgebet kein auswendig gelerntes Gebet sein.

Das Gebet beginnt mit einer persönlichen Ansprache, wie es jeweils auch bei unseren Gesprächen untereinander der Fall ist. Es richtet sich nicht in allgemeiner Weise an Gott, sondern an den Vater, der in den Himmeln ist. Das drückt eine besondere Vertrautheit aus, macht aber zugleich klar, dass Gott Gott ist und im Himmel thront, während wir auf der Erde sind. Unser Blick auf Gott sollte also von Vertrautheit und Ehrfurcht zugleich geprägt sein.

Die erste Bitte ist keine Bitte um persönliche Bedürfnisse, sondern die Bitte, dass der Name Gottes geheiligt werde. Wir sollen also zuerst darum beten, dass Gott jene Ehre erhalte, die Ihm gebührt. Die Bitte um Heiligung Seines Namens ist die Bitte darum, dass Sein Name hier auf der Erde wieder mehr geehrt werde. Wir bringen damit also zum Ausdruck, dass es unser Hauptanliegen (!) ist, dass Er sich selbst verherrliche.

Vers 10

dein Reich komme; dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden! Mt 6,10

Auch die weiteren Bitten im Vaterunser beziehen sich nicht auf unsere Bedürfnisse, sondern auf die Verherrlichung Gottes: Seine Herrschaft soll auf dieser Erde aufgerichtet und ebenso uneingeschränkt durchgesetzt werden wie im Himmel. Jemand hat einmal treffend gesagt, dass es im Grunde nur zwei Sorten von Menschen gibt, nämlich jene, die sagen: «Mein Wille geschehe!», und jene, die sagen: «Dein Wille geschehe!». Nur wer eine persönliche Beziehung zum Vater in den Himmeln geknüpft hat, kann wirklich von Herzen darum bitten, dass Sein (und nicht der eigene) Wille geschehe. Sind wir solche Menschen?

Bekanntlich wurden die Christen in den ersten Jahrhunderten blutig verfolgt. Mit der sogenannten Konstantinischen Wende, der (angeblichen) Bekehrung des Kaisers Konstantin im vierten Jahrhundert, änderte sich schlagartig alles: Die Verfolgung hörte auf, der christliche Glaube wurde im römischen Reich plötzlich zugelassen und schon bald darauf war es politisch gesehen sogar ein grosser Vorteil, wenn man behauptete, ein Christ zu sein. Die Christen gewannen sehr schnell sehr viel Einfluss. Doch war die Zeit für die Herrschaft über diese Erde tatsächlich bereits gekommen? Von der Bibel her kam man in Erklärungsnot. Dieses Problem wurde mit dem Dogma beseitigt, das tausendjährige Friedensreich sei bereits angebrochen. Mit diesem Dogma rechtfertigt die Römisch-Katholische Kirche heute noch ihre unstillbare Gier nach Macht und Reichtum! Aber in derselben Institution wird bis heute das Vaterunser gebetet, wo es unter anderem heisst: «Dein Reich komme!» – wie kann man das noch beten, wenn es schon da ist? Auch Gläubige, die nicht über ein ausserordentliches Bibelwissen verfügen, können klar erkennen, dass das tausendjährige Friedensreich noch nicht angebrochen ist. Aber diese alte Meinung hält sich beharrlich, was zeigt, wie gefährlich und einflussreich Traditionen sind. Die pfingst-charismatische Bewegung, die ihre Ursprünge in der Römisch-Katholischen Kirche hat und deshalb bis heute stark mit Rom verbandelt ist, beruht bis heute auf der ganz grundlegend falschen Annahme, das Evangelium werde jetzt seinen Siegeszug auf der Erde antreten, was sich nur mit dem heilsgeschichtlichen Durcheinander erklären lässt, das die Römisch-Katholische Kirche mit ihrem falschen Dogma begründet hat.

Das Reich Gottes ist noch nicht in diesem Sinne gekommen, dass das tausendjährige Friedensreich angebrochen wäre. Der König ist noch abwesend. Der Wille Gottes wird auf der Erde noch nicht so bedingungslos umgesetzt wie im Himmel. Ja, das Gegenteil ist der Fall! Bis heute beten wir also völlig richtig darum, dass sich dies doch ändern möge. Wenn die christliche Zeit abgeschlossen sein wird, werden die gläubigen Juden dieses Gebet weiter beten – und seine Erfüllung direkt miterleben.

Vers 11

Unser tägliches Brot gib uns heute; Mt 6,11

Erst nach mehreren Bitten um die Verherrlichung Gottes folgt eine erste Bitte um eigene Bedürfnisse. Das ist sehr vielsagend. Im Leben des Herrn Jesus hat sich dieses Prinzip immer und immer wieder gezeigt. Ständig eiferte Er um die Ehre und Verherrlichung des Vaters in den Himmeln, nie ging Er Seinen eigenen Bedürfnissen nach. Sein Herz war erfüllt vom Verlangen, den Vater zu ehren. Mit aller Ehrfurcht gesagt hätte Er gar nicht anders als so beten können, wie Er die Jünger gelehrt hat, denn es mussten fast zuerst aus Ihm Bitten um Gottes Verherrlichung heraussprudeln, weil Sein Herz so sehr von diesem Verlangen erfüllt war. Wie ist es bei uns? Unsere Gebete – nicht jene in der Gemeinschaft mit anderen, sondern jene im stillen Kämmerlein! – sagen viel über unseren Herzenszustand aus. Beten wir zuerst eine halbe Stunde lang für unsere eigenen Bedürfnisse oder trachten wir zuerst nach dem Reich Gottes? Es ist sehr bezeichnend, dass wir mit dem Vaterunser das letzte Gebet vor uns haben, in dem für Persönliches gebittet wird. Das war typisch für die Gebete im Alten Testament und es ist typisch für den noch jüdischen Grund, auf dem die Bergpredigt gehalten wurde; es wird auch wieder typisch für die kommende Zeit der Grossen Drangsal sein, wo gerade die vor uns stehende Bitte wieder eminent wichtig sein wird, worauf gleich näher eingegangen wird. Aber es ist nicht typisch für die christliche Zeit. Nach Pfingsten haben die Gläubigen viel gebetet, aber nie um eigene Bedürfnisse. Wenn man die Apostelgeschichte und vor allem die neutestamentlichen Briefe studiert, die sehr viele, auch recht lange Gebete enthalten, stellt man fest, dass die Gläubigen nur mit geistlichen Dingen beschäftigt gewesen sind. Damit soll nicht behauptet werden, wir müssten alles Irdisch-Materielle konsequent verleugnen, aber wenn es uns in unseren Gebeten hauptsächlich um uns und um unsere Bedürfnisse geht, setzen wir einen völlig falschen Schwerpunkt in unserem Leben. Etwas überspitzt gesagt sollten wir nicht von den Psalmisten lernen zu beten, sondern vom Apostel Paulus. Man wird bei einem Vergleich rasch feststellen, dass das zwei recht unterschiedliche Arten von Gebet sind (z.B. Ps 7 und Eph 3,14ff.). Natürlich ist es, wie bereits erwähnt, keineswegs verkehrt, das Vaterunser zu beten oder sich im freien Gebet am Vaterunser zu orientieren, aber es wäre falsch, wenn man behaupten würde, dass das Vaterunser ein typisch christliches Gebet sei. Die typisch christlichen Gebete in der Bibel folgen einem anderen Muster.

Heutzutage ist die Bitte um das tägliche Brot wohl oft rasch und gedankenlos dahergesagt, weil wir ja in einem unvergleichlichen Überfluss leben. Böse Zungen könnten behaupten, wir müssten nicht mehr um das tägliche Brot bitten, sondern bloss den Kühlschrank öffnen. Dennoch ist es gut, wenn wir uns ganz bewusst immer wieder vor Augen führen, dass jede gute Gabe von dem Vater der Himmel kommt, dass Er letztlich die Quelle für unseren momentanen Überfluss ist. Wenn wir auch nicht flehentlich um Brot für den heutigen Tag bitten müssen, dürfen wir doch wenigstens dafür danken, dass wir genug zu essen haben. Bald wird aber eine Zeit kommen, da es für wahre Gläubige (dann wieder in erster Linie Juden) unglaublich schwierig sein wird, an die notwendigste Nahrung zu kommen. Böse Führungspersonen werden ein Bezahlsystem einführen, das nur von jenen genutzt werden kann, die bereit sind, Menschen und Götzen göttlich zu verehren, was den wahren Gläubigen nicht möglich sein wird. Die Gläubigen werden deshalb nicht mehr kaufen und verkaufen können; ihnen wird der Hungertod drohen. Dann werden sie das Vaterunser sprechen und in echter Not um ihr tägliches Brot bitten. Es ist also alles andere als ein Zufall, dass die erste persönliche Bitte jene um die notwendigste Nahrung ist!

Vers 12

und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben haben; Mt 6,12

Man muss es nochmals schreiben: Die Art und Weise, wie der Herr Jesus Seine Jünger gelehrt hat zu beten, ist so komplett anders als die Weise, wie wir zu beten gewöhnt sind! Zuerst dreht sich alles um die Verherrlichung Gottes, wobei im hier unbedingt zu beachtenden jüdischen Kontext die Aufrichtung des tausendjährigen Friedensreiches mit seinen Segnungen im Vordergrund steht, dann folgt eine Bitte um Speise – nur! – für den aktuellen Tag, aber die zweite Bitte betreffend unsere persönlichen Bedürfnisse ist nicht etwa die Bitte um ein Dach über dem Kopf oder etwas Warmes zum Anziehen, sondern die Bitte um Vergebung unserer Schuld! Die in den Dingen Gottes unterwiesene Seele weiss, dass sie zwar Nahrung für den Leib benötigt, aber dass ihr «Gesundheitszustand» ganz wesentlich von einem reinen Gewissen respektive von einer ungetrübten Gemeinschaft mit Gott abhängt. Wer einmal in den Frieden Gottes eingeführt worden ist, verlangt danach, sich wann immer möglich in diesem Zustand aufzuhalten. Frieden mit Gott ist mehr wert als alle Güter der Welt, ein Schatz, der leider nur von so wenigen gekannt und geschätzt wird, den aber jene, die ihn kennengelernt haben, gegen nichts auf der Welt eintauschen würden. Der Taugenichts, der diesen Frieden nicht kennt und ziellos durch die Strassen irrt, geht der fremden Frau in die Falle wie ein Vogel ins Netz (Spr 7,6ff.), aber ein Joseph, der sich beständig in diesem Frieden bewegte, reagierte entrüstet und schockiert, als ihm ein solches Angebot gemacht wurde (1.Mose 39,7ff.).

Grundsätzlich haben wir es allerdings nicht in der Hand, Frieden mit Gott zu machen. Nur Er kann den ersten Schritt tun, aber Ihm sei Lob und Dank! Er hat es getan, als Er Seinen eigenen, Seinen einzigen, Seinen über alles geliebten Sohn am Kreuz für uns hingegeben hat! Wer im Glauben zum Kreuz kommt, der wird mit Gott versöhnt, der schliesst einen definitiven und endgültigen Frieden mit Gott. Zwischen diesem grundsätzlichen Zustand des Friedens und dem Genuss desselben gibt es aber einen Unterschied. Einerseits kann mich nichts und niemand wieder von Gott trennen, aber andererseits kann ich mich in eine Situation manövrieren, in der ich nichts mehr von diesem Frieden verspüre. Begeht ein echter Gläubiger eine schlimme Sünde, bleibt er zwar seiner Stellung nach mit Gott versöhnt; er ist und bleibt ein wahrer Gläubiger, der sein Heil nie wieder verlieren wird. Aber die Beziehung zu Gott wird sehr stark getrübt. Der Gläubige bringt sich selbst in eine tiefe Not, in eine Ruhelosigkeit, in einen Zustand des Unfriedens. Er dürfte zwar nach wie vor mit Freimütigkeit zum Thron der Gnade hinzutreten, aber er wagt es nicht mehr. Er bleibt ein Kind Gottes, aber die Beziehung zum Vater ist von dunklen Wolken überschattet. Er bleibt gewissermassen im Paradies, aber er fühlt sich, als wäre er hinausgestossen worden. Erst wenn er sich selbst im Lichte Gottes richtet und verurteilt, wenn er seine Sünde bekennt und um Vergebung bittet, wird er wieder in den Garten Eden eingeführt, wo er wieder die vielfältigsten Segnungen geniessen und sich im Frieden Gottes sonnen kann. Das dürfen wir nie vergessen: Busse und Vergebung sind einerseits die «Eingangstür» zum ewigen Heil und in diesem Sinne etwas Einmaliges, andererseits aber auch die prägenden Charakteristika unserer Beziehung zu Gott und damit etwas Beständiges, sich immer wieder Wiederholendes. Nicht zufällig beobachtet man bei «gesunden» Christen, dass sie mit zunehmendem Alter immer «weicher» und milder werden, denn ein «gesunder» Christ lernt mit den Jahren immer besser, wie wichtig Busse und Vergebung für seinen Glaubenswandel sind, wie oft er fehlt und wie sehr er tagtäglich die Vergebung Gottes benötigt.

Kann nun jemand nach andauerndem Frieden mit Gott dürsten und zugleich hartherzig gegenüber seinem Nächsten sein? Kann ich Gott bitten, mir jede Form von Schuld zu vergeben, während ich gleichzeitig die Entschuldigung meines Nächsten, der an mir schuldig geworden ist, ablehne? Kann ich hier weich- und dort hartherzig sein? Nein, das passt nicht zusammen! Deshalb erwähnt der Herr Jesus, wie wichtig es ist, dass auch wir eine Haltung der Vergebung – gegenüber unseren Nächsten – einnehmen, wenn wir wollen, dass der Vater in den Himmeln uns immer wieder vergibt. «Glückselig, die Barmherzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit zuteil werden». So Gott will, werden wir uns in einigen Wochen noch mit einem Gleichnis des Herrn beschäftigen können, in dem dieser Punkt sehr anschaulich beleuchtet wird.

Vers 13

und führe uns nicht in Versuchung, sondern rette uns von dem Bösen! Mt 6,13

Diese Bitte hat schon viel Kopfzerbrechen bereitet! Offenbar steht in der obersten Führungsriege der römisch-katholischen Kirche zur Diskussion, den Wortlaut bewusst abzuändern! Der Anlass dazu ist allerdings nachvollziehbar, denn in Jak 1,13 steht klar und deutlich: «Niemand sage, wenn er versucht wird: Ich werde von Gott versucht. Denn Gott kann nicht versucht werden vom Bösen, er selbst aber versucht niemand». Wenn es so ist, wie sollten wir denn beten, dass Er uns nicht in Versuchung führe? Er kann und wird es ja sowieso nicht tun! Nun, das vermeintliche Problem löst sich, wenn man den Blick etwas weitet und den Kontext (Textzusammenhang) beachtet. Jakobus warnt davor, der in uns wohnenden Begierde nachzugeben und in Sünde zu fallen; in diesem Zusammenhang macht er deutlich, dass man im Falle eines Falles niemals sagen kann, man sei halt von Gott – zum Bösen – versucht worden, wobei «versucht» in diesem Zusammenhang als «verführt» zu verstehen wäre. Gott verführt niemand zum Bösen! Es ist immer unser Fehler, wenn wir in Sünde fallen. Der Herr Jesus spricht hingegen von etwas anderem. Im Fokus steht die Bitte, dass Gott uns von dem Bösen retten möge. Diese Bitte trägt dem Umstand Rechnung, dass wir es in unserem Glaubensleben mit Feinden zu tun haben, die weit mächtiger sind als wir. Damit sind nicht Menschen gemeint, sondern der Teufel und seine Dämonen, die Welt mit all ihren Verlockungen und Verführungen sowie die in uns wohnende Sünde, die nur zu gern mit dem Teufel und der Welt zusammenarbeitet. Für den Kampf gegen dieses Trio infernale benötigen wir mächtige Hilfe – und diese finden wir (nur) bei Gott selbst. Er muss uns nicht nur für die Ewigkeit, sondern auch tagtäglich aus mancherlei Bedrängnissen, Nöten und schwierigen Situationen retten; darum sollen wir immer wieder ganz bewusst bitten. Wie die anderen Bitten auch wird diese Bitte natürlich in der Zeit der Grossen Drangsal für den gläubigen jüdischen Überrest besonders wichtig sein, denn dann wird das Böse auf dieser Welt in einem unvergleichlichen Mass entfesselt sein. Die Bitte zielt also hauptsächlich auf Bewahrung vor dem Bösen ab. Nun wissen wir, dass Gott vieles in unserem Leben lenkt und führt. Wir leben nicht zufällig in der heutigen Zeit, wir wurden nicht zufällig in jene Gesellschaft geboren, in der wir nun leben, wir haben nicht zufällig diese Verwandtschaft, diese Bekannten, diese Arbeitsstelle etc. Die allgemeine Führung Gottes in unserem Leben kann uns an diesen oder an jenen Ort bringen; alles ist von Ihm selbst abhängig. So individuell, wie wir selbst sind, so individuell sind auch unsere Schwächen. Der Eine ist empfänglicher für diese Verführung, der andere für eine andere. Die allgemeine Führung Gottes in unserem Leben kann uns in Situationen bringen, wo unser Glaube und unsere Treue ganz besonders herausgefordert werden, wo es richtig schwierig werden kann, Gott treu zu bleiben. Besonders gefährlich wird es, wenn wir versuchen, in einzelnen Entscheidungen unseren eigenen Kopf durchzusetzen. Ein Beispiel: Jemand ist schwach in Bezug auf Habgier, aber er will unbedingt diesen Job bei der Bank haben, der zwar so einen «halb-seriösen» Eindruck macht, aber einen richtig hohen Lohn verspricht. Setzt der Gläubige seinen Kopf durch und bekommt er den Job, wird er immer wieder Entscheidungen fällen müssen, die ihm schwer fallen: Will er alles ganz korrekt erledigen oder will er hie und da nur «halb-korrekt» sein und dafür richtig Kohle machen? Das kann in schier unvorstellbare Nöte und katastrophales Versagen führen! Der weise Gläubige bittet den HERRN deshalb vorher: Führe mich nicht in Versuchung! Bewahre mich davor, einen Weg einzuschlagen, wo besonders viele Versuchungen auf mich lauern, denen ich nicht widerstehen kann! So ist diese Bitte hier zu verstehen.

Vers 14

Denn wenn ihr den Menschen ihre Vergehungen vergebt, so wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben; Mt 6,14

Wer als Kind das Vaterunser auswendig gelernt hat, dürfte etwas überrascht sein, weil das Ende des Gebetes fehlt: «Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen». Das liegt im Umstand begründet, dass es nicht den einen Grundtext der Bibel gibt, sondern dass sich der Grundtext aus Hunderten, ja Tausenden von Handschriften zusammensetzt. Im Prinzip gibt es drei grosse «Sammlungen», nämlich den sogenannten Textus Receptus («empfangener Text» – eine höchst anmassende Bezeichnung!), den man wohl getrost als die schlechteste aller drei «Sammlungen» bezeichnen kann, was sogar der Ersteller – der erzkatholische Erasmus von Rotterdam – eingeräumt hat, die «wissenschaftliche» Sammlung nach Nestlé und Aland, die am meisten Ansehen geniesst, sich aber hauptsächlich auf «grosse» ältere «Sammlungen» stützt, sowie den sogenannten Mehrheitstext, der den ganz frühen Handschriften etwas mehr Gewicht einräumt. Gerade die Verfechter des Textus Receptus verbreiten oft die Ansicht, alle anderen Texte seien – bewusst! – verfälscht worden, wobei nicht selten die Verschwörungstheorie vertreten wird, die römisch-katholische Kirche habe da ihre Hände im Spiel gehabt, was einigermassen amüsant ist, da der Textus Receptus die einzige «Sammlung» ist, die allgemein bekannt von einem römisch-katholischen Gelehrten erstellt worden ist, der sich unter anderem auch Martin Luther entschieden in den Weg gestellt hat. Oft führen die Debatten um den «einzig wahren» Grundtext leider zu Verunsicherungen bei Gläubigen, die dann von Zweifeln geplagt werden, ob man überhaupt noch wissen könne, was der wahre Grundtext sei. Diese Verunsicherungen sind der Grund für die hier vielleicht etwas unpassend erscheinenden Ausführungen zu dieser Problematik, denn sie sind unbegründet. Die drei grossen «Sammlungen» sind nämlich trotz der teils vehementen Diskussionen unter ihren Verfechtern fast komplett deckungsgleich. Die Abweichungen sind minimal!Für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit diesem Thema sei auf die Ausführungen von Martin Arhelger verwiesen, der sich intensiv und fundiert mit der Problematik beschäftigt hat.

Im Vaterunser ist unter anderem die Bitte enthalten, dass der Vater in den Himmeln uns unsere Vergehungen vergeben möge. Bereits diese Bitte ist mit einer einschränkenden Bedingung versehen: «Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern». Diese Bedingung hat ein besonderes Gewicht, denn der Herr Jesus ist nochmals darauf zu sprechen gekommen, nachdem Er das komplette Gebet vorgestellt hatte: «Denn wenn ihr den Menschen ihre Vergehungen vergebt, so wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben». Hier haben wir noch klarer vor uns, dass es für das «Dann» ein einschränkendes «Wenn» gibt. Um diese Aussage richtig zu verstehen, müssen wir allerdings wissen, dass es mehrere Arten von Vergebung gibt. Wir denken natürlich sofort an die grundlegende Vergebung aller Sünden als Bedingung für unsere ewige Errettung. Diese kann hier aber nicht gemeint sein! Ein Mensch kann nur aus Gnade und nur durch Glauben für die Ewigkeit errettet werden, was – in aller Kürze ausgedrückt – bedeutet, dass die Errettung nur von Gott bewirkt werden kann und dass nur der Glaube daran das rettende Mittel sein kann. Der Mensch kann absolut rein gar nichts zu seiner Errettung beiwirken! Niemals ist die ewige Errettung ein Produkt der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Gott; sie kann nur ein rein göttliches Werk sein. Diese wieder gewonnene Erkenntnis ist übrigens der Grund für die Reformation gewesen. Man wirft der römisch-katholischen Kirche (zu Recht) vieles, u.a. die Anbetung von Menschen und Götzen, vor, aber nur selten kommt der enorm gewichtige Punkt zur Sprache, dass die römisch-katholische Kirche ein komplett verdrehtes Evangelium verkündigt, wonach die ewige Errettung – angeblich – ganz entscheidend von bestimmten Taten und Handlungen des Menschen abhängig sei und Gott nur etwas «mithelfe». Aber wieso hört man nur selten von diesem schrecklichen Missstand? Weil auch fast alle anderen Gemeinschaften und Splittergruppen der Christenheit heute diesbezüglich wieder im finstersten Mittelalter leben! Man vertritt zwar noch – den Worten nach – die reformatorischen Wahrheiten «sola gratia» (nur durch Gnade) und «sola fide» (nur durch Glauben), hat aber fast überall ein sehr kleines und verdrehtes Bild von der rettenden Gnade. Spricht man mit Christen über das Thema Auserwählung, gilt man sofort als ein Calvinist, obwohl das zwei völlig verschiedene Paar Schuhe sind. Der Humanismus, der den Mensch gewissermassen ins Zentrum der Universum – einen Platz, der allein Gott gebührt! – stellt, hat praktisch die komplette Christenheit komplett verseucht. Jedenfalls ist die Heilige Schrift in diesem Punkt völlig klar: Die ewige Vergebung und Errettung ist nicht von uns, sondern allein von Gott abhängig. Deshalb ist sie ja auch so etwas Sicheres! Es gibt keine einschränkenden Bedingungen, die der Mensch erfüllen müsste. Ein Mensch kann nur zur ewigen Errettung geschleift werden – und die Schwelle muss in den Boden eingelassen sein!

Die Vergebung aller Sünden geschieht, wenn wir zu Kindern Gottes werden; sie hängt mit der ewigen Errettung zusammen. Sind wir einmal zu Kindern Gottes geworden, bleiben wir es auch. Gott sei Lob und Dank dafür! Aber die Beziehung kann besser oder schlechter sein. Sie kann durch Schuld und Sünde getrübt werden. Das beobachten wir ja auch in unseren menschlichen Familien immer wieder: Ist ein Kind ungehorsam, wird die Beziehung zum Vater getrübt. Das Kind kann aber seinen Vater um Vergebung bitten. Vergibt der Vater, ist die Beziehung nicht mehr länger getrübt; die Gemeinschaft kann wieder uneingeschränkt genossen werden, denn da steht nichts mehr zwischen dem Vater und dem Kind. So ist es auch mit dem himmlischen Vater. Wir brauchen immer wieder Seine Vergebung – hier und jetzt, nicht für die Ewigkeit. Es geht «nur» um die Qualität der Beziehung, aber für unser praktisches Glaubensleben ist diese Qualität von eminenter Bedeutung. Diese Art von Vergebung hängt nun von der vom Herrn Jesus genannten Bedingung ab. Wir müssen auch die Bereitschaft haben, unseren Mitmenschen zu vergeben. Sind wir selbst nicht bereit, andern zu vergeben, wird der Vater in den Himmeln uns auch nicht vergeben. Diesen Punkt greift der Herr Jesus im nächsten Vers nochmals deutlicher auf. Im vor uns liegenden Vers haben wir die «positive» Seite der Wahrheit vor uns: Wenn wir vergeben, wird Er auch vergeben; im nächsten Vers folgt die «negative» Seite: Wenn wir nicht vergeben, wird Er auch nicht vergeben. Wir können uns also, so Gott will, nächste Woche nochmals näher damit beschäftigen.

Vers 15

wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euer Vater eure Vergehungen auch nicht vergeben. Mt 6,15

Dieser Punkt ist so wichtig, dass der Herr Jesus ihn als einzigen aus dem Vaterunser herausgreift und nochmals – doppelt! – betont. Wir haben bereits gesehen, dass es nicht um das ewige Heil, um die grundlegende Vergebung aller Sünden geht, denn diese kann unmöglich von etwas abhängig sein, was wir tun oder lassen; sie gründet allein auf dem Erlösungswerk Christi und wird aus reiner Gnade (unverdienter Gunst) angeboten und durch Glauben allein angenommen. Nein, hier geht es um den praktischen Zustand, in dem wir uns befinden, gewissermassen um die Qualität unserer Beziehung zum Vater in den Himmeln. Da gibt es eine Gesetzmässigkeit, die im Wesen Gottes selbst begründet ist: Er vergibt uns, wenn wir unseren Nächsten vergeben, und Er vergibt uns nicht, wenn wir unseren Nächsten nicht vergeben. Was bedeutet die Behauptung, diese Gesetzmässigkeit sei im Wesen Gottes begründet? Nun, wir müssen uns die Frage stellen: Weshalb besteht diese Gesetzmässigkeit? Woher kommt sie? Es könnte ja sein, dass Gott uns etwas Gutes vorenthält, wenn wir nicht «spuren», um uns fühlen zu lassen, für den Fall, dass wir nicht hören wollen. Er würde Sich gewissermassen völlig frei dazu entscheiden: «Dem zeige ich es jetzt!» Das könnten wir mit einem Polizisten vergleichen, der einen Strafzettel für einen Falschparker ausstellt, der gerade einmal eine Minute zu spät zu seinem Auto zurückkehrt. Der Polizist könnte in einem solchen Fall durchaus auf eine Strafe verzichten; es ist seine freie Entscheidung, was er tun will. Aber so verhält es sich nicht mit der Vergebungsbereitschaft Gottes. Was der Herr Jesus hier erklärt, ist vielmehr eine Art Naturgesetz und eher mit dem Fall zu vergleichen, in dem eine wegen einer gefährlichen Kurve aufgestellte Geschwindigkeitsbeschränkung missachtet wird. In diesem Fall entscheidet niemand frei darüber, ob der Wagen die Kurve kriegt oder von der Strasse abkommt, denn die Gesetze der Physik zwingen geradezu zum Unfall. Eine Kurve, die man nicht mit mehr als 60km/h nehmen sollte, kann man mit 100km/h nicht kriegen. Das ist einfach so. Und genauso verhält es sich mit der Vergebungsbereitschaft. Wer sein Herz gegenüber seinem Nächsten verhärtet, der verschliesst sich selbst vor der Vergebung Gottes. Er versetzt sich gewissermassen selbst in einen Zustand, wo ihn die Vergebung Gottes nicht mehr erreichen kann. Er kann nicht diese Tür (zum Nächsten) schliessen, ohne dass sich auch jene Tür (zu Gott) schliesst. Die Türen können nur entweder beide offen oder beide geschlossen sein.

Vers 16

Wenn ihr aber fastet, so seht nicht düster aus wie die Heuchler! Denn sie verstellen ihre Gesichter, damit sie den Menschen als Fastende erscheinen. Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn weg. Mt 6,16

Nun kommt der Herr Jesus auf die dritte grosse «Säule» jüdischer Frömmigkeit zu sprechen, nämlich auf das Fasten (die ersten beiden «Säulen», die wir bereits betrachtet haben, sind die Almosen und das Gebet). Diesbezüglich gilt genau dasselbe wie bei jeder anderen Form von Frömmigkeit auch: Entscheidend ist, ob wir es für Gott oder für Menschen respektive letztlich für uns selbst (weil wir vor andern gut da stehen wollen) tun. Man kann aus dem Fasten eine grosse Geschichte machen, düster aussehen, die Gesichter verstellen und allen andern deutlich zeigen, wie sehr man jetzt gerade leidet, weil man – angeblich für Gott – fastet. Das hat vor Gott keinen Wert.

Interessanterweise enthält das Alte Testament fast keine einzige Anordnung eines Fastens. Nur etwa im Zusammenhang mit dem grossen jährlichen Versöhnungstag heisst es: «Doch am Zehnten dieses siebten Monats, da ist der Versöhnungstag. Eine heilige Versammlung soll er für euch sein, und ihr sollt euch selbst demütigen und sollt dem HERRN ein Feueropfer darbringen» (3.Mose 23,27). Das mit «demütigen» übersetzte Wort könnte man auch mit «kasteien» oder «die eigene Seele erniedrigen» übersetzen; die Bedeutung ist, dass man fasten soll. Nach der Zerstörung des ersten Tempels haben die Juden allerdings von sich aus, also ohne eine ausdrückliche göttliche Anordnung, die Idee entwickelt, regelmässig zu fasten. Sie haben vier jährliche Fastentage eingeführt, an denen sie des Beginns der Belagerung von Jerusalem, der Eroberung Jerusalems, der Zerstörung des Tempels und der Ermordung des Statthalters Gedalja gedachten. Nachdem sie in das Land zurückgekehrt und mit dem Bau des zweiten Tempels begonnen hatten, stellten sie sich die Frage, ob es überhaupt noch angemessen sei, weiterhin diese vier Fastentage zu beachten. Durch den Propheten Sacharja befragten sie den HERRN. Die göttliche Antwort lautete: «Sprich zum ganzen Volk des Landes und zu den Priestern: Wenn ihr im fünften und im siebten Monat beim Wehklagen gefastet habt, und dies siebzig Jahre, habt ihr etwa mir gefastet? Und wenn ihr esst und wenn ihr trinkt, seid ihr es nicht, die da essen, nicht ihr, die da trinken?» (Sach 7,5.6). Das ist sehr interessant, weil es zeigt, dass man Gott mit Fasten ebenso wenig einen Dienst erweist wie mit Essen und Trinken. Man isst und trinkt für sich selbst und genauso fastet man für sich selbst. Wie können wir das verstehen? Nun, das Fasten ist kein Selbstzweck. Man fastet nicht um des Fastens willen. Es dient vielmehr der Fokussierungrespektive verstärkt das Gebet – und zwar gleich in mehrerlei Hinsicht. Erstens verschafft es zusätzliche Zeit, weil man sich all jene Zeit spart, die man benötigt, um einzukaufen, zu rüsten, zu kochen und zu essen. Diese gewonnene Zeit kann für das Gebet verwendet werden, was der eigentliche Sinn des Fastens ist. Das ist kein Fasten, wenn man nichts isst, aber die Zeit, in der man essen würde, fernsieht! Zweitens gewinnen wir an Scharfsinn, denn wir wissen alle, dass uns Essen und Trinken schläfrig macht. Der Grund dafür ist, dass die Verdauung sehr viel Energie benötigt und dass der Körper das Blut zum Verdauungstrakt hin zusammen zieht, wenn wir gegessen haben. Hungrig sind wir wacher. Drittens lehren wir uns spürbar selbst, dass wir den geistlichen Dingen den unbedingten Vorrang vor den körperlichen (und seelischen) Bedürfnissen einräumen wollen. Zusammengefasst kann man also sagen, dass das Fasten ein Turbobooster für das Gebet ist. Das zeigt bereits die oben erwähnte göttliche Anordnung in 3.Mose 23,27, denn der Versöhnungstag war ja nicht ein Tag des Fastens, sondern verfolgte einen ganz anderen, viel grösseren Zweck; das Fasten sollte das alles nur unterstützen. In diesem Sinne kann man eigentlich gar nicht direkt für Gott fasten, sondern nur für sich selbst, aber weil man dadurch das Gebet so sehr verstärkt, beeinflusst das Fasten natürlich indirekt durchaus die Beziehung zu Gott. Wie unsinnig ist es vor diesem Hintergrund, das Fasten zum Selbstzweck zu machen und das dann vor den Mitmenschen zu präsentieren, um ihre Anerkennung zu bekommen!

Vers 17

Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, Mt 6,17

«Fasten» bezeichnet in erster Linie einen Verzicht auf Nahrung. Da das Fasten aber, wie wir gesehen haben, keinen Selbstzweck verfolgt, da man also nicht um des Fastens willen fastet, sondern vielmehr, um im Alltag zusätzliche Zeit für das Gebet zu gewinnen und die Sinne zu schärfen, kann man auch auf andere Weise fasten, beispielsweise mit einem Verzicht auf Unterhaltung. Da ist vielleicht ein Christ, der sich jede Woche je eine Folge seiner drei Lieblings-Fernsehserien ansieht und dafür wöchentlich drei Stunden aufwendet. Er kann eine Pause einlegen und so pro Woche drei zusätzliche Stunden für das Gebet gewinnen. Ein anderer Christ liest abends jeweils noch eine halbe Stunde in einem Roman, bevor er zu Bett geht. Er kann eine Pause einlegen und so pro Tag eine zusätzliche halbe Stunde für das Gebet gewinnen.

Wenn man nun – egal auf welche Weise – fastet, kann man das jedem erzählen (ob dieser es hören will oder nicht), aber dann hat man seinen Lohn dahin, weil man damit das Fasten zu einer Sache macht, mit der man Ansehen bei den Menschen gewinnen will. Dasselbe gilt aber auch, wenn man zwar nicht über das Fasten redet, aber sich nach aussen «leidend» gibt, damit die Mitmenschen fragen, was denn los sei, ob es uns nicht gut gehe etc. – nur damit wir ihnen dann jammernd klagen können, wie schwer es für uns sei zu fasten. Wenn wir echt fasten wollen, dann werden wir einfach auf diese eine Sache (Nahrung, Unterhaltung etc.) verzichten, uns aber ansonsten völig unauffällig verhalten, das Gesicht waschen, das Haupt salben usw. Niemand soll mitbekommen, dass wir im Verborgenen fasten.

Vers 18

damit du nicht den Menschen als ein Fastender erscheinst, sondern deinem Vater, der im Verborgenen ist! Und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten. Mt 6,18

Nach den bisherigen Ausführungen benötigt der Inhalt dieses Verses keine weitere Erklärung mehr. Wir wollen dieses Thema deshalb mit einer ernsten Warnung abschliessen: Hüten wir uns vor jeder Art von frommer Show! Dem HERRN ist es ein gewaltiger Greuel, wenn wir – gerade in «religiöser» Hinsicht – vorgeben, etwas zu sein, das wir nicht sind! Niemand hat so harte Worte aus dem Mund des Herrn Jesus gehört wie die religiösen Heuchler!

Vers 19

Sammelt euch nicht Schätze auf der Erde, wo Motte und Frass zerstören und wo Diebe durchgraben und stehlen; Mt 6,19

Nachdem der Herr Jesus ausführlich über die drei grossen «Säulen» jüdischer Frömmigkeit – Almosen, Gebet und Fasten – gesprochen hat, kommt Er auf ein vermeintlich ganz und gar «un-religiöses» Thema zu sprechen, nämlich auf die Geldliebe respektive Habgier. Aber der Zusammenhang zwischen einem fehlgeleiteten religiösen Eifer und dem Streben nach Wohlstand ist viel enger, als man meinen möchte, denn erstens zielt beides darauf ab, sich hier auf dieser Erde einen Vorteil – Ansehen bei den Menschen für den Religiösen und Wohlstand für den Raffgierigen – zu verschaffen, und zweitens hat auch die Habgier eine ganz starke geistliche Komponente. Sie wird in Kol 3,5 ganz direkt als Götzendienst bezeichnet. Wir werden in den folgenden Versen eine ausführliche Erklärung aus dem Mund des Herrn Jesus finden, weshalb Gott das so sieht. Aber Achtung! Nicht der Reichtum oder der Wohlstand an sich ist verwerflich, sondern das Streben bzw. die Gier nach Reichtum und Wohlstand! Das sind zwei verschiedene Dinge. Der Herr Jesus spricht zum Beispiel im vor uns liegenden Vers davon, dass wir nicht Schätze sammeln sollen, erwähnt aber mit keinem Wort, dass es schlecht wäre, wenn jemand mitten in Schätze hinein geboren wird. Man kann reich und gottesfürchtig und ebenso gut arm und habgierig sein.

Der Herr Jesus gestaltet den Einstieg in dieses für viele Menschen heikle Thema (heikel, weil viele Menschen habgierig sind) sehr sanft, indem Er zunächst einmal ganz nüchtern darauf hinweist, dass Reichtum nicht etwa Sorgen überdeckt, wie man oft fälschlicherweise annimmt, sondern neue Sorgen produziert. Denn nichts ist wirklich sicher auf dieser Erde. Die Schätze, die wir mühsam gesammelt haben, können von Motte und Frass (Rost) zerstört oder von Dieben gestohlen werden. Man kann milliardenschwer sein und bei einem Börsencrash in wenigen Stunden alles verlieren. Man kann milliardenschwer sein und durch einen Betrug oder dergleichen in einem Moment um alles bestohlen werden. Wie oft hat sich in der Geschichte das Schicksal von schwerreichen Menschen schon urplötzlich gewendet! Wie töricht wäre es da, sein Vertrauen auf den trügerischen Reichtum zu setzen!

Vers 20

sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Frass zerstören und wo Diebe nicht durchgraben noch stehlen! Mt 6,20

Wir sollen nicht Schätze auf dieser Erde sammeln, nicht dem Geld nachjagen und nicht habgierig sein. Aber was denn? Sollen wir fatalistisch werden und uns einfach ohne Ziel etwas durch dieses Leben treiben lassen? Sollen wir uns zurücklehnen, gar faul sein? Nein! Wir sollen Schätze sammeln – aber nicht auf der Erde, sondern im Himmel. Diese Schätze haben eine ganz andere Qualität. Natürlich, der Unglaube sagt, sie seien bloss ein Hirngespinst, eine Einbildung und nicht real. Aber für den Glauben sind die unsichtbaren und himmlischen Dinge mindestens ebenso real wie die sichtbaren und irdischen Dinge. Für den Glauben liegt der grosse Unterschied darin, dass die einen Schätze vergänglich sind, während die anderen einen Ewigkeitswert haben. In zehntausend Jahren wird es niemanden mehr interessieren, ob ich einmal hier auf dieser Erde für zwei, drei Jahrzehnte lang mehr als eine Million Franken auf dem Bankkonto gehabt habe. Aber mein Nachbar, dem ich einmal von meinem Glauben an den Herrn Jesus Christus erzählt habe und der sich später auch aufgrund meines Zeugnisses bekehrt hat und errettet worden ist, wird mir nach hunderttausend Jahren noch freudig und dankbar zuwinken, wenn er mich sieht! Das ist nur ein ganz kleines Anschauungsbeispiel. Es gibt noch viel mehr und viel schönere himmlische Schätze. Der Apostel Petrus nennt das einmal ein unvergängliches und unbeflecktes und unverwelkliches Erbteil, das in den Himmeln für uns aufbewahrt ist (1.Petr 1,4).

Vers 21

Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein. Mt 6,21

Schätze sammeln benötigt Energie, Anstrengung, Herzblut. Wir investieren unsere Zeit und unsere Energie in jene Dinge, die uns am Herz liegen. Aber auch das Umgekehrte ist wahr: Wenn wir es in einer Sache einmal zu etwas gebracht haben, dann hängt unser Herz am Erreichten. Wenn wir Schätze auf der Erde sammeln, werden unsere Gedanken immer wieder um sie kreisen; die Schätze werden unser Herz fesseln. Wir können aber auch Schätze im Himmel sammeln – und dann werden unsere Gedanken immer wieder um himmlische Dinge kreisen; der Himmel – und Der, der ihn erfüllt – wird unser Herz fesseln. Das ist ein enorm wichtiger Punkt, denn das Herz bzw. was es erfüllt und fesselt, ist absolut entscheidend für unser Leben. «Mehr als alles, was man sonst bewahrt, behüte dein Herz! Denn in ihm entspringt die Quelle des Lebens!» (Spr 4,23). In vielerlei Hinsicht ist in erster Linie nicht das, was wir tun oder lassen, sondern unsere Herzenshaltung massgebend in den Augen Gottes; Er sucht unser Herz, Er will unser Herz gewinnen! Hängen wir unser Herz nicht an Götzen, sondern an Ihn, an den Herrn Jesus Christus!

Vers 22

Die Lampe des Leibes ist das Auge; wenn nun dein Auge klar ist, so wird dein ganzer Leib licht sein; Mt 6,22

Nachdem der Herr über das Herz gesprochen hat, spricht Er über das wichtigste Eingangstor zum Herz, das Auge. Damit ist nicht das natürliche Sehorgan gemeint, sondern mehr die Blickrichtung (wie mit dem Herz auch nicht der Muskel in der Brust, sondern unser Innerstes – Zuneigungen, Wünsche etc. – gemeint ist). Es geht darum, womit wir uns den ganzen Tag hindurch beschäftigen respektive womit wir unser Herz «füttern». Der Herr vergleicht das Auge hier mit einer Lampe, die Licht in unser Innerstes wirft. Wenn das Auge «klar» – eigentlich: «schlicht» respektive «einfältig» – ist, dann fällt gutes Licht in unser Innerstes, das unseren ganzen Leib, unser ganzes Sein erleuchtet. Wenn ich also morgens nicht die Nachrichten aus aller Welt lese, die grösstenteils Effekthascherei, Angstmache und Unmoral beinhalten, sondern mich mit dem guten Wort Gottes beschäftige, werde ich nicht niedergedrückt und verängstigt, sondern auferbaut und ermutigt. Gottes Wort gibt mir die Kraft, den Tag in einer bösen Welt gut zu überstehen. Die Nachrichten haben diese Kraft nicht, sondern ziehen im Gegenteil runter. Das ist nur ein Beispiel von vielen, um die Aussage des Herrn etwas zu veranschaulichen.

Vers 23

wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie gross die Finsternis! Mt 6,23

Konzentrieren wir uns auf Dinge, «füllen» wir unser Herz mit Dingen, die nicht gut, sondern böse sind, so strahlt kein Licht in unserem Leib. Und jetzt? Wenn unser Herz in seinem Kern gut wäre, wäre das nicht weiter schlimm. Das grosse Problem des Menschen ist aber, dass sein Herz im innersten Kern böse ist! Das Gebilde der Gedanken des Menschen ist nur böse den ganzen Tag! Denn das Sinnen des menschlichen Herzens ist böse von seiner Jugend an. Arglistig ist das Herz, mehr als alles – und verdorben ist es; wer mag es kennen? Denn aus dem Herzen kommen hervor böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsche Zeugnisse, Lästerungen. Du sagst, diese Worte seien zu hart, das dürfe man so in dieser Schärfe nicht sagen, das entspreche nicht der Wahrheit … Das sind alles wortwörtliche Zitate aus der Bibel, dem Heiligen Wort Gottes. Das ist ja genau das Problem, das der Herr Jesus hier anspricht: In uns selbst ist es finsterer und kälter als in der finstersten und kältesten Nacht! Jemand hat einmal gesagt, dass wenn Gott uns den wahren Zustand unseres Herzens, unsere ganze Sündhaftigkeit komplett vor Augen führen würde, wir auf der Stelle tot umfallen müssten. Ich denke, da ist was Wahres dran. Wenn aber unsere Herzen so finster sind und wenn wir unser Auge zugleich auf finstere, böse Dinge richten: Wie unglaublich gross muss die Finsternis dann sein! Wir haben nur eine Chance, ins Licht zu kommen und erleuchtet zu werden: Wir müssen das göttliche Licht von aussen in unser Herz strahlen lassen; wir müssen uns in das Licht Gottes stellen.

Vers 24

Niemand kann zwei Herren dienen; denn entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird einem anhängen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. Mt 6,24

Haben wir in den Ausführungen des Herrn Jesus bis hierher gewissermassen zwei Lebenswege vor uns gehabt – das Sammeln von Schätzen auf der Erde oder im Himmel, die Beschäftigung mit dem Wort Gottes oder mit anderen Dingen –, so stehen jetzt zwei verschiedene Lebensziele vor uns: Gott und der Mammon. Der Mammon ist ein Götze, sein deutscher Name ist Habgier. Er steht hier stellvertretend für alle möglichen Götzen, wohl weil er für die meisten Menschen die grösste Anziehungskraft besitzt. O, wie viele Menschen widmen ihr Leben dem eifrigen Götzendienst, der da heisst Streben nach Reichtum! Sie verschwenden ihr Leben für etwas, das ihnen spätestens im Zeitpunkt des Todes wie Sand durch die Hände rinnt und sich dann als die grösste Täuschung entpuppt! Das letzte Hemd hat keine Taschen. Wir wissen es, aber wir wollen es nicht wahrhaben. Die grosse Tragödie daran ist, dass der Herr Jesus klar und deutlich gesagt hat, dass man nicht dem Mammon und Gott dienen kann. Wer Ja zum Mammon sagt, sagt automatisch Nein zu Gott; wer den Mammon liebt, hasst Gott; wer dem Mammon anhangt, verachtet Gott. So ernst ist diese Sache!

Willst Du zu Gott gehören, willst Du Frieden mit Ihm haben, willst Du Sein geliebtes Kind sein? Er bietet Dir all das in reiner Gnade an, d.h. ohne dass Du es verdient hättest oder es verdienen könntest. Aber Er nimmt Dich nur ganz auf – oder gar nicht! Du musst zu Ihm Ja sagen, wie eine Frau Ja zu einem Mann sagt, der ihr einen Heiratsantrag macht – nämlich so, dass ihr Ja zu ihm zugleich auch ein Nein zu allen anderen Männern ist. Dein Ja zu Gott muss ein Nein zu jeder Art von Götzendienst sein. Gib Dein Herz in Gottes Hand, aber gib es Ihm ganz! Tanze nicht auf zwei Hochzeiten, hinke nicht auf beiden Seiten, sondern mach ganze Sache, denn wie jemand einmal treffend gesagt hat: Ein halber Christ ist ein ganzer Mist. Es gibt keine halben Christen, sondern nur solche, die es sind, und solche, die es nicht sind. Zu welcher Gruppe gehörst Du?

Vers 25

Deshalb sage ich euch: Seid nicht besorgt für euer Leben, was ihr essen und was ihr trinken sollt, noch für euren Leib, was ihr anziehen sollt! Ist nicht das Leben mehr als die Speise und der Leib mehr als die Kleidung? Mt 6,25

Nun geht der Herr Jesus einen – grossen! – Schritt weiter: Er bezeichnet nicht nur das Streben nach Reichtum, sondern bereits die (übermässige) Sorge um die täglichen Bedürfnisse als falsch. Das können wir nur richtig verstehen, wenn wir uns nochmals in Erinnerung rufen, dass der Herr nicht den Reichtum an sich, sondern das Streben nach Reichtum als falsch bezeichnet hat. Nicht das Geld an sich ist ein Götze, denn Geld ist in sich selbst etwas völlig Neutrales, aber die Habgier ist Götzendienst; sie macht aus Geld einen Götzen. So ist es auch mit der Sorge um die täglichen Bedürfnisse. Zahlreiche Stellen in der Heiligen Schrift zeigen, dass wir Verantwortung für unser Leben übernehmen und selbst für unsere täglichen Bedürfnisse sorgen sollen, so als ob es von uns allein abhinge. Beispielsweise heisst es: «Wenn jemand nicht arbeiten will, soll er auch nicht essen» (2.Thess 3,10). Aber es ist verkehrt, wenn wir uns Sorgen machen, wenn wir zu viel Zeit, Fleiss und Energie in die Befriedigung der täglichen Bedürfnisse investieren, denn die Sorgen der Welt sind genau gleich wie der Betrug des Reichtums Dornen, die die Entfaltung der guten Saat unterdrücken (Mt 13,22). Die Sorge um unsere täglichen Bedürfnisse ist nämlich nichts anderes als der Keim des Strebens nach Reichtum. Der «Wirkmechanismus» ist derselbe. Die Habgier macht das Geld und den Reichtum zum zentralen Lebensinhalt, die Sorge um die täglichen Bedürfnisse macht die Speise und die Kleidung zum zentralen Lebensinhalt, aber das Leben ist mehr als die Speise und der Leib ist mehr als die Kleidung.

Vers 26

Seht hin auf die Vögel des Himmels, dass sie weder säen noch ernten noch in Scheunen sammeln, und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr nicht viel wertvoller als sie? Mt 6,26

Wir sollen zwar so fleissig und verantwortungsbewusst sein, als ob die Befriedigung unserer täglichen Bedürfnisse allein von unserem Fleiss abhängig wäre, aber wir sollen zugleich wissen, dass jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk von oben kommt, von dem Vater der Lichter (Jak 1,17). Nur Gott kann uns mit dem versorgen, was wir benötigen; wir selbst haben gar nichts in der Hand! Durch die Schöpfung spricht Er zu uns. So können wir beispielsweise feststellen, dass Vögel, die – anders als z.B. Eichhörnchen oder Bienen – keine Wintervorräte anlegen, sondern von der Hand in den Mund leben – und trotzdem die karge Winterzeit überstehen, weil der Vater in den Himmeln sie auch in jener schweren Zeit immer wieder so viel finden lässt, dass sie überleben können. So sorgt Er für die Vögel! Die Vögel müssen sich nicht selber sorgen; der Vater kümmert sich um sie. Und wie wunderbar! Wir sind in Seinen Augen viel wertvoller als Vögel. Wird Er nicht umso mehr um uns besorgt sein?

Vers 27

Wer aber unter euch kann mit Sorgen seiner Lebenslänge eine Elle zusetzen? Mt 6,27

Das ist der springende Punkt. Uns Christen wird immer wieder vorgeworfen, wir würden die Verantwortung für unser Leben abschieben, aber das stimmt nicht oder sollte zumindest nicht so sein. So viel an uns liegt, wollen wir all unseren Verpflichtungen treu und fleissig nachkommen und alles daran setzen, ein in jeder Hinsicht verantwortungsbewusstes Leben zu führen. Für einen Christ geziemt es sich nicht, ein fauler Angestellter, ein abwesender Vater, ein masslosser Verschwender oder auch jemand zu sein, der seinen Müll ins Gebüsch oder auf die Strasse wirft, achtlos mit Tieren oder der Umwelt umgeht und solche Dinge. Aber der Christ weiss, dass er nichts in der Hand hat. Er weiss, dass letztlich alles vom Segen des Vaters in den Himmeln abhängt. Die Frage des Herrn Jesus bringt es treffend auf den Punkt: Mit all unseren Sorgen und Bemühungen können wir unsere Lebensspanne nicht um einen Millimeter verlängern. Das ist in der Hand Gottes. Der Christ ruht glücklich in dieser Gewissheit und im Wissen, dass ihm alles gelingen kann, zu dem der himmlische Vater Sein Ja gibt.

Vers 28

Und warum seid ihr um Kleidung besorgt? Betrachtet die Lilien des Feldes, wie sie wachsen; sie mühen sich nicht, auch spinnen sie nicht. Mt 6,28

In wunderschönen Vergleichen zeigt der Herr Jesus, dass der Vater in den Himmeln die Seinen stets mit dem Notwendigsten – Nahrung und Bekleidung – versorgen wird. Die im vor uns liegenden Vers erwähnten Lilien sind ganz besonders schöne Pflanzen, die das Auge jedes Betrachters erfreuen. Wie kommen sie zu ihrer Schönheit? Mühen sie sich dafür ab oder spinnen sie sich selbst die Stoffe, mit denen sie bekleidet sind? Nein! Sie sind von Gott wunderschön geschaffen und folglich einfach mit dem «bekleidet», was Er ihnen in Seiner Gnade geschenkt hat.

Vers 29

Ich sage euch aber, dass selbst nicht Salomo in all seiner Herrlichkeit bekleidet war wie eine von diesen. Mt 6,29

Die grösste Herrlichkeit, die Israel je gekannt hat, hat sich unter der Herrschaft Salomos, des Sohnes Davids, entfaltet. Die Bibel nennt einige sehr erstaunliche Details, wie beispielsweise, dass das Silber in jenen Tagen nichts wert gewesen ist, weil es davon einen solchen Überfluss gegeben hat: «Das Silber galt in den Tagen Salomos überhaupt nichts» (2.Chron 9,20). Einmal ist eine Königin aus einem weit entfernten Land nach Israel gereist, um zu sehen, ob all die unglaublichen Gerüchte, die sie gehört hatte, wahr seien. Was sie gesehen hat, ist in allen Details so aussergewöhnlich gewesen, dass es heisst:

Und als die Königin von Saba all die Weisheit Salomos sah und das Haus, das er gebaut hatte, und die Speise auf seiner Tafel und die Sitzordnung seiner Knechte und die Aufwartung seiner Diener und ihre Kleidung und seine Getränke und sein Brandopfer, das er im Haus des HERRN opferte, da geriet sie vor Staunen ausser sich und sagte zum König: Das Wort ist Wahrheit gewesen, das ich in meinem Land über deine Taten und über deine Weisheit gehört habe! Ich habe den Worten nicht geglaubt, bis ich gekommen bin und meine Augen es gesehen haben. Doch siehe, nicht die Hälfte ist mir berichtet worden! Du hast an Weisheit und Gütern die Kunde übertroffen, die ich gehört habe. 1.Kön 10,4–7

Normalerweise ist es ja genau umgekehrt: Nur die Hälfte dessen, was man an Gerüchten gehört hat, erweist sich als wahr – wenn überhaupt. Aber hier ist es genau umgekehrt gewesen: Die unglaublichen Gerüchte, die diese Königin zur weiten Reise veranlasst hatten, sind der wahren Herrlichkeit in Israel nicht annähernd gerecht geworden! Vorher und nachher hat Israel nie eine solche Herrlichkeit gekannt. Die «Herrlichkeit Salomos» ist deshalb für jeden Israelit das Nonplusultra gewesen. Aber was sagt der Herr Jesus? Die schlichten Lilien, die einfach so auf dem freien Feld wachsen, sind mit einer Herrlichkeit bekleidet, die die Herrlichkeit Salomos übertrifft! Die Lilien mühen sich nicht, sie spinnen nicht, aber sie sind doch schöner als das Beste, was der Mensch produzieren kann! Wieso? Weil ihre Schönheit direkt von Gott kommt. Willst Du auch schön sein für Gott? Dann bekleide Dich nicht mit einer selbst produzierten Schönheit, sondern lass Dich von Seiner Schönheit bekleiden!«Dass ihr, was den früheren Lebenswandel angeht, den alten Menschen abgelegt habt, der sich durch die betrügerischen Begierden zugrunde richtet, dagegen erneuert werdet in dem Geist eurer Gesinnung und den neuen Menschen angezogen habt, der nach Gott geschaffen ist in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit» (Eph 4,22–24).

Vers 30

Wenn aber Gott das Gras des Feldes, das heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird, so kleidet, wird er das nicht viel mehr euch tun, ihr Kleingläubigen? Mt 6,30

Es ist schon erstaunlich genug, dass einfache Pflanzen auf dem Feld herrlicher gekleidet sind als Salomo in all seiner Pracht. Noch erstaunlicher ist diese Tatsache aber, wenn wir bedenken, wie kurz das Leben einer Pflanze im Vergleich zu unserem Leben ist. Die Blütezeit vieler Pflanzen beschränkt sich auf wenige Tage bis Wochen. Einzelne Pflanzen bilden sogar Blüten für nur einen einzigen Tag. Für Leute, die klassische Wildblumenwiesen pflegen, gilt, dass die Wiese geschnitten werden soll, wenn sie am schönsten blüht. Die Blumen des Feldes, die so prachtvoll gekleidet sind, werden heute bewundert und morgen geschnitten, gesammelt und unter Umständen in den Ofen geworfen. Obwohl Gott das besser weiss als wir, hat Er die Blumen mit einer solchen Pracht und Herrlichkeit bekleidet. Wie sollte Er dann uns vergessen? Sind wir nicht viel mehr als Blumen? So dürfen wir beim nächsten Blick in einen blühenden Garten oder auf ein blühendes Feld dem Schöpfer nicht nur für den wunderbaren Anblick, sondern auch dafür danken, dass Er noch mehr um unsere Bekleidung besorgt ist, d.h. dass Er dafür sorgt und wir ruhig sein dürfen.

Vers 31

So seid nun nicht besorgt, indem ihr sagt: Was sollen wir essen? Oder: Was sollen wir trinken? Oder: Was sollen wir anziehen? Mt 6,31

Wenn es so steht, wie die Verse unmittelbar vor dem vor uns liegenden Vers 31 mitteilen, dann haben wir keinerlei Grund, uns Sorgen über unsere Nahrung oder über unsere Kleidung zu machen. Wir dürfen und sollen zwar so dafür sorgen, als ob es von uns abhinge, denn wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen (2.Thess 3,10), aber wir sollen keine Ängste und Sorgen darüber haben, sondern wissen, dass Gott selbst Sich dafür verbürgt hat, uns mit dem Notwendigen zu versorgen. Wenn aber Gott selbst, der Schöpfer und Erhalter des Universums versprochen hat, dass Er Sich darum kümmere, was sollen wir uns dann noch Sorgen machen?

Vers 32

Denn nach diesem allen trachten die Nationen; denn euer himmlischer Vater weiss, dass ihr dies alles benötigt. Mt 6,32

Man könnte fast meinen, es sei verkehrt, nach der (notwendigen) Nahrung und Kleidung zu trachten. Aber das ist es nicht, was der Herr Jesus hier meint. Die grosse Tragödie, die Er hier anspricht, ist, dass die Nationen (also alle Menschen) nur nach diesen Dingen trachten, nur auf das Leben hier auf der Erde fixiert sind. Gerade heute und in unserer Kultur, die vom Materialismus – der Überzeugung, dass es nur das gebe, was wir anfassen und sehen können – geprägt ist, beschränken sich die Menschen darauf, das Beste aus ihren 70, 80 Jahren hier auf der Erde zu machen. Sie leben, als gäbe es kein Morgen, kein Leben nach dem Tod. Wenn Gott sagt, dass Er morgen ihre Seele fordern und sie dann zur Rechenschaft ziehen werde, sagen sie sich, dass sie das Heute noch so gut auskosten müssen, wie es nur geht! «Lasst uns essen und trinken, denn morgen sterben wir!» (1.Kor 15,32), lautet das Motto dieser Welt. So soll es bei uns nicht sein!

Wie schön ist aber der zweite Versteil! Unser himmlischer Vater weiss … ! Ihm ist völlig bewusst, was wir benötigen – besser noch, als es uns selbst bewusst ist! Ein menschlicher Vater gibt seinen Kindern nicht alles, was sie brauchen, weil er schlichtweg nicht in der Lage ist, all ihre Bedürfnisse zu kennen. Aber unser himmlischer Vater weiss. Und wenn Er all unsere Bedürfnisse kennt, wie wird Er sich dann nicht um sie alle kümmern? Wir dürfen also zuversichtlich sein und die Sorgen von uns werfen. Seien wir treu und fleissig in allem, was uns tagtäglich begegnet, aber gehen wir voran im Wissen, dass wir einen Vater in den Himmeln haben, der Sich um uns kümmert, wie niemand sonst (nicht mal wir selbst) es könnte!

Vers 33

Trachtet aber zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit! Und dies alles wird euch hinzugefügt werden. Mt 6,33

Abschliessend bringt der Herr Jesus Seine Belehrung in einem Satz auf den Punkt: Es geht um eine Prioritätenordnung. Was ist uns das Wichtigste? Worauf verwenden wir am meisten Zeit und Energie, was beschäftigt uns am meisten, worüber denken wir am meisten nach? Sind es die Dinge dieser Welt oder sind es die göttlichen Dinge? Wenn wir uns nur auf das Leben hier und jetzt konzentrieren, werden wir die grösste Sache verpassen. Vielleicht haben wir Glück und wir können es ein paar Jahrzehnte lang gut haben, aber danach wird ein nie endender Schrecken auf uns warten. In der Welt denkt man, auch das Gegenteil sei wahr: Wer nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit trachte, komme dafür hier zu kurz. Aber das stimmt nicht, denn demjenigen, der zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerchtigkeit trachtet, wird auch alles andere, was er hier und jetzt benötigt, hinzugefügt werden. So gut ist Gott!

Vers 34

So seid nun nicht besorgt um den morgigen Tag! Denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat an seinem Übel genug. Mt 6,34

Es bringt nichts, sich Sorgen über das zu machen, was vielleicht einmal auf uns zukommen könnte. Viele Menschen leben leider in einer Angst vor Dingen, von denen die meisten gar nie passieren werden! Zwar ist es ein Segen, dass wir die Fähigkeit bekommen haben, Prognosen zu machen und künftige Entwicklungen abzuchätzen, aber das kann auch ein Fluch sein. Der Herr Jesus hat nichts beschönigt und klar gesagt, dass jeder Tag das Potential hat, Übles mit sich zu bringen – und zwar reichlich! Aber gerade deshalb sollten wir uns nicht auch noch zusätzlich Sorgen um das machen, was morgen vielleicht geschehen könnte – oder auch nicht!

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