Bibelkommentare

Erklärungen zur Bibel

 

Matthäus 7

Vers 1

Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! Mt 7,1

Auf die Warnung vor Habgier folgt eine Warnung vor religiösem Hochmut. Das sind wohl die zwei Fallstricke, über die am meisten Menschen stolpern. In unserer Gesellschaft heute ist die Mehrheit der Menschen dem Materialismus verfallen; man kümmert sich nur noch um die Dinge dieser Welt, jagt vielleicht sogar entschieden dem Geld hinterher. Noch immer gibt es aber durchaus viele Menschen, die erkannt haben, dass das falsch ist, dass es mehr gibt, als das, was man anfassen und sehen kann. Sie sind religiös. Und weil sie religiös sind, neigen sie dazu, auf die rein weltlich-materialistisch orientierten Menschen herabzublicken. Man muss nur einmal mit einem fanatischen Buddhist, Moslem, Veganer oder Grünen sprechen, dann wird man rasch feststellen, mit welcher Verachtung diese Menschen über solche denken, die ihre Ideologie nicht teilen. Nicht anders verhält es sich mit solchen, die eine christliche Religion betreiben, denn man kann nicht nur (christlich) gläubig und wiedergeboren im Sinne der Heiligen Schrift, sondern auch (nur) in einem christlichen Sinn religiös sein. Das ist der Fall, wenn man einer bestimmten christlichen Lehre nachfolgt, wenn man christliche Moralgrundsätze befolgt oder wenn man an religiösen Übungen (Messbesuche, Prozessionen, Pilgerreisen etc.) teilnimmt, aber keine persönliche Glaubensbeziehung zum Herrn Jesus Christus pflegt. Gerade solche, die nicht die unverdiente Gnade Gottes für sich in Anspruch genommen haben, sondern meinen, sie könnten sich als «gute Christen» einen Platz im Himmel verdienen, tendieren dazu, besonders hartherzig und herablassend gegen andere zu sein. All diese religiösen Menschen, seien es nun religiöse Christen, Moslems, Buddhisten, Veganer, Grüne oder was auch immer, tendieren dazu, sich als etwas Besseres zu sehen. Und genau das ist religiöser Hochmut – eine ebenso gefährliche und schlimme Falle wie die Habgier. Im Römerbrief wird ja bekanntlich das Evangelium ausführlich dargelegt und erläutert. Diese Ausführungen müssen notwendigerweise damit beginnen, das grosse Problem der Menschen darzulegen, und tatsächlich finden wir im Kapitel 3 ein vernichtendes Urteil über alle Menschen. Dieses Fazit wird gezogen, nachdem im Kapitel 1 die Sünde der materialistischen, gottlosen Menschen und im Kapitel 2 die Sünde der religiösen, hochmütigen Menschen schonungslos aufgedeckt worden ist. Da finden wir also eine auffallende Parallele zur Stelle, die hier (am Ende von Kapitel 6 und am Anfang von Kapitel 7 des Matthäus-Evangeliums) vor uns liegt.

Was bedeutet es nun, zu «richten»? Die weiteren Verse werden das deutlich machen. Auch wenn hier traditionell Vers für Vers betrachtet und erläutert wird, sollte man die Bibel niemals versweise lesen! Die meisten Irrlehren, die kursieren, gehen darauf zurück, dass man einzelne Verse aus dem Zusammenhang gerissen und dann komplett falsch interpretiert hat. Je besser man sich im Wort Gottes auskennt, umso mehr ist einem bewusst, wie dicht verwoben das ganze Gebilde ist. Etwas überspitzt formuliert kann man sagen, dass man einen beliebigen Vers der Bibel nur dann wirklich richtig auslegen kann, wenn man alle anderen Verse der Bibel in die Auslegung mit einbezieht. Kein Vers steht für sich allein! Umgekehrt wirft natürlich auch dieser einzelne Vers, mit dem man sich gerade beschäftigt, wenn wir bei unserer leicht übertriebenen Darstellung bleiben, etwas Licht auf alle anderen Verse der Bibel. Beim Bibelstudium gilt es deshalb, die Aussage des einzelnen Verses möglichst genau zu erfassen und gleichzeitig den Zusammenhang so zu berücksichtigen, dass sich die durch die Auslegung gewonnene Aussage perfekt in die Gesamtaussage der Heiligen Schrift einfügt. Der vor uns liegende Vers wird also Licht auf die weiteren Verse werfen und die weiteren Verse werden Licht auf diesen Vers werfen.

«Richten» heisst, ein Urteil zu fällen. Ein Richter beurteilt einen Sachverhalt mit Blick auf die Gesetze und entscheidet dann verbindlich, was von Gesetzes wegen für den vor ihm liegenden Fall zu gelten hat. Beispielsweise mussten in Israel Ehebrecher gesteinigt werden. Das göttliche Gesetz lautete: «Wenn ein Mann mit einer Frau Ehebruch treibt, wenn ein Mann Ehebruch treibt mit der Frau seines Nächsten, müssen der Ehebrecher und die Ehebrecherin getötet werden» (3.Mose 20,10). Wenn nun ein Israelit X des Ehebruchs bezichtigt wurde, musste der Richter in Israel zuerst möglichst genau herausfinden, was wirklich geschehen war. Dann musste er beurteilen, ob das, was X getan hatte, Ehebruch im Sinne von 3.Mose 20,10 war. Musste diese Frage bejaht werden, musste X zum Tod verurteilt werden. Damit war die Sache gerichtet. Im Grunde kann nur Gott allein gerecht richten. In allem muss Ihm das letzte Wort zustehen. Aber es hat Ihm gefallen, die Vollmacht zum Richten zu erteilen – allerdings nur an staatliche Autoritäten! In Israel hätte niemals der Israelit Y den Israeliten X eigenmächtig des Ehebruchs verurteilen und töten dürfen. Nur das Gericht war dazu befugt. In Röm 13 wird ausführlich erklärt, dass es die Sache des Staates und nicht des Einzelnen ist, zu richten. Für einzelne Menschen gilt: «Richtet nicht!» Wer sich dieses Recht, das ihm nicht zusteht, anmasst, fällt selbst unter das Gericht, weil er die Ordnungen Gottes übertritt. Das betrifft natürlich nicht nur eigentliche «Strafverfahren» wie im eben genannten Beispiel, sondern im Grunde jede Form eines definitiven Urteils, das man über einen anderen Menschen fällen könnte. Das werden die nachfolgenden Verse deutlich machen.

Vers 2

Denn mit welchem Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden, und mit welchem Mass ihr messt, wird euch zugemessen werden. Mt 7,2

Der religiöse Heuchler sieht sich berufen, alle anderen zu richten, während er an sich selbst einen wesentlich tieferen Massstab als an die anderen ansetzt und so ganz zufrieden mit sich ist. Das ist ein tragischer Irrtum! Gott der HERR richtet ohne Ansehen der Person. So, wie Er Hinz und Kunz richtet, wird Er auch Dich und mich richten. An jeden von uns wird Er genau denselben Massstab anlegen, nämlich den Massstab Seiner makellosen und unbestechlichen Heiligkeit. Da werden weder Du noch ich etwas zu rühmen haben. Nur die makellose Gerechtigkeit unseres Herrn Jesus Christus kann diesem Massstab genügen, weshalb es entscheidend sein wird, ob wir uns darauf berufen können, weil wir zu Lebzeiten das grosse Versöhnungsangebotes des Sohnes Gottes, der uns geliebt und Sich für uns hingegeben hat (Gal 2,20), angenommen haben. Das müssen wir uns beständig vor Augen halten und dieses Wissen soll uns demütig machen.

So wie der HERR schon immer in Gnade mit den Menschen gehandelt hat (niemand hätte sonst je bestehen können), so hat Er auch schon immer regierend mit den Menschen gehandelt. Durch Zucht (Erziehung) leitet Er Menschen zur Busse, damit sie gerettet werden, und durch Zucht formt Er Seine Kinder in das Ebenbild Seines geliebten Sohnes um. Ganz entscheidend in den Regierungswegen Gottes ist das Prinzip, dass jede unserer Handlungen Konsequenzen hat. Das wird in Gal 6,7 so auf den Punkt gebracht: «Irrt euch nicht, Gott lässt sich nicht verspotten! Denn was ein Mensch sät, das wird er auch ernten» (Gal 6,7). Wenn ich einen strengen Massstab an andere anlege, wenn ich hart gegen meine Nächsten bin, dann wird mir in meinem Leben dieselbe Härte entgegen schlagen. Wenn ich dagegen barmherzig und mild bin, werde auch ich Barmherzigkeit und Milde empfangen. Die Israeliten hatten Wind gesägt, indem sie Götzen statt des lebendigen Gottes verehrt hatten (die ja ein Nichts sind – wie Wind), und dafür mussten sie Sturm ernten (Hos 8,7). Der König David war in seinem Leben oft barmherzig und mild gewesen, weshalb auch ihm Barmherzigkeit widerfuhr, als er sie besonders benötigte. Selbst in der Welt weiss man, dass es so zurück tönt, wie man in den Wald ruft. Behandle ich meine Nächsten freundlich, werde auch ich freundlich behandelt; bin ich gemein, wird mir Gegenwind entgegen schlagen. Bist Du froh und dankbar darüber, dass Du einmal einem von Herzen gnädigen Richter gegenüber stehen wirst? Dann sei auch Du gnädig mit Deinen Nächsten!

Vers 3

Was aber siehst du den Splitter, der in deines Bruders Auge ist, den Balken aber in deinem Auge nimmst du nicht wahr? Mt 7,3

Unser grosses Problem, wenn es darum geht, ein Urteil zu fällen, ist dieses: Wir denken zu schlecht von unseren Nächsten und zu gut von uns selbst. Bei unserem Nächsten sehen wir jeden kleinen Splitter im Auge, aber wenn wir selbst nicht nur einen Splitter, sondern einen ganzen Balken im Auge haben, bemerken wir nichts davon. Aber es ist sogar noch schlimmer! Wenn wir bei unserem Nächsten einen Splitter im Auge sehen, dann urteilen wir nicht nur, dass da ein Splitter sei, sondern wir richten nicht selten unseren Nächsten, d.h. wir fällen ein definitives Urteil über den Nächsten. «Wer sich so und so verhält, der kann gar kein Christ sein!» – «Dem kann niemand mehr helfen!» – haben wir nicht alle schon Gedanken wie diesen gehabt? Es gibt einen himmelweiten Unterschied zwischen «beurteilen» und «richten». Wir sollen mit offenen Augen durch die Welt gehen und uns um unsere Nächsten kümmern. Dazu gehört selbstverständlich, dass wir Probleme zur Kenntnis nehmen und nötigenfalls thematisieren, wobei unsere Absicht sein muss, dem Nächsten zu helfen – nicht den Kopf zu waschen, sondern die Füsse! Dafür müssen wir beurteilen: Ist das richtig, ist jenes falsch, gibt es hier ein Problem oder dort? Aber dann dürfen wir keinen Schritt weiter gehen; wir dürfen kein definitives Urteil über unseren Nächsten fällen. Wenn wir aber beurteilen, dann in Demut. Dabei ist es hilfreich, sich immer vor Augen zu führen, an wie vielen Problemen wir selbst leiden, mit wie vielen schlechten Charaktereigenschaften wir selbst zu kämpfen haben, wie sehr wir tagtäglich zu kurz kommen in Bezug auf Gottes gerechte Ansprüche an uns. Man darf es wohl so absolut formulieren: Es gibt immer genau eine Person, die wir am strengsten beurteilen sollten, der wir am meisten misstrauen sollten, nämlich uns selbst. Im gleichnishaften, überzogenen Vergleich des Herrn Jesus gibt es wohl viele Menschen mit Splittern in den Augen, aber nur einen Mensch, der einen ganzen Balken im Auge hat: Ich selbst!

Vers 4

Oder wie wirst du zu deinem Bruder sagen: Erlaube, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen; und siehe, der Balken ist in deinem Auge? Mt 7,4

Die Rede des Herrn Jesus ist so anschaulich! Gerade die Überzeichnung macht den Vergleich so einfach verständlich: Wenn jemand einen ganzen Balken im Auge hätte, wäre er dann in der Lage, seinem Nächsten einen Splitter aus dem Auge zu ziehen? Wohl kaum! Viele Christen tendieren leider dazu, zwischen «eher theoretischen» und «eher praktischen» Aspekten des Glaubenslebens zu unterscheiden. Aber eine solche Unterscheidung gibt es nicht. Wie wir belehrt sind, was unsere Überzeugungen sind, beeinflusst ganz direkt unser praktisches Verhalten im Alltag. Eine lehrmässige Schieflage wird uns im Alltag straucheln lassen. Umgekehrt ist unser Verhalten im Alltag bzw. die Treue, die wir gegenüber dem zeigen, was Gott der HERR uns bislang offenbart und verständlich gemacht hat, ein wichtiger Schlüssel dafür, im Verständnis weiter wachsen zu können. Weshalb sollte der HERR uns weitere Erkenntnis schenken, wenn wir die bereits geschenkte Erkenntnis nicht in unserem Alltag umsetzen?

Der überzogene Vergleich mit dem Balken im Auge soll uns unter anderem zum Nachdenken darüber bringen, ob wir ein richtiges Bild von uns selbst haben. Vielleicht kann man sagen, dass die zwei wichtigsten Dinge im Leben eines Christen seine Sicht über Gott und seine Sicht über sich selbst sind. Je besser wir unsren Herrn und uns selbst kennen, umso gesünder werden unsere lehrmässigen Überzeugungen und unser Verhalten, aber auch unsere Herzen sein, in denen der Friede des Christus und die Gnade Gottes umso mehr regieren können, je klarer wir verstehen, wer wir sind und wer Er ist. Um es so kurz wie möglich auszudrücken: Wir können gar nie zu gross von Gott und zu klein von uns denken. Leider neigen wir alle dazu, zu gut von uns selber zu denken. Im Allgemeinen sind wir oft ganz zufrieden mit uns selbst. Solange wir aber denken, dass es in uns etwas Gutes gebe, werden wir immer wieder versuchen, aus dieser vermeintlich guten Quelle zu schöpfen. Wir werden auf unseren Verstand, auf unsere natürliche Milde, auf unsere Kraft und dergleichen mehr zurückgreifen – und notwendigerweise scheitern. Der Apostel Petrus liebte den Herrn Jesus von ganzem Herzen, vielleicht mehr, als es die anderen Jünger taten. Er liebte den Herrn mehr, als Du und ich Ihn lieben. Er war überzeugt, dass diese Liebe alle Hindernisse überwinden würde – ja, dass nicht einmal Gefängnis und Tod ihn von seinem geliebten Herrn trennen könnten. Aber er musste die bittere Erfahrung machen, dass selbst diese Quelle des vermeintlich Guten in ihm selbst ihm für seinen Glaubensweg nicht das geben konnte, was nötig war. Das Volk Israel wird einmal sagen: «Wir alle sind wie ein Unreiner geworden und all unsere Gerechtigkeiten wie ein beflecktes Kleid» (Jes 64,5). Es wird nicht seine Ungerechtigkeiten verabscheuen, sondern all seine Gerechtigkeiten, also alle gerechten Taten! Wieso? Weil es erkennen wird, dass das Beste, was der natürliche Mensch produzieren kann, nach den Massstäben Gottes immer viel zu kurz kommen muss.

O, es ist schmerzhaft und demütigend, das zu schreiben! Aber es ist heilsam, gute Medizin von Dem, der gesagt hat: «ich bin der HERR, der dich heilt» (2.Mose 15,26). Wir werden nie bereit sein, uns von Ihm wirklich tiefgreifend heil machen zu lassen, wenn wir nicht akzeptieren, dass wir vom Scheitel bis zur Fusssohle krank sind. Wenn ein Israelit an Aussatz – einer hässlichen, hoch ansteckenden und letztlich tödlichen Hautkrankheit – erkrankte, musste er sofort isoliert werden. Er mochte wohl sagen, dass es ja nur ein kleiner Fleck sei, dass man ja fast nichts sehe, dass 90% seines Körpers noch gesund seien, aber er musste aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden und war gezwungen, jedes Mal, wenn jemand in seine Nähe kam, zu rufen: «Unrein, unrein!» – umhergehend in zerrissenen Kleidern, mit frei hängendem Kopfhaar und verhülltem Mund (3. Mose 13,45). Ein jämmerliches Bild, ein trauriger Zustand! Erstaunlicherweise musste aber ein Aussätziger, der vom Scheitel bis zur Fusssohle keinen gesunden Flecken Haut mehr hatte, sondern durch und durch vom Aussatz bedeckt war, für rein erklärt werden! «Wenn aber der Aussatz in der Haut kräftig ausbricht und der Aussatz die ganze Haut dessen, der das Mal hat, bedeckt, von seinem Kopf bis zu seinen Füssen, wohin auch die Augen des Priesters sehen, und der Priester besieht ihn, und siehe, der Aussatz hat sein ganzes Fleisch bedeckt, dann soll er den, der das Mal hat, für rein erklären; hat es sich ganz in Weiss verwandelt, ist er rein» (3.Mose 13,12.13). Wieso das? Weil ein solcher Zustand von einem Menschen spricht, der erkannt und verstanden hat, dass an ihm und in ihm selbst gar nichts Gutes zu finden ist! Dieser Mensch ist zu 100% auf Gott geworfen und dort wird er alles finden, was er benötigt und was er sich nur wünschen kann. Ein solcher Mensch kann nicht mehr aus einer eigenen Quelle, sondern nur aus der göttlichen Quelle der Gnade schöpfen. Erstaunt wird er feststellen, dass diese Quelle so viel tiefer, so viel reiner und so viel belebender ist, als alles, was er bislang gekannt hat. Lasst uns alle zu dieser Quelle kommen! O, dass wir doch unsere Not mit dem Balken in unserem Auge erkennen und Hilfe beim allein weisen und mächtigen Arzt suchen, der noch so gerne helfen und heilen will!

Vers 5

Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge! Und dann wirst du klar sehen, um den Splitter aus deines Bruders Auge zu ziehen. Mt 7,5

Wenn Du denkst, dass bei Dir alles in bester Ordnung sei und dass Du berufen seist, alle anderen zu korrigieren, dann bist Du ein Heuchler. Wir sollen zuerst vor der eigenen Tür kehren, mit uns selbst am härtesten ins Gericht gehen und täglich beten: «Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz. Prüfe mich und erkenne meine Gedanken! Und sieh, ob ein Weg der Mühsal bei mir ist, und leite mich auf dem ewigen Weg!» (Ps 139,23.24). Aber wenn wir uns diese Haltung des beständigen Selbstgerichts zu eigen gemacht haben, dann sollen wir uns auch um unseren Nächsten kümmern! In weiten Teilen der Christenheit ist es heute leider zum Standard geworden, dass man jeden für sich selbst wursteln lässt. Man behandelt seine Nächsten nicht als Erwachsene, sondern als emotionale Tretminen, die jederzeit hochgehen könnten, wenn man auch nur ein falsches Wort sagt. «Richtet nicht!» ist zum obersten Leitsatz unter Christen geworden, der es erlaubt, einfach alles zu entschuldigen und unter den Teppich zu kehren. Das ist nicht die wahre Aussage des HERRN! Zuerst sollen wir uns um den Balken in unserem Auge kümmern. Aber wenn wir das getan haben, wenn wir uns beständig selbst richten, dann sollen wir den Splitter aus dem Auge unseres Nächsten ziehen. Der Herr Jesus hat eben gerade nicht gesagt, dass man den Bruder mit dem Splitter im Auge in Ruhe lassen soll, sondern nur, dass wir zuerst bei uns selbst Ordnung schaffen sollen, um uns anschliessend umso besser um unseren Bruder kümmern zu können.

Vers 6

Gebt nicht das Heilige den Hunden; werft auch nicht eure Perlen vor die Schweine, damit sie diese nicht etwa mit ihren Füssen zertreten und sich umwenden und euch zerreissen! Mt 7,6

Die letzte Warnung, die den Abschnitt über das Richten abschliesst, scheint auf den ersten Blick nicht zu diesem Thema zu gehören, sondern etwas ganz anderes zu betreffen. Aber dieser Eindruck täuscht. Die Beachtung dieser Warnung erfordert nämlich ein geistliches Beurteilungsvermögen, denn gerade dann, wenn wir geistlich nicht «wach» sind, wenn wir die Menschen, mit denen wir es zu tun haben, und die Situationen, in denen wir uns befinden, nicht richtig beurteilen, kann es geschehen, dass wir das Heilige den Hunden und die Perlen den Schweinen zum Frass vorwerfen. Diese Warnung bestärkt also die Aussage, dass wir zwar nicht (auf eine falsche Weise) richten, wohl aber beurteilen sollen.

Das Heilige und die Perlen sind reine, wertvolle und schöne Dinge, die nur das bezeichnen können, was Gott der HERR uns gibt, denn jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben, von dem Vater der Lichter (Jak 1,17). So hat Er uns beispielsweise Sein Wort, das Evangelium und die typischen christlichen Wahrheiten anvertraut, die allesamt etwas ganz Besonderes sind. Hunde und Schweine sind unreine Tiere. Sie bezeichnen hier nicht eine bestimmte Rasse, ein bestimmtes Volk oder dergleichen, denn bei Gott gibt es kein Ansehen der Person (Röm 2,11) und Gott will, dass alle Menschen errettet werden (1.Tim 2,4). «Das Wort ist gewiss und aller Annahme wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, Sünder zu retten» (1.Tim 1,15). Die gute Nachricht von der Erlösung, die der Herr Jesus am Kreuz bewirkt hat, soll ausnahmslos allen Menschen vorurteilsfrei verkündigt werden (Mk 16,15). Aber leider reagieren nicht alle Menschen gleich auf diese wundervolle Botschaft. Immer wieder kann es geschehen, dass die Menschen sich darüber lustig machen, dass sie spotten und sogar lästern. Teilweise kann es auch zu tätlichen Angriffen und einem gewaltsamen Widerstand kommen. Das Heilige und die Perlen werden mit Füssen zertreten und manchmal werden die treuen Diener des Herrn Jesus sogar «zerrissen», getötet. Barnabas und Paulus erlebten beispielsiwese in Antiochien einen Widerstand, der so stark war, dass sie die Stadt verliessen und den Staub von ihren Füssen schüttelten (Apg 13,45–51). Auch von den Juden in Korinth musste sich Paulus mit diesem ernsten Zeichen des Gerichtes abwenden (Apg 18,6).

Wenn wir nun das Evangelium weitergeben oder mit Menschen über die grossartigen christlichen Wahrheiten sprechen, dann sollen wir das Wort Gottes zwar einerseits mit grosser Freimütigkeit bezeugen, andererseits aber auch geistlich wachsam sein. Sollte sich der Gesprächsverlauf ungünstig entwickeln, liegt es an uns, rechtzeitig abzubrechen und zu verhindern, dass Hunde und Schweine sich über das Heilige und über die Perlen hermachen. Manchmal kann es ratsam sein, eine Diskussion abzubrechen. Diesen Zeitpunkt werden wir aber verpassen, wenn wir nicht geistlich «wach» sind.

Vers 7

Bittet, und es wird euch gegeben werden; sucht, und ihr werdet finden; klopft an, und es wird euch geöffnet werden! Mt 7,7

Vielleicht mag den Zuhörern nach all diesen Worten gedämmert haben, wie unglaublich schwierig der Weg des Glaubens zu gehen ist. Der göttliche Massstab an ein heiliges Leben im Glauben ist für uns Menschen unerreichbar hoch. Niemand von uns kann Gott das geben, was Ihm zusteht, was wir Ihm schulden. Niemand von uns erreicht Gottes Herrlichkeit – kein Einziger (Röm 3,23). Aber ist es denn nicht ungerecht von Gott, etwas von uns zu fordern, das wir Ihm nicht geben können? Nein! Ein Beispiel mag das veranschaulichen: Jemand gründet ein Unternehmen und borgt sich von einem guten Freund eine Million Franken als Kapitalgrundlage. Leider ist dem Unternehmen trotz aller ernsthafter und redlicher Bemühungen kein Erfolg beschieden. Schon nach wenigen Jahren muss es Konkurs anmelden. Der Unternehmensgründer ist bankrott. Ist es nun ungerechet, wenn sein Freund seine Million zurückfordert? Hat der Bankrott des Unternehmers die Schuld gelöscht? Natürlich nicht! Die Schuld besteht weiterhin; die Unfähigkeit, sie begleichen zu können, löscht sie nicht aus.

Nicht wenige Christen haben ein falsches Bild vom Evangelium, von der guten Nachricht der Rettung der Menschen aus Gnade. Sie verstehen Gottes Gnade so, als würde Er nun ein Auge (oder auch beide) zudrücken und gewissermassen sagen: «Ist schon gut, wir regeln das …» Das ist nicht das Evangelium! Einen ganz grundlegenden Kern des Evangeliums bildet die Tatsache, dass Gott absolut gerecht ist. Wir werden das Evangelium nie richtig verstehen, wenn uns nicht bewusst ist, dass Er in allem, was Er tut, eine uneingeschränkte Gerechtigkeit walten lässt. Der Mensch wünscht sich, dass es anders wäre. Sein Ratschlag lautet: «Sei nicht allzu gerecht» (Pred 7,16). Das ist im Grunde eine Bankrotterklärung. Weil der einsichtige Mensch weiss und zugibt, dass er gar nicht wirklich gerecht sein kann, will er die Messlatte senken: Wenn niemand von uns allzu gerecht ist und wenn vielleicht auch Gott dann nicht allzu gerecht ist, wird es am Ende dann schon für die meisten irgendwie reichen …, meint er. Weit gefehlt! Gottes Gerechtigkeit ist unerbittlich. Der HERR wird von jedem Einzelnen von uns alles fordern, was Ihm von Rechts wegen zusteht. Alles! Wir werden eine Ewigkeit lang büssen und unsere Schuld doch nie abtragen können! Schrecklich! Unvorstellbar!

Was ist nun das Evangelium, die gute Nachricht? Ganz einfach: Es gibt die Möglichkeit, jemand anders für meine Schuld zahlen zu lassen. Der Christus Gottes ist als sündloses, makelloses, vollkommenes, perfektes stellvertretendes Opfer ans Kreuz gegangen; Er hat Sich selbst geopfert, Sich selbst hingegeben, um das zu bezahlen, was wir niemals bezahlen könnten. Der göttliche Zorn über die Sünde, die göttliche Rechtsforderung, hat Ihn ohne jede Hemmung getroffen. In den drei Stunden der Finsternis hat Er das göttliche Gericht über die Sünde auf Sich genommen und Unsägliches, Unaussprechliches gelitten. Auf der Grundlage dieses grossen stellvertretenden Opfers kann nun Gnade durch Gerechtigkeit herrschen (Röm 5,21), denn bei Gott gilt derselbe Grundsatz wie bei uns: Niemand darf zweimal für ein Unrecht bestraft werden. Wenn ich das stellvertretende Opfer Christi für mich in Anspruch nehme, dann hat Er stellvertretend für mich die Strafe auf Sich genommen. Gottes Gerechtigkeit fordert, dass ich nicht mehr bestraft werden darf! Gottes Gnade besteht also nicht darin, den göttlichen Massstab zu senken, sondern sie setzt vielmehr zwingend voraus, dass die göttlichen Rechtsforderungen uneingeschränkt durchgesetzt werden.

Nun stehen wir, wenn wir unser Vertrauen auf Ihn gesetzt haben, hier, gerechtfertigt (für gerecht erklärt) durch das Blut Christi. Und was tun wir? Wir versuchen, unsere Schuld irgendwie abzubezahlen! Wie töricht! Stellen wir uns einmal vor, dass jemand sein Leben gegeben habe, um unser Leben zu retten, und wir gehen dann zu dessen Witwe, halten ihr ein Fünffrankenstück hin und sagen ihr, dass wir diese Tat ihres Mannes wirklich sehr zu schätzen wissen. Wäre das nicht eine unverschämte Beledigung? Wäre es nicht angemessen, wenn sie uns dafür ins Gesicht spucken würde? Wir können die Güte Gottes an uns nicht einmal ansatzweise vergelten! Wir könnten unser ganzes Leben hingeben im Dienst für Ihn, wir könnten uns töten und verbrennen lassen für Seinen Namen – aber all das wäre im Vergleich nicht einmal fünf Franken wert! Aber mehr noch! Wir würden damit nur zeigen, dass wir das Evangelium eben immer noch nicht begriffen haben. Das Evangelium dreht sich zentral um den Herrn Jesus Christus und darum, wie sehr Er den Vater in den Himmeln auf diesem Schauplatz der Sünde befriedigt hat. Ja, Er hat dem himmlischen Vater so viel gegeben, dass Er jeden einzelnen Menschen, der je gelebt hat, aus Gnade (unverdient) retten könnte und jede einzelne Forderung der Gerechtigkeit noch immer befriedigt wäre. Man kann also sagen, dass der Vater in den Himmeln durch das, was der Sohn getan hat, vollkommen befriedigt worden ist. Das bedeutet, dass nichts von dem, was ich tue oder lasse, iIn noch glücklicher machen könnte, und dass nichts von dem, was ich tue oder lasse, Sein Glück trüben könnte. Gar nichts von dem, was ich tue oder lasse, könnte Ihn dazu bringen, die Gnade, die Er an mir erwiesen hat, mehr zu geniessen oder mehr zu bereuen. Es geht um das, was der Herr Jesus getan hat, nicht um das, was ich tue!

Das bedeutet, dass es in meinem Glaubenslauf nach meiner Bekehrung gar nicht darum geht, was ich Gott geben kann. Entscheidend ist vielmehr, was ich von Ihm nehme. Es klingt paradox, aber der HERR «empfängt» für Sich umso mehr, je mehr ich von Ihm nehme. Das Werk Christi am Kreuz, das Ihn so sehr befriedigt hat, ist ja die Grundlage dafür, dass Er nun jeden erdenklichen Segen auf jeden erdenklichen Menschen ergiessen kann. Je mehr ein Mensch bereit ist, sich an diesem Segen und damit an der göttlichen Gnade zu bedienen, umso heller erstrahlt der Lichtglanz der Gnade Gottes, umso mehr darf Er zeigen, wie unvergleichlich gnädig Er ist. Und je mehr wir uns nach Seiner Gnade ausstrecken, umso mehr schöpfen wir aus Seiner Quelle statt aus unserer eigenen. Das Gespräch mit der samaritischen Frau am Brunnen (Joh 4) veranschaulicht das: Als Mensch war der Herr Jesus erschöpft, müde, hungrig und durstig. Er bat diese Frau um Wasser. Am Ende des Gesprächs war Er unglaublich glücklich – so sehr, dass sich sogar Seine Jünger verwunderten. Wieso? Weil die Frau Ihm so viel gegeben hatte? Nein! Sie hatte Ihm nicht einmal einen Tropfen Wasser gegeben, obwohl Er darum gebeten hatte! Aber sie hatte Seine Gnade in Anspruch genommen. Sie hatte nicht gegeben, sondern genommen – und das hatte Ihn glücklicher gemacht, als wenn sie Ihm alles gegeben hätte, was sie zu geben hatte. So muss es auch in unserem Leben sein. Natürlich wertschätzt Gott, wenn wir Ihm aus reinem Herzen etwas geben wollen, aber noch viel mehr wertschätzt Er es, wenn wir wir von Ihm Gnade um Gnade nehmen und uns so sehr von Seinem Segen füllen lassen, dass wir überströmen.

Der Herr Jesus forderte die Menschen deshalb nicht auf, zu geben, herauszurücken und zu öffnen, sondern zu bitten, zu suchen und anzuklopfen. Die dreifache Veranschaulichung, eine der stärksten Betonungen in der Redekunst, soll einen besonderen Nachdruck darauf legen, dass wir nicht die Gebenden, sondern die Nehmenden sein sollen. Ja, wir werden nicht nur dreimal dazu aufgefordert, sondern auch dreimal ermutigt: Der HERR wird uns geben, Er wird uns finden lassen, Er wird uns öffnen! Deshalb wird uns bspw. in Eph 1,3 auch bezeugt, dass wir mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern gesegnet sind in Christo Jesu. Alles steht zur Verfügung! Bedienen wir uns daran? Und der Apostel Petrus fordert uns in seinem Abschiedsbrief aus der Todeszelle mit allem Nachdruck auf: «Wachset aber in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn und Retters Jesus Christus!» (2.Petr 3,18). In der Gnade zu wachsen bedeutet, immer mehr von der Gnade für sich in Anspruch zu nehmen. Das ist die letzte Aufforderung des Apostels an uns, der ganz genau gewusst hat, dass er bald nach dem Schreiben dieses letzten Briefes hingerichtet werde (vgl. 2.Petr 1,13–15). Beachten wir diese Aufforderung?

Vers 8

Denn jeder Bittende empfängt, und der Suchende findet, und dem Anklopfenden wird geöffnet werden. Mt 7,8

Ach, der HERR kennt unsere zaghaften Herzen! Nach drei Aufforderungen («Bittet! Sucht! Klopft an!») und drei Ermutigungen («Es wird gegeben, gefunden und geöffnet werden!») in Mt 7,7 folgen nochmals drei Ermutigungen in Mt 7,8! Unser Problem rührt sicher zu einem wesentlichen Teil daher, dass wir von unseren täglichen Erfahrungen ausgehen. Wenn wir unsere Nächsten bitten, wird uns nicht immer gegeben, wenn wir bei unseren Nächsten suchen, finden wir nicht immer, und wenn wir bei unseren Nächsten anklopfen, wird uns nicht immer aufgetan. Aber auch das Umgekehrte ist wahr: Wenn unsere Nächsten uns bitten, geben wir ihnen nicht immer, wenn sie bei uns suchen, finden sie nicht immer, und wenn sie bei uns anklopfen, öffnen wir nicht immer. Das sind die normalen Erfahrungen, die wir Tag für Tag machen. Menschen enttäuschen uns und wir enttäuschen Menschen. Aber bei Gott ist es völlig anders! Er enttäuscht nie! Aber das können wir kaum glauben. Deshalb müssen wir insgesamt neunmal in Folge angehalten werden, unser Vertrauen auf Ihn zu setzen! Sehr eindrücklich!

Vers 9

Oder welcher Mensch ist unter euch, der, wenn sein Sohn ihn um ein Brot bittet, ihm einen Stein geben wird? Mt 7,9

Der Herr Jesus hat uns Gott ganz besonders als den Vater in den Himmeln offenbart. Auf diesen Punkt ist Er immer wieder zu sprechen gekommen. Das ist gerade auch dann wichtig, wenn es darum geht, uns mit unseren Anliegen an Ihn zu wenden. Die meisten von uns hätten Hemmungen, einen König oder einen Präsidenten auch nur wöchentlich oder monatlich mit irgendwelchen Bitten zu belästigen. Nur im Notfall würden wir mit einer Bitte an den König oder an den Präsidenten gelangen! Aber als wir noch Kinder waren, haben wir unsere Väter täglich mehrmals mit irgendwelchen Bitten bedrängt. Unsere Kinder betteln mindestens einmal pro Tag nach etwas Süssem. Wir haben ihnen schon tausendmal gesagt, dass sie nicht ständig fragen sollen, sondern darauf vertrauen dürfen, dass wir ihnen auch ungefragt nicht zu wenig Süsses geben werden. Trotzdem fragen sie immer und immer wieder, ob sie nicht noch etwas haben könnten. Genau so dürfen auch wir Gott mit unseren Anliegen bestürmen. Er ist für uns nicht wie ein König, wie ein weit entfernter Regent, mit dem wir nie direkt etwas zu tun haben, sondern wie ein Vater, den wir um alles bitten dürfen, was wir meinen zu benötigen.

Wenn wir Ihn um Brot – das Grundnahrungsmittel schlechthin und damit in der Bibel ein Bild vom Lebensnotwendigsten – bitten, wird Er uns keinen Stein, sondern Brot geben. Hat Er nicht versprochen, dass es uns nicht an Nahrung und Bedeckung fehlen wird? Hat Sein Sohn uns nicht angeleitet, um das tägliche Brot zu bitten? Er will es uns geben! Und Er kann! Wenn wir allerdings um einen Stein bitten würden, weil wir uns durch die Lügen der Welt davon überzeugen liessen, dass ein Stein etwas Besseres als Brot sei, dann würde Er uns trotzdem Brot und keinen Stein geben, denn Er weiss besser als wir selbst, was wir benötigen. Bitten um Dinge, die uns schaden, wird Er in aller Regel nicht erhören, weil Er uns liebt. So gütig und gnädig ist unser Vater in den Himmeln!

Vers 10

Und wenn er um einen Fisch bittet, wird er ihm eine Schlange geben? Mt 7,10

Wenn Brot als Grundnahrungsmittel sinnbildlich für das Lebensnotwendigste steht, dann ist der Fisch als etwas zu verstehen, das darüber hinaus geht, also etwas, das man nicht unbedingt zum Überleben braucht. Der Vater in den Himmeln gibt uns nicht nur das tägliche Brot, um das wir bitten, sondern noch mehr. Wir dürfen Ihn auch um Dinge bitten, die wir gerne hätten, ohne dass wir sie zwingend benötigen würden, und wir werden feststellen, dass Er uns mehr gibt, als wir zum nackten Überleben brauchen.

Vielleicht fragt sich nun jemand, weshalb der HERR zürnte, als die Israeliten in der Wüste um Fleisch als Zusatz zum Manna (Engels- oder Himmelsbrot; vgl. Ps 78,24.25; Ps 105,40) baten. Das Problem war, dass es dort nicht um gewöhnliches Brot ging, das der HERR selbstverständlich mit Fleisch ergänzt hätte, wenn das Volk Ihn darum gebeten hätte. Das Manna war eine himmlische Speise und ein Gegenbild auf Jesus Christus, wie Er selbst ganz ausführlich erklärt hat (Joh 6). Die Frage in der Wüste lautete also nicht, ob Brot genug ist, sondern ob Christus genug ist. Den Israeliten genügte Christus nicht! Sie wollten mehr, sie wollten etwas anderes – ja, sie gingen so weit zu sagen: «Unserer Seele ekelt es vor dieser elenden Nahrung» (4.Mose 21,5)! Das konnte Gott unmöglich tolerieren! Diese Verachtung gegenüber Seinem Sohn musste ernste Konsequenzen nach sich ziehen, wovon uns 4.Mose 21 berichtet. Darin liegt eine Warnung für uns: Einerseits ist es völlig in Ordnung, den Vater in den Himmeln um Vieles für das Leben hier auf dieser Erde zu bitten, aber andererseits sollen wir uns ja davor hüten, uns an Christus nicht genügen zu lassen! Wenn alles andere wichtiger wird als Er, dann laufen wir weit neben der Spur. Nur wenn wir von Herzen sagen können: «Habe ich Christus und sonst nichts, habe ich alles; habe ich alles, aber nicht Christus, habe ich nichts», stimmt unsere Gesinnung. In den Worten der Bibel: Fisch zum Brot ist legitim, aber Ekel vor dem Manna ist schwere Sünde!

Vers 11

Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird euer Vater, der in den Himmeln ist, Gutes geben denen, die ihn bitten! Mt 7,11

Ist es nicht zu pauschal, wenn der Herr Jesus sagt: «Ihr, die ihr böse seid»? Damit verurteilt Er ausnahmslos alle Menschen als böse! Aber dies ist das klare und eindeutige Zeugnis der Heiligen Schrift: «Da ist kein Gerechter, auch nicht einer; da ist keiner, der verständig ist; da ist keiner, der Gott sucht. Alle sind abgewichen, sie sind allesamt untauglich geworden; da ist keiner, der Gutes tut, da ist auch nicht einer» (Röm 3,10–12). Das Problem ist nicht nur, dass wir alle gesündigt, d.h. das göttliche Gesetz übertreten haben, sondern vielmehr, dass wir so leben, als gäbe es gar kein göttliches Gesetz! Keiner fragt nach Gott, keiner sucht nach Ihm, niemand interessiert sich dafür, was Ihm zusteht! Wir sind alle von Natur aus gottlos, von Gott losgelöst. Natürlich gibt es bessere und schlechtere Menschen, vereinzelt sogar sehr edle Menschen, aber alle zusammen fühlen sich von Gott abgestossen und nicht zu Ihm hingezogen. Wir wollen alles Gute aus Seiner Hand nehmen, aber von Ihm selbst nichts wissen. Und weil Er das personifizierte Gute ist, ist jeder, der sich von Ihm entfernt, automatisch böse – so wie es Schatten hat, wo das Licht nicht hinkommt.

Aber der HERR verschliesst Seine Augen nicht vor der Realität: Er anerkennt ausdrücklich, dass wir unseren Kindern gute Gaben zu geben wissen. Er sieht und weiss also, dass wir durchaus ein gutes Verhalten an den Tag legen und Gutes tun können. Er ignoriert nicht das, was anerkennenswert ist; Er tut nicht so, als würden wir den ganzen Tag nur Böses tun. Gute Taten werden von Ihm zur Kenntnis genommen und gewürdigt. Allerdings sind diese guten Taten selbst beim edelsten Menschen, der jeden Tag viel Gutes tut, nur wie einzelne Lichtblicke vor einem düsteren Hintergrund. Dieser düstere Hintergrund ist die Gottlosigkeit, die Trennung des Menschen von Gott. In der Bibel werden deshalb den bösen Werken des Menschen nicht etwa gute Werke gegenübergestellt, sondern tote Werke (Hebr 6,1; 9,14) – Werke, die von solchen getan werden, die tot sind in ihren Vergehungen und Sünden (Eph 2,1), weil sie sich von der Quelle des Lebens losgelöst haben. Und deshalb ist es eben doch einigermassen erstaunlich, dass wir ab und zu in der Lage sind, moralisch Gutes zu tun und beispielsweise unseren Kindern gute Gaben zu geben.

Wenn sogar wir das schaffen, obwohl all unser Sinnen nur böse ist den ganzen Tag (1.Mose 6,5), wie viel mehr wird der Vater in den Himmeln uns Gutes geben, wenn wir Ihn bitten, da Er doch das Gute in Person ist! ER liebt es, Gutes zu tun, Gutes zu geben! Ja, jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von Ihm, von dem Vater der Lichter (Jak 1,17). Wir dürfen und sollen wissen, dass Er gewissermassen nur auf Gelegenheiten wartet, um den Seinen Gutes zu geben, dass Er es liebt, Gutes zu geben und zu segnen. Als Gläubige dürfen wir sogar einen unwiderlegbaren Beweis für diese Tatsache haben, denn Er hat jedem von uns Seinen Heiligen Geist gegeben, der in der Parallelstelle in Lk 11,13 stellvertretend für jede gute Gabe respektive als die Beste aller Gaben vorgestellt wird.

Vers 12

Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut ihr ihnen auch! Denn darin besteht das Gesetz und die Propheten. Mt 7,12

Die meisten Menschen können ohne Weiteres nachvollziehen, dass es sinnvoll und gut ist, die anderen Menschen so zu behandeln, wie sie selbst gerne behandelt werden wollen. Man hat diese Anweisung als die «Goldene Regel» bezeichnet. Sie kursiert aber häufig in einer abgeschwächten Form, denn man lässt es genügen, wenn man anderen nichts Negatives zufügt, das man selbst nicht gerne hätte, während der Herr Jesus gesagt hat, dass man den anderen das Positive tun soll, das man selbst gerne hätte. Was das Zusammenleben der Menschen betrifft, so ist dies – nach Seinen Worten – die Kernaussage des Alten Testamentes («Gesetz und Propheten»).

Bei einer späteren Gelegenheit hat der Herr Jesus darauf hingewiesen, dass dies nur eine Seite der Medaille ist. Die andere Seite lautet: «Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand» (Mt 22,37). Für gewöhnlich werden diese beiden «grössten Gebote» als zwei voneinander unabhängige Anweisungen betrachtet, aber in Tat und Wahrheit sind sie untrennbar miteinander verbunden. Man kann (alle!) seine Nächsten nämlich gar nicht mit dieser grossen Liebe lieben, wenn man Gott nicht liebt. Die uneingeschränkte Liebe zu Gott ist der Schlüssel zur wahren Liebe für alle Mitmenschen, denn wir wissen alle nur zu gut, dass es viele Menschen gibt, die nicht wirklich liebenswert sind. Solche Menschen können wir nur lieben, wenn wir Gott lieben, weil diese Liebe zu Gott die Liebe zu all Seinen Geschöpfen und den Wunsch einschliesst, alles so zu sehen, wie Er es sieht – und Er liebt alle Menschen! Er will, dass alle gerettet werden! Sie sind das Werk Seiner Hände.

Doch gerade hierin versagen die meisten Menschen: Sie koppeln die Liebe zu den Mitmenschen los von der Liebe zu Gott, betonen ersteres und ignorieren letzteres – und versagen auf der ganzen Linie. Wie oft können wir (auch an uns selbst) Folgendes beobachten: Jemand tut uns ein Unrecht, aber wir reagieren sanftmütig. Dann geschieht nochmals etwas, aber wir bleiben nochmals still. Auch beim dritten Mal schlucken wir den aufsteigenden Zorn herunter. Aber beim vierten Mal explodieren wir dann umso heftiger! Die Liebe, die wir aus uns selbst heraus «produzieren» können, ist ein kleines, begrenztes Rinnsal und muss deshalb irgendwann versiegen, aber die Liebe Gottes ist ein unendlicher Ozean. Wenn diese Liebe in unsere Herzen ausgegossen ist, dann schöpfen wir aus einer nie endenden Quelle, dann können wir lieben, wenn alle anderen versagen – nicht, weil wir besser wären, sondern weil wir aus einer besseren Quelle schöpfen.

Vers 13

Geht hinein durch die enge Pforte! Denn weit ist die Pforte und breit der Weg, der zum Verderben führt, und viele sind, die auf ihm hineingehen. Mt 7,13

Wie oft haben mir die Leute schon gesagt, dass Gott doch die ganze Sache nicht so eng sehen könne! Gemessen am biblischen Massstab, gemessen nur schon am Gebot, jedem Nächsten all das zu tun, was man selbst gerne hätte, haben wir alle versagt. Wenn man das den Menschen vorstellt, sehen sie es durchaus ein. Aber dann wird ihnen bewusst, dass ja alle versagt haben müssen und dass Gott doch nicht alle in die Hölle werfen könne. Also entgegnen sie, dass sie ja mindestens so gut wie die meisten Menschen seien und deshalb auf der sicheren Seite stehen müssten. Aber biblisch gesehen liegt die Mehrheit immer falsch! Man kann durch die ganze Bibel hindurch gehen und wird dabei immer und immer wieder feststellen, dass nur eine kleine Minderheit richtig gelegen hat. Im Gesetz für Israel heisst es sogar: «Du sollst der Menge nicht folgen zum Bösen. Und du sollst bei einem Rechtsstreit nicht antworten, indem du dich nach der Mehrheit richtest und so das Recht beugst» (2.Mose 23,2). Das bedeutet, dass die Menge zum Bösen und die Mehrheit zum Beugen des Rechtes neigt! Wir suchen vergeblich nach eine einschränkenden Wendung, wie «oft», «meistens», «in aller Regel» etc. Das gilt also ganz generell. Und dann hat der Herr Jesus genau dasselbe gesagt, indem Er festgehalten hat, dass es nur zwei Wege gibt und dass der breite Weg zum Verderben führt und dass viele sich auf diesem Weg bewegen. Schrecklich!

Vers 14

Denn eng ist die Pforte und schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind, die ihn finden. Mt 7,14

Wir dürfen uns keine falschen Vorstellungen machen. Mehr als zwei Milliarden Menschen nennen sich heute Christen – eine unvorstellbar grosse Zahl! Aber der Herr Jesus hat gesagt: Die Pforte (Eingangstür) ist eng, der Weg ist schmal und es sind nur wenige, die ihn finden. Man wird nicht als Christ geboren. Man wird nicht Christ, indem man zu einer Kirche gehört, sei es nun die römisch-katholische Kirche, die evangelische Kirche oder eine Freikirche. Man wird nicht Christ, indem man sich «christlich» verhält. Ja, man kann ein Mönch oder eine Nonne und trotzdem kein Christ sein! Man wird nicht durch die Taufe zum Christ. Man wird nicht zum Christ, indem man das tut, was alle anderen in unserer sogenannt christlichen Gesellschaft tun. Die Mehrheit liegt falsch, sie lag schon immer falsch.

Mein Nachbar hat mir schon oft erzählt, wie gut es früher gewesen sei: Alle seien Christen gewesen! Damit meint er, dass sich früher bei uns niemand so offen von Gott losgesagt oder gegen Gott aufgelehnt hat, wie es heute die meisten tun. Das mag wohl so sein, aber selbst zu den besten Zeiten, die unser christliches Abendland erlebt hat, ist die Mehrheit der Menschen unterwegs gewesen auf dem breiten Weg ins Verderben. Ja, die Geschichte beweist unwiderlegbar, dass die religiösen Menschen schon immer die schlimmsten Feinde der Gläubigen gewesen sind! Angefangen hat es bei Kain, aufhören wird es, wenn die falsche (pseudo-christliche) Kirche ohne Christus durch den Herrn Jesus definitiv gerichtet werden wird. Zuvor wird diese Kirche – nicht die Gemeinschaft der offen Gottlosen! – das Blut der Gläubigen in Strömen vergiessen. Viele von uns haben eine ungefähre Ahnung davon, wie unglaublich viele Christen im vergangenen Jahrhundert dem Kommunismus und dem Islam zum Opfer gefallen sind. Aber noch immer steht die römisch-katholische Kirche (!!!) an der Spitze, wenn es darum geht, wer die meisten Gläubigen ermordet hat. Wenn man nur eine Lektion aus der Geschichte ziehen und verinnerlichen sollte, dann ist es diese: Die Mehrheit lag schon immer, liegt noch heute und wird auch in Zukunft immer falsch liegen. Man muss sich nur einmal vor Augen führen, dass die Mehrheit nach tausend Jahren des Segens unter der Herrschaft des Herrn Jesus sofort bereit sein wird, sich gegen Ihn zu stellen, sobald der Satan nochmals kurz losgelassen werden wird!

Du kannst in der (vermeintlich) christlichsten Gesellschaft leben, die es nur geben kann, aber die Pforte zum Leben wird so eng sein, dass Du Dich kaum durchzwängen kannst. Du musst tun, was fast niemand sonst in Deiner Umgebung tut, Du musst durch eine Tür gehen, durch die fast niemand sonst gehen will. Und dann musst Du einen Weg betreten, der schmal ist – so schmal, dass man kaum zu zweit nebeneinander darauf gehen kann. Es wird ein einsamer Weg sein. Fast niemand wird Verständnis für Dich haben. Viele werden sich von Dir abwenden – gerade auch die religiösen Menschen um Dich herum. Du wirst nicht viel Gesellschaft haben. Es wird kein einfacher, kein bequemer Weg sein. Aber es ist der einzige Weg, der zum ewigen Leben führt.

Vers 15

Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen! Inwendig aber sind sie reissende Wölfe. Mt 7,15

Wie wir gesehen haben, liegt die Mehrheit immer falsch. Nun hat es zu allen Zeiten Menschen gegeben, die darauf aus gewesen sind, die grosse Masse für ihre eigenen Zwecke zu missbrauchen. Der Mechanismus ist immer derselbe: Wahrheit wird mit Lüge vermischt, alles wird einer Ideologie untergeordnet und es werden «Heilsversprechen» gemacht. Das sehen wir bei den grossen Religionen, bei Sekten, im Kommunismus, im Sozialismus, bei den Grünen und bei vielen anderen Gruppierungen mehr. Diese Leute treten als Propheten, wir könnten ganz allgemein auch sagen: als solche, die mehr wissen als die andern, auf, aber sie sind nur auf ihren eigenen Vorteil aus. Das gibt es natürlich nicht nur draussen in der Welt, sondern gerade auch im christlichen Bereich, denn die Christen sind dem Teufel ein besonderer Dorn im Auge, weshalb er alles daran setzt, sie zu verwirren, sie zu verführen und ihr Zeugnis nach aussen kaputt zu machen.

Bereits der Apostel Paulus musste vor den reissenden Wölfen warnen, die schon bald in den christlichen Bereich eindringen würden: «Ich weiss, dass nach meinem Abschied grausame Wölfe zu euch hereinkommen werden, die die Herde nicht verschonen. Und aus eurer eigenen Mitte werden Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her» (Apg 20,29.30). Diese Wölfe werden sich natürlich nicht als solche zu erkennen geben, denn sonst würden die Schafe ja schon fliehen, wenn sie sie von weitem kommen sähen. Nein, sie geben sich auch als Schafe aus, schlimmer noch: Als Propheten. Die «Schafskleider» sind nämlich das Erkennungszeichen der alttestamentlichen Propheten gewesen – und an das Alte Testament hat der Herr Jesus in Seiner Bergpredigt ja nahtlos angeknüpft. Elia wurde an seinem «härenen Mantel» (ein Mantel aus Ziegenhaar) erkannt: «Da sagte er zu ihnen: Wie war das Aussehen des Mannes, der euch entgegenkam und diese Worte zu euch redete? Sie sagten zu ihm: Es war ein Mann, mit einem haarigen Mantel bekleidet und an seinen Hüften gegürtet mit einem ledernen Schurz. Da sagte er: Das ist Elia, der Tischbiter!» (2.Kön 1,7.8). Und der Prophet Sacharja hat einen solchen «härenen Mantel» als das typische Erkennungsmerkmal von falschen Propheten bezeichnet: «Und es wird geschehen an jenem Tag, da werden die Propheten sich schämen, jeder über seine Vision, dass er als Prophet aufgetreten ist; nie mehr werden sie einen härenen Mantel anlegen, um zu lügen» (Sach 13,4). Seien wir also besonders wachsam!

Vers 16

An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Liest man etwa von Dornen Trauben oder von Disteln Feigen? Mt 7,16

Wie sollen wir wissen, ob wir es mit echten oder mit falschen Männern Gottes zu tun haben? Viele Menschen können schöne Reden schwingen, viele Menschen können sich einen guten, frommen Anstrich verpassen, aber am Ende wird sie ihr Verhalten verraten. Es ist wie bei einer Pflanze: Das geübte Auge mag anhand der Blätter, des Wuchses, des Holzes oder der Rinde eine Pflanze bestimmen können, aber für die meisten von uns sehen sich viele Pflanzen zum Verwechseln ähnlich. Wir wissen nicht, womit wir es zu tun haben. Aber jede Pflanze produziert Früchte und an den Früchten können wir sie erkennen. Wenn an diesem Baum, von dem wir uns das ganze Jahr lang gefragt haben, was er denn sei, im Herbst Äpfel hängen, ist uns klar, dass es ein Apfelbaum ist. Keine einzige Pflanze kann andere Früchte als die für ihre Art typischen Früchte hervorbringen. Das ist ein Prinzip, das von Beginn weg in der Schöpfung angelegt ist: «Die Erde lasse Gras hervorsprossen, Kraut, das Samen hervorbringt, Fruchtbäume, die auf der Erde Früchte tragen nach ihrer Art, in denen ihr Same ist! Und es geschah so» (1.Mose 1,11). Alles muss «nach seiner Art» sein! Von einem Dornenstrauch wird man niemals Trauben lesen können, denn Weinreben sind dornen- und stachellose Pflanzen; von Disteln wird man niemals Feigen lesen können, denn Feigengewächse sind Sträucher bzw. Bäume ohne Dornen und Stacheln, während Disteln zweijährige Blumen sind.

Was sind nun die Früchte, die wir Menschen produzieren? Wir denken wohl zuerst an bestimmte Taten und Handlungen, aber es ist mehr unser Verhalten, unsere Art und Weise, wie wir durch den Alltag gehen. Von Natur aus produziert der Mensch die folgenden Früchte: «Offenbar aber sind die Werke des Fleisches; es sind: Unzucht, Unreinheit, Ausschweifung, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Zornausbrüche, Selbstsüchteleien, Zwistigkeiten, Parteiungen, Neidereien, Trinkgelage, Völlereien und dergleichen» (Gal 5,19–21). Der Mensch Gottes, der von Neuem aus Gott geboren ist, produziert dagegen die folgenden Früchte: «Die Frucht des Geistes aber ist: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung» (Gal 5,22.23). Der Gegensatz ist also sehr gross! Natürlich könnte man das (wie erwähnt) nicht so absolut formulieren, wenn es um einzelne Taten oder Handlungen ginge, denn jeder Mensch ist in der Lage, sich immer wieder einmal liebevoll, friedlich, langmütig etc. zu verhalten, und auch jeder echte Gläubige kann einmal unrein, streitsüchtig, eifersüchtig, zornig, selbststüchtig etc. sein. Aber wenn wir das Verhalten eines Menschen überblicksmässig, vielleicht über Jahre hinweg, beobachten, dann werden wir eine Tendenz in die eine oder die andere Richtung feststellen. Und an dieser Tendenz werden wir die falschen Propheten erkennen.

Vers 17

So bringt jeder gute Baum gute Früchte, aber der faule Baum bringt schlechte Früchte. Mt 7,17

Jeder Gärtner kann bestätigen, dass ein Baum, der keine Früchte (Dornen, Disteln; V.16) oder schlechte Früchte bringt (z.B. «wilder» Apfelbaum, sog. Sämling), nicht dazu gebracht werden kann, gute Früchte zu bringen. Man kann den Baum zurecht schneiden, man kann ihn düngen, man kann ihm Wasser geben, aber er wird immer nur jene Früchte produzieren, die seiner Art entsprechen. So hat Gott es angelegt. Das hat uns viel zu sagen! Die Belehrung ist nicht schwer zu verstehen.

Nehmen wir einmal an, ich hätte ein wenig Platz in meinem Garten für einen Apfelbaum. Und da steht tatsächlich ein Baum, aber es ist eine Schlehe (Schwarzdorn). Das Ding ist über und über mit Dornen bestückt und die Früchte, die es produziert, sind klein, enthalten einen grossen Stein und schmecken bitter. Wie komme ich nun zu eigenen Äpfeln? Die Antwort ist einfach: Ich grabe die Schlehe aus und pflanze einen Apfelbaum! Nehmen wir aber an, in meinem Garten stünde keine Schlehe, sondern ein kleiner Apfelbaum, der von selbst gewachsen ist, nachdem jemand achtlos einen Apfelkern in den Garten geworfen habe. Die Wahrscheinlichkeit, dass er grosse, schöne, gute und schmackhafte Äpfel produziert, ist sehr klein. Solche Sämlinge produzieren in aller Regel sehr viele kleine und ungeniessbare Äpfel. Nun kann ich dem Baum die beste Pflege angedeihen lassen, die es nur gibt. Dadurch kann ich die Fruchtqualität etwas beeinflussen. Bestenfalls werden die Früchte deutlich grösser. Aber sie bleiben ungeniessbar. Wie komme ich nun zu guten Äpfeln? Das ist einfach: Ich schneide mir von einem guten Apfelbaum einen Zweig ab, «köpfe» den schlechten Apfelbaum und pfropfe den Zweig des guten Baumes auf den Stumpf auf. Weil der aufgepfropfte Zweig das genetische Material des guten Apfelbaums enthält, wird er jene wohlschmeckenden Äpfel produzieren, die seine Mutterpflanze, der gute Apfelbaum, produziert. Man nennt das eine Veredelung.

Der Mensch ist seit dem Sündenfall nicht in der Lage, jene Früchte zu produzieren, die Gott sucht – und die Ihm zustehen! Es liegt in unserer Natur, dass wir unser Leben ohne Gott führen und eigene Wege gehen wollen. So wie unser Urvater Adam gegen Gott rebelliert hat, rebellieren wir alle gegen Ihn. Wir sind alle gottlos, von Gott los gelöst. Kann irgendein «Verbesserungsprogramm» dazu führen, dass wir die Gott wohlgefälligen Früchte produzieren? Jede Religion beruht auf der Annahme, dass dies möglich sei, denn Religion ist nichts anderes als ein solches Verbesserungsprogramm. Aber das Zeugnis des Herrn Jesus und der Heiligen Schrift ist völlig klar: Nein, das geht nicht! Die Schöpfung lehrt dasselbe: Der wilde Apfelbaum muss geköpft und vollständig neu aufgebaut werden. Kein Nachkomme Adams kann die richtigen Früchte produzieren, weshalb jeder Mensch («in Adam») ein schlechter Baum ist, der schlechte Früchte produziert. Nur der zweite Mensch, der vom Himmel, Jesus Christus, hat dem Vater in den Himmeln die Ihm wohlgefällige Frucht gebracht. Nur Er ist der gute Baum, der gute Frucht produziert! Wer auf Ihn vertraut, wer an Ihn glaubt, der bekommt Sein Leben, Seine Natur und wird in diesem Sinne von Neuem geboren; da wird ein Edelreiser aufgepfropft! Nur so wird ein Mensch zu einem guten Baum, der gute Frucht produziert. Wir vermögen das nur in Christus!

Ein bekannter Prediger hat einmal einen guten Vergleich gemacht: Wenn er zu spät zu einer Verabredung erscheint und behauptet, er sei von einem Lastwagen angefahren worden und deshalb zu spät, wird ihm niemand glauben. Wieso? Weil man keine Spuren eines solchen Zusammenpralls an ihm feststellen kann und weil er einen solchen Zusammenprall wohl auch kaum überlebt hätte. Das leuchtet uns allen ein. Wie kann es dann sein, dass wir einen «Zusammenprall» mit der grössten Kraft im Universum, mit Gott selbst, haben können, ohne dass man nachher etwas davon bemerkt? Das geht nicht! Über kurz oder lang wird sich daher im Leben eines von Neuem geborenen Christ die gute Frucht zeigen, die nur Gott in uns produzieren kann. Deshalb taugen die Früchte als Unterscheidungsmerkmal zwischen guten und schlechten Bäumen.

Vers 18

Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte bringen, noch kann ein fauler Baum gute Früchte bringen. Mt 7,18

Wie der Unglaube fragt, wo denn die Wunder Gottes seien, während der Glaube fragt, wo die Wunder Gottes nicht seien, meint der Unglaube, Gott würde nicht sprechen, während der Glaube versteht, dass Gott durch alles zu uns sprechen kann, sogar durch die einfachsten und normalsten Abläufe in der Natur. Was ist schon dabei, wenn ein Baum Früchte bringt? Es ist seine Natur, er kann gar nicht anders! Ich kenne sträflich vernachlässigte Obstbäume, die nicht nur Jahre, sondern Jahrzehnte nicht mehr gepflegt worden sind. Diese Bäume tragen kleine, nicht allzu schmackhafte Früchte, aber dafür unglaublich viel davon. Jedes Jahr produzieren sie Hunderte von Früchten. Sie können gar nicht anders! Spricht nicht der HERR dadurch deutlich zu uns?

Niemand von uns muss krampfhaft versuchen, irgendwelche Früchte zu produzieren. Es ist sinnlos. Der natürliche Mensch wird schlechte Früchte produzieren, d.h. sich durch ein Verhalten auszeichnen, an dem Gott kein Gefallen haben kann; der von Neuem geborene Mensch wird gute Früchte produzieren, d.h. sich durch ein Verhalten auszeichnen, das Gott wohlgefällig ist. Es liegt in beiden Fällen in der Natur begründet, die zwangsweise Früchte nach ihrer Art (vgl. 1.Mose 1,11) produziert.

Vers 19

Jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Mt 7,19

Vor Jahren habe ich mir einen Zwetschgenbaum gekauft, den ich in meinem Garten gepflanzt habe. Jahrelang habe ich diesen Baum gepflegt, aber es hat alles nichts gebracht. Mit dem Baum stimmte etwas ganz grundlegend nicht. Schweren Herzens habe ich ihn schliesslich abgehauen und zu Brennholz verarbeitet. Dabei musste ich an Mt 7,19 denken. Gott der HERR gibt jedem Menschen alles, was er zum Leben braucht – und oft noch viel mehr. Als Gegenleistung erwartet Er im Grunde nicht viel mehr als Dankbarkeit. In Micha 6,8 heisst es zum Beispiel: «Er hat dir mitgeteilt, Mensch, was gut ist. Und was fordert der HERR von dir, als Recht zu üben und Güte zu lieben und einsichtig zu gehen mit deinem Gott?» Das ist die gute Frucht, die Gott von jedem Mensch erwarten darf und die Er bei jedem Mensch sucht. Wenn ein Mensch diese Frucht sein ganzes Leben lang nicht bringt, ist es dann nicht recht, wenn der HERR den Baum abhaut und ins Feuer wirft? Wozu taugt denn der Mensch noch, wenn er den ganz grundlegenden Sinn seines Daseins, nämlich den Schöpfer zu ehren, verpasst?

Vers 20

Deshalb, an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Mt 7,20

Die ganzen Ausführungen zu den verschiedenen Pflanzenarten, den guten und den faulen Bäumen sowie den guten und den schlechten Früchten sollte nur einen einzigen Punkt beleuchten, nämlich dass wir die Menschen anhand ihrer Früchte, also ihres gewohnheitsmässigen Verhaltens, beurteilen sollen. Den Anfang dieser Ausführungen hat eine Warnung vor falschen Propheten – Wölfen in Schafspelzen – gemacht, aber die Ausführungen sind allgemeiner zu verstehen, wie die folgenden Verse deutlich machen: Es geht in einer ganz generellen Weise um den Unterschied zwischen echten und falschen Gläubigen. Wer gehört wirklich dazu, wer nicht? Diese Frage ist unglaublich schwierig zu beantworten! Entscheidend sind nicht das Bekenntnis, nicht die schönen Worte, nicht die grossen Beteuerungen, aber auch nicht irgendwelche Mitgliedschaften, Sakramente oder Rituale, an denen man teilgenommen hat. Selbst einzelne Taten geben keinen sicheren Anhaltspunkt. Könnten wir wie Gott ins Herz des Menschen sehen (1.Sam 16,7), wäre die Sache in jedem Fall klar, aber das können wir nicht. Deshalb werden wir angehalten, uns an das aussagekräftigste Erkennungsmerkmal zu halten, nämlich an das generelle Verhalten eines Menschen.

Vers 21

Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr!, wird in das Reich der Himmel hineinkommen, sondern wer den Willen meines Vaters tut, der in den Himmeln ist. Mt 7,21

In Ps 51,8 heisst es: «Siehe, du hast Gefallen an Wahrheit im Innern». In 1.Sam 16,7 sagt der HERR: «Denn der HERR siehtnicht auf das, worauf der Mensch sieht. Denn der Mensch sieht auf das, was vor Augen ist, aber der HERR sieht auf das Herz». Gott kann jeden Mensch auf vollkommene Weise beurteilen, weil Er den Mensch – jeden Mensch! – besser kennt, als dieser sich selbst. Der HERR kennt jedes unserer innersten Motive, jeden Gedanken, jedes Gefühl, jede Regung unseres Herzens und Er misst allem genau das richtige Gewicht zu. Der HERR müsste nichts von all dem wissen, was Du in Deinem ganzen Leben getan oder unterlassen hast; Er müsste nur für den Bruchteil einer Sekunde in Dein Herz schauen und könnte Dich gerechter richten, als jeder Richter es mit der umfassendsten Kenntnis all dessen, was Du je gesagt oder getan hast, tun könnte.

Allerdings wird der HERR öffentliche Gerichtsverhandlungen vor Publikum abhalten. Die anwesenden Menschen könnten Seine Urteile nicht einmal im Ansatz nachvollziehen oder verstehen, wenn Er allein aufgrund Seiner Kenntnis von unseren Herzen urteilen würde. Deshalb wird Er Sich herablassen, uns so zu richten, wie wir einander richten würden, nämlich anhand dessen, was wir gesagt, getan oder unterlassen haben. Entscheidend wird dann natürlich das sein, was der Herr Jesus uns in den Versen vor Mt 7,21 so eindringlich ans Herz gelegt hat: Nicht die schönen Worte, sondern unsere Taten, unser gewohnheitsmässiges Verhalten. Es genügt nicht, Jesus Christus (wiederholt) als Herrn anzusprechen, sondern Er muss es auch wirklich gewesen sein! Und nur Der ist wirklich unser Herr, dessen Willen wir tun. Den Willen des Herrn Jesus zu tun, ist gleichbedeutend mit den Willen des Vaters zu tun, denn der Sohn und der Vater sind eins.

Vers 22

Viele werden an jenem Tage zu mir sagen: Herr, Herr! Haben wir nicht durch deinen Namen geweissagt und durch deinen Namen Dämonen ausgetrieben und durch deinen Namen viele Wunderwerke getan? Mt 7,22

An «jenem Tag», also dann, wenn der Herr Jesus Christus die Menschen richten wird, werden sich viele mit genau dem bei Ihm anbiedern, was heute in aller Christen Munde ist: Prophetie (= Weissagung), Dämonenaustreibungen und Wunderwerke. Sie werden sich einbilden, dass diese «grossen Taten» ein sicheres Zeichen dafür seien, dass sie zu Ihm gehörten. Ihre Rede wird sich ausschliesslich um das drehen, was sie selbst getan haben. Werden sie den Herrn Jesus damit beeindrucken? Wir können uns die Antwort anhand der vorangehenden Verse bereits denken, denn es sind eben gerade nicht die schönen Worte und die besonderen Einzeltaten, nach denen der Herr Jesus Ausschau hält, sondern es ist das gewohnheitsmässige Verhalten (im grauen Alltag), das Er als Massstab für Sein Urteil heranziehen wird.

Vers 23

Und dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch niemals gekannt. Weicht von mir, ihr Übeltäter! Mt 7,23

Wie tragisch! Menschen, die meinen, sie hätten dem HERRN gedient, werden einmal von Ihm mit den Worten verurteilt werden, Er habe sie niemals gekannt! Diese Menschen werden sich auf «grosse Wunderwerke» berufen, die sie vermeintlich getan haben, aber sie werden nie eine persönliche Beziehung zum Herrn Jesus Christus gehabt haben. Heute haben wir (leider) eine klare Vorstellung davon, was für Menschen das sein werden, denn wie viele angebliche Wunderwerke, Dämonen-Austreibungen und Prophetien geistern durch die Christenheit, die schätzungweise zu weit mehr als 95 Prozent nichts mehr als heisse Luft sind? Wie viele Menschen gibt es, die wie Simon der Zauberer sind, von dem in Apg 8 berichtet wird, dass er die Gabe des Heiligen Geistes für Geld kaufen wollte, um nun «christliche Zauberei» zu treiben? O, dieser Simon war von einem der am höchsten angesehenen Christen persönlich getauft worden, weil er diesen hinters Licht geführt hatte! Aber was muss der Heilige Geist ihm durch Petrus sagen? «Dein Geld fahre mit dir ins Verderben, weil du gemeint hast, dass die Gabe Gottes durch Geld zu erlangen sei! Du hast weder Teil noch Recht an dieser Sache, denn dein Herz ist nicht aufrichtig vor Gott. Tu nun Busse über diese deine Bosheit und bitte den Herrn, ob dir etwa der Anschlag deines Herzens vergeben wird! Denn ich sehe, dass du voll bitterer Galle und in Banden der Ungerechtigkeit bist» (Apg 8,20–23). Ein hartes Wort, aber hoffentlich ein heilbringendes! Und wie viele Menschen kennen wir darüber hinaus, die sich für die Kirche engagieren, sich religiös betätigen, ein anständiges Leben führen, den wunderbaren Namen unseres Herrn über sich ausrufen und bekennen, dass sie Ihn kennen, ohne dass sie je Busse über ihre Sünden getan und zum lebendigen Glauben an Ihn gekommen wären? Ja, sie kennen Ihn, aber kennt Er sie?

Wenn wir einmal vor Gott stehen, wird es viele – weit mehr als zwei Milliarden! – Menschen geben, die zu Ihm sagen werden, sie seien Christen genannt worden, sie seien als Christen getauft worden, sie seien christlich erzogen worden, sie hätten regelmässig Gottesdienste besucht, sie hätten sich in der Kirche engagiert, sie hätten vielleicht sogar gepredigt oder Wunderwerke getan. Der HERR wird nichts davon Gehör schenken, denn diese Menschen sind voll von sich selbst, von dem, was sie sind, was sie haben und was sie tun. Sie sind wie alle anderen Menschen auch, nur getarnt mit einem christlich-religiösen Anstrich. Aber es wird an jenem Tag auch einige wenige Menschen geben, die zu Ihm sagen werden, Er kenne sie doch, weil Er selbst sie mit Banden der Liebe aus dem kotigen Schlamm ihrer Sünden gezogen und durch Sein Blut rein gewaschen habe und weil Er ihnen Sein eigenes Leben gegeben habe. Diese Menschen werden sagen: Ich kenne Dich – und Du kennst mich! Genau das wird ausschlaggebend sein: Kennt der Herr Jesus Christus Dich? Es geht nicht darum, was Du alles getan oder gelassen hast, sondern einzig und allein darum, ob Er Dich kennt. Angelus Silesius hat es einmal treffend formuliert: «Wird Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren». Kennt Jesus Christus Dich?

Vers 24

Jeder nun, der diese meine Worte hört und sie tut, den werde ich mit einem klugen Mann vergleichen, der sein Haus auf den Felsen baute; Mt 7,24

Die Offenbarung göttlicher Wahrheit durch den Herrn Jesus Christus richtete sich zwar in erster Linie an die Jünger, wurde aber auch von der grossen Volksmenge gehört, die zusammengekommen war. Das Wort Gottes ist seither zu vielen Millionen Menschen ausgegangen. Es gibt keine Geheimbotschaft, sondern nur das klare und einfach verständliche Zeugnis vom Himmel. Alle, die es hören, werden erleuchtet, denn durch das Wort Gottes strahlt das göttliche Licht mitten in das Leben eines jeden Zuhörers; sie werden ins göttliche Licht gestellt. Ist das genug? Reicht es, das Wort Gottes gehört zu haben, etwas damit in Kontakt gekommen zu sein?

Nein! «Seid aber Täter des Wortes und nicht allein Hörer, die sich selbst betrügen!» (Jak 1,22). In einem späteren Gleichnis hat der Herr Jesus die Predigt des Wortes Gottes mit dem Ausstreuen von Samen verglichen. Der Same (das Wort Gottes) ist gut, aber ob er aufgeht, eine gesunde Pflanze bildet und dann Frucht bringt, hängt von der Beschaffenheit des Bodens ab, auf den er fällt, d.h. auf den Zustand der Herzen eines Zuhörers. Nur wo das Wort Gottes eine Reaktion des Glaubens auslöst, kann es «keimen». Die Antwort des Herzens ist entscheidend!

Wer glaubt, der handelt entsprechend. Ein Beispiel kann das vielleicht etwas veranschaulichen: Ein Mensch irrt seit Tagen durch die Wüste. Er ist schon beinahe verdurstet. Da kommt ein Fremder, den er noch nie gesehen hat. Dieser hält ihm ein Gefäss hin und fordert ihn auf, zu trinken. Der Verdurstende fragt, was im Gefäss sei, der Fremde antwortet: Frisches Wasser. Jetzt liegt es am Verdurstenden: Misstraut er dem Fremden, wird er nicht trinken, aus Angst, er könnte vergiftet werden. Sogar wenn er glaubt, dass Wasser grundsätzlich gut sei und ihm in seiner Situation helfen könnte – wenn er nicht trinkt, wird er nicht gerettet. Nur jener Glaube, der tätig wird, ist rettender Glaube: Der Verdurstende glaubt (vertraut) dem Fremden, nimmt das Gefäss und trinkt gierig daraus. Der Tod durch Verdursten ist abgewendet.

«Glauben» wir, dass das Wort Gottes gut ist? Oder glauben wir das wirklich, und zeigt sich das, indem wir das Haus unseres Lebens auf dieses Wort bauen, es zur Grundlage unseres Lebens machen? Das sind zwei verschiedene Haltungen, die nicht weiter voneinander entfernt sein könnten! Betrügen wir uns nicht selbst! Bauen wir auf den Felsen!

Vers 25

und der Platzregen fiel herab, und die Ströme kamen, und die Winde wehten und stürmten gegen jenes Haus; und es fiel nicht, denn es war auf den Felsen gegründet. Mt 7,25

Wir müssen uns nichts vormachen – und Gott macht uns auch nichts vor! Selbst in unserer Wohlstandsgesellschaft gibt es schwere Stürme im Leben eines jeden Menschen. Die seelischen Verluste schmerzen dabei oft weit mehr als finanzielle Einbussen. Ein Mann kann alles haben, was man sich mit Geld nur kaufen kann, aber das hilft ihm alles nichts, wenn er zum Beispiel herausfinden muss, dass seine von ihm sehr geliebte Frau ihn mit einem anderen Mann betrogen hat. Wenn solche Stürme aufziehen, droht unser Lebensgebäude einzustürzen. Vielleicht ist Deine Arbeit das Zentrale, um das sich Dein Leben dreht. Verlierst Du unerwartet Deine Arbeitsstelle, kracht alles in sich zusammen. Vielleicht ist Deine Familie das, worum sich alles in Deinem Leben dreht. Verlässt Dich Deine Frau und stösst Deinen Kindern etwas zu, stürzt Dein Lebenshaus in sich zusammen. Als Hiob und seine Frau an einem einzigen Tag all ihren (immensen!) Besitz und – noch viel schlimmer! – alle ihre Kinder verloren, gab es für Hiobs Frau nichts mehr, wofür es sich weiter zu leben gelohnt hätte. Sie sprach: «Hältst du noch fest an deiner Vollkommenheit? Fluche Gott und stirb!» (Hiob 2,9). Ihr Lebenshaus war in sich zusammen gestürzt; sie hatte alles verloren. Ihrem Mann Hiob ging es noch viel schlimmer, denn er wurde (wahrscheinlich) von der Pest heimgesucht und verbrachte sowohl Tage als auch Nächte in unaufhörlichen Schmerzen, quälenden Fieberträumen, Schimpf und Schande. Aber sein Haus blieb stehen. Wieso?

Die ganz entscheidende Rolle spielt das Fundament des Hauses, also das, worauf es steht. Kommt ein Platzregen, kommen Ströme, wehen Winde und stürmt es gegen das Haus, fällt es nicht, wenn es auf den Felsen gegründet ist. Nach dem heiligen Wort Gottes gibt es nur einen einzigen Felsen und das ist nicht die Gesundheit, nicht die Familie, nicht der Beruf und auch nicht das Geld, sondern Gott der HERR, der Schöpfer und Erhalter dieses Universums: «Der Fels; vollkommen ist sein Tun, denn alle seine Wege sind recht. Ein Gott der Treue und ohne Trug, gerecht und gerade ist er!» (5.Mose 32,4). Als Israel durch die Wüste zog, ging Gott der HERR ihnen in der Wolken- und Feuersäule voraus, aber zugleich war da noch ein («wirklicher») Fels, der das Volk begleitete, «denn sie tranken aus einem geistlichen Felsen, der sie begleitete» (1.Kor 10,4). Wenn dieser wirkliche Fels aus Stein in 1.Kor 10,4 ein geistlicher Fels genannt wird, stellt sich die Frage, wofür er denn steht. Die Antwort findet sich im selben Vers: «Der Fels aber war der Christus» (1.Kor 10,4). Der Herr Jesus ist der Fels, auf dem unser Lebenshaus gebaut werden muss! Aber der Herr Jesus trägt noch viele weitere wunderbare Titel, wovon einer lautet: «Das Wort» (1.Joh 1,1.14). Denn Er ist die letzte und zugleich grösste Offenbarung des Wesens Gottes, die uns gegeben worden ist (vgl. Hebr 1,1.2). Die Bibel nennt sich selbst «die Schrift» (z.B. 2.Tim 3,16.17) oder auch «das Wort» (z.B. 5.Mose 13,1). Man kann die Bibel nicht von Jesus Christus trennen, denn die Bibel spricht in erster Linie von Ihm und Er ist gewissermassen das lebendig gewordene Wort Gottes. Deshalb können wir sagen, dass auch die Bibel als das Wort Gottes der Fels ist, auf den sich unser Leben gründen muss. In den vergangenen 2.000 Jahren haben unzählige Brüder und Schwestern die Erfahrung gemacht, dass das Wort Gottes einen trägt, wenn er alles andere verloren hat. So viele Menschen haben erleben müssen, dass nichts im Leben Bestand hat, dass man wirklich alles verlieren kann – aber nicht das Wort Gottes! Wer das Wort Gottes kennt und liebt, der steht auf einem unerschütterlichen Felsen, dessen Lebenshaus kann vielleicht (bedrohlich) ins Wanken kommen, aber niemals einstürzen.

Vers 26

Und jeder, der diese meine Worte hört und sie nicht tut, der wird mit einem törichten Mann zu vergleichen sein, der sein Haus auf den Sand baute; Mt 7,26

Es genügt nicht, den Worten des Herrn Jesus genau zuzuhören. Wir können jede Woche zur Kirche gehen und genau zuhören, wenn das Wort Gottes gepredigt wird, und unser Haus trotzdem auf Sand statt auf den Felsen bauen. Der Herr Jesus hat die Juden, unter denen Er etwa dreieinhalb Jahre lang tagtäglich gepredigt hat, gewarnt: «Sobald der Hausherr aufgestanden ist und die Tür verschlossen hat und ihr anfangen werdet, draussen zu stehen und an der Tür zu klopfen und zu sagen: Herr, öffne uns!, wird er antworten und zu euch sagen: Ich kenne euch nicht und weiss nicht, woher ihr seid. Dann werdet ihr anfangen zu sagen: Wir haben vor dir gegessen und getrunken, und auf unseren Strassen hast du gelehrt. Und er wird sagen: Ich sage euch, ich kenne euch nicht und weiss nicht, woher ihr seid. Weicht von mir, alle ihr Übeltäter!» (Lk 13,25–27). Diese Juden hatten viel Gemeinschaft mit Ihm gepflegt, sie kannten Ihn, hatten vor Ihm gegessen und getrunken (das will sagen: Er hatte mitten unter ihnen gelebt) und Er hatte auf ihren Strassen gelehrt. Aber Er kennt sie nicht! Wieso? Weil sie nie wirkliche Gemeinschaft mit Ihm gehabt hatten! Ja, Er hatte gepredigt, ja, sie hatten vielleicht zugehört, aber nein, sie hatten Seinen Worten keinen Glauben geschenkt. Ohne Glauben aber ist es unmöglich, sich Gott zu nahen.

Wenn der Sohn Gottes höchstpersönlich vor uns steht und uns anweist, unser Haus nicht hier auf dem Sand, sondern dort auf dem Felsen zu bauen, dann hat Er doch alles getan, was von Seiner Seite her nötig ist um uns auf den guten Weg zu führen. Bricht einer der Zuhörer sein begonnenes Werk ab und fängt er dort auf dem Felsen komplett neu an zu bauen, dann hat das Wort Gottes seinen Zweck erreicht: Der Same (das Wort Gottes) wurde gestreut, er fiel auf fruchtbaren Boden (ein Herz, das mit Glauben antwortete) und er konnte deshalb keimen. Wenn ein anderer Zuhörer sein begonnenes Werk nicht nochmals abbrechen will und weiter auf Sand baut, dann ist er unter den Einfluss desselben guten Wortes gekommen und dann hat er ebenso aufmerksam zugehört, aber ganz offensichtlich hat er dem Wort keinen Glauben geschenkt. Für ihn bleibt das gute Wort Gottes wirkungslos, da keimt nichts, da wächst nichts und da wird deshalb auch keine Frucht für Gott entstehen. Ein solcher Mensch hat der Predigt des HERRN gelauscht, hat vor Ihm gegessen und getrunken, aber er ist nie in eine echte Beziehung zu Ihm getreten.

Vers 27

und der Platzregen fiel herab, und die Ströme kamen, und die Winde wehten und stiessen an jenes Haus; und es fiel, und sein Fall war gross. Mt 7,27

Auch jene Menschen, die dem Wort Gottes keinen Glauben schenken wollen, bleiben nicht vor Leid verschont. Auch in ihrem Leben wird es Stürme geben. Was von aussen an den Menschen dringt, ist bei allen ähnlich: Alle werden einerseits mit der göttlichen Wahrheit und andererseits mit Schwierigkeiten im Leben konfrontiert. Nur unsere Reaktion fällt unterschiedlich aus: Bei einigen führt die Predigt des Wortes Gottes zum Glauben, bei anderen nicht; bei einigen führen Lebensstürme zu einem Zusammenbruch, von dem sich die Menschen nicht mehr erholen, bei anderen nicht. Die Worte des Herrn Jesus zeigen, dass es da einen Zusammenhang gibt. Es sind nicht die besonders starken Menschen, die alle Stürme des Lebens überstehen, denn es spielt keine Rolle, aus welchem Material das Haus gebaut ist. Nein, es sind jene Menschen, die auf das Wort Gottes, auf den Sohn Gottes, auf den Felsen gebaut haben. Lebensstürme werfen sie aus der Bahn, aber das Haus stürzt nicht ein. Auch der Gläubge fällt siebenmal (d.h. immer und immer wieder), aber er steht immer wieder auf (Spr 24,16). Das ist das ganze Geheimnis: Die Gläubigen sind von Gott getragen, in Ihm gegründet – und Er kommt niemals ins Wanken. Wer nicht auf dieses Fundament baut, baut auf Sand. Die Stürme des Lebens werden das Haus zum Einsturz bringen und der Fall wird gross, d.h. schwerwiegend sein. Leider kenne ich persönlich Menschen, die das genau so erlebt haben. Alles schien in bester Ordnung, dann geschah ein einziges Unglück und plötzlich war alles anders. Die Betroffenen haben sich ihr Leben lang nicht mehr von diesem Schlag erholt. Der Fall des Hauses war gross. Gott der HERR verheisst niemandem, der sein Vertrauen auf Ihn setzt, eine ruhige Überfahrt, aber Er verspricht jedem eine sichere Ankunft. Gläubige haben kein leichteres Leben, aber sie haben einen Fels in der Brandung, an den sie sich klammern können.

Vers 28

Und es geschah, als Jesus diese Worte vollendet hatte, da erstaunten die Volksmengen sehr über seine Lehre; Mt 7,28

Der Herr Jesus hatte sich zwar in erster Linie an Seine Jünger gewendet, aber bei der sogenannten Bergpredigt waren grosse Volksmengen anwesend, die zugehört haben. Die Menschen erstaunten sehr über Seine Lehre. Sie waren tief beeindruckt von Seinen Worten. So ist es bis heute. Sogar entschiedene Gegner der Bibel räumen ein, dass die Bergpredigt einen hohen moralischen Standard enthalte und dass es für die Gesellschaft am besten wäre, wenn dieser Standard beachtet würde. Nur leider genügt es nicht, von einzelnen Taten oder Worten des HERRN beeindruckt zu sein. Hatte nicht der Herr Jesus Seine Rede mit einer ernsten Ermahnung abgeschlossen, dass die Worte Gottes nur nützlich seien, wenn man danach handle? Wir können uns auch nicht einzelne Passagen aus der Bibel herausgreifen, die wir für anerkennenswert halten, während wir mit dem Rest nichts zu tun haben wollen. Das Wort Gottes ist ein in sich vollkommenes Ganzes. Wer auch nur einen Teil davon ablehnt, lehnt im Ergebnis die ganze göttliche Offenbarung, das ganze Wort Gottes und damit auch den Herrn Jesus ab. Wer sich vom Wort Gottes emotional beeindrucken lässt, aber nicht sein Vertrauen darauf setzen will, baut sein Haus weiter auf Sand.

Vers 29

denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, und nicht wie ihre Schriftgelehrten. Mt 7,29

Die Predigt des Herrn Jesus war so völlig anders als das, was die Menschen bislang gekannt hatten! Die Rabbiner hatten nie so gepredigt; die Menschen kannten so etwas wie eine Predigt eigentlich gar nicht. Inhaltlich war vieles ganz neu, auch wenn der Herr Jesus eigentlich nichts anderes tat, als das Alte Testament auszulegen, das den Menschen bestens bekannt sein musste. Aber auch die Art der Verkündigung war einzigartig. Der Herr Jesus «versteckte» sich nicht hinter den Ausführungen von anerkannten Rabbinern, wie es die Rabbiner im Allgemeinen gern tun, sondern tat eigentlich genau das Gegenteil, wenn Er wiederholt sagte: «Ich aber sage euch …» Das Aussergewöhnlichste muss aber das «Gewicht» gewesen sein, das Seine Worte hatten: Die Leute müssen gefühlt haben, dass das, was Er sagte, Kraft und Wirkung hatte. Ihre Herzen wurden berührt, ihre Gewissen wurden wachgerüttelt, jedes Wort hatte Kraft. Er predigte mit Vollmacht bzw. Autorität.

Das grosse Geheimnis dieser wirkungsvollen Predigt (und jeder anderen Predigt, die Wirkung haben soll) war ein doppeltes: Erstens bewegte sich der Herr Jesus bis ins kleinste Detail im Willen des himmlischen Vaters. Da war (menschlich gesprochen) nichts «Eigenes» zu finden; alles war in völliger Übereinstimmung und Harmonie mit dem, was Gott wollte. Deshalb konnte die Kraft Gottes völlig ungehindert wirken. Zweitens entsprach das, was der Herr Jesus sagte, zu 100% dem, was Er war. Die Juden fragten Ihn einmal: «Wer bist du? Jesus sprach zu ihnen: Durchaus das, was ich auch zu euch rede» (Joh 8,25), nämlich die Wahrheit. Alles an Ihm war authentisch, wahrhaftig, echt. Er predigte nicht Wasser und trank Wein, sondern Er lebte, was Er lehrte. Das ist so wichtig auch für unsere Predigten, aber so wenig beachtet. Nehmen wir an, ein Bruder, der sein Leben wirklich in Abhängigkeit von und im Gehorsam gegenüber Gott führt, hält eine Predigt. Diese Predigt wird Autorität haben. Nun könnte ein anderer Bruder, der auch gerne predigen würde, diese Predigt auf Video aufnehmen und zuhause üben, alles bis ins kleinste Detail zu imitieren. Dann würde er selbst predigen. Diese Predigt wäre eine wortwörtliche Kopie der ursprünglichen Predigt und auch die Mimik sowie die Gestik wären eine perfekte Imitation dessen, was auf Video aufgenommen worden war. Jeder, der beide Predigten kennen würde, müsste bezeugen, dass sie sich aufs Haar glichen. Aber wenn der zweite Bruder in seinem persönlichen Leben, im Geheimen nicht in Ordnung ist, wird seine Predigt keinerlei geistliche Wirkung haben. Wieso? Weil es nicht unsere Worte und auch nicht unser Auftreten sind, die etwas bewegen, sondern der Geist Gottes, der uns als Seine Werkzeuge gebrauchen will! Alles hängt allein von Ihm ab! Im Menschen Christus Jesus konnte Er komplett ungehindert wirken, weil alles rein und wahrhaftig war, und allein deshalb hatten die Predigten des Herrn Jesus eine solche Autorität.

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